Das Deklinationsparadigma des Demonstrativpronomens sieht vor, daß der Genitiv Singular im Maskulinum und Neutrum die Endung -es hat, so wie in dieses Herrn. Danach richten sich auch die Formen dieses Jahres, dieses Monats, dieses Tags.

Seit den 1930er Jahren allerdings mehren sich, in mündlichen und schriftlichen Texten, Vorkommen der Ausdrücke diesen Jahres, diesen Monats, diesen Tags. Hier folgt das Demonstrativum nicht dem Deklinationsparadigma der übrigen Pronomina (des Jahres, jenes Jahres), sondern dem der Adjektivattribute (vergangenen Jahres, kommenden Jahres). Einige Sprachberatungsstellen (wie die der TU Chemnitz) erklären dies rundheraus für falsch. Der Duden (Richtiges und gutes Deutsch) erklärt, diesen Jahres sei immer häufiger anzutreffen; aber bei konservativem Sprachgebrauch empfehle sich dieses Jahres.

Wie man solche Fälle sprachlicher Variation methodisch richtig analysiert, ist anderswo systematisch dargestellt. In diesem Fall haben die Sprachberatungsstellen die linguistischen Methoden nicht angewandt. Diese verlangen,

Und siehe da, es gibt Minimalpaare:

B1. Die Einnahmen diesen Jahres übertrafen die Einnahmen letzten Jahres um 20%.

B2. 1995 war ein Erfolgsjahr. Die Einnahmen dieses Jahres übertrafen diejenigen des Vorjahres um 20%.

In B1 referiert das Demonstrativum deiktisch auf das zum Sprechzeitpunkt laufende Jahr. In B2 referiert es anaphorisch auf das im vorangehenden Text erwähnte Jahr. Diejenigen Sprecher, welche diesen Jahres nicht grundsätzlich falsch finden, können die beiden Formen in B1 und B2 nicht austauschen. Es gibt somit eine einfache, semantisch konditionierte Regel.

Macht die Regel Sinn? Nun, es gibt einen allgemeinen Grammatikalisierungskanal, der ein Demonstrativum von einem Deiktikum zum Anaphorikum grammatikalisiert. Die deiktische Funktion ist eine semantisch mehr konkrete, die anaphorische eine mehr strukturell-abstrakte Funktion. Das Demonstrativum dieser flektiert wie ein Adjektiv, wenn es die konkretere, und wie ein Pronomen, wenn es die mehr strukturelle Funktion hat. Und Adjektive und Pronomina als Wortarten verteilen sich ebenso auf diese beiden Funktionen bzw. Stufen der Grammatizität. Die alternative Flexion des Demonstrativums dieser folgt also einem allgemeineren Prinzip der deutschen Grammatik.

Und wieso nur das Demonstrativum dieser und nicht auch jener; und wieso nur bei Zeitangaben und nicht auch bei Ortsangaben? Nun, eine Suche auf dem Internet fördert, neben zahllosen Beispielen für dieses Orts, auch Beispiele für diesen Orts zutage; und siehe da, die Referenz ist deiktisch! Und andererseits jenen Jahres wäre nach der Regel nicht zu erwarten, weil es nicht deiktisch verwendet wird. (In der Tat sind sich aber die Sprachbraucher in diesem Punkte nicht sicher, und jenen Jahres kommt nicht nur spontan vor, sondern wird auch in einem Sprachquiz vom 27.09.06 von einigen Quizteilnehmern für richtig gehalten. Und auf dem Internet finden sich neben Tausenden von Vorkommen von dieses Mannes auch einige von diesen Mannes, und zwar neben deiktischen auch anaphorische Verwendungen. Die Regel ist also nicht so allgemein, wie sie sein könnte.)

Wenn man mit der Analyse so weit gediehen ist, dann kann man, wenn man will, auf normativer Basis immer noch erklären, eine solche Regel, wonach ein Wort je nach dem Grad der Grammatizität pronominal oder adjektivisch flektiert, gebe es im Deutschen nicht. Aber da würde sich – wie natürlich überhaupt in derartigen Fällen – die Frage nach der Basis der Norm stellen. Im vorliegenden Falle wird ein sinnvoller und für die Verständigung hilfreicher Ausdrucksunterschied gemacht. Das könnte vor Konservatismus Priorität haben.


Literatur

Stenschke, Oliver 2007, “‘Ende diesen Jahres’: Die Flexionsvarianten von Demonstrativpronomina als ein Beispiel für Degrammatikalisierung.” Deutsche Sprache 1/2007:63-85.

Strecker, Bruno 2007, “Anfang diesen Jahres oder Ende dieses Jahres? – Genitiv Singular beim Demonstrativ-Artikel.” [grammis, Institut für Deutsche Sprache Mannheim].