Grundbegriffe

Der Ausdruck Wortstellung entstammt der traditionellen Grammatik und scheint sich auf die Reihenfolge von Wörtern in der nächsthöheren syntaktischen Konstruktion, nach traditioneller Auffassung dem Satz, zu beziehen. Wie wir unten sehen werden, hat eine solche vereinfachte Sicht in den klassischen Sprachen, auf denen die traditionelle Grammatik ja basiert, sogar eine gewisse Berechtigung. Der Terminus wird aber auch auf andere Sprachen angewandt, wo man zwischen der Wort- und der Satzebene mehrere Komplexitätsebenen unterscheiden muß und wo man Stellungsregeln auch für Einheiten wie Syntagmen und Nebensätze feststellt. Hier bedeutet ‘Wortstellung’ dann “Stellung syntaktischer Einheiten”, also insbesondere auch Konstituentenstellung.

Die Wortstellung unterliegt verschieden starken Beschränkungen. Eine relativ variable Wortstellung heißt “freie Wortstellung”, ist sie unveränderlich, heißt sie “feste Wortstellung”. Eine feste Wortstellung ist eine solche, die durch grammatische Regeln beschränkt ist.

Die die feste Wortstellung definierenden grammatischen Regeln sind von der Art “steht A zu B in der grammatischen Relation R, so folgt A unmittelbar auf B” (z.B. “ist A das direkte Objekt des Verbs B, so folgt es ihm unmittelbar”). Ändert man in einer solchen Konstruktion die Stellung von A, so hebt man die Konstruktion auf: Der Satz wird ungrammatisch oder bedeutet etwas anderes (falls die geänderte Stellung einer anderen grammatischen Relation entspricht); vgl. B5 unten.

Mit freier Wortstellung kann zweierlei gemeint sein:

  1. Wortstellungsvarianten stehen in freier Variation,
  2. Wortstellungsvarianten sind durch die funktionelle Satzperspektive bedingt.
Nur im ersten Falle ist die Wortstellung im buchstäblichen Sinne frei. Dieser Fall ist aber tatsächlich relativ selten; meist meint man, wenn man von freier Wortstellung spricht, den zweiten Fall. Die beiden Fälle haben gemeinsam, daß die Wortstellung nicht durch die Grammatik beschränkt ist. Ändert man im ersten Fall die Stellung, so bleibt das folgenlos. Ändert man sie im zweiten Fall, so paßt der Satz nicht mehr in diesen, sondern in einen anderen Kontext.

Intralinguale Variation

Auf den niedrigeren grammatischen Komplexitätsebenen herrschen engere grammatische Beschränkungen als auf den höheren. Das schließt Wortstellungsregeln ein: In allen Sprachen ist die Stellung der bedeutungstragenden Einheiten auf den höheren Komplexitätsebenen freier als auf den niedrigeren. Mit Bezug auf die extremen Ebenen leuchtet das unmittelbar ein. Z.B. kann man in fast allen Sprachen auf der Ebene des komplexen Satzes (sentence) in bestimmten Fällen die Teilsätze (clauses) permutieren. Aber in keiner Sprache kann man Affixe wahlweise als Prä- oder Suffixe anhängen. Die mittleren Komplexitätsebenen liegen in bezug auf Stellungsfreiheit zwischen den Extremen. Z.B. kann man im Lateinischen und – unter bestimmten Bedingungen – in mehreren romanischen Sprachen das Adjektivattribut vor oder hinter das Bezugsnomen stellen. Im Deutschen und Englischen dagegen hat man diese Wahl nicht. Die Korrelation zwischen Höhe der Komplexitätsebene und Freiheit von Beschränkungen wird anschaulich-metaphorisch durch das Penthouse-Prinzip formuliert:

Diese Zusammenhänge ergeben sich aus der Grammatikalisierungstheorie. Wenn z.B. eine Konstruktion aus relationalem Substantiv und abhängigem Genitivattribut sich durch Grammatikalisierung des relationalen Substantivs zu einer Konstruktion aus Adposition und Komplement entwickelt, dann sind die Stellungsmöglichkeiten in letzterer Konstruktion stets eine Teilmenge der Stellungsmöglichkeiten der ersteren. So hat man z.B. auf Englisch die Wahl zwischen B1.a und b.

B1.a.on the top of the temple
b.on the temple's top
B2.on top of the temple

In der grammatikalisierten Variante B2 dagegen ist man auf die Stellung des Dependenten hinter dem Dependenzkontrolleur beschränkt (Inversion ergäbe B1.b, also eine Referenz auf die Oberseite, die in B2 vermieden wird).

Interlinguale Variation

Das Penthouse-Prinzip ist universal. Das impliziert aber natürlich nicht, daß auf einer gegebenen grammatischen Ebene – z.B. der des Nominalsyntagmas – die Stellungsfreiheit in allen Sprachen dieselbe wäre. Das würde schon durch das obige Beispiel des Adjektivattributs widerlegt. Tatsächlich unterscheiden sich Sprachen erheblich in bezug auf die Wortstellungsfreiheit auf einer gegebenen Ebene. (Per Implikation folgt aus einer solchen sprachvergleichenden Aussage natürlich, daß wenn auf einer gegebenen grammatischen Ebene die Stellung in einer Sprache freier ist als in einer anderen, sie auf den jeweils höheren Ebenen nicht weniger frei sein kann als in der anderen Sprache.) Berüchtigt für ihre “freie Wortstellung” sind vor allem gewisse altindogermanische Sprachen, z.B. das Altgriechische und das klassische Latein. Das folgende Beispiel ist aus dem homerischen Griechisch:

Hier stehen das Verb und das dieses unmittelbar modifizierende Adverb am Anfang und Ende des Satzes, getrennt durch sämtliche anderen Dependenten des Verbs. Bezugsnomen und Adjektivattribut des limitativen Objekts sind wiederum durch zwei andere Konstituenten voneinander getrennt. Noch extremer ist die Stellungsfreiheit in folgendem lateinischen Beispiel:

Hier sind gezielt sämtliche Attribute von ihren Bezugsnomina getrennt. Wenn einem die Wortstellungsfreiheit die Grammatiktheorie stört, kann man Beispiele wie dieses unter Hinweis auf dichterische Freiheit herunterspielen und bezweifeln, daß diese Sprache – das poetische klassische Latein – überhaupt eine natürliche Sprache ist. Das nützt aber nichts, denn dieselbe Freiheit ist aus australischen Sprachen wie dem Dyirbal und dem Walbiri bekannt, die ausschließlich als gesprochene Sprachen existieren bzw. existiert haben.

Wenn man also von einer Sprache sagt, sie habe freie Wortstellung, so meint man, daß von einer bestimmten grammatischen Ebene an aufwärts die Stellung der bedeutungstragenden Einheiten freier ist als im Durchschnitt der Sprachen der Welt. Bei all solchen Aussagen ist freilich immer vorausgesetzt, daß die grammatischen (Komplexitäts-)Ebenen übereinzelsprachlich definiert und also in jeder Sprache identifiziert werden können. Dies ist durchaus problematisch. In den genannten altindogermanischen und australischen Sprachen könnte es so sein, daß im Prinzip oberhalb der Wortebene Stellungsfreiheit herrscht. Dann könnte man jedenfalls aus Stellungsgesetzmäßigkeiten kein Argument zur Unterscheidung syntaktischer Ebenen gewinnen.

Wortstellung und Flexion

Der relativ freien Wortstellung der altindogermanischen Sprachen hat man seit je die relativ feste Wortstellung der von ihnen abstammenden modernen Sprachen gegenübergestellt. Und gleichzeitig ist auch seit langem bekannt, daß die synthetisch-flexivische Struktur der altindogermanischen Sprachen einer analytischen Struktur Platz gemacht hat (vgl. Kap. 2.4). Daher ist die Behauptung nachgerade ein Gemeinplatz, daß die modernen indogermanischen Sprachen durch Wortstellung bezeichnen, was die altindogermanischen Sprachen durch Flexion ausdrücken. So sind B3.a - c (sowie die drei anderen möglichen Inversionen des Satzes) synonym; d.h. die syntaktische Funktion der Nominalsyntagmen hat nichts mit ihrer Stellung zu tun. Wenn man dagegen eine derartige Umstellung in der englischen Fassung versucht – B4.a vs. b – so nehmen die umgestellten Nominalsyntagmen die jeweils anderen syntaktischen Funktionen ein, und entsprechend ändert der Satz seine Bedeutung.

B3.a.agricolaanatemnecat
Bauer:NOM.SGEnte:AKK.SGtöt(PRS):3.SG
“der Bauer tötet die Ente”
 b.anatem necat agricola
c.necat anatem agricola
B5.a.the farmer kills the duckling
“der Bauer tötet die Ente”
b.the duckling kills the farmer
“die Ente tötet den Bauern”
c.*kills the duckling the farmer

Solche Verhältnisse haben zu Theorien der Ausdrucksmittel grammatischer Beziehungen geführt, wo die Wortstellung neben der Flexion (und einigen anderen) als solches Ausdrucksmittel figuriert (z.B. Sapir 1921:61).

Aus der Grammatikalisierungstheorie ergibt sich, daß die Sache sich etwas anders verhält. Grammatikalisierung ist ein reduktiver Vorgang, bei dem die betroffenen Zeichen – einfache und komplexe – an Autonomie verlieren und Beschränkungen unterworfen werden. Am Beginn des Prozesses steht z.B. eine Konstruktion aus einem Verb und seinem direkten Objekt. Das letztere ist durch den Akkusativ markiert und hat gegenüber ersterem freie Stellung (wie in B3). Grammatikalisierung der Konstruktion bedeutet nun, daß die Akkusativendung gegen Null geht. Gleichzeitig wird die Konstruktion aus Verb und direktem Objekt enger, d.h. stärkeren Beschränkungen unterworfen. Für die Stellung bedeutet das, daß ihre Freiheit reduziert wird; z.B. ist nur noch die postverbale Stellung möglich (wie z.B. in der französischen Entsprechung zu B3).

Die Wortstellung bedeutet also selbst nichts. Vielmehr kann der Hörer, der bemerkt, daß eine bestimmte Beschränkung befolgt wurde, schließen, daß die Bedingungen dafür vorliegen. Die Bedingungen ihrerseits können eine bestimmte grammatische Relation, z.B. die direkte Objektsrelation, einschließen; und so kann man z.B. von der postverbalen Stellung eines NSs darauf schließen, daß es direktes Objekt sein muß.

In der Geschichte der indogermanischen Sprachen ist also nicht ein Ausdruckmittel zur Bezeichnung syntaktischer Relationen – die Flexion – durch ein anderes – die Wortstellung – ersetzt worden. Sondern die betreffenden Konstruktionen sind der Grammatikalisierung unterworfen gewesen, die zum Verlust der Flexion und zur Verfestigung der Wortstellung geführt hat.

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