Einer der ersten Schritte bei der Versprachlichung der Nachricht ist ihre Portionierung für die Übermittlung. Kriterien für diese Gliederung sind einerseits des Sprechers eigene kommunikative Intentionen, andererseits auch seine Annahmen über den Bewußtseinsstand des Hörers, also über die derzeitige Verfassung des Redeuniversums. Im einzelnen werden die Inhalte gegliedert nach Kriterien wie
- Was ist Diskussionsgegenstand – was soll darüber gesagt werden?
- Was ist wichtig – was kann als unstrittig vorausgesetzt werden?
- Was ist neu – was ist bekannt bzw. nimmt Bekanntes wieder auf?
Solche Gesichtspunkte berühren nicht in erster Linie den Inhalt der Nachricht selbst, sondern die Weise ihrer Übermittlung. Einen gegebenen propositionalen Gehalt kann der Sprecher auf verschiedene Weisen kommunikativ “verpacken”. Die Gesamtheit der sprachlichen Funktionen und Mittel in diesem Bereich heißt Informationsstruktur, früher auch ‘kommunikativer Dynamismus’ oder ‘funktionelle Satzperspektive’.1 Im den folgenden Abschnitten werden die genannten drei Unterscheidungen präzisiert.
Die Informationsstruktur ist eine Strukturierung der Satzbedeutung, welche sich in seiner Ausdrucksstruktur niederschlägt. M.a.W., irgendwelche Kenntnisse, die die Gesprächspartner über den kommunikativen oder Bewußtseinsstatus von sprachlichen oder referentiellen Einheiten haben – etwa daß einer von beiden just über diesen Referenten gestern einen Witz gemacht hat –, welche nicht in der grammatischen oder phonologischen Struktur des geäußerten Satzes kodiert sind, gehören nicht zur Informationsstruktur im linguistischen Sinne. Die gemeinten Ausdrucksmittel sind typischerweise (aber nicht ausschließlich)
- (Topic- und Fokus-)Partikeln
- Satzsyntax und Wortstellung
- Prosodie.
Im Deutschen gibt es Ausdrucksmittel der ersten Kategorie nicht. Die Wortstellung wird zur Informationsstruktur eingesetzt, ist aber, wie wir sogleich an B1 sehen werden, in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Die Satzsyntax wird in der Hochsprache nur in begrenztem Umfang eingesetzt (s. Linksversetzung und Satzspaltung). Folglich bleibt für das Deutsche als wichtigstes Ausdrucksmittel der Informationsstruktur die Prosodie.
Die wichtigsten prosodischen Mittel zur Markierung von Funktionen der Informationsstruktur sind die folgenden:
- Pause
- Akzent
- Intonation.
Daher werden diese drei prosodischen Mittel in den hier folgenden Abschnitten über Informationsstruktur zur Charakterisierung der verschiedenen Muster herangezogen werden. Methodisch besagt dies, daß ein geschriebener Satz – da ohne prosodische Information – oft in bezug auf seine Informationsstruktur mehrdeutig ist.
B1. | Erna hat ihren Geburtstag vergessen. |
Ohne Kontext und Prosodie ist die Informationsstruktur von B1 nicht feststellbar.
B2. | a. | Und wieso ist nun Erna so mißvergnügt? - __ |
b. | Karin hat ihren Geburtstag vergessen. - Nein, __ | |
c. | Jedes Familienmitglied hat ein Ereignis vergessen. __ |
- Falls der Satz im Kontext von B2.a steht, so hat er eine sog. neutrale Intonation. Erna ist gegeben, der Rest ist neue Information.
- Steht dagegen B1 im Kontext von B2.b, so liegt ein Kontrastakzent auf Erna. Erna ist gerade der strittige Referent; der Restsatz wird vorausgesetzt (präsupponiert).
- Steht B1 schließlich im Kontext von B2.c, so liegt ein Nebenakzent auf Erna, der Hauptakzent auf Geburtstag; und nach Erna ist eine kleine Pause möglich. Hier ist Erna ein Mitglied aus einer Menge Referenten, die in bezug auf das gegebene Prädikat hat
X
vergessen abgearbeitet werden; und nur ihren Geburtstag ist wirklich neu.
Die prosodischen Verläufe sind in den jeweils anderen Kontexten unangebracht. Sie können also als Kriterium der Unterscheidung der kommunikativen Funktionen dienen.
1 Die Termini ‘funktionelle Satzperspektive’ und ‘kommunikativer Dynamismus’ sind in anglophoner Linguistik kaum rezipiert. Dort ist in diesem Zusammenhang nicht selten von ‘pragmatics’ und ‘pragmatic functions’ die Rede. Aber da liegt einfach Unkenntnis dessen, was Pragmatik (auch sonst in der anglophonenen Linguistik) ist, vor.
Literaturhinweis
Lambrecht, Knud 1994, Information structure and sentence form. Topic, focus and the mental representations of discourse referents. Cambridge: Cambridge University Press.