Ein Unterschied ist graduell (“abgestuft”) gdw. gilt: gegeben mehr als zwei Elemente E1, E2 ... En, dann verhält sich Ei-1 zu Ei wie Ei zu Ei+1. Entsprechend ist eine Variation, deren Varianten sich graduell unterscheiden, eine graduelle Variation; und ebenso ist ein Prozeß oder Wandel, dessen Stadien sich graduell unterscheiden, graduell. Z.B. ist der Wandel eines selbständigen Pronomens über ein klitisches Pronomen in ein pronominales Affix graduell.
Eine Variation ist kontinuierlich gdw. gilt: gleichgültig welche zwei adjazenten Varianten Ei und Ej man auswählt, so gibt es immer eine Variante Ek derart daß Ei > Ek > Ej im definierten Sinne graduell ist. Z.B. besteht kontinuierliche Variation zwischen schlichter und aspirierter Plosion eines stimmlosen Verschlußlauts. Im selben Sinne ist ein kontinuierlicher Wandel das diachrone Gegenstück zu einer kontinuierlichen Variation. Somit kann eine Variation graduell sein, ohne kontinuierlich zu sein. Definitionsgemäß scheint andererseits jegliche kontinuierliche Variation graduell zu sein. Der springende Punkt ist jedoch, daß wenn Unterschiede zwischen adjazenten Varianten unendlich klein werden, keine Stufen mehr erkennbar sind.
Die Unterscheidung zwischen Gradualität und Kontinuität ist von großer methodologischer Bedeutung in der Diskussion, ob im Objektbereich kategoriale Unterscheidungen gemacht werden können oder ob die Phänomene “ineinander übergehen”. Der Verteidiger kategorialer Unterschiede kann ohne weiteres akzeptieren, daß dieselben graduell sind. Dies hindert ihn nämlich nicht an der Etablierung von Kategorien wie etwa ‘selbständiges Pronomen’ vs. ‘klitisches Pronomen’. Dem Verteidiger gradueller Unterschiede bleibt hier nur noch einzuwenden, daß die bloße kategoriale Unterscheidung die empirisch feststellbare Gradualität der Phänomene noch nicht einfängt. Ernste Schwierigkeiten dagegen bekommt der Freund kategorialer Unterscheidungen bei Kontinua, weil hier jegliche Grenzziehung notwendigerweise willkürlich ist.
Jede graduelle Unterscheidung läßt sich mithilfe geeigneter Kriterien auf eine Batterie kategorialer Unterscheidungen zurückführen. Kategoriale Unterscheidungen haben den Vorteil der Einfachheit und unmißverständlichen Handhabbarkeit für sich. Daher ist es methodisch immer tunlich zu versuchen, ob ein kontinuierlich erscheinender Unterschied sich eher als gradueller fassen und folglich mithilfe eines oder mehrerer Parameter, die diskrete Werte annehmen, explizieren läßt.