Rekonstruktion von indogermanischen Konjugationsparadigmen

Konjugation von ‘gehen’ und ‘wissen’
B1. ‘gehen’B2. ‘wissen’
altgriech.altind.altgriech.altind.got.
Sg.1eîmiēmioîdavēdawait
2ēsioîsthavētthawaist
3eîsiētioîdevēdawait
Pl.1ímesimáhídmenvidmá_witum
2íteitháístevid_áwituÞ
3íāsiyántiísāsividúrwitun

B1 und B2 zeigen die Konjugation je einer Menge genetisch verwandter Verben. B1 zeigt das Präsens einer bestimmten Konjugation, B2 das Perfekt. Dieses Perfekt gehörte ursprünglich zu einem Verb, das im Präsens *weidō "ich sehe" lautet. Es gibt regelmäßige lautliche und morphologische Entsprechungen, die auf gemeinsame Urformen schließen lassen, und daneben idiosynkratische Abweichungen (in den Formen unterstrichen), die keine Rekonstruktion ermöglichen.

Für die Rekonstruktion der indogermanischen Paradigmen sind folgende Lautwandel vorauszusetzen:

Altgriechisch:

- idg. VN → V̅N → V̅ / __K (d.h. Langvokal)

- idg. w → ∅

- idg. m → n / __# (d.h. am Wortende)

- idg. s → ∅ / V __ V

- idg. t → s / __ i

- idg. d → s / __ t

Altindisch:

- idg. e → a

- idg. ei/oi → ē

- idg. i → y / __ V (d.h. [j])

- idg. w → v

- idg. s → h / __ #

- idg. [+ okkl] → [- sth] / __ [- sth]

Gotisch:

- idg. o → a

- idg. V → ∅ / __ #

- idg. t → Þ (1. Lautverschiebung)

- idg. d → t (dito)

- [+ dental] → s / __ t(h)

  1. (12 P.) Welche indogermanischen Formen kann man unter diesen Voraussetzungen rekonstruieren?
  2. (2 P.) Wie verhalten sich die Personalendungen des Präsens und des Perfekts zueinander?
  3. (4 P.)Welcher systematische Unterschied besteht zwischen Singular und Plural im Wortakzent (nach Ausweis des Altindischen) und in den Vokalen der Verbwurzel?
  4. (2 P.) Gegeben die Beziehung zwischen *weidō und dem Verb in B2: wie verhalten sich die Vokale der Verbwurzel im Präsens und im Perfekt zueinander?