Grammatische Basis der Logik?

Aus allem bisher Gesagten ergibt sich eindeutig, daß die Grammatik nichts Universales, sondern etwas jeder einzelnen ‘langue’ Angehöriges ist. Hieraus folgt sogleich, daß falls die Logik auf der Grammatik beruht, die Logik ebenfalls relativ zur Einzelsprache ist. Die Frage ist also, worauf die Logik beruht.

Die Logik ist im allgemeinsten Sinne eine Disziplin, welche die Formen des Denkens auf rein deduktivem Wege untersucht. Sie unterscheidet sich also zunächst methodologisch von anderen Disziplinen wie Psychologie und Linguistik, die ebenfalls mit dem Denken zu tun haben, dadurch, daß sie nicht empirisch und nicht induktiv vorgeht. M.a.W., grammatische Analyse von sprachlichen Ausdrücken und Sätzen (etwa um deren logische Struktur zu ergründen) gehört nicht zu ihren Methoden. Damit haben wir sogleich eine Hinsicht, in der Logik sicher nicht auf Grammatik beruht. Die Tatsache, daß in zahlreichen Logiken seit Aristoteles immer wieder Beispielsätze aus der jeweiligen Sprache des Logikers herangezogen werden, tut da nichts zu Sache; dies dient lediglich der Auflockerung der Darstellung bzw. der Veranschaulichung von Theorien, die sonst ganz abstrakt bleiben.

Oben sind eine ganze Reihe von kognitiven Tätigkeiten aufgezählt, welche im weitesten Sinne unter Denken fallen, die aber nicht Gegenstand der Logik sind. Tatsächlich hat die Logik ein relativ enges Erkenntnisinteresse: sie untersucht die Prinzipien gültiger Schlüsse; d.h. sie will feststellen, welche Eigenschaften eine Schlußkette bzw. ihre Teile haben müssen, um bei gegebener Wahrheit der Prämissen die Wahrheit des Schlusses zu garantieren. Da wir weit davon entfernt sind zu wissen, was faktisch der Fall ist – das festzustellen ist eben Gegenstand empirischer Wissenschaften –, kann die Logik zu diesem Zwecke nichts Inhaltliches – also etwa eine Ontologie – voraussetzen. Von Interesse sind daher nur die formalen Eigenschaften der Sätze, die eine Schlußkette ausmachen. Diese formalen Eigenschaften sind nun freilich ihren grammatischen Eigenschaften durchaus ähnlich.

Die Logik hat eine Reihe von Abteilungen, wovon die wichtigsten die folgenden sind:

  1. Aussagenlogik,
  2. Prädikatenlogik (= Quantorenlogik) inkl. Relationenlogik,
  3. Modallogik.

Grob gesprochen ist der Stoff wie folgt zwischen diesen Subdisziplinen aufgeteilt:

  1. Die Aussagenlogik behandelt eine Aussage als Element, dessen innere Struktur nicht interessiert, und befaßt sich mit den Weisen, in denen Aussagen miteinander zu komplexeren Aussagen verbunden werden.
  2. Die Prädikatenlogik untersucht die innere Struktur einer Aussage, insoweit sie als bestehend aus einem Prädikat (oder Funktor) und dessen Argumenten analysiert werden kann. Soweit die Argumente Variablen sind, benötigt die Prädikatenlogik auch noch Quantoren, welche diese Variablen binden.
  3. Die Modallogik behandelt die Form von Aussagen, welche zusätzlich zu den unter Nr. 2 genannten Elementen auch noch modale Operatoren enthalten.

Das ist schon alles. Es gibt Varianten dieser Logiken (fuzzy logic, Lambda-Kalkül, Ereignislogik und wie sie alle heißen), die nichts daran ändern, daß der größte Teil der Struktur von Sätzen natürlicher Sprachen nicht Gegenstand der Logik ist:

Einige der genannten Kategorien von Symbolen haben durchaus Entsprechungen in den syntaktischen Kategorien natürlicher Sprachen:

Logische Symbole und syntaktische Kategorien
logische KategorieBeispielgrammatische KategorieBeispiel
PropositionpSatzErna denkt
Junktor&Konjunktionund
PrädikatPVerbdenkt
VariablexPronomensie
KonstanteaEigennameErna
QuantorIndefinitpronomenalle

Die Entsprechungen zwischen den beiden Hälften der Tabelle sind selbstverständlich nur annähernd. Z.B. verhalten sich natürlichsprachliche Pronomina in den meisten Hinsichten anders als logische Variablen. Andere Symbolkategorien der Logik wie der Lambda-Operator haben keine Entsprechung in natürlichen Sprachen. Und jede einzelne dieser Kategorien hat ihre Kombinatorik, die ihr Gegenstück in keiner natürlichen Sprache hat. Z.B. stehen in einer Aussage der Prädikatenlogik die Quantoren mit den von ihnen gebundenen Variablen stets ganz am Anfang. Das tun sie in keiner natürlichen Sprache. Unter den aussagenlogischen Junktoren sind das inklusive und das exklusive Oder, die in natürlichen Sprachen i.a. nicht auseinandergehalten werden, sowie der Implikationspfeil, der zwar gelegentlich “wenn – dann” gelesen und sogar ‘Konditional’ genannt wird, von dem man aber in jeder Einführung in die Logik erfährt, daß er in Wahrheit etwas anderes als ein natürlichsprachiges Konditionalsatzgefüge bedeutet.

Soweit die Logik nur ihre eigenen Kalküle beschreibt und als Grundlage der Mathematik dient, spielt die Frage, ob und wie sich die Ausdrücke ihrer Kalküle auf die Struktur von Ausdrücken natürlicher Sprachen abbilden lassen, keine Rolle. Wenn das alles wäre, wäre die Logik in der Tat ziemlich steril. Ihr Anspruch ist jedoch breiter; sie will die Schlüssigkeit eines jeglichen Arguments gewährleisten, das eine bestimmte Form hat. Im Prinzip soll ein Historiker, der aus Argumenten einen Schluß zieht, mithilfe der Logik überprüfen können, ob sein Schluß Stich hält. Dazu muß er die grammatische Form seiner natürlichsprachlichen Sätze auf die Strukturen eines logischen Kalküls abbilden. Solche Abbildungsregeln aber gibt es nicht. Wenn es sie gäbe, wäre die gesamte Grammatik natürlicher Sprachen durch eine – um solche Abbildungsregeln erweiterte – Logik beschreibbar. Ein solches Projekt haben in den siebziger Jahren des 20. Jh. J.D. McCawley und G. Lakoff unter der Bezeichnung ‘natürliche Logik’ versucht. Es ist gescheitert.

Die Logik basiert nicht auf der Grammatik natürlicher Sprachen. Sie hat das vielleicht in ihren Anfängen bei Aristoteles getan. Er hat noch eine logische Analyse des Satzes vorgenommen, in welcher dieser in Subjekt und Prädikat zweigeteilt ist. Diese Analyse war offensichtlich seiner Muttersprache abgesehen. Aber mit einer solchen Zweiteilung rechnet die heutige Prädikatenlogik nicht mehr.

Logische Basis der Grammatik?

Wenn die Logik nicht auf Grammatik beruht, läßt sich die umgekehrte Frage stellen: beruht die Grammatik auf Logik? Hier muß man unterscheiden, ob ‘Grammatik’

  1. im Sinne eines Aspektes einer natürlichen Sprache
  2. oder im Sinne eines Produktes der Beschreibung des Grammatikers
gemeint ist. Für die Grammatik1 läßt sich die Frage sofort verneinen. Natürliche Sprachen sind nicht logisch. Das haben zahlreiche logische Analysen immer wieder erwiesen. Ein viel studierter Fall ist z.B. das Verbum ‘sein’ in den natürlichen Sprachen (Verhaar (ed.) 1967-1972), illustriert durch B1 - B4.

B1.Erna ist nicht mehr.
B2.Erna ist kerngesund.
B3.Erna ist wieder auferstanden.
B4.Erna ist der Mörder.

Die Verbform ist hat in jedem der Beispiele eine andere Funktion:

Natürliche Sprachen sind notorisch ungenau und vage; das ist ja gerade der Grund, warum die Logik sich eigene Kalküle definiert und nicht in natürlicher Sprache operiert.

Beruht dann die Grammatik2 auf der Logik? Die Grammatik2 ist eine von der linguistischen Wissenschaft entworfene Theorie. Als solche unterliegt sie wie jede wissenschaftliche Theorie den Gesetzen der Logik. Selbstverständlich muß also die Grammatik2 logisch sein. Das Problem ist nur, daß ihr Gegenstand, die Grammatik1, wie soeben gesagt, nicht konsistent ist. Das unterscheidet den Gegenstand der Linguistik von den Gegenständen anderer Wissenschaften wie der Physik und der Chemie. In deren Gegenständen gibt es keine Ambiguität, Vagheit, teilweise Synonymie, Kontextabhängigkeit und was dergleichen mehr ist. Anderen Geistes- und Sozialwissenschaften wie der Literaturwissenschaft, der Geschichtswissenschaft, der Pädagogik ergeht es in dieser Beziehung noch schlimmer als der Linguistik. Deren Gegenstand ist wenigstens bis zu einem gewissen Grade systematisch. Dieser Grad dürfte aber, wie schon im einleitenden Kapitel vorweggenommen, für absehbare Zeit nicht ausreichen, daß die Linguistik darüber sowohl konsistente als auch interessante Theorien macht.