Empathie ist ungefähr dasselbe wie Einfühlung bzw. Einfühlungsvermögen. Mit jemandem empathisch zu sein bedeutet, sich in ihn hineinzuversetzen. Dabei stellt man sich nicht nur vor, man wäre der andere, sondern man denkt und empfindet in gewissem Umfang tatsächlich so wie er. Die Voraussetzung dafür ist, daß man den anderen als sich selbst ähnlich empfindet. Die wichtigste Kategorisierung in diesem Zusammenhang ist die als Person: Man selbst ist eine Person; ein menschliches Individuum ist ebenfalls eine Person; ein tierisches höchstens in Analogie; ein Ding ist keine Person, außer man personifiziert es. Die Folge von Empathie ist, daß man an den Emotionen des anderen teilnimmt und ihm dieselbe Behandlung zugesteht wie sich selbst.
Empathie wird differentiell gehandhabt: Menschen sind mit Menschen empathischer als mit Tieren, mit höheren Tieren empathischer als mit niederen, mit Tieren empathischer als mit Pflanzen, mit Pflanzen empathischer als mit anorganischer Materie. Dies ist größtenteils biologisch vorgegeben. Empathie hat eine neurale Grundlage in den Spiegelneuronen, die angeregt werden, wenn man Artgenossen handeln oder leiden sieht.
Manifestationen in der Sprache
In der Sprache manifestiert sich differentielle Empathie darin, daß Ausdrücke, die Entitäten bezeichnen, grammatisch – morphologisch und syntaktisch – unterschiedlich behandelt werden. Das sind i.w. nominale Ausdrücke wie Pronomina, Substantive, Nominalsyntagmen. Ein einfaches Beispiel ist der nominale Numerus: Nicht alle nominalen Ausdrücke werden pluralisiert. Im Deutschen kommen viele Abstrakta wie Verstand, Haß und Empathie nur im Singular vor. Im Mandarin-Chinesischen werden nur Substantive, die Menschen bezeichnen, sowie die Personalpronomina in den Plural gesetzt. Das Prinzip ist: wenn in einer Sprache nominale Ausdrücke einer gegebenen Empathiestufe Numerus aufweisen, dann weisen auch alle nominalen Ausdrücke höherer Empathiestufen nominalen Numerus auf. Die Motivation dafür ist, daß Menschen sich für Entitäten, mit denen sie empathisch sind,1 eher als Individuen interessieren; anempathische2 Entitäten wie Unkraut, Zeug, Gewirr werden nicht individuiert.
Die Designata nominaler Ausdrücke lassen sich also auf einer universalen Empathiehierarchie wie folgt anordnen:
‘SAT’ bedeutet “Sprechaktteilnehmer”. Tatsächlich ist es für die meisten Zwecke so, daß der Sprecher die Spitze der Empathiehierarchie besetzt; es gibt nur wenige Gegenbeispiele, wo der Hörer höher rangiert. Die Hierarchie ist insoweit nicht nur anthropozentrisch, sondern geradezu egozentrisch. (Sie heißt deshalb gelegentlich auch (weniger angemessen) deiktische Hierarchie.) Mit ‘Gegenstand’ ist hier ein physikalisches Objekt gemeint. ‘Entität’ wird in einem eingeschränkten Sinne verwendet, so daß es Propositionen ausschließt. Unter Propositionen hinwiederum fallen Abstrakta wie die zuvor genannten.
Die Empathiehierarchie wird oft (z.B. in Comrie 1981) Belebtheitshierarchie (animacy hierarchy) genannt. Die Tatsache, daß der ausschlaggebende Faktor wirklich Empathie und nicht Belebtheit ist, wird an mehreren Positionen der Hierarchie evident, von denen einige bereits im Schaubild dargestellt sind. Da ist zum ersten der Unterschied zwischen den grammatischen Personen (erste, zweite, dritte), der mit Belebtheit bestenfalls am Rande zu tun hat. Zum anderen differenzieren viele Sprachen noch innerhalb der Ebene der Menschen oder der Tiere. Z.B. rangieren manchmal Referenten von Eigennamen höher als solche von Appellativa, Verwandte höher als Nicht-Verwandte. Bei den Tieren rangieren Haus- und Schoßtiere höher als andere Tiere. Bei den unbelebten Gegenständen wird manchmal unterschieden zwischen selbstbewegten wie Bussen und Fahrstühlen und trägen wie Büchern und Laternen. All dies hat offensichtlich präzise mit Empathie und absolut nichts mit Belebtheit zu tun. Der Gegensatz zwischen ‘belebt’ und ‘unbelebt’ ist vielmehr gerade eine der Abstufungen der Hierarchie.
Der Parameter dieser Abstufung zeigt sich, wie eingangs gesagt, in dem Maße, in dem man den Referenten als Person behandelt. Eine Person hat Bewußtsein, Absichten, Willen und Gefühle. Wenn man also z.B. einen Computer grammatisch so behandelt, als stünde er auf einer höheren als der dritten Stufe der Empathiehierarche, so schreibt man ihm nicht Belebtheit oder gar Menschlichkeit zu, sondern man personifiziert ihn zu einem gewissen Grade (Lyons 1977:442f).
Neben der Empathiehierarchie steht eine Referentialitätshierarchie, wo definite nominale Ausdrücke über indefiniten und spezifische über unspezifischen stehen. Diese interagiert zwar mit der Empathiehierarchie, insofern die Spitze der letzteren von definiten und spezifischen Referenten besetzt ist, steht aber im Augenblick nicht zur Debatte.3
Die Empathiehierarchie ist in der Grammatik der Sprachen auf viele Weise wirksam; keine Sprache ignoriert sie gänzlich. Es folgen einige grammatische Bereiche, in denen typischerweise die Empathiehierarchie strukturierend wirkt.
Numerus
Numerusunterscheidung ist in den meisten Sprachen optional bzw. von der Klasse des betreffenden NSs abhängig. M.a.W., normalerweise ist es nicht so wie (meist) im Deutschen und altindogermanischen Sprachen, daß wenn mehrere gemeint sind, die Pluralform des Substantivs zu wählen ist. Vielmehr wird das Pluralmorphem oft nur für empathischere Gegenstände benötigt, während es an anempathischen nie auftritt. Im Mandarin ist das Pluralsuffix -men. Es wird auf der Hierarchie abwärts bis zu den menschlichen einschließlich benutzt. Dasselbe gilt für das japanische Pluralsuffix -tati.
Kasus
In indogermanischen Sprachen sind z.B. Nominativ und Akkusativ bei neutralen Substantiven synkretisch. Die Endung ist entweder Null (z.B. lat. genus) oder identisch mit der Endung, die in anderen Genera als Akkusativ dient (z.B. lat. verbum). Im rekonstruierten Urindogermanisch war das Genussystem noch stärker semantisch motiviert, derart daß Maskulina und Feminina eher Belebte, Neutra eher Unbelebte bezeichneten. Unbelebte sind typische Undergoer und normalerweise nicht Actor. Die unmarkierte semantische Funktion für sie ist daher die inaktive; Agens des transitiven Verbs kommt nicht in Betracht. Daher dient der unmarkierte Kasus bei ihnen nicht nur als Nominativ, sondern auch als Akkusativ. Ursprünglich gab es also bei empathischeren Substantiven eine Kasusdistinktion, welche bei anempathischeren fehlte.
Morphologische Positionen
Ein letztes Beispiel betrifft die Reihenfolge der Personalsuffixe am Verb (und possedierten Substantiv) des yukatekischen Maya. Transitive Verbformen haben Personalsuffixe für Subjekt und direktes Objekt. In vielen Sprachen ist für jede syntaktische Funktion eine morphologische Position reserviert. Im yukatekischen Maya jedoch werden die Suffixe wie in B1 gereiht.
B1. | a. | t-a | hats' | -e'x | -o'b |
PRT=SBJ.2 | schlag | -2.PL | -3.PL | ||
“ihr schlugt sie” |
b. | t-u | hats' | -e'x | -o'b | |
PRT=SBJ.3 | schlag | -2.PL | -3.PL | ||
“sie schlugen euch” |
Eine vollständige Beispielserie mit allen möglichen Kombinationen der Personen in den beiden Funktionen würde beweisen (s. Lehmann 2002, ch. 3.2.1.1.1.2), was B1 bloß illustriert: Die Reihenfolge der Suffixe hat nichts mit den syntaktischen Funktionen zu tun, sondern folgt abnehmender Empathie.
Übungsaufgabe: Pronominalisierung im Deutschen
Literatur
Bauer, Joachim 2005, Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hamburg: Hoffmann & Campe.
Keysers, Christian & Gazzola, Valeria 2006, "Towards a unifying neural theory of social cognition." Progress in Brain Research 156:379-401.
Kuno, Susumu & Kaburaki, Etsuko 1977, "Empathy and syntax." Linguistic Inquiry 8:627-672.
Lehmann, Christian 2002, Possession in Yucatec Maya. Erfurt: Seminar fur Sprachwissenschaft der Universitat (ASSidUE, 10) (2nd revised edition); ch. 1.2.2.1.1.
1 oder einfach empathische Entitäten
2 Das Gegenteil von empathisch ist anempathisch, so wie aerob - anaerob oder ästhetisch - anästhetisch.
3 Und auch ‘Referentialitätshierarchie’ wird gelegentlich als Name für die Empathiehierarchie verwendet.