Eine der grundlegenden Anforderungen an wissenschaftliche Erzeugnisse ist Explizitheit. Die kann wiederum nur erreicht werden, wenn Ausdrücke präzise verwendet werden. In natürlichen Sprachen sind viele Ausdrücke mehrdeutig. Die Mehrdeutigkeit führt nicht selten zu Mißverständnissen; wer kann, spielt auch gelegentlich mit ihr. Beides ist jedoch in der Wissenschaft zu vermeiden. Mithin ist ein zentraler Bestandteil aller wissenschaftlicher Methodologie die Normierung der Terminologie.

Die Normierung eines Terminus ist eine Aktion, die aus drei elementareren Operationen besteht (s. die Webseite zu Begriff und Ausdruck):

  1. Der Begriff B wird definiert.
  2. Der Terminus T wird festgelegt.
  3. B und T werden einander zugeordnet.

Operation #1 hat mit Terminologie zunächst nichts zu tun, denn ein Begriff kann unbeschadet seines Wesens alternative Namen haben. S. die Webseite zur Definition.

Operation #2 ist die Festsetzung eines Ausdrucks. Es kann sein, daß der Ausdruck zunächst – durch Neologie – gebildet werden muß. Es kann aber auch sein, daß ein existenter Ausdruck ausgewählt wird.

Operation #3 ist eine möglichst eineindeutige Zuordnung, in folgendem Sinne:

  1. B sollte nicht durch alternative Termini ≠ T bezeichnet werden (die dann synonym wären).
  2. T sollte nicht noch andere Begriffe ≠ B bezeichnen (also mehrdeutig sein).

Erfordernis #a muß man auf jeweils eine Sprache beschränken, denn man kann nicht vernünftigerweise fordern, daß ein Begriff in allen Sprachen durch denselben Terminus bezeichnet werde.

Erfordernis #a wird oft verletzt, wenn sich verschiedene “Schulen” oder “Modelle” desselben Gegenstands annehmen. Abweichende Terminologie dient hier oft der sozialen Abgrenzung und Identitätsfindung von Wissenschaftlern. Wie sich versteht, hat das Eingangserfordernis der Explizitheit Priorität vor diesen letzteren, mehr oder minder liebenswerten Schwächen.

Erfordernis #b wird typischerweise verletzt, wenn ein Ausdruck der Umgangssprache in den Rang eines wissenschaftlichen Terminus erhoben wird. Denn der umgangssprachliche Gebrauch existiert dann ja daneben fort. Es folgen einige Beispiele von Termini, die in der Linguistik (im Rahmen des Möglichen) wohldefiniert sind, will sagen: genau einen Begriff bezeichnen, die jedoch außerhalb der Linguistik – und somit leider auch in anderen akademischen Disziplinen – gelegentlich in einem anderen Sinne verwendet werden.

1. Ein Beispiel, das auch auf der Seite Begriff und Ausdruck behandelt wird, ist der Terminus ‘Begriff’. Die Assoziation von Significans und Significatum ist beim unreflektierten Sprecher so eng, daß er die beiden nicht auseinanderhalten kann (und dieses Faktum ist seinerseits längst in linguistische Theorien eingegangen). In der Linguistik (sowie in anderen Disziplinen, die etwas davon verstehen, wie der Philosophie und der Psychologie) ist ein Begriff eine Art von Bedeutung. In der Umgangssprache ist Begriff ein anderes Wort für “Wort”. So in folgendem Zitat:

So mag Miriam Floericke für den einen eine “Frau” sein, für den anderen eine “Dame”, ein Engländer würde dagegen das Wort “Woman” wählen. Dabei beziehen sich all diese Begriffe auf ein und dasselbe, semantisch äquivalente Konzept. (c't 2007, Heft 21:173)

Wie man sieht, ist Begriff hier offenbar synonym mit Wort und gerade nicht synonym mit Konzept, mit dem es in der Wissenschaft aber synonym sein muß. Das Beispiel zeigt gleichzeitig schön, daß mit der nicht normgerechten Verwendung eines wissenschaftlichen Terminus typischerweise auch andere Ungenauigkeiten einhergehen. Daß die angeführten Wörter in Anführungszeichen statt kursiv gedruckt stehen, wird man außerhalb der Linguistik durchgehen lassen müssen. Daß woman groß geschrieben wird, schon weniger. Und was soll vollends ein “semantisch äquivalentes Konzept” sein? Es könnte ja nur mit etwas semantisch äquivalent sein. Etwa mit den zuvor angeführten Ausdrücken? Wie kann denn eine Bedeutung mit einem Ausdruck semantisch äquivalent sein? Ob und wie man solche Texte außerhalb der Linguistik verstehen kann, ist eine interessante Frage semantischer Analyse für sich; aber innerhalb der Disziplin sind sie jedenfalls inakzeptabel.

2. In demselben Text1 findet sich ein anderes Beispiel der nicht normgerechten Verwendung von linguistischen Termini:

Den Kern von RDF bildet das sogenannte Tripel, ein Dreigespann aus Subjekt, Prädikat und Objekt. Ein solches Tripel in natürlicher Sprache wäre beispielsweise die Aussage “Miram Floericke arbeitet bei Ziehm Imaging. ... das Objekt Ziehm Imaging [d.h. das Objekt Ziehm Imaging, CL] ...” (c't 2007, Heft 21:174)

Der disziplinäre Kontext ist hier die Informatik. Die Informatik macht seit ihrer Existenz terminologische Anleihen bei der Linguistik. Nicht selten sind es grammatische Termini, deren Definition dann gar nicht interessiert, denn bekanntlich haben Ausdrücke formaler Sprachen nicht die Grammatik natürlicher Sprachen. So geht es auch hier de facto um Ausdrücke der Form

<rdf:Description rdf:about="http://persons.org/Miriam-Floericke">
<roc:arbeitet-bei rdf:resource="http://www.companies.org/Ziehm-Imaging"/>
</rdf:Description>

Das roc ist offensichtlich ein zweistelliges Prädikat (im prädikatenlogischen Sinne), dessen erstes Argument vorangeht, während das zweite folgt. Mit ‘Subjekt’ und ‘Objekt’ in einem wohldefinierten Sinne hat das, wie man sieht, absolut nichts zu tun.

3. Drittens ist der Fall zu erwähnen, daß ein wissenschaftlicher Terminus außerhalb der Disziplin, einschließlich der Umgangssprache, Karriere macht, weil die Sprachbenutzer des Prestiges der Wissenschaft teilhaftig werden wollen. Ein Paradebeispiel dafür ist der Gebrauch des Terminus linguistisch i.S.v. “sprachlich”, der an anderer Stelle ausführlich behandelt wird.

4. Schließlich sei nicht verschwiegen, daß schlampige Terminologie selbstverständlich auch in Fachkreisen vorkommt. So gab es auf der Linguist List, einem Diskussionsforum für Linguisten, am 23.10.2007 eine “question about head-marked datives”. Der Frager meinte anscheinend die Referenz auf das indirekte Objekt durch ein pronominales Element am Verb; von einem Dativ (einem am Nomen kodierten Kasus) ist nicht die Rede. Die in der Diskussionsliste folgende Korrespondenz zeigt, daß mehrere Fachleute mit diesem Mißbrauch des Wortes dative anscheinend kein Problem hatten.2 Derartiges kommt vor allem dann vor, wenn der Wissenschaftler nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit sieht und sich daher dem Problem nicht stellen muß, das entsteht, wenn in einer umfassenden Theorie verschiedene Gegenstände mit demselben Terminus bezeichnet werden.


1 Der Fairness halber sei vermerkt, daß dieser Wortgebrauch in der Theorie des semantischen Web seit seinem Autor Tim Berners-Lee etabliert ist.

2 S. Lehmann 2007 zum terminologiegeschichtlichen Hintergrund dieses Phänomens.