I. Dokumentation der Sprache

Chinesische Textprobe

II. Beschreibung der Sprache

1. Situation der Sprache

1.1. Sprachname

Einheimischer Name: pǔtōng-huà "gemeinsame/allgemeine Sprache". Basiert auf dem guān-huà "Beamtensprache, offizielle Sprache".

Mandarin: Skr. mantr-ín "Berater (des Königs)" [mantra- "Rat"] > malaiisch mantarin "Minister" > port. mandarim (gekreuzt mit mandar "befehlen") 1. "hoher Beamter im alten China", 2. chin. Hochsprache. So übersetzten die Portugiesen das chin. guān-huà. Von da ins Englische und Deutsche.

China heißt auf Mandarin 中国 zhōng-guó [ʧūŋgwɔ́] "Mitte-Reich". Die meisten europäischen Wörter für “China” gehen aber nicht auf dieses Wort zurück, sondern haben anscheinend folgenden Weg genommen (Gregor Kneussel p.c.): Mittelchin. Qin [tɕʰɩn] ist der Name einer Dynastie des 2. Jh. v.Ch. Dieser ergibt im Sanskrit cin चीन und im Persischen chin. Persisch war eine der wichtigsten Verkehrssprachen auf der Route, auf der Marco Polo nach China reiste. So gelangt das Wort Cina [ʧina] ins Italienische. Von da kommen span./ engl. China. Die deutsche Aussprache ist eine “spelling pronunciation” dieses letzteren Wortes.

Im biblischen Hebräisch gibt es ein Volk der Sin, das mit China identifiziert wurde. [Daher ist “China” im modernen Hebräisch sîn und im modernen Arabisch sīn.] Dieses hebräische Wort hinwiederum lieferte den griechischen und somit den lateinischen Stamm sino-.

Der russische Name kitáj "China" hingegen geht auf die Khitan zurück, ein jetzt verschwundenes tungusisches oder mongolisches Volk im Nordosten Chinas.

1.2. Ethnographische Situation

1.2.1 Sprachgebiet

Chines. Sprachen in ganz China. Mandarin in Nordchina, Hochdialekt in Nordostchina (Zentrum: Peking).

1.2.2. Sprachgemeinschaft

Die Sprachgemeinschaft ist ethnisch sehr homogen: fast alles Chinesen. Sie sind freilich seit Jahrtausenden mit Mongolen durchmischt, die ethnisch anderer Abkunft sind.

Etwa eine Milliarde Menschen, über ein Fünftel der Menschheit, sprechen chinesische Sprachen. Im Jahre 1999 sprechen ca. 874 Mio. Mandarin.

1.3. Genetische Situation

1.3.1. Extern

Die folgende Tabelle zeigt - von links nach rechts - die genetische Affiliation des Mandarin.

Herkunft der Karte: http://schiller.dartmouth.edu/chinese/maps/maps.html (27.06.06)

Sinotibetische Sprachen werden gesprochen in China, den Himalayastaaten, Nordindien, Bangladesh, Burma, Thailand, Laos, Vietnam. Die Familien Miao-Yao, Tai und Vietnamesisch sind früher aufgrund typologischer Ähnlichkeiten in die sino-tibetische Familie eingegliedert worden [so auch noch auf der obigen Karte], aber nicht genetisch verwandt.– Die meisten sinotibetischen Sprachen, vor allem die Ursprachen, komponieren extensiv.

Tibeto-Birmanisch: mehrere Hundert Sprachen. Sie werden überwiegend in diversen indischen Schriften geschrieben. Einige Sprachen in China werden in zwei chinesischen Schriften geschrieben. Allerdings sind nur wenige Literatursprachen. Von allen haben Tibetisch und Birmanisch die längste und umfangreichste literar. Tradition, vor allem buddhist. Literatur.– Die tibetobirmanischen Sprachen sind vom linksverzweigenden syntaktischen Typ, außer Karen.

Newari: Alte Staatsprache von Nepal.

Birmanisch: erste Dokumente: Inschriften 12. Jh.

Tibetisch: erste Dokumente: Ms. aus der Höhle von Tun-huang, 9.Jh.

1.3.2. Intern: Dialekte

Die chines. Sprachen werden meist als Dialekte der chines. Sprache angesehen, aus zwei Gründen:

Die Sprachen sind jedoch mündlich wechselseitig nicht verständlich.1 Jede von ihnen zerfällt in mehrere Dialekte, allein das Mandarin in fünf Dialekte. Die Karte zeigt die Verteilung der chinesischen Sprachen über China.

Herkunft der Karte: http://schiller.dartmouth.edu/chinese/maps/maps.html (27.06.06)

Wú: Sprache im Osten Chinas, um Shanghai.

Mǐn: Südostchina und chin. Inseln inkl. Taiwan. Mehrheitendialekt der Chinesen in Taiwan und Singapur.

Yuè: Südchina. Wichtigster Dialekt: Kantonesisch. Sprache von Honkong. Weit über die Welt verbreitet. Internationales Fremdwort Chop suey < kanton. [tsap sui].

Hakka: Südostchina.

1.4. Kulturelle Situation

Die ältesten chinesischen Inschriften sind Orakel, welche auf Knochen und Schildkrötenpanzern eingeritzt sind. Sie wurden ca. 500 km südlich von Peking gefunden und entstammen dem 18. - 16. Jh. v.Ch.

Von den ca. 4500 dort verwendeten Schriftzeichen sind 1999 etwa 1000 entziffert. Älteste Literatur: Buch der Lieder, Buch der Geschichte, 11. - 6. Jh. v.Ch.

Ende 3. Jh. v.Ch. große Normierungsmaßnahmen auf allen Gebieten, inkl. Sprache und Schrift. Fixierung der altchines. Literatursprache. Seitdem wechseln Zersplitterung und Zentralisierung einander ab. Papier und Buchdruck im 9. Jh. Bereits zu dieser Zeit verstand nur noch eine gebildete Minderheit die Literatursprache. Seitdem erste Versuche, die Umgangssprache als Literatursprache zu verwenden.

1421 wurde die Hauptstadt nach Peking verlegt. Seitdem gelangte das guān-huà (s.o.), der Dialekt von Peking, zu immer größerer Bedeutung. Verdrängt im 19. Jh. langsam die hohe Literatursprache. Nimmt Elemente anderer chines. Sprachen auf und wird Anfang des 20. Jahrhunderts zur Staatssprache Chinas und damit zur pǔtōng-huà erhoben. Es gibt also heute eine einheitliche Literatursprache, aber keine gemeinsame Umgangssprache aller Chinesen.

1.5. Soziale Situation

1.5.1. Extern

Mandarin, ursprünglich der Stadtdialekt von Peking, ist die größte und politisch wichtigste chin. Sprache. Mandarin ist als pǔtōng-huà Staatssprache in der Volksrepublik China.

Die offizielle Sprache Taiwans heißt guyǔ "nationale Sprache" und ist ebenfalls ein Dialekt des Mandarin (die regionale Sprache dagegen ist Min; s.o.). Mandarin ist auch die vierte Staatssprache in Singapur. Große chin. Minderheiten auch in Thailand, Malaysia, Indonesien, Vietnam, Burma, USA u.a.

In China koexistieren chin. Sprachen mit tibeto-birmanischen, Tai- und Miao-Yao-Sprachen.

Als Zweitsprache spielt Mandarin vor allem in China für die Sprecher der anderen Sprachen Chinas eine erhebliche Rolle, außerhalb Chinas jedoch kaum.

1.5.2. Intern: Soziolekte

Über Soziolekte innerhalb des Mandarin ist nichts bekannt.

2. System der Sprache

2.1. Ausdruckssysteme

2.1.1. Phonologie

Es besteht eine enge Korrespondenz zwischen Morphem und Silbe. Im Klassischen Chinesisch gibt es keine Derivations- oder Flexionsmorphologie (s.u.). Daher hat man viele einmorphemige und somit auch einsilbige Lexeme.

2.1.1.1. Inventar
2.1.1.1.1. Segmente
Konsonantensystem

In eckigen Klammern die Phone, in spitzen Klammern die Transliteration in Pinyin.

Bei den Okklusiven und Affrikaten entspricht die Opposition [+/- aspiriert] unserer Opposition [-/+ stimmhaft] und wird auch in der phonolog./alphabetischen Transkription so wiedergegeben. Durch Retroflexion wird zwischen Dentalen und Palatalen eine weitere Artikulationsstelle genutzt.

Vokalsystem

Sieben Vokale: [i u e o a y ɚ]. Der letzte Vokal ist apikal!

2.1.1.1.2. Töne

Alle chines. Sprachen haben lexikal. Ton. D.h., akzentuierte Silben unterscheiden sich in der Tonhöhe, und manche Wörter unterscheiden sich nur dadurch. Der Ton kann Register- oder Konturton sein. Das Mandarin hat eins der einfachsten chines. Tonsysteme:

Das Kantonesische hat eines der komplexesten Tonsysteme:

Dabei sind Töne 7 - 9 abgehackt, nämlich in Silben mit Kurzvokal, die auf /p t k/ enden.

Diese Töne sind lexikalisch. Ebenso wie andere phonologische Merkmale sind Töne phonologischen Prozessen unterworfen, die unter der Bezeichnung Tonsandhi zusammengefaßt werden. B5 aus dem Cháozhu (Süd-Mĭn) zeigt in a die (zugrundeliegende) Version ohne Sandhi, in b die Version mit Sandhi (die Ziffern sind Tonhöhen):

Alle chinesischen und die meisten tibetobirmanischen Sprachen sind Tonsprachen, ebenso wie Tai, Miao-Yao und Vietnamesisch. Es handelt sich offenbar ein areales, also für genetische Verwandtschaft nicht diagnostisches Merkmal. [Da es ein nicht-arbiträres Strukturmerkmal ist, widerspräche letzteres sowieso historisch-vergleichender Methodik.] Es ist durchaus möglich, daß Proto-Sino-Tibetisch keine Tonsprache war, sondern die Tonsysteme der Einzelsprachen unabhängig – wenn auch in arealem Kontakt – entstanden sind.

Neue phonemische Einheiten entstehen in einer Sprache so, daß zunächst eine durch den Kontext konditionierte Allophonie auftritt, die phonetisch neu ist. Sekundär verschwinden die konditionierenden Faktoren, und die vormalige Allophonie wird zur phonemischen Opposition. Näheres auf der Seite über phonologischen Wandel.

Lexikalischer Ton kann wie folgt entstehen:

Näheres auf der Seite über Prosodie.

2.1.1.2. Kombinatorik

Alle chines. Sprachen haben sehr einfache Silbenstruktur: Keine Konsonantengruppen, weder am Silbenanfang noch am -ende; Beschränkungen über Konsonantenklassen im Auslaut. Der Dialekt von Peking hat die Silbenstrukturformel:

(K) (V) V (V / N )

Es gibt also Mono-, Di- und Triphthonge. Auslautende Konsonanten sind /n/ und /ŋ/.

2.1.2. Schrift

Die chines. Schrift ist heute überwiegend logographisch, also eine Begriffsschrift, in der jedes Zeichen für ein Lexem steht. Für das Zeitunglesen können 3.000 Zeichen ausreichen. Für umfassende schriftliche Kommunikation über beliebige Themen muß man 4.000 - 5.000 Zeichen kennen. Das gesamte traditionelle Inventar umfaßt an die 10.000 Zeichen.

Die Schrift ist eine Eigenschöpfung. Die Stufen der Entwicklung aus einer Bilderschrift sind z.T. histor. belegt; s. Beispiele.

Systematische Entwicklungsstufen der chinesischen Schrift
TerminusBedeutungseit
PiktogrammBildzeichen-2.000
Ideogrammikonisches Zeichen-1.600
LogogrammBegriffszeichen-1.200

Eine Piktographie ist ein Kode aus konventionellen Bildern zur Übermittlung von Nachrichten. Darstellbar sind nur visuell wahrnehmbare Vorstellungen. Nach zwei Jahrtausenden Schriftbegradigung ist heute nur noch an wenigen Zeichen die ehemalige Bildhaftigkeit zu erkennen:

“Pferd”mǎ
“schießen”shè

Die Funktionsfähigkeit einer Piktographie hängt von der visuellen Abbildungsbeziehung ab.

Eine Ideographie symbolisiert zusätzlich nicht-visuelle Vorstellungen durch Diagramme, z.B.:

"oben"shàng
"unten"xià
"Mitte"zhōng

Eine Logographie symbolisiert im Prinzip beliebige Begriffe durch beliebige Zeichen. Allerdings sind die Schriftzeichen nicht arbiträr. Piktogramme werden (besonders seit der Zeitenwende) stilisiert. Zur Schaffung von Zeichen für nicht-sinnliche Vorstellungen werden in Praxi zwei Verfahren eingesetzt:

1. Homonymie:

Gegeben

so wird Z1 auch für X2 verwendet.

Prinzip: selber phonologischer Ausdruck -> selber schriftlicher Ausdruck (Rebus; in der Sinologie "Entlehnung" genannt).

Deutsche Beispiele: <2feln>, <hinter3n>, <hab 8, H&!>

Chines.: 1. "Skorpion", 2. "leicht", "10.000 Wan". Das Zeichen für "Skorpion" wurde auf die Begriffe "leicht" und "10.000 Wan" übertragen.


2. Zusammensetzung aus Klassifikator und phonetischer Komponente:

Gegeben

so wird Z3 aus Z1 und Z2 zusammengesetzt.

Prinzip: eine Art von X2, die wie Y1 klingt, bekommt ein zusammengesetzes Zeichen, das an beides erinnert.

Chines. Beispiele:

- "Tung-Ölbaum" wird geschrieben durch zwei Zeichen: <"Baum"> + <tóng> ("dasselbe").

- "Uran" wird geschrieben durch zwei Zeichen: <"Metall"> + <yóu>, weil letzteres wie der Anfang von engl. uranium klingt.

Bilateral zusammengesetzte Schriftzeichen
Klassifikator+phonetische Komponente=zusammengesetztes Zeichen
Bedeutunggraph.phon.Bedeutunggraph.phon.Bedeutunggraph.phon.
Worteyángrün/blauqīngeinladenqǐng
erreichenzhìMesserdāoankommendào

Dieses Verfahren liefert 90% der chines. Zeichen. Der Klassifikator heißt auch Radikal. Die "phonetische" Komponente kann ihm folgen oder ihm sonstwie diakritisch an- oder eingefügt sein. Es gibt 214 Radikale.

Im chinesischen Wörterbuch sind die Lemmata nach Radikalen geordnet. Diese sind nach Anzahl und Form der Striche geordnet. Nur auf der Basis des (lautlichen) Significans kann man also keinen Eintrag finden.

Die Schrift ist für den Sprachtyp des Altchinesischen maximal adäquat. Da, bei allem Sprachwandel, der Sprachtyp sich noch nicht grundlegend geändert hat, kam von daher kein Impetus zu einer Reform. Die verschiedenen chines. Sprachen sind schriftlich, nicht jedoch mündlich wechselseitig verständlich. Die Schrift hat daher eine wichtige Funktion bei der Aufrechterhaltung nationaler Kommunikation.

Die Homonymie, die besonders im Mandarin stattgehabt hat, ist eine rein phonologische, keine orthographische Erscheinung. D.h. Homophone sind i.a. nicht homograph. Wegen des Prinzips der Zusammensetzung von Schriftzeichen aus Klassifikator und phonet. Komponente ist die schriftliche Repräsentation häufig eindeutiger als die gesprochene. Ein klassischer schriftlicher Text ist daher, wenn vorgelesen, kaum zu verstehen. Es entstand also unter den Gebildeten Chinas eine Ideologie, wonach die chines. Sprache in ihrem Funktionieren wesentlich an die Schrift gebunden sei.

Die amtliche alphabetische Umschrift heißt Pīnyīn. Sie ist rein phonemisch, sieht also erstens von den in europäischen Sprachen den Buchstaben zugeordneten Lautwerten häufig ab und repräsentiert zweitens keine Allophonie, weder segmentale noch Tonsandhi. Sie repräsentiert lexikalische Töne durch Diakritika. Der Buchstabe <h> in Digraphen symbolisiert Retroflexion.

Daneben existierte noch eine 1926 geschaffene Umschrift namens Gwoyeu Romatzyh "nationale Latinisierung", die die Töne durch stumme Zusatzbuchstaben bezeichnet und daher ohne Diakritika auskommt. Sie wurde zuletzt von dem amerikanisch-chinesischen Linguisten Yuen Ren Chao in seiner großen Grammatik von 1968 verwendet.

2.2. Semantisches System

2.2.1. Grammatik

2.2.1.1. Morphologie

Im archaischen Chinesisch gibt es Spuren früherer Flexion. Das Klassische Chinesisch lieferte das Vorbild für den "einsilbigen", isolierenden Typ. Es gab wohl Komposition, aber keine Derivation. Im Mandarin fanden, im Ggs. zu den Mǐn- und Yuè-Sprachen, eine Reihe konvergierender phonologischer Wandel statt (Auslautkonsonanten, Töne). Es entstanden viele Homonyme.

Homonymie von zhōng
1.Mitte; unterbrechen; abrechnen; AUX
2.treu, ehrlich, rechtschaffen
3.herzlich, aufrichtig
4.Ende, endlich, ganz, Tod, sterben
5.Uhr, Stunde
6.vereinigen; Glas, Tasse

zhōng1-6 sind alle Heterographen. Daneben existieren zhǒng1-4, zhòng1-5, allerdings kein zhóng.

Die Morphologie des Mandarin ist auf dem Weg von isolierend zu agglutinierend. Es gibt kaum Flexion: kein Genus, auch nicht im Pronomen, keine grammatischen Kasus, keine Person, Tempus, Modus, Diathese. Das Substantiv ist transnumeral; Plural nur bei Belebten.

Am NS gibt es lokale Kasussuffixe/Postpositionen, die auf Raumregionen basieren (B3.c, B5.b). Am Verb Aspektsuffixe [+/- perf.] (s. B3).

2.2.1.2. Syntax

Das System der Fundamentalrelationen ist akkusativisch. Die Konstruktion der syntaktischen Relationen ist exzentrisch. In der Satzsyntax ziemlich viele Hilfswörter und grammat. Partikeln. Die Kopula steht nur bei substantivischen, nicht bei adjektivischen Prädikaten. Wortstellung überwiegend linksverzweigend, aber VO.

Nominalsyntagma: [ DET [ ATTR de ] N ]:

Relativsatz pränominal (Paul 1982:9):

B1.a. zhèi-gexiǎojiěmǎishū
dies-KL.allgFräuleinkaufBuch
"Dieses Fräulein kauft Bücher."
  b. zhèi-gexiǎojiěmǎideshū
[ dies-KL.allgFräuleinkaufNR ]Buch
"Buch, das dieses Fräulein kauft"

Adjektivattribut:

B2.a.zhāngsānhěnkāixīn
  Zhangsansehrglücklich
  “Zhangsan ist sehr glücklich.”
  b.hěnkāixīnderén
  sehrglücklichNRMensch
  “sehr glücklicher Mensch” (Li & Thompson 1989:826f)

De ist gleichzeitig Nominalisator und Attributor. Es gibt echte Adjektive, die ohne de attribuiert werden können. Viele von denen, die de dazu benötigen, sind als stative Verben interpretierbar.

Zahlklassifikatoren (Numerative):

Zahlklassifikatoren sind Suffixe an ihren Trägern; der Komplex geht dem determinierten Substantiv voran. Sie besetzen also dieselbe Position wie die Mensurative; vgl. B3.a.

Chinesische Zahlklassifikatoren
MorphemBedeutungBeispiel Übersetzung
-ge(allgemein)
-zhīLebewesennèi zhī māo jene Katze
-běnBand (von Büchern)sān běn shūdrei Bücher
-tiáolanges dünnes Objekt
-zhāngflaches Objekt
-jiànKleidungsstück; AngelegenheitB12.a
-lìkleines, rundes Objekt
-fuKunstobjektB3.c

Klassifikatoren kommen nur bei der Individuation spezifischer Referenten, und auch da nur nach Zahlwörtern, Quantoren und Demonstrativa vor (z.B. nicht in B3.c, "Wand"). Also nicht bei Nicht-Spezifizität (erst recht nicht bei Nicht-Referentialität).

Aspekt

Es gibt ein reichhaltiges Aspektsystem. Einige Aspekte, wie die im folgenden exemplifizierten [+/- perfektiv], sind Verbsuffixe. Andere sind präverbale Hilfsverben (zài "s. befinden"), andere satzfinal.

B3.a.wǒchī-lesān-wǎnfàn
  icheß-PERFdrei-SchüsselReis
  “Ich habe drei Schüsseln Reis gegessen.”
  b.wǒchī-wán-lenǐchī
  icheß-beend-PERFdu
  “Wenn ich fertig gegessen habe, ißt du.” (Li & Thompson 1981:198)
 c.qiáng-shàngguà-zheyī-fuhuà
  Wand-Oberseitehäng-IMPFein-KunstobjektBild
  “An der Wand hängt/hing ein Bild.” (Li & Thompson 1989:822)
Wortstellung

Topic Agens/Experiencer Verb Patiens/Rezipient/Benefaktiv.

Topic-Konstruktion
B4.zhèi-gedìfangzhòngmàizihǎo
  dies-KLOrtpflanzWeizengut
  “An diesem Ort ist es gut, Weizen zu pflanzen.”
Serielle Verbkonstruktion

Struktur: (NS1) V1 (NS2) (NS3) V2 (NS4)

Sie entspricht koordinierten und subordinierten Sätzen im Deutschen, mit diversen Aktantenkontrollbeziehungen. Das Subjekt von V2 kann NS1 - NS3 sein. Die spezifischen Relationen ergeben sich aus Bedeutung und Kontext.

B5.a.wǒjiàomǎijúzīchī
  ichsagerkaufApfelsine
  “Ich hieß ihn, Apfelsinen zum Essen zu kaufen.”
b.tǎngzàichuáng-shàngkànshū
  erliegs.befindBett-OberseitesehBuch
  “Er liegt auf dem Bett und liest ein Buch.”

Einige Verben, die oft in seriellen Konstruktionen vorkommen, werden zu Koverben und dann Präpositionen grammatikalisiert.

Chinesische Koverben (nach Paul 1982:120)
Koverbverbale Bdtg.präpositionale Bdtg.
yònggebrauchenmit, Instrumental
zàis. befindenin, an, Lokativ
gēnfolgenmit, Komitativ, und
gěigebenfür, Benefektiv, Dativ
nehmenAkkusativ
B6.a.wǒgěiyī-běnshū
  ichgeberein-BandBuch
  “Ich gebe ihm ein Buch.”
b.wǒgěimǎixīangyēn
  ichgeberkaufZigarette
  “Ich kaufe ihm Zigaretten.”
c.yòngkuàizichīfàn
  ergebrauchStäbchenEssen
  “Er ißt mit Stäbchen.” (Paul 1982:50)
B7.a.wǒmài-leyī-běnshū
  ichkauf-PERFein-BandBuch
  “Ich habe ein Buch gekauft.”
b.wǒyī-běnshūmài-le
  ichnehmein-BandBuchkauf-PERF
  “Ich habe ein Buch gekauft.” (Paul 1982:57)

Wg. zài s. B5.b. Es ist außerdem progressives Hilfsverb:

B8.zhāngsānzàilǐsì
  Zhangsans.befindschlagLisi
  “Zhangsan schlägt gerade Lisi.” (Li & Thompson 1981:218)

2.2.2. Lexikon

2.2.2.1. Herkunft des Bestandes

Das Lexikon des Mandarin ist, bei Integration von Wörtern anderer chines. Sprachen, doch ziemlich homogen. Es gibt allerdings eine wachsende Zahl englischer Fremdwörter, die phonologisch vollkommen integriert werden und, wegen der Bedeutungslosigkeit der Silben, nicht geringe Probleme für die Schreibung bereiten.

2.2.2.2. Wortbildung

In der Wortbildung überwiegt die Komposition. Nominalkomposition wie in germanischen Sprachen, abgesehen von den Kopulativkomposita aus Synonymen (B9.d sowie Textprobe passim).

B9.a.tiě-hézi
  Eisen-Kasten
  “Eisenkasten”
b.fàn-wǎn
  Reis-Schüssel
  “Reisschüssel”
c.fèi-yán
  Lunge-Entzündung
  “Lungenentzündung”
d.guó-jiā
  Land-Heim
  “Land”

Es gibt auch Possessivkomposita, allerdings in der umgekehrten Reihenfolge wie im Indogermanischen:

B10.a.dǎn-dà
  Galle-groß
  “tapfer”
b.mìng-kǔ
  Leben-bitter
  “unglückselig”

Auch in der Adjektiv- und Verbalkomposition gibt es Kopulativkomposita aus (Quasi-)Synonymen:

B11.a.pí-fá
  müde-müde
  “müde”
b.jiàn-zhú
  bau-bau
  “bauen”
c.fàng-qì
  locker-verlaß
  “aufgeben”
Derivation

Es gibt nur wenige Präfixe und mehrere Suffixe.

Das deminutive Derivationssuffix -zi ist aus zǐ "Kind" grammatikalisiert.

Reduplikation

Sie hat mehrere Funktionen. Bei Verben kann sie Attenuation bedeuten. Die Struktur ist V -(yi-) V, wobei das zweite V eine implizite Nominalisierung ist und den Ton verliert:

B12.a.nǐshuō-shuoneì-jiànshì
  dusprech-sprechdies-KL.AngelegenheitSache
  “Sprich mal über die Sache!”
b.tā-mentīng-(yi-)tingbèiduōfēndeyīnyùe
  er-PLanhör-eins-anhörBeethovenNRMusik
  “Wenn sie sich Beethovens Musik mal anhören,”
jiùxǐhuān.
  dannmög
  “werden sie sie mögen.” (Li & Thompson 1981:233)

Bei Adjektiven kann Reduplikation Intensifikation bedeuten:

B13.hóng-hóng
  rot-rot
  “knallrot”

Derivation und Komposition, oft von synonymen Wurzeln, beseitigen die Homonymie im Mandarin. Z.B. ist das klassische zhōng5 in der gesprochenen Sprache zhōng-tu. Vgl. zwei Lexeme im Mandarin und Shàntóu (Mǐn):

Homophonie und Wortbildung
BedeutungShàntóuMandarinEtymologie
Unzekinʨīn
Goldkimʨīn-ʦɪGold-chen
verächtlichloutʰǎu-iɛ̀nbettel-veracht

Die Wortbildung erzeugt ein Lexikon, das zu zwei Dritteln aus mehrsilbigen Wörtern besteht. Die Komposita werden lexikalisiert, die Eigenbedeutung der Morpheme verblaßt, sie werden nur mehr als Silben empfunden. Die traditionelle Vorstellung von der Einsilbigkeit trifft das moderne Mandarin nicht.

III. Kommentare zur Sprachbeschreibung

1. Forschungsgeschichte

Die gesprochene Sprache wandelte sich wie jede andere. Alphabetische Schriften passen sich veränderten phonologischen und grammatischen Verhältnissen schubweise an. Eine logographische Schrift braucht sich, von allfälligen Einzelreparaturen und Nachträgen abgesehen, nicht anzupassen, da ein Schriftzeichen für ein Sprachzeichen als ganzes steht und dieses bis zum völligen Verlust seine histor. Identität behält. Die Schrift ist seit 1000 v.Ch. bis heute, bei einigen Vereinfachungen der Strichkomposition der Zeichen, erstaunlich konstant geblieben. Für die historische Sprachwissenschaft bedeutet das methodisch, daß man über die phonologischen Verhältnisse früherer Sprachstufen schwer etwas erfahren kann. Über grammatisch bedingte phonologische Modifikationen (Flexion) im Archaischen Chinesisch gibt es nur indirekte Evidenz (Reim, verschiedene Zeichen für dasselbe Lexem etc.).

Chinesisch hat eine alte eigene Grammatik und Linguistik. In Europa gibt es Sinologie seit Beginn des 19. Jh.

2. Ort dieser Darstellung

Ziel dieser Darstellung ist es, einen gerafften, aber umfassenden Überblick über das Chinesische als ganzes zu geben, in einem Umfang, der für eine Sitzung einer Lehrveranstaltung ausreicht, und in einem Allgemeinheitsgrad, der es gestattet, den Platz dieser Sprache in der Welt einzuschätzen und sie mit anderen Sprachen zu vergleichen. Die Systematik folgt dem separat dargestellten Schema.

Es wurden keine Primärdaten erhoben und keine eigene Forschung angestellt. Die Grundlage des Vorangehenden sind ausschließlich Werke der Sekundärliteratur wie insbesondere die in Abschnitt IV aufgeführten.

IV. Literaturhinweise

Chao, Yuen Ren 1968, A grammar of spoken Chinese. Berkeley & Los Angeles: Univ. of Cal. Press.

Forrest, Robert A.D. 1973, The Chinese language. London: Faber & Faber (The Great Languages). 3. ed.; 2.: 1965.

Li, Charles N. & Thompson, Sandra A. 1981, Mandarin Chinese. A functional reference grammar. Berkeley etc.: University of California Press.

Li, Charles N. & Thompson, Sandra A. 1989, "Chinese". Comrie (ed.) 1989[w]: 811-833.

Lin, Helen T. 1981, Essential grammar of modern Chinese. Boston: Cheng & Tsui.

Newnham, R. 1971, About Chinese. Harmondsworth & Baltimore: Penguin Books.

Norman, Jerry 1988, Chinese. Cambridge: Cambridge UP (Cambridge Language Surveys).

Rygaloff, Alexis 1973, Grammaire élémentaire du chinois. Paris: PUF (Coll. SUP; le linguiste 14).

Shafer, Robert 1966-74, Introduction to Sino-Tibetan. Wiesbaden: O. Harrassowitz.

Wang, William S.-Y. 1973, "The Chinese language". Scientific American 228 (2):50-60.




1 Die z.B. bei Wendt 1961:55 gemachte Behauptung, daß die Chinesen sich mündlich nur schwer verständigen können, ist zu differenzieren: Für die Sprecher einer gegebenen chinesischen Sprache ist sie falsch, für die Sprecher verschiedener chinesischer Sprachen gilt sie ebenso wie überhaupt für Sprecher verschiedener Sprachen.