Grundsätzliches

Es trifft zu, daß Wissenschaft im modernen okzidentalen Sinne nicht ohne das schriftliche Medium auskommt. Sie aber zur Gänze auf Aktivitäten des Schreibens und Lesens reduzieren zu wollen, wäre eine groteske Fehleinschätzung. Wie bereits auf der Webseite für Studienanfänger, §1.1 erläutert, findet Wissenschaft ganz wesentlich im Gespräch statt. Die Universität bietet dafür verschiedene Typen von Kommunikationssituationen als Rahmen an. Die folgenden sind jedenfalls institutionell gegeben:

  1. akademische Lehrveranstaltungen, insbesondere Vorlesungen und Seminare
  2. Projektveranstaltungen und Projektbesprechungen
  3. Kolloquien, Tagungen und dgl.
  4. Sprechstunden der Dozenten.

Selbstverständlich gelten je nach dem Rahmen leicht unterschiedliche Regeln. Typischerweise jedoch folgt eine wissenschaftliche Diskussion einem Vortrag eines der Teilnehmer. Dadurch ist von vornherein eine gewisse Asymmetrie gegeben. Daraus schließt mancher, daß der Vortragende die Pflicht hat, zu reden, während alle anderen schweigen dürfen oder müssen. Bereits hier liegt das erste Mißverständnis, das von zahllosen Zeitgenossen vom Abiturienten bis zum Ordinarius genährt wird. Jeder, der sich in einer dieser Situationen befindet, ist Teilnehmer an einer wissenschaftlichen Veranstaltung und daher aufgefordert, dazu etwas Konstruktives beizutragen. Freilich wird man von einem Anfänger eher Fragen, von einem fortgeschrittenen Diskussionsteilnehmer eher hilfreiche Hinweise erwarten. Grundsätzlich aber gelten für alle dieselben Regeln.

Unnötig zu sagen, eine Diskussion ist eine zweiseitige Angelegenheit. Das Verhalten von B wird beeinflußt durch das vorgängige Verhalten von A; und es wird B erschwert, sich an die Regeln zu halten, wenn A das schon nicht getan hat bzw. wenn B schon weiß, daß A das nicht zu tun pflegt. Selbstverständlich ist es zu allererst Pflicht des Vortragenden, dafür zu sorgen, daß das Publikum sich an der Wahrheitsfindung beteiligen kann. Davon handelt ein anderer Abschnitt.

Reden in wissenschaftlichen Veranstaltungen

Für Diskussionsbeiträge zu wissenschaftlichen Veranstaltungen gelten dieselben allgemeinen Kommunikationskonventionen, die auch sonst in abendländischen Gesellschaften gelten. Insofern ist das folgende tendentiell trivial. Da jedoch auch fortgeschrittene Wissenschaftler die Regeln immer wieder mißachten, seien sie für den angehenden Wissenschaftler hier erwähnt:

Schweigen in wissenschaftlichen Veranstaltungen

Die eingangs genannte fundamentale Fehleinschätzung führt zu viel Schweigen und daher zu vielen Monologen in wissenschaftlichen Kontexten. Im Dienste der Wissenschaft ist das jedenfalls nicht.


1 Anfang 2009 hielt ich vor fortgeschrittenem Publikum einen Vortrag über ‘Wurzeln, Stämme, Wortarten’. Vom ersten bis zum letzten Satz des Vortrags war die Unterscheidung zwischen Wurzel und Stamm – die ich als selbstverständlich voraussetzte – eine elementare Voraussetzung für Sinn und Zweck des Ganzen. Vor dem Vortrag hatte ich ausdrücklich gebeten, mich jederzeit mit Fragen zu unterbrechen. Nach Schluß des Vortrags fragte jemand, was eigentlich der Unterschied zwischen Wurzel und Stamm sei. So etwas darf nicht passieren.