Grundsätzliches
Bereits Actor und Undergoer sind eher Rollenschemata als semantische Rollen. Und das Subjekt bzw. der Absolutiv, in welchen sie im intransitiven Satz zusammengelegt sind, sind dann vollends desemantisiert. Die syntaktischen Funktionen sind also semantisch weitgehend leer. Das Subjekt insbesondere ist weniger eine Grammatikalisierung des Agens als vielmehr eine solche des Topics, also einer Funktion der Informationsstruktur. In dieser Funktion ist es von der Semantik gänzlich unabhängig. Bei jedem gegebenen Verb kann nur einer der Partizipanten Valenzsubjekt sein. Wegen der Informationsstruktur ist es aber wünschenswert, daß auch einmal ein anderer Partizipant Subjekt wird oder daß, umgekehrt, das in der Valenz vorgesehene Subjekt auch einmal ausgeblendet wird. Eine Diathese1 ist eine syntaktische Operation, deren Funktion die Manipulation der Abbildung semantischer Rollen auf syntaktische Funktionen, anders gesagt das Rearrangement der in einem Satz vertretenen Partizipanten bzgl. der von ihnen eingenommenen syntaktischen Funktionen ist. Sie kann sich strukturell auf verschiedene Weisen manifestieren. Im Deutschen und vielen anderen Sprachen geschieht dies in einer verbalen Flexionskategorie, genannt Genus verbi, welche Aktiv und Passiv umfaßt. Diese Termini werden auch für die von diesen Genera verbi markierten Diathesen verwendet. Neben diesen in Form von Konjugationskategorien grammatikalisierten Diathesen gibt es noch weitere, die im Deutschen durch weniger grammatikalisierte Periphrasen gebildet werden, darunter das sogenannte Rezipientenpassiv vom Typ Erna bekam ein Märchen vorgelesen. Allen Diathesen ist jedenfalls gemeinsam, daß die hierarchisch höchste syntaktische Funktion manipuliert wird, sei es, daß sie freigemacht wird, sei es, daß ein verbaler Dependent in diese Funktion gebracht wird.
Diathesen im akkusativischen System
Das Verhältnis von Aktiv zu Passiv wird anhand von veranschaulicht.
. | a. | Erna briet den Pilz. |
b. | Der Pilz wurde (von Erna) gebraten. |
Das Aktiv ist die unmarkierte Diathese, in der keine besondere Operation angewandt wird und in der folglich die elementare, lexikalisch vorgegebene Valenzstruktur des Verbs vorliegt. Der Zweck einer Diathese ist es, die (im Aktiv vorgegebene) Zuordnung eines Partizipanten zur Subjektfunktion zu verändern. Dabei kann es auf zweierlei ankommen:
- Entweder wird das Subjekt ausgeblendet, d.h. der Partizipant, welcher in der Valenz für die Subjektfunktion vorgesehen ist, wird in eine niedrigere syntaktische Funktion gebracht oder überhaupt unerwähnt gelassen. Hier geht es also um die Demotion des Subjekts. In wird Erna entweder in ein PräpS (eine sog. “Agensphrase”) überführt oder überhaupt weggelassen.
- Oder ein Partizipant, der in der Basisvalenz nicht für die Subjektfunktion vorgesehen ist, wird doch in diese Funktion gebracht.Hier geht es also um Promotion zum Subjekt. In wird der Pilz vom direkten Objekt zum Subjekt.
Das folgende Schaubild stellt diese Vorgänge durch Pfeile dar. Die Indices A und U bedeuten “Actor” und “Undergoer”. Vom ‘Rang’ von Satzgliedern ist mit Bezug auf die Hierarchie der syntaktischen Funktionen die Rede.
Satzglieder Diathese ╲ |
ranghöchstes | weiteres |
Aktiv | SubjektA | dir. ObjektU |
---|---|---|
Passiv | SubjektU | (AdverbialA) |
Nach diesem Schaubild sieht es so aus, als wäre das deutsche Passiv (d.h. die diathetische Operation der Passivierung) sowohl promotiv als auch demotiv. Es kann allerdings (so wie das lateinische, aber anders als das englische Passiv) auch von intransitiven Verben, wie in , gebildet werden:
. | a. | Alle tanzten. |
b. | Es wurde (von allen) getanzt. |
Diese Operation promoviert klärlich nichts, sondern demoviert lediglich das Subjekt. Da sowohl in als auch in demoviert, jedoch nur in promoviert wird, ist das deutsche Passiv in erster Linie demotiv. Die Promotion des Objekts zum Subjekt in bzw. im Schaubild würde sich dann dadurch erklären, daß die Subjektsstelle durch die Demotion frei geworden ist, die deutsche Syntax aber sehr enge Beschränkungen für Sätze ohne Subjekt hat, d.h. meist ein Subjekt erzwingt. (Denselben Zweck erfüllt übrigens das “expletive” es in .b.)
Ähnliches stellt man fest, wenn man einen Satz mit indirektem Objekt passiviert, wie in .
. | a. | Alle gehorchten dem Lehrer. |
b. | Dem Lehrer wurde (von allen) gehorcht. |
Das ist zwar ohne weiteres möglich, aber das indirekte Objekt wird dadurch nicht Subjekt. Das deutsche Passiv ist also eine Operation, die in erster Linie das Subjekt demoviert, in zweiter Linie das direkte Objekt, wenn eines im Satz ist, zum Subjekt promoviert, und weiter kein anderes Satzglied berührt. Die Diathese gibt also Evidenz für die Ansetzung der Hierarchie der syntaktischen Funktionen ab.
Diathesen im ergativischen System
Im ergativischen System ist die Absolutivfunktion
die hierarchisch höchste. Eine Diathese, die den Undergoer in die
hierarchisch höchste Funktion bringt, wird hier nicht gebraucht, weil
er schon darin ist. Stattdessen braucht man hier eine Diathese, welche
den Actor in die privilegierte Funktion bringt. Diese Operation zeigt
im Vergleich zu (=
B2.a aus dem Abschnitt über
Fundamentalrelationen).
. | balan | djugumbil | baŋgul | yaɽa-ŋgu | balgan | |
Dyir | DET:F(ABS) | Frau(ABS) | DET:M:ERG | Mann:ERG | schlag:REAL | |
“Der Mann schlägt die Frau.” |
. | bayi | yaɽa | balgal-aɲu |
Dyir | DET:M(ABS) | Mann(ABS) | schlag-ANT:NFUT |
“Der Mann ist am schlagen.” |
Der Actor hat in dieselbe syntaktische Funktion, nämlich Absolutiv, wie in .a oben. Die Operation, die dieses leistet, ist folglich spiegelbildlich zum Passiv. Dies zeigt auch das folgende Schaubild im Vergleich mit dem vorigen.
Satzglieder Diathese ╲ |
ranghöchstes | weiteres |
Aktiv | AbsolutivU | ErgativA |
---|---|---|
Antipassiv | AbsolutivA | (AdverbialU) |
Das Pendant des Passivs in ergativischen Sprachen heißt Antipassiv. Ein Passiv wird - wenigstens in den syntaktisch ergativischen Sprachen2 - nicht benötigt, denn bereits die aktivische Konstruktion weist Ähnlichkeit mit der passivischen des akkusativischen Systems auf. Dies zeigt auch ein weiteres Kriterium: In akkusativischen Systemen ist das direkte Objekt bei vielen Verben optional, so wie in .
. | a. | Erna jagt den Hirsch. |
b. | Erna jagt. |
Optional ist also dasjenige Satzglied, welches die zweite hierarchische Position einnimmt, während das oberste obligatorisch ist. Im ergativischen Satzbau ist es genauso, wie im Vergleich mit .a oben zeigt:
. | balan | djugumbil | balgan |
Dyir | DET:F(ABS) | Frau(ABS) | schlag:REAL |
“Die Frau wird geschlagen / jemand/“es” schlägt die Frau.” |
entsteht aus oben durch Weglassung des Ergativs, also des Satzglieds der zweiten Hierarchiestufe. Auch hierin gleicht die aktivische Konstruktion des ergativischen Systems der passivischen des akkusativischen Systems und ist zu der aktivischen des akkusativischen Systems spiegelbildlich.
1 Dem griechischen Terminus entsprechen wörtlich lat. Disposition, frz. arrangement.
2 In manchen Sprachen folgt nur die morphologische Markierung der Aktanten dem ergativischen Muster, während ihre syntaktische Distribution so wie im akkusativischen System ist. Solche ergativischen Sprachen können dann auch ein Passiv brauchen.