Im Zusammenhang mit Konstituenz treten gewisse Schwierigkeiten auf, die weiter unten besprochen werden. Diese werden vermieden, wenn man der Darstellung der hierarchischen syntaktischen Struktur einen anderen Begriff zugrundelegt. Der Begriff der Abhängigkeit (der, wohlgemerkt, in der vorangegangenen Darstellung der Konstituenz nicht vorkam) ist im Zusammenhang mit syntagmatischen, besonders syntaktischen, Relationen traditioneller Bestandteil der grammatischen Analyse. Er erfuhr eine besondere Ausprägung in dem 1959 veröffentlichten Buch von Lucien Tesnière, Éléments de syntaxe structurale. (Paris : Klincksieck) und hat seitdem auch Eingang in die strukturale Sprachwissenschaft gefunden.
In einer appositiven Konstruktion wie im Subjekt des Satzes da kommt Erwin der Feigling gehören die beiden Konstituenten derselben Kategorie an – hier NS –, und das Resultat gehört wieder derselben Kategorie an. Ebenso ist es mit einer koordinativen Konstruktion wie der im Subjekt von Iller, Lech, Isar, Inn fließen all' zur Donau hin. In einer solchen Konstruktion herrscht Symmetrie oder Gleichberechtigung zwischen den Konstituenten; eine Abhängigkeit zwischen ihnen läßt sich nicht feststellen. Solche syntaktischen Relationen faßt man unter Soziation (bei Tesnière ‘Junktion’) zusammen.
Anders ist es in elender Feigling oder Erwin kommt. Hier gehören die Konstituenten verschiedenen Kategorien an, und es herrscht ein Ungleichgewicht in dem Sinne, daß eine Konstituente für die externen Relationen des Syntagmas, d.h. für seine Kategorie, wichtiger ist als die andere. Elender Feigling ist endozentrisch, und offensichtlich wird die Kategorie des Syntagmas von Feigling bestimmt, während die Anwesenheit von elender dafür gleichgültig ist (vgl. Konstituentenstrukturregel 6). Ebenso kann das finite Verb für sich einen Satz ausmachen, nämlich im Imperativ (komm!), während ein NSNom für sich bestenfalls bei Ellipse einen Satz ergibt. Derart asymmetrische Relationen faßt man unter Dependenz (“Abhängigkeit”) zusammen.
Eine syntagmatische grammatische1 Relation zwischen den Sprachzeichen X und Y ist eine Dependenzrelation genau dann, wenn X und Y in der Relation ungleichberechtigt sind in dem Sinne, daß nur eines von ihnen die Kategorie des binären Syntagmas bestimmt.
In einer Dependenzrelation hängt das Syntagma Y von dem Syntagma X ab (und X kontrolliert Y) genau dann, wenn X die Kategorie – und somit die externen Relationen – des Syntagmas 'X+Y' bestimmt. X heißt ‘Kontrolleur’ oder ‘Kopf’ (engl. head) (gelegentlich auch Nukleus [“Kern”]) der Dependenzrelation bzw. der Dependenz(konstruktion); Y ist der Dependent.
Gelegentlich wird auch vom semantischen (oder lexikalischen) Kopf eines Komplexes gesprochen. Man sagt dann etwa, daß in Syntagmen wie hat gesprochen oder Feigling die Bestandteile gesprochen bzw. feig semantischer Kopf sind. (Vgl. dazu auch den semantischen Begriff von Modifikation.) Wenn der Terminus ‘Kopf’ nicht ausdrücklich als ‘semantisch/lexikalisch’ spezifiziert ist, ist jedenfalls der Kopf im zuvor definierten strukturellen Sinne gemeint, und in diesem Sinne sind die Bestandteile hat bzw. -ling Kopf dieser Syntagmen.
Unser Beispielsatz wird in der Dependenzgrammatik wie folgt analysiert:
Eine zweidimensionale graphische Darstellung der Dependenz wie diese heißt Dependenzstemma. Die Anordnung der Wörter in der Senkrechten (bzw. die Richtung der Dependenzpfeile) ist grammatiktheoretisch signifikant und bringt Dependenzrelationen zum Ausdruck (der Dependenzpfeil weist auf den Dependenten). In der Waagerechten können sie so angeordnet werden, wie sie auch im sprachlichen Ausdruck aufeinander folgen.
Eine platzsparende notationelle Variante ist die folgende.
Alle syntagmatischen Relationen des Beispielsatzes sind Dependenzrelationen. Z.B. sind fuhr und Wagen in der zwischen ihnen bestehenden Relation ungleichberechtigt. Denn die Tatsache, daß (den) Wagen im Akkusativ steht, wird offenbar von dem Verb fuhr bestimmt; wenn das Verb folgte lautete, müßte ein anderer Kasus stehen. Ferner bildet fuhr, nicht Wagen den Prädikatskern und geht eine Relation zum Subjekt ein. Das Entsprechende gilt für alle anderen syntagmatischen Relationen in dem Beispiel. Ein Beispiel, in dem keine der syntagmatischen Relationen eine Dependenzrelation ist, wäre B1.
B1. George, Baßgitarre, und Ringo, Schlagzeug
Dies sind alles Soziationsrelationen im oben definierten Sinne; sie sollen uns nicht weiter beschäftigen.
Im übrigen zeigt die letzte Darstellung von Ludwig fuhr den Wagen in die Garage anschaulicher als die vorige, daß Dependenzrelationen auch zwischen Wörtern oder Syntagmen bestehen können, die nicht unmittelbar aufeinander folgen. Der Dependenzbegriff inkorporiert keine Voraussetzungen über die Stellung der so bezogenen Elemente.
In der ursprünglichen Konzeption, die von einigen modernen Varianten der Dependenzgrammatik fortgeschrieben wird, bestehen Dependenzrelationen grundsätzlich zwischen Wörtern. So hängt das Wort den von dem Wort Wagen und dieses wieder von dem Wort fuhr ab. Es ließe sich zwar sagen, daß Wagen mitsamt allem, was von ihm abhängt, von fuhr abhängt; und so ließe sich der Begriff des Syntagmas in der Dependenzgrammatik rekonstruieren. Das würde aber noch nicht zeigen, daß man den Begriff des Syntagmas in der Dependenzgrammatik braucht.
Von der Diagnose einer Dependenzrelation nicht zu trennen ist die Feststellung, was in der Relation das kontrollierende und was das abhängige Glied ist. So besagen die Argumente, die soeben für die Ungleichberechtigung von fuhr und Wagen in ihrer Relation gegeben wurde, gleichzeitig, daß fuhr der Kopf und Wagen der Dependent ist.
Auch in der Dependenz spielt die Wortart eine wichtige Rolle. Ob in einem gegebenen Satz ein Wort von einem anderen abhängt, entscheidet sich natürlich nicht ad hoc, sondern im Zusammenhang mit der Wortart der beiden Wörter. Wir können das obige Dependenzstemma daher auch in der folgenden etwas allgemeineren Form schreiben.
Das eigentliche Dependenzstemma ist in dieser Darstellung bloß der obere Teil, der Dependenzlinien (in diesem Falle Pfeile) enthält. Die senkrechten gepunkteten Linien von den Wortartsymbolen zu den Wörtern sind keine Dependenzlinien, sondern sog. Projektionslinien: sie symbolisieren die Projektion der zweidimensionalen Dependenzstruktur auf die eindimensionale Zeichenkette.
Dieses Stemma verhält sich zum vorigen wie der indizierte Konstituentenstrukturbaum zum nicht-indizierten. Ähnlich wie bei der Generierung einer Konstituentenstruktur könnten wir also zuerst ein Dependenzstemma aufbauen, in dem bloß die Wortarten spezifiziert sind, und schließlich für diese bestimmte Wörter als Repräsentanten wählen.
Für den Aufbau eines Dependenzstemmas kann man Regeln formulieren, ähnlich den Konstituentenstrukturregeln. Z.B. kann man von einer Struktur, die ein V und ein davon abhängiges (Subjekts-)N enthält, übergehen zu einer Struktur, die zusätzlich ein von dem V abhängiges (Objekts-)N enthält. Von einer Struktur, die eine Präp enthält, muß man übergehen zu einer Struktur, die zusätzlich ein von der Präp abhängiges N enthält; usw. Dieser Regelapparat soll hier nicht interessieren.
Ähnlich wie man für Konstituentenstrukturregeln allgemeine Bedingungen wie etwa die allgemeine Form und die disjunktive Ordnung angeben konnte, kann man dies auch für Dependenzregeln. Wichtig sind vor allem zwei Bedingungen:
Mit dem bisher Eingeführten lassen sich einfache selbständige Sätze dependentiell analysieren. Großenteils offen bleiben hier die Dependenzverhältnisse grammatischer Formative.
1. | Dependenzrelationen | |
2. | Dependenzanalyse | [ Lösung ] |
1 i.Ggs.z. “semantische”