Falsche Abtrennung ist ein Fall von Reanalyse, der in einem Wort eine grammatische Grenze einzieht an einer Stelle, wo sie zuvor nicht lag. Der Terminus stammt aus der historischen Sprachwissenschaft des ausgehenden 19. Jh. und impliziert eine normative Wertung dieser Art grammatischen Wandels. Man kann aber den normativen Beiklang überhören und “falsch” auf das Verhältnis der späteren zu der früheren morphologischen Gliederung beziehen.
Helikopter ist ein Fremdwort für Hubschrauber. Es ist die deutsche Fassung von frz. hélicoptère, einer Prägung des Numismatikers, Archäologen und Universalgelehrten Gustave Ponton d'Amécourt aus dem Jahre 1861. Das Wort ist zusammengesetzt aus heliko-, dem Kompositionsstamm von griech. hélix “Gewinde, Spirale” (vgl. Doppel-
helix “Doppelspirale”), und pter, dem Rest von griech. pterón “Flügel” (vgl. Archäo-
pteryx “Urflügler”). Die morphologische Grenze in Heliko-
pter liegt also an der bezeichneten Stelle.
Seit dem Ende des 20. Jh. gibt es einige Typen von Fluggeräten, die Hubschraubern mehr ähneln als Flugzeugen, z.B. miniaturisierte Hubschrauber oder Hubschrauber mit mehr oder anders positionierten Rotoren. Für sie kursieren spätestens seit 2008 (Wikipedia) Bezeichnungen wie Mikrokopter “Minihubschrauber”, Quadrokopter “Hubschrauber mit vier Rotoren” und Multikopter “Hubschrauber mit vielen Rotoren”. Die ersten Bestandteile dieser Komposita sind geläufig. Die morphologische Grenze in diesen Wörtern ist also vor kopter.
Die soziolinguistischen Rahmenbedingungen für die Bildung von Fremdwörtern zur Bezeichnung technischer Geräte sind zu Beginn des 21. Jh. andere als 1861. Zu jener Zeit war erstens Griechisch eine übliche Quelle für Fremdwörter in zahlreichen semantischen Bereichen, und zweitens gab es um jemanden herum, der ein technisches Gerät konstruierte, genug Leute, die hinreichend Griechisch konnten. Die erste Bedingung ist heute nur noch in eingeschränkter Weise erfüllt. Griechisch gibt bis auf den heutigen Tag Termini im pharmazeutischen, medizinischen und biologischen Bereich ab, aber kaum mehr im technischen Bereich. Die zweite Bedingung ist im allgemeinen nicht mehr erfüllt. Die soziolinguistischen Voraussetzungen dafür, daß man bei der Neologie von Termini für Fluggeräte bei der griechisch basierten Komposition von Helikopter ansetzt, sind also nicht mehr erfüllt.
Das Wort Helikopter ist zwar offensichtlich das Vorbild für Neubildungen wie Quadrokopter und Mikrokopter. Es wurde aber wie folgt analysiert: Heli-
kopter. Diese Analyse hat keine morphologische Basis, weder im Griechischen noch in der deutschen Fremdwortmorphologie. Wodurch ist sie also motiviert?
Zunächst stellt man fest, daß keiner der beiden oben identifizierten ursprünglichen Bestandteile des Wortes im Deutschen produktiv ist: Von griech. heliko- gibt es sonst nur das Helikon, ein gewundenes Blechblasinstrument, das heute kaum noch für Marschmusik verwendet wird. Mit ptero- gibt es noch ein paar ornithologische Fachtermini, aber kein einziges Wort, das mit ptero begänne. Wer also Neologismen in Anlehnung an Helikopter bilden will, hat keinen Anhaltspunkt, wie dieses Wort zusammengesetzt ist.
Schlimmer noch: er wird als Sprecher einer anderen europäischen Sprache als Altgriechisch nicht annehmen, daß die Morphemgrenze an der Stelle liegt, wo sie lag, denn es gibt in diesen Sprachen keine Morpheme (und folglich keine Stämme und Wörter), die mit /pt/ beginnen. M.a.W.: die Kompositionsgrenze kann nicht vor dem /p/ liegen! Im Deutschen, wo trochäische Akzentmuster vorherrschen (vgl. Schráubenzìeher oder Pòlyméter), sprechen phonologische Gesichtspunkte für eine Zusammensetzung aus den Stämmen heli und kopter.
Falls die Zusammensetzung Heli-
kopter semantisch zu interpretieren wäre, wäre ein Helikopter ein durch Heli näher bestimmter Kopter. Nun kursieren in der Tat beide Bestandteile seit einiger Zeit separat. Heli ist – vor allem im Schweizerdeutschen – eine Abkürzung für Helikopter. (Kurzwörter pflegen Morphemgrenzen zu ignorieren.) Zudem ist spätestens seit 1996 (in Österreich) der Ausdruck Heliport i.S.v. “Hubschrauberflughafen” belegt. Und spätestens seit 2010 existiert in der Spezialliteratur auch das Wort Kopter als Sammelbegriff für hubschrauberartige Selbstflieger. Somit wäre Helikopter in der Tat als Determinativkompositum aus Hyponym und Hyperonym zu interpretieren, nach dem Muster von Eichbaum und Sturmwind.
Freilich kann Kopter auch nachträglich aus Mikrokopter und Quadrokopter abstrahiert sein (wie engl. burger aus hamburger, fishburger usw.). Somit bleibt als primäre Motivation für diese falsche Abtrennung die genannte phonologische.