Begriff

Die applikative Derivation, oder einfach der Applikativ, eines Verbs ist eine Operation, die folgendes leistet:

Als Strukturmittel für die Derivation kommen die üblichen morphologischen Prozesse – sehr häufig Verbaffixe – infrage. Bestimmte Arten von Valenzkonversion leisten i.w. dasselbe und sind daher unter funktionalen Gesichtspunkten mit dem Applikativ zu vergleichen, fallen aber per definitionem (weil Konversion keine Art von Derivation ist) nicht darunter.

Phänomenologie

Applikativ im Deutschen

Im Deutschen wird der Applikativ durch gewisse Verbpräfixe, vor allem be-, aber auch ver-, er- und andere, bezeichnet. In illustriert jeweils die a-Version eine intransitive Basis, die b-Version das applikative Verb:

Der Applikativ markiert explizit die Transitivität des Verbs. Applikative Verben haben daher typischerweise ein hohes Maß an Effektivität, insbesondere im Vergleich zu ihren Basen. Im Zusammenhang damit unterscheiden sich applikative Verben von ihren Basen nicht nur in ihrer syntaktischen Kombinatorik,1 sondern auch in ihrer Bedeutung. Z.B. ist der zweite Partizipant in .b viel stärker affiziert als in a; und ähnlich ist es in . In besagt die b-Version, daß das Agens den Undergoer mit seinem Akt erledigt, während die a-Version nichts Derartiges impliziert.

Die applikative Derivation wird auch auf bereits transitive Basen angewandt, wie es die Serie zeigt:

Auch hier – besonders deutlich in – ist wieder der promovierte Partizipant in der applikativen Version stärker bzw. total affiziert. Neu ist bei diesen transitiven Basen gegenüber den intransitiven der zuvor gezeigten Beispiele, daß durch die Etablierung einer neuen direkten Objektstelle die bisherige hinfällig wird (weil ein Verb von jeder Art Komplementstelle nur ein Exemplar haben kann). Die letztere wird daher demoviert. Der betreffende Partizipant wird entweder als Adjunkt kodiert – so in und – oder kann überhaupt nicht mehr angeschlossen werden – so in .

Applikativ im Swahili

Der Applikativ ist in den Sprachen der Welt sehr verbreitet. Im Swahili leistet das Verbsuffix -i dieselben Dienste. Die Serie zeigt Applikativa auf intransitiver Basis.

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Swah

In .a - c und e wird eine direkte Objektstelle eingerichtet für einen Partizipanten, der an die Basis gar nicht angeschlossen wurde, während .d die Promotion eines Instruments zum direkten Objekt zeigt.

Wiederum ist die applikative Derivation auch von transitiven Basen möglich. zeigt eine typische benefaktive Situation, wo das Agens ein effiziertes Objekt für den Benefiziär produziert.

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Swah

Der Applikativ promoviert den Benefiziär in die Funktion des direkten Objekts, was im Swahili insbesondere an dem Objektkongruenzpräfix des Verbs zu sehen ist. Das vormalige direkte Objekt dagegen wird in die Position eines – schlecht definierten – “sekundären Objekts” demoviert. Es ist ein bzgl. seiner Kasusfunktion unmarkierter Dependent, der jedoch keine Verbkongruenz auslöst und nicht durch Passivierung Subjekt werden kann.

Applikativ im Indonesischen und Inuqtitut

Auch im Indonesischen gibt es ein Applikativsuffix, -kan, das ganz ähnlich wie im Swahili funktioniert:

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Ind

Auch in wird durch den Applikativ ein zuvor durch Präposition angeschlossener Benefiziär direktes Objekt, während das vormalige direkte Objekt zum sekundären Objekt demoviert wird.

Das Verb ‘geben’ nimmt in dieser Sprache (wie im Deutschen) den Trajektor (das transferierte Objekt) als direktes Objekt, den Rezipienten als präpositionales Komplement (oder als Adjunkt), wie in zu sehen.

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Ind

Hier ist der Applikativ nötig, um den Rezipienten in eine zentralere Position zu bringen.

aus dem Inuqtitut (Eskimo) zeigt die Konverse der deutsch-indonesischen Verhältnisse. Hier nimmt das Basisverb den Rezipienten als direktes Objekt (bzw. Absolutiv), und es bedarf einer applikativen Derivation, um den Trajektor in diese Funktion zu bringen.

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Inuq

Hier wie sonst ist das Passiv der Test auf direkten Objektstatus, wie f noch einmal am Indonesischen illustriert. .b zeigt das Passiv zum Basisverb von .a.

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Ind
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Ind

.b dagegen zeigt das Passiv zum applikativen Verb von .a. Die passivischen Versionen sind nur auf diese Weise den aktivischen zuzuordnen. Das beweist auch, daß in .a surat itu nicht direktes Objekt ist.

Funktion des Applikativs

Die unmittelbare Funktion des Applikativs ist es, einen Partizipanten in direkte Objektsfunktion zu bringen. Der Zweck dieser Operation hat mit den Funktionen des direkten Objekts zu tun:

Folglich wird der Applikativ angewandt, entweder um die totale Betroffenheit eines Partizipanten auszudrücken oder um ihn “thematischer” zu machen, also in einen Kontext einzubauen, der von ihm handelt (wo er also, funktional gesehen, definit ist).

Die allgemeinste Funktion des Applikativs besteht darin, einen Verbstamm transitiv zu machen. Diese Funktion teilt der Applikativ mit dem Kausativ. Die beiden Transitivierungsprozesse unterscheiden sich darin, daß der Applikativ eine Leerstelle für einen Undergoer, der Kausativ dagegen eine Leerstelle für einen Actor hinzufügt. Allerdings kann dieser Unterschied aufgehoben werden. So gibt es im Yukatekischen ein Transitivierungssuffix -t, das meist applikative, gelegentlich aber auch kausative Funktion hat. Z.B. lautet zu dem intransitiven Stamm áalkab “laufen” die Transitivierung áalkab-t. Als Applikativ bedeutet sie “in bezug auf jemanden laufen, d.h. hinter jemandem herlaufen”. Als Kausativ bedeutet sie “jemanden laufen machen”. Das Beispiel kann gleichzeitig als Locus des Übergangs zwischen den beiden Funktionen dienen, denn die beiden Bedeutungen laufen fast auf dasselbe hinaus.


1 In deutschen applikativen Verben ist – im Gegensatz zu den meisten basistransitiven Verben – das direkte Objekt i.a. obligatorisch. Das ist innerhalb des Systems verständlich, denn die applikative Derivation hat man ja gerade zu dem Zweck gemacht, ein direktes Objekt anschließen zu können.

Literatur

Shibatani, Masayoshi 1996, "Applicatives and benefactives: A cognitive account." Shibatani, Masayoshi & Thompson, Sandra A. (eds.), Grammatical constructions. Their form and meaning. Oxford: Clarendon Press; 157-194.