Die folgenden Exzerpte sind aus Arens 1969 übernommen; dort vollständige bibliographische Angaben.
Die Sprachen sind als organische Naturkörper anzusehen, die nach bestimmten Gesetzen sich bilden, ein inneres Lebensprinzip in sich tragend sich entwickeln und nach und nach absterben, indem sie, sich selber nicht mehr begreifend, die ursprünglich bedeutsamen, aber nach und nach zu einer mehr äußerlichen Masse gewordenen Glieder oder Formen ablegen oder verstümmeln oder mißbrauchen, d. h. zu Zwecken verwenden, wozu sie ihrem Ursprunge nach nicht geeignet waren. (Bopp, Vocalismus oder sprachvergleichende Kritiken ..., S. 1)
Ich beabsichtige in diesem Buche eine vergleichende, alles Verwandte zusammenfassende Beschreibung des Organismus der auf dem Titel genannten Sprachen, eine Erforschung ihrer physischen und mechanischen Gesetze und des Ursprungs der die grammatischen Verhältnisse bezeichnenden Formen. Nur das Geheimnis der Wurzeln oder der Benennungsgründe der Urbegriffe lassen wir unangetastet; wir untersuchen nicht, warum z. B. die Wurzel I “gehen” und nicht “stehen”, oder warum die Laut-Gruppierung STHA oder STA “stehen” und nicht “gehen” bedeute. Außerdem aber versuchen wir, die Sprachen gleichsam im Werden und in ihrem Entwicklungsgange zu verfolgen, aber auf eine Weise, daß diejenigen, welche das von ihnen für unerklärbar Gehaltene nicht erklärt wissen wollen, vielleicht weniger Anstoß in diesem Buche finden werden, als sie von der hier ausgesprochenen Tendenz erwarten könnten. In den meisten Fällen ergibt sich die Urbedeutung und somit der Ursprung der grammatischen Formen von selbst durch die Erweiterung unseres sprachlichen Gesichtskreises und durch die Konfrontierung der seit Jahrtausenden voneinander getrennten, aber noch unverkennbare Familienzüge an sich tragenden Stammesschwestern. In der Behandlung unserer europäischen Sprachen mußte in der Tat eine neue Epoche eintreten durch die Entdeckung eines neuen sprachlichen Weltteils, nämlich des Sanskrit, von dem es sich erwiesen hat, daß es in seiner grammatischen Einrichtung in der innigsten Beziehung zum Griechischen, Lateinischen, Germanischen etc. steht, so daß es erst dem Begreifen des grammatischen Verbandes der beiden klassisch genannten Sprachen unter sich wie auch des Verhältnisses derselben zum Germanischen, Litauischen, Slawischen eine feste Grundlage gegeben hat. Wer hätte vor einem halben Jahrhundert es sich träumen lassen, daß uns aus dem fernsten Orient eine Sprache würde zugeführt werden, die das Griechische in allen seinen ihm als Eigentum zugetrauten Formvollkommenheiten begleitet, zuweilen überbietet, und überall dazu geeignet ist, den im Griechischen bestehenden Dialektenkampf zu schlichten, indem sie uns sagt, wo ein jeder derselben das Echteste, Älteste aufbewahrt hat.
Die Beziehungen der altindischen Sprache zu ihren europäischen Schwestern sind zum Teil so handgreiflich, daß sie von jedem, der diesen Sprachen auch nur aus der Ferne seinen Blick zuwendet, wahrgenommen werden müssen: zum Teil aber auch so versteckt, so tief in die geheimsten Gänge des Sprachorganismus eingreifend, daß man jede einzelne ihr zu vergleichende Sprache, wie auch sie selber, von neuen Gesichtspunkten aus betrachten und alle Strenge grammatischer Wissenschaft und Methode anwenden muß, um die verschiedenen Grammatiken als ursprünglich eine zu erkennen und darzustellen. (Bopp, Vergleichende Grammatik ..., Vorrede zu Bd. I, S. IIIff)
[daß] in diesem Buche die Sprachen, worüber es sich verbreitet, ihrer selbst willen, d. h. als Gegenstand und nicht als Mittel der Erkenntnis behandelt werden, und mehr eine Physik oder Physiologie derselben zu geben versucht wird. (Bopp, Vgl. Gr., Vorrede, S. XIIIf)
Bei sprachhistorischen Untersuchungen, bei Bestimmungen näherer oder entfernterer Verwandtschaftsgrade verschiedener Idiome kommt es aber nicht darauf an, ob äußerliche Verschiedenheiten in gewissen Teilen der Grammatik stattfinden, sondern darauf, ob diese Verschiedenheiten nicht durch allgemeine Gesetze können bedingt werden, ob sich nicht die verborgenen Gänge wieder aufdecken lassen, auf welchen eine Sprache von der Gestalt, die sie früher muß gehabt haben, zu derjenigen gekommen ist, in welcher sie uns unter die Augen tritt. Die Verschiedenheiten hören auf, Verschiedenheiten zu sein, sobald die Gesetze erkannt sind, kraft welcher das, was früher diese oder jene Gestalt gehabt hat, entweder notwendig so oder anders sich verändern mußte, oder auch mit einer gewissen Freiheit die alte Form behalten oder eine neue an ihre Stelle setzen konnte. Solche Gesetze, die zum Teil notwendig befolgt werden müssen, zum Teil umgangen werden können, glaube ich am Slawischen entdeckt und dadurch das Rätsel der Verschiedenheit seines Deklinationstypus von dem seiner Schwestersprachen gelöst zu haben. (Bopp, Vgl. Gr., Vorrede zu Bd. II, S. IVf)
Eine Grammatik in höherem, wissenschaftlichem Sinne soll eine Geschichte und Naturbeschreibung der Sprache sein; sie soll .. . naturhistorisch die Gesetze verfolgen, nach welchen ihre Entwicklung ... vor sich gegangen. (Bopp, “Besprechung von Grimms Deutscher Grammatik”. Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1827, S. 251)
Es kann nicht als Zufall angesehen werden, daß der Genius der Sprache der Verwandlung des a in ê die Bedingung setzt, daß die Wurzel nicht mit 2 Konsonanten schließen dürfe, da bei der Erklärung von allem, was nach natürlichen Gesetzen wirkt, Zufall und rätselhafte Willkür ausgeschlossen bleiben müssen. (Bopp ibid. 270)
Auf diese Weise hat im Griechischen ein Lautgesetz gegen das τ gewütet und es überall ausgerottet, wo es als Endbuchstabe stand. (Bopp, “Vergleichende Zergliederung des Sanskrits und der mit ihm verwandten Sprachen”. 1826, S. 69)
Die Sprachwissenschaft würde ihren Beruf schlecht erfüllen, wenn sie nur solchen Idiomen eine ursprüngliche Identität zugestehen wollte, in denen die wechselseitigen Ähnlichkeiten überall recht sichtbar und schlagend hervortreten, wie etwa zwischen dem sanskritischen dadâmi, griech. dídōmi lit. dumi und altslaw. dami. Die meisten europäischen Sprachen bedürfen in der Tat nicht des Beweises ihrer Verwandtschaft mit dem Sanskrit; denn sie sprechen ihn durch ihre zum Teil sehr wenig entstellten Formen klar genug selber aus. Was aber hier noch der Wissenschaft zu tun übrigbleibt, und was ich nach Kräften zu tun bemüht gewesen bin, ist, einerseits die Ähnlichkeit bis in die verborgensten Winkel des Sprachbaues zu verfolgen und andererseits die größeren oder geringeren Verschiedenheiten soviel wie möglich auf die Gesetze, wodurch sie möglich oder notwendig geworden sind, zurückzuführen. Es ist aber schon von selbst klar, daß es Sprachen geben könne, die in dem Zwischenraum der Jahrtausende, wodurch sie von der Quelle, wovon sie ausgegangen sind, getrennt sind, ihre Wortformen größtenteils so verändert haben, daß eine Zurückführung auf die Muttersprache, wenn sie noch vorhanden und bekannt ist, nicht mehr möglich ist. Solche Sprachen mag man auf sich beruhen lassen und die Völker, die sie sprechen, für Autochthone halten. Wo aber in zwei Sprachen oder Sprachfamilien recht sichtbar hervortretende oder durch erkannte Entartungsgesetze beweisbare Ähnlichkeiten in engem und geschlossenem Raum bestimmter Wortklassen sich zusammendrängen, wie dies bei den malaiisch-polynesischen Sprachen im Verhältnis zu den indisch-europäischen bei den Zahlwörtern und Pronomina der Fall ist, und wo wir außerdem in allen Begriffssphären Wörter finden, die einander in dem Maße gleichen wie ...; da hat man wohl Ursache, von einem historischen Zusammenhang der beiden Sprachfamilien überzeugt zu sein ... Ich glaube, daß jedes echt germanische, echt griechische und echt römische Wurzelwort auch aus der Urheimat stammt, wenn auch die Fäden, die es dahin zurückführen, uns zuweilen abgeschnitten oder unsichtbar sind ... Während z. B. das Sanskrit, Zend, Griechische, Lateinische, Litauische, Lettische und Slawische für den Begriff des Gebens in einer Wurzel übereinstimmen, deren ursprüngliche, vom Sanskrit und Zend bewahrte Form dâ ist, setzt uns das germanische gab hinsichtlich der Vergleichung mit den Stammschwestern in Verlegenheit. Wollte man aber annehmen, daß dieses Verbum ursprünglich “nehmen” bedeutete und kausale Bedeutung (“nehmen machen”, d. h. “geben”) erhalten habe, wie das sanskritische tiṣṭâmi und zendische histâmi im Griechischen hístēmi von der Bedeutung des Stehens zu der des Nehmens gelangt ist: so könnte man gab zum vedischen grabʿ zurückführen und Verlust des r annehmen, wenngleich diese Wurzel dem Deutschen auch in treuerer Form und Bedeutung verblieben ist, nur mit Schwächung des a zu i: (got. greipa, graip, gripum). (Bopp, Vergl. Gr., Vorrede zu Bd. IV, S. XIff)
Wir wollen aber lieber mit A. W. v. Schlegel drei Klassen aufstellen und dieselben so unterscheiden:
Das Prinzip der sanskritischen Akzentuation glaube ich darin zu erkennen, daß die weiteste Zurückziehung des Akzents, also die Betonung der ersten Silbe des Wortes, für die würdigste und kraftvollste Akzentuation gilt, und ich glaube dasselbe Prinzip auch für das Griechische in Anspruch nehmen zu dürfen, nur daß hier, in Folge einer erst nach der Sprachtrennung eingetretenen Verweichlichung, der Ton nicht höher als auf der drittletzten Silbe stehen kann und daß eine lange Endsilbe den Ton auf die vorletzte Silbe herabzieht... Einen recht schlagenden Beweis für die Würde und Tatkraft der Betonung der anfangenden Wortteile und zugleich eine sehr merkwürdige Übereinstimmung der sanskritischen und griechischen Akzentuation bietet die Erscheinung dar, daß beide Sprachen bei der Deklination einsilbiger Wörter in den starken Kasus, die auch hinsichtlich der Akzentuation vom Sprachgeist gleichsam als die vornehmsten ausgezeichnet werden, den Akzent auf den Stamm legen, in den schwachen aber denselben auf die Kasusendung herabsinken lassen; daher z. B. im Sanskrit und Griechischen der Gegensatz zwischen dem Genitiv padás, podós und dem Akkusativ pádam, póda. (Bopp, Bd.1, 2. Aufl., S. 192, Fn. 2)
Die Natur und Eigentümlichkeit der sanskritischen Verbalwurzeln läßt sich noch mehr verdeutlichen durch Vergleichung mit denen der semitischen Sprachen. Diese fordern ... drei Konsonanten, welche ... für sich allein, ohne Hilfe der Vokale den Grundbegriff ausdrücken ... Die Vokale gehören im Semitischen, im strengsten Gegensatz zu den sanskritischen Sprachen, nicht der Wurzel, sondern der grammatischen Bewegung, den Nebenbegriffen und dem Mechanismus des Wortbaus an. Im sanskritischen Sprachstamm aber, wenn man seinen ältesten Zustand in den am reinsten erhaltenen Sprachen zu Rate zieht, erscheint die Wurzel als ein fast unveränderlicher geschlossener Kern, der sich mit fremden Silben umgibt, deren Ursprung wir erforschen müssen und deren Bestimmung es ist, die grammatischen Überbegriffe auszudrücken, welche die Wurzel an sich selber nicht ausdrücken kann. Der Vokal gehört hier mit dem oder den Konsonanten und zuweilen ohne irgendeinen Konsonanten der Grundbedeutung an; er kann höchstens verlängert oder durch Guna oder Vriddhi gesteigert werden; und diese Verlängerung oder Steigerung und später die Erhaltung eines ursprünglichen a, gegenüber seiner Schwächung zu i oder Umwandlung in u, gehört nicht zur Bezeichnung grammatischer Verhältnisse, die klarer angedeutet sein sollen, sondern, wie ich glaube beweisen zu können, nur der Mechanik, der Symmetrie des Formenbaus an. (Bopp, Bd. 1, S. 107f)
In diesem [Werke] werden auch die Partikeln, Konjunktionen und Ur-Präpositionen ihren Platz finden, die ich als Sprößlinge der Pronominalwurzeln und zum Teil als nackte Wurzeln dieser Wortklasse ansehe und daher unter diesem Gesichtspunkte bei den Pronominalableitungen behandeln werde. (Vorrede zu Bd. 1, S. XVII)
Aus den einsilbigen Wurzeln gehen Nomina hervor, Substantive und Adjektive, durch Anfügung von Silben, die wir nicht, ohne sie untersucht zu haben, als für sich bedeutungslos, gleichsam als übernatürliche mystische Wesen ansehen dürfen und denen wir nicht mit einem toten Glauben an ihre unerkennbare Natur entgegentreten wollen. Natürlicher ist es, daß sie Bedeutung haben oder hatten und daß der Sprachorganismus Bedeutsames mit Bedeutsamem verbinde. Warum sollte die Sprache akzessorische Begriffe nicht auch durch akzessorische, von den Wurzeln herangezogene Wörter bezeichnen? Alles wird versinnlicht, verkörpert durch die sinnliche, körperliche Sprache. Die Nomina beabsichtigen Personen oder Sachen darzustellen, an welchen das, was die abstrakte Wurzel ausdrückt, haftet; und am naturgemäßesten hat man daher in den Wortbildungselementen Pronomina zu erwarten, als Träger der Eigenschaften, Handlungen, Zustände, welche die Wurzel in abstracto ausdrückt. (Bd. 1, S. 129)
Vokalisch endigende Stämme männlichen und weiblichen Geschlechts haben im sanskritischen Sprachstamm (unter Beschränkung von § 137) s als Nominativ-Suffix, welches im Zend nach einem vorhergehenden a stets zu u zerfließt und dann mit dem a zu ô zusammengezogen wird, wie das im Sanskrit nur vor tönenden Buchstaben geschieht... Den Ursprung dieser Kasusbezeichnung finde ich in dem Pronominalstamm sa “er”, “dieser”, weiblich sâ, und einen schlagenden Beweis für diese Behauptung darin, daß das genannte Pronomen sich über die Grenze des Nominativs mask. und fem. nicht hinauserstreckt, sondern im Nominativ neutr. und in den obliquen Kasus des Maskulinums und Femininums durch ta, weiblich tâ, ersetzt wird. (Bd. 1, S. 157)
Man könnte nach diesem Prinzip, und es war dies vor kurzem noch meine Meinung, auch die Übereinstimmung gotischer starker Adjektiv-Dative, wie blindamma, mit Pronominal-Dativen, wie tha-mma, “diesem”, i-mma, “ihm”, erklären, allein die Behandlung der altslawischen Deklination, in welcher die indefiniten Adjektive sich aller Einmischung der Pronominal-Deklination enthalten und ganz den germanischen starken Substantiven (nicht den schwachen) parallel laufen, hat mich zu der mir sehr wichtigen Entdeckung geführt, daß Grimms starke, Fuldas abstrakte Deklinationsformen der Adjektive aus keinem anderen Grunde in nicht weniger als neun Punkten von den starken (d. h. im Thema vokalisch ausgehenden) Substantiven sich ab- und der Pronominal-Deklination sich zuwenden, als weil sie wirklich, wie im Slawischen und Litauischen die definiten Adjektive, mit einem Pronomen komponiert sind, welches natürlich seiner eigenen Deklination folgt. Da nun die definiten (so nenne ich jetzt die starken) Adjektive durch ein ihnen einverleibtes Pronomen definiert oder personifiziert sind, so ist es natürlich, daß diese Deklinationsform vermieden wird, wo die Funktion des inhärierenden Pronomens durch ein bloß voranstehendes übernommen wird, daß wir sagen guter, aber der gute, nicht der guter, was unser Sprachgefühl sehr verletzen würde; denn es liegt noch in unserem Gefühl, daß in guter ein Pronomen enthalten ist, wie wir in im, am, beim Pronomina fühlen, wenngleich hier das Pronomen stammhaft nicht mehr vorhanden ist, sondern nur seine Kasusendung zurückgelassen hat. In dem Begreifen der definiten Adjektiv-Deklination aber war die grammatische Wissenschaft, die sich in vielen andern Punkten schon über das empirische Sprachgefühl erhoben hatte, noch hinter demselben zurückgeblieben, und wir fühlten in Formen wie guter, gutem, gute mehr, als wir erkannten, nämlich ein Pronomen, welches noch geistig wirkt, wo es nicht mehr leiblich vorhanden ist. (Bd. 2, S. 366f)