Ein Universale1 ist eine Eigenschaft, die allen Sprachen zukommt. Im einfachsten Falle ist es ein Merkmal, das alle Sprachen aufweisen. Z.B. haben alle Sprachen Vokale und Konsonanten. Vokale und Konsonanten sind also Universalien oder, präziser ausgedrückt, der Satz ‘alle Sprachen haben Vokale und Konsonanten’ ist ein Universale. Auch negative Aussagen wie etwa ‘keine Sprache hat pharyngale Okklusive’ kommen als Universalien infrage.
Ein Universale muß aber nicht eine solche absolute oder elementare Eigenschaft betreffen, d.h. es gibt nicht nur absolute Universalien. Auch ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen zwei oder mehr Eigenschaften fällt unter den Begriff. Z.B. gilt: ‘wenn eine Sprache Nasalvokale hat, hat sie auch Oralvokale.’ Da der Zusammenhang hier die Form einer Implikation annimmt, ist dies ein implikatives Universale.
Alle Menschen haben einen Hörbereich zwischen 16 und 20.000 Hertz; oder negativ ausgedrückt: kein Mensch hört Frequenzen unter 16 oder über 20.000 Hertz. Dies ist also ein anthropologisches Universale. Es ist empirisch festgestellt worden dadurch, daß man hinreichend viele Menschen untersucht und über den Ergebnissen verallgemeinert hat. Wie man dabei, im Fall von Sprachen, genau vorgeht, darauf kommen wir im Abschnitt über die Methodik zurück. Im Augenblick ist nur wesentlich, daß das Universale hier eine empirische Verallgemeinerung über eine Menge von Gegenständen – hier Menschen – ist.
Alle Menschen sind (von pathologischen Ausnahmen abgesehen) vernunftbegabt. Auch dies ist ein anthropologisches Universale. Es ist allerdings nicht auf die erwähnte Weise empirisch festgestellt worden. Vielmehr gehört es zum Begriff des Menschen, vernunftbegabt zu sein. Wesen, die diese Eigenschaft nicht aufweisen, nennen wir nicht Menschen. Ein solches Universale ist also keine empirische Verallgemeinerung über eine Menge von Gegenständen, sondern ein Merkmal des Begriffs, unter den sie fallen.
Die beiden Arten von Universalien haben einen völlig verschiedenen methodologischen Status. Empirische Universalien kann man falsifizieren dadurch, daß man ein Gegenbeispiel findet. Wenn ein Mensch gefunden wird, der Frequenzen von 25.000 Hertz hört, so ist er vielleicht ein außergewöhnlicher Mensch, aber jedenfalls doch zweifelsfrei ein Mensch. Die angemessene methodologische Reaktion darauf ist daher, das vorgeschlagene Universale zu verwerfen bzw. zu ändern, in diesem Falle z.B. in ‘alle Menschen haben einen Hörbereich zwischen 16 und 25.000 Hertz.’ Begriffliche Universalien dagegen kann man nicht falsifizieren. Wenn ein Wesen gefunden wird, das im übrigen als Mensch durchgehen könnte, jedoch nicht vernunftbegabt ist, so wird es nicht zu einem Verzicht auf das anthropologische Universale oder seiner Änderung Veranlassung geben, sondern es wird nicht unter den Begriff ‘Mensch’ fallen. (Zu dieser Unterscheidung s. bes. Coseriu 1974.)
Empirische Universalien sind Generalisierungen über beobachteten Daten und haben also solche den Status von Hypothesen. Begriffliche Universalien sind dagegen Eigenschaften von Begriffen bzw. aus ihnen ableitbar, haben also den Status von Theoremen. Das gilt alles auch für sprachliche Universalien. Die bisher als Beispiele angeführten sprachlichen Universalien sind alle empirische Generalisierungen. Aber ein Satz wie ‘alle Sprachen setzen Ausdruck und Inhalt zueinander in Beziehung’ ist ein begriffliches Universale; denn einen Gegenstand, für den das nicht gilt, nennen wir nicht Sprache.
Der Unterschied zwischen den beiden Arten von sprachlichen Universalien wäre nur dann völlig klar, wenn wir einen klar definierten Sprachbegriff hätten. Das ist aber nicht der Fall. Z.B. kann man verschiedener Meinung darüber sein, ob Tiere Sprache haben oder ob was immer sie in diesem Bereich haben, nicht den Namen ‘Sprache’ verdient. Ebenso sind lautbasierte Sprachen von Gebärdensprachen abzugrenzen. Die letzteren sind soeben Sprachen genannt worden; aber viele bisher aufgestellte empirische Universalien gelten für sie nicht. Ob sie unter den Begriff ‘Sprache’ fallen, ist keine empirische, sondern eine theoretische Frage, die im Rahmen einer Sprachtheorie zu entscheiden ist.
Für viele Universalien ist ihr Status als empirische Generalisierungen jedoch völlig eindeutig. Angenommen nun, ein solches Universale erweist sich dauerhaft als gegen Falsifikation resistent und läßt sich zudem gut mit anderen wohletablierten Universalien verknüpfen. Dann wird man es nicht mehr als etwas betrachten, was zufällig für alle Gegenstände einer Art gilt und was leicht auch anders sein könnte; sondern man wird annehmen, daß das Universale etwas mit dem Wesen des Gegenstands zu tun hat. Aufgabe der Universalienforschung ist es, nicht lediglich einen Katalog von Universalien anzulegen, sondern zwischen ihnen einen Zusammenhang herzustellen. Das geschieht dadurch, daß man diejenigen Aussagen, die bisher lediglich den Status von empirisch basierten Hypothesen hatten, in eine Theorie einbindet, aus der sie als Theoreme folgen.2 Eine Universalientheorie ist zentraler Bestandteil einer Sprachtheorie. Wird ein solchermaßen in ein Theorem umgemünztes empirisches Universale dann doch eines Tages falsifiziert, muß man die Sprachtheorie ändern. Umgekehrt ist es auch möglich, daß man aus einer Sprachtheorie ein Theorem deduziert, das sich in Form einer Hypothese über eine Eigenschaft aller Sprachen operationalisieren läßt, die man der empirischen Überprüfung aussetzt. Auch in diesem Falle führt eine Falsifikation der Hypothese (hoffentlich) zu einer Revision der Theorie.
Hieran zeigt sich, daß nicht nur die Unterscheidung zwischen empirischen und begrifflichen Universalien nicht immer leicht fällt, sondern daß ein gegebenes Universale auch einen ambivalenten Status haben kann in dem Sinne, daß es sowohl auf empirischer Verallgemeinerung basiert als auch aus einer Sprachtheorie deduziert werden kann. Dies ist ein notwendiger Aspekt einer empirischen Wissenschaft, deren Aufgabe es eben ist, eine Theorie über ihren Objektbereich aufzustellen.
1 Über den Plural dieses Wortes herrscht Einigkeit; er lautet Universalien. Den Singular kann man entweder – in scholastischer Tradition – lateinisch bilden; dann lautet er Universale (n.). Oder man kann ihn auf Deutsch bilden, in Analogie zu Chemikalien - Chemikalie; dann lautet er Universalie (f.). Keine Motivation gibt es für den nichtsdestoweniger gelegentlich zu hörenden Singular Universal (n.).