Nachrichten, die in einer natürlichen menschlichen Sprache abgefaßt sind, sind gegliedert. Das besagt, daß eine Nachricht nicht als ganzheitlicher Block in etwas Wahrnehmbares umgesetzt wird, sondern daß die Nachricht aus Bestandteilen zusammengesetzt ist, die einem Code entnommen sind. Anders gesagt: die Nachricht ist zerlegbar in eine Menge von Elementen, deren jedes ein Token zu einem Type ist.
Hier sind ein paar Beispiele von ungegliederten Nachrichten:
Wie man sieht, verwenden auch Menschen ungegliederte Nachrichten.
Hier sind ein paar gegliederte Nachrichten, die den vorigen inhaltlich entsprechen:
Wie man sieht, ist der Inhalt einer Nachricht unabhängig von der Frage ihrer Gliederung; diese betrifft allein die Struktur des Ausdrucks.
Eine Nachricht ist also gegliedert, wenn sie aus rekurrenten Einheiten zusammengesetzt ist, also aus Einheiten, die Tokens eines Types sind. Diese Einheiten können von zweierlei Art sein:
In einem Romméspiel z.B. gibt es auf den Karten zwei Arten von Einheiten:
In diesem Spiel (in anderen Kartenspielen ist das anders) sind die Augenwerte signifikativ, denn sie werden am Schluß nach bestimmten Regeln als Punkte angerechnet. Die Farben dagegen sind lediglich distinktiv; d.h. es kommt nur darauf an, sie auseinander zu halten; ob man aber eine Reihe von Kreuz oder Herz hat, macht für das Ergebnis nichts aus.
Die menschliche Rede ist zweifach gegliedert, nämlich sowohl in signifikative als auch in distinktive Einheiten.1 Der Ausdruck alter Knabe z.B. besteht aus drei kleinsten signifikativen Einheiten:
Die signifikative Einheit alt besteht aus drei kleinsten distinktiven Einheiten: /a/, /l/, /t/.
Die kleinsten signifikativen Einheiten sind aus distinktiven Einheiten zusammengesetzt. Allerdings gibt es bei beiden Gliederungen auch komplexe Einheiten: Wortformen, Syntagmen usw. sind komplexe signifikative, Silben sind komplexe distinktive Einheiten.
Einer lautlichen Einheit sieht man nicht an, ob sie signifikativ oder bloß distinktiv ist. Z.B. die Silbe /ti:f/ ist als Bestandteil des Wortes /zignifikati:f/ bloß eine distinktive Einheit.2 Sie dient aber auch als Adjektiv tief; und als solches ist diese Einheit signifikativ. Signifikativität und Distinktivität sind also Funktionen sprachlicher Einheiten.
Die zweifache Gliederung der menschlichen Sprache wurde zuerst von André Martinet (1949) auf Französisch formuliert. Er nannte sie double articulation. Auf Englisch entspricht dem oft duality “Dualität”. Ins Deutsche wird es nicht selten mit “doppelte Artikulation” übersetzt. Beide Bestandteile dieser Übersetzung verfehlen das Gemeinte. Erstens bedeutet Artikulation in deutschsprachiger Linguistik ausschließlich die Aussprache von Lauten in phonetischer Hinsicht, um die es hier durchaus nicht geht.3 Zum zweiten ist die Sprache auch nicht “doppelt” gegliedert, sondern auf zwei Ebenen.
Das folgende Schema faßt die zweifache Gliederung der menschlichen Sprache zusammen:
Nr. | Art der Einheiten | Beispiele |
---|---|---|
1 | signifikativ | Morpheme, Wörter, Sätze ... |
2 | distinktiv | phonologische Merkmale, Phoneme, Silben ... |
1. | Zweifache Gliederung |
1 Andere Termini (eingeführt in Hjelmslev 1953) sind Plerem “volle (=signifikative) Einheit” und Kenem “leere (= distinktive) Einheit”. Sie werden selten verwendet, haben aber den Vorzug, infolge ihrer Abstraktheit auf ganz unterschiedliche semiotische Systeme anwendbar zu sein.
2 unter der Annahme, daß signifika- im Deutschen keine signifikative Einheit ist
3 Begriffsgeschichtlich besteht hier freilich ein Zusammenhang. Bereits die antiken Sprachtheoretiker benutzten das lateinische Wort articulatio “Gliederung”, um die (zweifach gegliederte) menschliche Rede von den eingangs gegebenen Arten ungegliederter Übermittlung von Nachrichten abzugrenzen. Man unterschied also einen unartikulierten Schmerzenslaut wie das obige aaah! von einem artikulierten Schmerzenslaut wie autsch!. Von diesem Gebrauch des Ausdrucks artikuliert leitet sich die heutige Bedeutung des Ausdrucks Artikulation “Gesamtheit der Aussprachebewegungen” her.