1. Leben und Entstehungsdaten einiger Werke

ZeitOrtEreignis
7.8.1846Salbke/Magdeburggeboren Hermann Paul
1864schwere Augenentzündung mit dauernder Schwächung des Sehvermögens
1866MagdeburgAbitur
1866/7BerlinStudium der deutschen Sprache und Literatur, u.a. bei H. Steinthal
1867-70LeipzigStudium, u.a. bei G. Curtius
1870Promotion zum Dr.phil. Über die ursprüngliche Anordnung von Freidanks Bescheidenheit
1871/2Beteiligung am Kolleg A. Leskiens, somit Bekanntschaft mit dem junggrammatischem Ansatz.
1872LeipzigHabilitation; Habilitationsschrift: Zur Kritik und Erklärung von Gottfrieds Tristan.
Gab es eine mhd. Schriftsprache? [nein].
1873Gemeinsam mit W. Braune Begründung der Beiträge zur Geschichte der Deutschen Sprache und Literatur (PBB 1), publiziert seit 1874.
1874Freiburg i.Br.außerordentlicher Professor für deutsche Philologie
"Zur Lautverschiebung"
1877Freiburg i.Br.ordentlicher Professor
"Die Vokale der Flexions- und Ableitungssilben in den ältesten germanischen Dialekten"
1879"Zur Geschichte des germanischen Vokalismus"
1879-82"Beiträge zur Geschichte der Lautentwicklung und Formenassoziation"
1880Prinzipien der Sprachgeschichte. Leipzig : Niemeyer. 2. Aufl. 1886, 3. 1898, 4. 1909, 5. 1920 (letzte geänderte Auflage); 10. Aufl. 2002.
1881Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Aufl. 2006.
1881fHerausgabe mittelhochdeutscher Texte in der Altdeutschen Textbibliothek
1882ffKonzentration auf das Neuhochdeutsche
1888Ablehnung eines Rufes nach Gießen
1891-96Herausgabe des Grundrisses der germanischen Philologie
1893MünchenRuf an die Universität
1894"Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie"
1896"Zur Wortbildungslehre"; Deutsches Wörterbuch; 3. neubearb. Auflage 1921
1909fMünchenRektor der Universität
1914Netzhautablösung, kein Lesen mehr möglich
1916MünchenEmeritierung
1916-1920Deutsche Grammatik, 5 Bde.
1920"Über Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften"
1921"Über Sprachunterricht"
29.12.1921Münchengestorben

1 Pauls und Braunes Beiträge

2. H. Pauls Person und Werk

Paul steht in der indogermanistischen Tradition des 19. Jh., insbesondere des Zweiges der Junggrammatiker. Er ist der Systematiker der junggrammatischen Schule. Er stellt den Zusammenhang zwischen empirischer Forschung und Theorie her. Er kodifiziert die Methoden der historischen Sprachwissenschaft für die Indogermanistik des 20. Jh.

Seine Sprachwissenschaft hat eine starke empirische Komponente; Linguistik ist für ihn "Erfahrungswissenschaft".

Seiner wissenschaftstheoretischen Überzeugung nach ist er Positivist. Er hat einen – für Junggrammatiker/Positivisten durchaus untypischen – Hang zur Deduktion und mathematisch-physikalischen Ausdrucksweise.

Um die Nähe der Sprachwissenschaft zu den Naturwissenschaften abzusichern, postuliert er die Unbewußtheit der sprachlichen Vorgänge. Somit benötigt er keine Sozial-, sondern bloß Individualpsychologie. Diese wiederum ist sehr physiologienah und basiert auf Herbarts Assoziationspsychologie und Vorstellungsmechanik. Paul wendet sich gegen die Völkerpsychologie von Lazarus & Steinthal und Wundt. Dem entspricht eine merkliche Unterbewertung des sozialen Charakters der Sprache.

Das Buch Prinzipien der Sprachgeschichte hat zum Ziel, auf der Basis einer "kulturwissenschaftlichen Prinzipienlehre" die junggrammatische Sprachforschung theoretisch zu begründen. Bekannt und auch heute wieder diskutiert ist Pauls Position, nach der jegliche wissenschaftliche Sprachbetrachtung geschichtlich ist. Empirische Basis ist für Paul die "individuelle Sprechtätigkeit", an deren Analyse er zeitgenössische psychologische Konzeptionen heranträgt. Andererseits geht er intensiv auf die Sprachstruktur und die grammatischen Gesetze ein.

Lektüreaufgaben zu den Prinzipien der Sprachgeschichte

3. Bedeutung und Nachwirkung

Die Prinzipien der Sprachgeschichte sind Hermann Pauls Hauptwerk. Darin versucht Paul "vor allem zu zeigen, welche Bedeutung die Wechselwirkung der Individuen aufeinander für die Entwicklung der Sprache hat" (Paul 1922:497). Sie wurden bis 1920 fünfmal aufgelegt und dienten Generationen von Linguisten als kanonisches Buch der Sprachwissenschaft. Sie sind, ebenso wie mehrere andere Bücher Pauls, ein Standardwerk der Sprachwissenschaft (bes. der germanistischen) geworden. Auch seine anderen Werke werden wegen "ihrer hohen Objektivität, präzis gebotenen Materialfülle und ihrem praktischen Handbuchcharakter" (Arens S.347) heute noch benutzt.

Die positivistischen Ideale der Junggrammatiker leben auch in de Saussures Strukturalismus fort. Freilich bedeutet letzterer eine radikale Abkehr von deren Atomismus und auch von deren Andocken an Psychologie und Physiologie. An die Stelle dessen setzt de Saussure das Sprachsystem als formalen Gesamtzusammenhang.

4. Schriftenverzeichnis

[zu vervollständigen]

Paul, Hermann 1902, "Über die Umschreibung des Perfektums im Deutschen mit `haben' und `sein'." Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, I. Kl. Bd. 22 (Abh. 1).

Paul, Hermann 1920, Prinzipien der Sprachgeschichte. Tübingen: M. Niemeyer (5. Auflage; 1. Auflage 1880; 10. unveränd. Aufl. 1995).
Online: Projekt Gutenberg: Hermann Paul.

Paul, Hermann 1992, Deutsches Wörterbuch. 9., vollständig neu bearbeitete Auflage von Helmut Henne und Georg Objartel unter Mitarbeit von Heidrun Kämper-Jensen. Tübingen: M. Niemeyer.

5. Sekundärliteratur

Cherubim, Dieter 1973, "Hermann Paul und die moderne Linguistik. Zur Studienausgabe von H. Pauls `Prinzipien der Sprachgeschichte'". ZDL 40: 310-322. [Weist auf 1973 aktuelle Aspekte im Werk hin]

Paul, Hermann 1922, "1. Mein Leben; 2. Schriften". PBB 46:495-500. [Nachwort von W. Braune: 501-505, mit Photo]

Streitberg, Wilhelm 1922f, "Hermann Paul". Indogermanisches Jahrbuch 9: 280-285. Abgedr.: Sebeok, Th.A. (ed.), Portraits of linguists. Bloomington & London : Indiana UP; vol.1:549-554. [Inkorporiert Paul 1922]

Hermann-Paul-Centrum für Linguistik