B1.a und b haben dieselbe syntaktische Struktur. Sie unterscheiden sich jedoch sowohl in der Akzentuierung – durch Unterstreichung symbolisiert1 – als auch in der Bedeutung.

B1.a.Erna ist auch Schauspielerin.
b.Erna ist auch Schauspielerin.
c.Auch Erna ist Schauspielerin.

B1.a präsupponiert, daß Erna noch mindestens eine weitere habituelle oder berufsmäßige Tätigkeit ausübt, und hebt auf diesem Hintergrund hervor, daß sie Schauspielerin ist. B1.b dagegen präsupponiert, daß jemand Schauspieler ist, und hebt auf diesem Hintergrund hervor, daß Erna Schauspielerin ist. Das bedeutet, daß die Partikel auch sich im ersten Falle auf Schauspielerin (im Kontrast zu anderen beruflichen Tätigkeiten), im zweiten jedoch auf Erna (im Kontrast zu anderen Personen) bezieht. Die Partikel auch ist ein Operator, welcher seinen Operanden emphatisch in eine präsupponierte Menge inkludiert. Der Operand eines solchen Operators heißt auch sein Skopus (griechisch für “Blickwinkel, betrachteter Bereich”). Der Skopus eines Operators ist seine semantische Reichweite, sein Bezugsbereich, d.h. eben der Ausdruck, auf den er sich bezieht. Der Begriff wird normalerweise semantisch begründet. Die strukturelle Entsprechung des Skopus ist oft nicht so klar; B1.a und b haben, wie gesagt, dieselbe syntaktische (wenn auch nicht dieselbe phonologische) Struktur. B1.c dagegen hat nur die letztere Bedeutung, so daß man diese Strukturambiguität durch Umstellung auflösen kann.

Vom Skopus eines Operators spricht man besonders in solchen Fällen, wo der Operand nicht grundsätzlich einer bestimmten syntaktischen Kategorie angehört. Z.B. sind in B1 immer NSen im Skopus der Partikel auch. Aber das muß nicht so sein, wie B2 illustriert.

B2.a.Erna schauspielert auch.
b.Erna verehrt auch mäßige Schauspieler.

In B2.a ist präsupponiert, daß Erna etwas tut, und auf diesem Hintergrund wird emphatisch hervorgehoben, daß Schauspielern dazuzählt. Folglich ist hier das VS schauspielert im Skopus der Partikel. In B2.b kann z.B. präsupponiert sein, daß Erna Schauspieler verehrt; und auf diesem Hintergrund werden mäßige Schauspieler in die betroffene Menge inkludiert. Folglich ist hier das Adjektivattribut mäßige im Skopus der Partikel. Daraus folgt wiederum, daß auch ein Operator ist, der weitgehend indifferent gegenüber der Kategorie seines Operanden ist.

Die beiden folgenden spanischen Beispiele unterscheiden sich in Struktur und Bedeutung:

B.i.Nopuedovenir.
nichtkann_ichkommen
“Ich kann nicht kommen.”
B.ii.Puedonovenir.
kann_ichnichtkommen
“Es kann sein, daß ich nicht komme.”

In B.i besteht nicht die Möglichkeit, daß ich komme; in B.ii dagegen besteht die Möglichkeit, daß ich nicht komme. Folglich ist in B.i die Möglichkeit, daß ich komme, im Skopus der Negation, während in B.ii nur mein Kommen im Skopus der Negation ist und dieser komplexe Operand wiederum den Skopus des Möglichkeitsoperators bildet. Diesem Bedeutungsunterschied entspricht die Stellung der Negation: in B.i steht sie vor dem Restsatz, in B.ii dagegen bloß vor dem abhängigen Infinitiv. Allgemeiner: jeder der beiden Operatoren steht unmittelbar vor seinem Skopus.

Der deutsche Satz ich kann nicht kommen bedeutet i.a. B.i, kann jedoch in einem geeigneten Kontext auch B.ii bedeuten. Insoweit wäre er also in ähnlicher Weise strukturell mehrdeutig wie B1.a/b. In solchen Fällen liegt Skopusambiguität vor.

Hier eine Aufgabe, die zwar demonstriert, daß für manche Fragen des täglichen Schreibens Linguistik vorteilhaft ist, die allerdings fortgeschrittene Linguistik voraussetzt.


1 In B1.b liegt Tiefton auf der Silbe schau. Bei Hochton auf dieser Silbe wäre B1.b eine emphatische Variante von a.