Zwei Formen A
und B
eines morphologischen Paradigmas sind gelegentlich so aufeinander bezogen, daß B
auf der Basis und durch Umformung von A
beschrieben werden kann.
Präteritum | |
---|---|
Indikativ | Konjunktiv |
sprang-st | spräng-(e)st |
floh-st | flöh-(e)st |
schwur-st | schwür-(e)st |
Auf der Basis von Daten wie diesen läßt sich die Bildung der Formen des Konjunktiv II von starken Verben im Deutschen so beschreiben: Nimm den Stamm des Indikativ Präteritum, wende Umlaut auf den Wurzelvokal an und füge die konjunktivischen Personalendungen an.
Ähnlich kann man syntaktische Konstruktionsvarianten beschreiben.
B1. | a. | wenn du zu kurz sprängst, |
b. | sprängst du zu kurz, |
B1.a ist ein mit Konjunktion eingeleiteter Konditionalsatz, b ist eine synonyme Variante ohne Konjunktion. Die Bildungsweise der letzteren Konstruktion kann man wie folgt erklären: Bilde zunächst die durch Konjunktion eingeleitete Fassung. Ersetze sodann die Konjunktion durch das finite Verb. Dies läßt sich durch eine Regel wie die folgende formalisieren:
[ | XKonj | Y | ZV.fin | ]KondS | → | [ Z | Y ] |
Gegeben zwei sprachliche (typischerweise syntaktische) Konstruktionen, die in einer paradigmatischen (mithin regelmäßigen) semantischen Beziehung zueinander stehen (und im einfachsten Falle synonym sind) und, im Zusammenhang damit, in einer paradigmatischen strukturellen Beziehung stehen, so wie die beiden Varianten des Konditionalsatzes. Dann soll die grammatische Beschreibung diese paradigmatische Beziehung ausdrücken. (Das ist sowohl für den Sprachlerner als auch für die Implementierung der Beschreibung in EDV nötig.) Folglich sind die beiden Konstruktionen formal so zu repräsentieren, daß Komponenten, die sie gemeinsam haben, identisch repräsentiert sind und die Unterschiede präzise bezeichnet werden. Ein Beschreibungsmittel dazu ist die Transformation.
Eine Transformationsregel, kurz Transformation, ist eine Regel, die die paradigmatische Beziehung zwischen zwei Konstruktionen K1 und K2 (so wie eben erläutert) dadurch beschreibt, daß sie K1 in K2 umwandelt (transformiert). Sie besteht aus zwei Hälften. Die Hälfte links vom Pfeil repräsentiert K1 und ist der Input, die Hälfte rechts vom Pfeil repräsentiert K2 und ist der Output. Der Input wird so beschrieben, daß ein (Mustererkennungs-)Algorithmus feststellen kann, ob eine gegebene Kette (ein sprachlicher Ausdruck) die angegebene Struktur hat. Dazu werden syntaktische Kategorien mit ihrer Konstituentenstruktur angegeben. Teile, deren Kategorie oder Struktur ohne Belang sind, werden durch undefinierte bzw. unkategorisierte Variablen (wie Y
in obiger Transformation) repräsentiert.1
Ähnlich wie in einer algebraischen Gleichung muß man in der Notation einer Transformation die Identität von bestimmten Elementen des Inputs mit bestimmten Elementen des Outputs sicherstellen. Da es sich häufig darum handelt, daß zwar im Input und Output dieselben Elemente auftreten, aber in verschiedenen syntaktischen Kategorien oder Funktionen, muß man in der Notation des Inputs die Identität der Elemente von der Identität ihrer syntaktischen Kategorien trennen. Dazu kann man die Elemente, wie in obigem Beispiel geschehen, durch fortlaufende Großbuchstaben (W, X, Y, Z
) repräsentieren.2 Im Output werden dann jedenfalls die Buchstaben in der ggf. geänderten Reihenfolge und ggf. mit geänderter Kategorisierung angegeben.
Die beiden alternativen Strukturen eines Konditionalsatzes, [ XKonj Y ZV.fin
] und [ ZV.fin Y
], stehen in paradigmatischer Beziehung zueinander, in diesem Falle in freier Variation. Man spricht auch von einem syntaktischen Paradigma. Eine Transformation ist ein Beschreibungsmittel, das eine paradigmatische Relation zwischen zwei syntaktischen Konstruktionen explizit macht.
Wenn ein Satz in einem Text auf einen Referenten Bezug nimmt, von dem auch schon in einem vorangehenden Satz die Rede war, so ist diese Wiederaufnahme Anapher (s.a. Kap. 3.4). So sind in den zweiten Sätzen von B2 Erna bzw. ihr anaphorisch zu Erna im ersten Satz, weil der Ausdruck im ersten und der im zweiten Satz jeweils koreferentiell sind.
B2. | a. | Erna gefällt uns. Wir wollen Erna was schenken. |
b. | Erna gefällt uns. Wir wollen ihr was schenken. |
Folgen die koreferentiellen Ausdrücke relativ dicht aufeinander (so wie in B2), so ist es üblich, den ersten nicht zu wiederholen, wie in B2.a, sondern an seiner Stelle ein anaphorisches Pronomen einzusetzen, wie in B2.b. Der Übergang von der a-Version zur b-Version bzw., allgemeiner, die Ersetzung eines anaphorischen Nominalsyntagmas durch ein Pronomen, heißt Pronominalisierung. Auch diese Operation läßt sich leicht durch eine Transformation beschreiben:
[ U Vi W ]S [ X [Yi]NS Z ]S | → | [ U Vi W ]S [ X [Pi]Pron.pers Z ]S |
Um Koreferentialität (= Referenzidentität) vs. Referenzverschiedenheit von Ausdrücken formelhaft zu bezeichnen, verwendet man Referenzindices, d.s. Variablen in Form der Kleinbuchstaben i, j, ...
. So sagt das zweimalige Auftreten von i
im Input der Transformation, daß V
und Y
koreferentiell sind.3
Andere Konstruktionen, die sich vorteilhaft mit Transformationen beschreiben lassen, sind die Bildung eines Ja-Nein-Fragesatzes oder eines negierten Satzes aus einem positiven selbständigen Satz, oder die Bildung der passivischen Version zu einem aktivischen Satz.
In der Beschreibung einer syntaktischen paradigmatischen Relation zwischen K1 und K2 sind zwei Fragen zu unterscheiden:
Wenn man die zweite Frage bejaht, hat man Kriterien für den sekundären Status von K2 anzugeben. Das sollten in einer strukturalen Grammatik strukturelle Kriterien sein, z.B. die größere strukturelle Komplexität von K2. Wenn man Frage 2 verneint, dann hat man sich eine Transformation vorzustellen, die in beide Richtungen funktioniert. Die obige Konditionalsatztransformation erfüllt diese Bedingung nicht, denn sie tilgt jegliches X
, welches als Konjunktion einen Konditionalsatz einleitet. Die Umkehrung wäre eine Transformation, die “jegliches X
, welches als Konjunktion einen Konditionalsatz einleitet”, einsetzt. Um dies vollständig zu explizieren, müßte man das Paradigma der Konditionalsatzkonjunktionen aufzählen und für die Rechts-Links-Anwendung der Transformation sagen: Wähle für X
ein beliebiges Mitglied dieses Paradigmas.
Bis hierhin sind Transformationen nur als Mittel vorgestellt worden, um paradigmatische Beziehungen zwischen sprachlichen Konstruktionen präzise zu beschreiben. Die Konstruktionen als solche, d.h. sowohl der Input als auch der Output der Transformation, kommen in der Sprache vor. Die Transformation ist dann sozusagen optional; denn auch wenn man den Input läßt, wie er ist, ergibt sich ein grammatischer Satz.
Darüber hinaus kann man aber auch folgenden Fall durch Transformation beschreiben: Nach den übrigen Regeln der Sprache wäre zu erwarten, daß K1 existiert. Jedoch ist K1 als solches ungrammatisch und nimmt statt dessen die Form K2 an. Z.B.: Das Partizip II der deutschen Modalverben lautet regelmäßig gekonnt, gemußt, gesollt .... Man würde erwarten, daß dieses die infinite Form des Vollverbs in den mit dem Hilfsverb haben gebildeten Verbformen abgibt (habe gekonnt usw.). Immer jedoch, wenn eine solche periphrastische Verbform einen Infinitiv regiert, tritt statt des Partizips der Infinitiv ein (*habe singen gekonnt → habe singen können). Die Transformation, die diese Beziehung beschreibt, hat als Input eine ungrammatische Konstruktion. Sie ist dann sozusagen obligatorisch; denn wenn sie nicht angewandt würde, käme ein ungrammatischer Satz heraus. Dieser zweite Typ von Transformation ist zu didaktischen Zwecken vermutlich sinnvoll. In theoretischer Hinsicht ist jedoch der Status des Inputs problematisch, denn wie kommen die ungrammatischen Konstruktionen in die Grammatik hinein?
Transformationen sind in der Linguistik und insbesondere gerade in demjenigen Beschreibungsmodell, welches sie (nachdem sie von Z.S. Harris konzipiert worden waren) in der Linguistik bekanntmachte, nämlich der Generativen Grammatik, ziemlich aus der Mode gekommen. Sie werden hier dennoch behandelt aus folgenden Gründen:
1. | Passiv im Englischen | |
2. | Pronominalisierung im Deutschen |
1 Man bemerke, daß die Definition von Konstruktionen redet und daß auch das obige Beispiel nicht ein ganzer Satz ist. Es ist ein weitverbreitetes Mißverständnis, Transformationen in notwendigen Zusammenhang mit Sätzen zu bringen.
2 Ein immer wieder gern gemachter Fehler ist es, anstelle von Variablen Kategorialsymbole in die Strukturformeln einzusetzen. Diese erfüllen jedoch die Funktion, Identität zu sichern, nicht, denn in jeder Konstruktion können (z.B. durch Rekursion) mehrere Elemente derselben Kategorie auftreten, die es aber gerade zu unterscheiden gilt. Kategorialsymbole werden vielmehr als Subskripte zu den Ausdrücken notiert.
3 Diese Kleinbuchstaben bezeichnen also referentielle Identität. Würde man stattdessen den Großbuchstaben V
wiederholen, würde es bedeuten, daß im zweiten so wie im ersten Satz der Ausdruck V
vorkommt (mit Bezug auf B2 wäre das Erna). Aber Ausdrucksidentität ist völlig unabhängig von referentieller Identität. Aus demselben Grunde kann im Output der Regel nicht der Buchstabe Y
des Inputs wiederholt werden.