Urindogermanisch
Attribut | Wert |
Sprachnamen | ‘Urindogermanisch’ bezeichnet eine Sprache, ‘Indogermanisch’ einen (von dieser abstammenden) Sprachstamm. Die Bezeichnung wurde Anfang des 19. Jh. geprägt in der Absicht, das geographische Areal, über das die damals bekannten indogermanischen Sprachen verbreitet waren, durch Benennung seiner Extreme zu umspannen. Sie impliziert also nicht die Idee, daß Indogermanisch eine Art von Germanisch ist. Daneben ist auch die Bezeichnung ‘Indoeuropäisch’ üblich, die in der Absicht geprägt wurde, das Wort germanisch aus der Bezeichnung auszumerzen. |
Sprachgebiet | Da keine der historischen indogermanischen Sprachen als direkter Fortsetzer des Ur-Indogermanischen bezeichnet werden kann, ist auch die Urheimat der Indogermanen nicht mit Sicherheit lokalisierbar. Die wahrscheinlichste Hypothese ist 1995 die Assoziation der Ur-Indogermanen mit der Sredny-Stog-Kultur, die von -4.500 - -3.500 in der südrussischen Steppe nördlich des Schwarzen Meeres herrschte. Andere verlegen die Urheimat nach Polen oder Ostanatolien. |
Affiliation | Der indogermanische Sprachstamm ist nicht nachweislich mit anderen Stämmen verwandt. Es gibt zwar frappante Ähnlichkeiten mit finno-ugrischen Sprachen, die jedoch auf früher Entlehnung beruhen können. Die Anbindung an Nostratisch bleibt unsicher. |
Dialekte | Die Dialekte des Urindogermanischen sind nur greifbar in Form der Zweige der indogermanischen Familie. Sie können jedoch nicht mit geographischen Räumen in der Urheimat assoziiert werden. |
Sprachgemeinschaft | Die Indogermanen besiedelten am Ende der Jungsteinzeit und dann in der Bronzezeit ganz Europa sowie weite Teile West- und Südasiens. In keinem dieser Gebiete sind sie autochthon; überall trafen sie auf eine ältere Bevölkerung. Z.B. wohnten in Schottland die vorkeltischen Pikten; im Mittelmeerraum, z.B. auf Malta nachweisbar, gab es mediterrane Kulturen, in Iberien saßen die Iberer, in Kleinasien die Hattier, in Indien die Draviden. Die Urbewohner Germaniens sind für den blonden, blauäugigen Typ verantwortlich; er ist wohl nicht indogermanisch. |
Perioden | Man unterscheidet Früh- von Spätindogermanisch, ohne dafür auch nur annähernde Zeitangaben machen zu können. Die Einzelsprachen haben sich zu verschiedenen Zeiten von der Ursprache abgespalten, die ersten schon zu Anfang des 3. Jt. v.Ch. Dies ist daher der Terminus ante quem für das Urindogermanische. |
Früheste Zeugnisse | Die Indogermanen kannten die Schrift nicht, ihre Sprache ist also nicht überliefert. Sie wird durch Vergleich der historischen indogermanischen Sprachen rekonstruiert. |
Literatur | Die Indogermanen hatten bereits (mündlich überlieferte) metrische Dichtung, von der sich Spuren in einzelnen Tochtersprachen finden. |
Status | Die Indogermanen waren ein ‘Eroberervolk’; in den meisten Gebieten, in die sie kamen, hatten ihre Sprachen den Status eines Superstrats. |
Sprachsystem |
Urindogermanisch - mindestens der nicht-anatolische Zweig - ist die prototypische flektierende Sprache. Das Vokalsystem ist sehr schlicht, das Konsonantensystem ziemlich komplex. Basis der Syntax ist die autonome Wortform; es gibt keine Phrasenstruktur, also freie Wortstellung. |
Schriftsystem | - |
Fortleben |
Die Indogermanen setzten in den besiedelten Gebieten indogermanische Sprachen gegenüber den Substraten durch. Nach Mitteleuropa abgewanderte Indogermanen (z.B. Ur-Kelten, -Germanen und -Italiker) können die Träger der Kultur sein, die die vorindogermanische Trichterbecherkultur ablöste und dort -3.000 - -2.000 bestand. Vom Beginn des 2. Jt. v.Ch. an werden indogermanische Sprachen in Anatolien und Griechenland historisch faßbar. |
Forschungsgeschichte |
1786 entdeckte William Jones die historische Verwandtschaft des Sanskrit mit dem Griechischen, Lateinischen u.a. 1816 begründete Franz Bopp mit einem Vergleich der Konjugationssysteme der idg. Sprachen die Indogermanistik. Das Sprachsystem ist seit etwa Mitte des 20. Jh. ziemlich umfassend rekonstruiert. |