Die Geschichte eines Worts setzt die diachrone Identität dieses Worts voraus, und zwar ggf. – bei Entlehnung – auch über Sprachgrenzen hinweg. Sie beginnt in dem Moment, wo es in einer Sprache – üblicherweise nach deren Wortbildungsregeln – gebildet wird. Allerdings setzt Geschichte hier wie auch sonst das Bestehen schriftlicher Belege voraus (s. Synchronie vs. Diachronie). Manche Wörter sind in einem Sprachstadium gebildet worden, das vor dem Stadium des frühesten historischen Belegs liegt. Das Schicksal eines solchen Wortes vor seinem frühesten Beleg kann dann nur rekonstruiert werden. Das ist dann jedenfalls nicht Angelegenheit der Wortgeschichte, sondern der Etymologie.

Viele Wörter gelangen durch Entlehnung in eine gegebene Sprache oder werden von dieser in andere Sprachen übernommen. Hier kann man je nach Erkenntnisinteresse die Wortgeschichte auf den Zeitraum beschränken, den das Wort in einer Sprache verbracht hat, oder man kann auch sein früheres Schicksal in der Gebersprache oder sein Schicksal in weiteren Nehmersprachen einbeziehen.

Als Beispiel diene das neugriechische Wort μπάνιο /bánjo/ “Bad (sowohl der Akt als auch der Raum)”. Seine Geschichte ist, vorwärts, aber stark vereinfacht erzählt, die folgende: Im Altgriechischen wird das Wort βαλανεῖον /balaneîon/ “Bad (Raum)” gebildet. Die Etymologie dieses Worts ist nicht ganz klar und wird hier übergangen.1 Jedenfalls wird es um die Mitte des 1. Jt. v.Ch. ins Lateinische entlehnt. Dort nimmt es die Form bal(i)neum an und bedeutet “Bad”, sowohl den Ort als auch den Akt.2 Die Form balneum ergibt im Vulgärlateinischen, nach Schwund oder Totalassimilation des /l/, etwas wie bannio. Dieses erscheint im Italienischen lautgesetzlich als bagno /baɲo/, mit derselben Bedeutung. Dieses Wort wird nun – im Mittelalter – ins Mittelgriechische entlehnt und nimmt – immer noch unter Wahrung der Bedeutung – die Form μπάνιο an, die es bis heute hat. Das Besondere an diesem Beispiel ist also, daß ein neugriechisches Wort nicht unmittelbar auf den altgriechischen Vorläufer zurückgeht, der tatsächlich bestand. Dieser letztere hingegen ist im Griechischen anscheinend ausgestorben.

Wie das Beispiel schon ahnen läßt, ist die Wortgeschichte von besonderem Interesse im Hinblick auf die Beziehung zwischen Sprache und Kultur. Die ursprüngliche Motivation und Bedeutung von Wörtern lehrt oft einiges über die geistige und materielle Kultur ihrer Sprachgemeinschaft. (Hieran war vor allem die sprachwissenschaftliche Bewegung ‘Wörter und Sachen’ interessiert, die in Deutschland besonders zwischen den Weltkriegen aktiv, aber etwas völkisch angehaucht war.) Besonders die Ausbreitung von Lehnwörtern folgt naturgemäß oft der Ausbreitung ihrer Denotata. Extremfälle sind sogenannte Wanderwörter, also Wörter, die sich durch Entlehnung in einer großen Anzahl von Sprachen wiederfinden. Dazu gehören z.B. Bezeichnungen für Naturprodukte; diese lassen sich nicht so leicht wie etwa Artefakte mithilfe von Wortbildung umschreiben. Bekannte Beispiele für Wanderwörter sind daher die Wörter für ‘Wein’, ‘Tee’, ‘Kaffee’, ‘Banane’.


1 Es soll auf βαλανεύς /balaneús/ “Bader” zurückgehen. Aber das ist erstens semantisch nicht sehr plausibel. Und zweitens hilft es kaum weiter, denn den beiden Wörtern ist eine Wurzel *balan gemeinsam, die ihrerseits keine Etymologie, schon gar keine griechische, hat.

2 Falls das altgriechische Wort wirklich nur den Ort bedeutet hat - was widerlegt, aber schwerlich bewiesen werden kann -, dann läge im Lateinischen ein Fall von Metonymie vor, die vom Ort zu der dort vollzogenen Handlung führt. Meist ist es umgekehrt.