In einigen semantischen Domänen gibt es Zeichen mit mehr lexikalischem und Zeichen mit mehr grammatischem Status, die ähnliche Bedeutung haben. Die folgende Tabelle gibt einige Beispiele:
semantische Domäne | lexikalischer Repräsentant | Beispiel | grammatischer Repräsentant | Beispiel |
---|---|---|---|---|
Illokution | performatives Verb | fragen | Satztyp | Interrogativsatz |
Zeitbezug | temporales Adverb | morgen | Tempus | Futur |
Gegenstandskategorie | Sexus | -in | Genus | Femininum |
Da zwischen Lexikon und Grammatik ein Kontinuum besteht (s. Schaubild), können die Beispiele der Tabelle nur einzelne Stufen dieses Kontinuums repräsentieren; und es ist auch nicht alles, was in einer Spalte steht, zum selben Grade grammatikalisiert.
Ein mehr lexikalisches und ein mehr grammatisches Ausdrucksmittel können in einem Satz syntagmatisch kombiniert werden. Wenn das grammatische Mittel so stark grammatikalisiert ist wie die Kategorien der Spalte ‘grammatischer Repräsentant’, ist es in einer Konstruktion sowieso obligatorisch; die Frage reduziert sich dann darauf, ob man zusätzlich ein lexikalisches Mittel in demselben semantischen Bereich einsetzt.
B1 zeigt die Opposition zwischen Präsens und Präteritum. Wenn die grammatische die einzige pertinente Information ist, ist der Zeitbezug von B1.a im Defaultfalle die Gegenwart, der von B1.b die Vergangenheit.
B1. | a. | Ich gehe da auf der Marktstraße. |
b. | Ich ging da auf der Marktstraße. |
In B2 ist in beiden Sätzen das Adverb gestern hinzugesetzt, welches den Zeitbezug auf die Vergangenheit (halt den Tag vor dem Sprechzeitpunkt) festlegt.
B2. | a. | Gestern gehe ich da auf der Marktstraße. |
b. | Gestern ging ich da auf der Marktstraße. |
Bemerkenswert ist, daß das Tempus in B2 für den Zeitbezug keine Rolle mehr spielt. Der grammatische Ausdruck wird durch den lexikalischen überlagert. Es “gilt” dann das, was der lexikalische Ausdruck sagt. Unter bestimmten, sogleich zu präzisierenden Bedingungen setzt lexikalische Kodierung grammatische Kodierung im Syntagma außer Kraft.
Ein anderes Beispiel bieten die Aussagesätze, illustriert durch B3f.
B3. | Ich bemühe mich, etwas leiser zu sein. |
B4. | Ich bitte dich, etwas leiser zu sein. |
In B3 liegt die Illokution lediglich in Form der Basisillokution eines Aussagesatzes vor. B3 ist also zunächst einmal eine Aussage. Ob mit einer allfälligen Äußerung etwas darüber Hinausgehendes gemeint ist – etwa ein Versprechen –, ist der Satzbedeutung nicht zu entnehmen, sondern Sache von Inferenzen in der jeweiligen Sprechsituation. Anders ist es in B4. Auch das ist ein Aussagesatz. Hier wird die Basisillokution jedoch durch die Illokution überlagert, welche durch das performative Verb bitten lexikalisch kodiert ist. Dies ist also keine Aussage, sondern – wenn die Gelingensbedingungen erfüllt sind – eine Bitte.
Dieses funktioniert allerdings typischerweise gerade mit den unmarkierten Werten grammatischer Kategorien reibungslos. Im Tempus ist Präsens unmarkiert, Präteritum markiert. Daher ist B5 schwer zu interpretieren und schlimmstenfalls ungrammatisch.
B5. | Morgen ging ich da auf der Marktstraße. |
B6. | Bitte ich dich, etwas leiser zu sein? |
In B6 ist das performative Verb in einem Interrogativsatz verwendet. Hier schließt die markierte Basisillokution die performative Verwendung des performativen Verbs aus.
Bei völlig desemantisierten grammatischen Kategorien spielen die Markiertheitsverhältnisse freilich keine Rolle mehr. So ist in einem einzigen Substantiv jeder Sexus mit jedem Genus kombinierbar, wie in den Beispielen B7.
B7. | a. | der Mensch |
b. | die Person | |
c. | das Kind |
Obwohl die Beispiele die drei Genera aufweisen, ist in keinem davon der gemeinte Sexus prädeterminiert oder irgendwie beschränkt; er ist in allen Fällen männlich oder weiblich.
Grammatische Kategorien bezeichnen nicht in erster Linie kognitive Größen wie Sexus oder Zeit, sondern dienen dem strukturellen Funktionieren der Sprache.