Stellung syntaktischer Einheiten
Wenn ein Satz nichts als eine Kette von Wörtern wäre, dann könnte man über die Stellung der Wörter in unserem Beispielsatz nicht mehr sagen als: Zuerst kommt Ludwig, darauf folgt fährt, darauf folgt den usw.
. | Ludwig fährt den Wagen in die Garage. |
[S[NSLudwig] [VS[VS[Vfährt] [NS[Detden] [NWagen]]] [PräpS[Präpin] [NS[Detdie] [NGarage]]]]] |
Bzw., da die Grammatik ja von Kategorien und nicht von bestimmten Wörtern redet: Zuerst kommt ein Nprop, darauf folgt ein Vtr.fin, darauf folgt ein Det, usw. Auf die Frage nach der Stellungsregel für das Det im Deutschen würden wir dann vielleicht antworten: Es folgt auf ein Vtr.fin. Daß das unangemessen ist, zeigt bereits das zweite Det in demselben Satz.
Ein Satz ist jedoch nicht lediglich eine Kette von Wörtern, sondern eine hierarchische Struktur von Syntagmen verschiedener Kategorien, zwischen denen Dependenz- und Soziationsrelationen bestehen. Wortstellung ist daher nicht einfach eine Anreihung von links nach rechts, sondern es ist die Positionierung von Syntagmen mit Bezug auf Einheiten der syntaktischen Struktur. Als erstes ist also festzuhalten, daß der Terminus ‘Wortstellung’ irreführend ist, weil es um die Stellung nicht nur von Wörtern, sondern von syntaktischen Einheiten allgemein geht.
Gestelltes Element und Bezugspunkt
Angesichts einer Kette wie xbay
könnte man die Frage nach der Stellung von a
und b
mit der Aussage beantworten, sie stünden in der Reihenfolge 'ba
'. Solche Aussagen kommen tatsächlich in der Grammatik nicht vor. Wortstellung ist immer relativ, d.h. es dreht sich immer um die Stellung eines Elements mit Bezug auf einen (relativen) Fixpunkt. Eine mögliche grammatische Aussage wäre also 'a
steht hinter b
', oder 'b
und a
stehen in dieser Reihenfolge vor y
'.
bietet ein einfaches Beispiel: Eine der traditionellen lateinischen Noten zur Bewertung des Rigorosums lautet
. | summa | cum | laude |
Lat | höchst:ABL.SG.F | mit | Lob(F):ABL.SG |
“mit höchstem Lob” |
Die normale Wortstellung wäre ebenso wie in der deutschen Übersetzung. Ist hier nun die Präposition hinter das Attribut oder vor das Bezugsnomen oder ist das Attribut vor die Präposition gestellt worden? Die korrekte Analyse ist diejenige, welche auf einer allgemeinen Regel beruht; und diese kann man hinwiederum nur finden, indem man viele gleichartige Fälle analysiert. Da stellt man fest, daß die normale Stellung der Präposition vor dem regierten NS ist und daß es keine Regel gibt, sie irgendwo anders hinzustellen. Dagegen gibt es wohl eine Regel der Voranstellung eines Wortes zum Zwecke der Emphase. Das Wort summa in dem Beispielausdruck ist nach vorne verschoben, und es ist tatsächlich emphatisch (und sogar kontrastiv, nämlich im Vergleich zu den alternativen Noten) hervorgehoben. Folglich lautet die hier angewandte Wortstellungsregel: verschiebe diejenige Konstituente eines Syntagmas S
, welche emphatisch hervorgehoben ist, an den linken Rand von S
.
Ein etwas komplexeres Beispiel ist der Einleitungssatz von Tacitus' Annales (1,1):
. | Urbem | Romam | a | principio | reges | habuere. |
Lat | Stadt(F):ACC.SG | Rom(F):ACC.SG | von | Anfang(N):ABL.SG | König(M):NOM.PL | hab:PERF(IND):3.PL |
“Die Stadt Rom hatten von Anfang an Könige.” |
In bezug auf jede Konstituente des Satzes kann gefragt werden, nach welcher Regel sie an ihrer Stelle steht. Da muß man zunächst wissen, daß in dieser Varietät des Lateinischen das Hauptverb normalerweise am Ende des Satzes steht. Folglich ist über die Stellung von habuere nichts weiter zu sagen. Ferner steht, wenn keine besonderen Bedingungen gelten, das Subjekt normalerweise am Anfang des Satzes und folglich vor irgendwelchen anderen Dependenten des Verbs. In jedoch steht das direkte Objekt am Anfang. Dies kann durch eine Regel bedingt sein, die ein topikalisiertes Satzglied an den Satzanfang stellt. Eine solche Verschiebung macht in durchaus Sinn, denn Tacitus' Geschichte handelt in der Tat von der Stadt Rom.
Dadurch ist allerdings noch nicht die Stellung von reges erklärt. Denn wenn weiter nichts als die Topikalisierung von urbem Romam stattgefunden hätte, müßte der Satz urbem Romam reges a principio habuere lauten. Hier kommt nun der eigentlich knifflige Teil der Analyse: Die Verbendstellung ist von der Informationsstruktur ausgenommen; m.a.W. das Hauptverb bildet selber den rechten Bezugspunkt für Operationen der Informationsstruktur. Eine rhematische oder fokussierte Konstituente steht so weit rechts wie möglich. Dies trifft hier auf reges zu. Folglich ist in diesem Satz das Subjekt zum Zwecke der Hervorhebung nach rechts verschoben. Wenn nun in nur dies stattgefunden hätte, könnte der Satz ebensogut a principio urbem Romam reges habuere lauten. Folglich sind hier zwei Wortstellungsregeln angewandt worden: Verschiebung des Objekts an die linke Satzgrenze zum Zwecke der Topikalisierung, Verschiebung des Subjekts an den (soeben definierten) rechten Rand zum Zwecke der Rhematisierung. (Man bemerke, daß in diesem Falle die deutsche Übersetzung wenig Mühe hat, das nachzumachen.) Über die Stellung der Konstituente a principio dagegen ist nichts zu sagen.
Skopusstellung
Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Arten der Stellung bedeutungstragender Einheiten, nämlich Skopusstellung und Schablonenstellung. Wir betrachten zunächst die Skopusstellung anhand von .
. | die versnobten reichen englischen Adligen |
Die Stellung des definiten Artikels im Deutschen kann man nicht angeben als "vor dem Substantiv", denn es können ja, wie in , Adjektivattribute dazwischen stehen. Man kann natürlich auch nicht sagen "vor dem Adjektivattribut", denn die Adjektivattribute können ja fehlen. Aus demselben Grunde kann man nicht sagen, er stehe an vierter Position vor dem Bezugsnomen. Vielmehr setzt die Stellungsregel die syntaktische Konstruktion voraus, an der der definite Artikel teilnimmt, also
[ Det [ Nom ] ]NS.
Die interne Struktur des Nominals ist dabei gleichgültig. Folglich ist die Stellung des definiten Artikels so anzugeben: er steht (unmittelbar) vor dem Nominal, das er determiniert. Da das Nominal der Kern der Konstruktion ist, ist auch die Formulierung "das Nominal steht hinter seinem definiten Artikel/Determinator" unangemessen.
Allgemein gesagt: Gegeben eine Dependenzrelation, in der X
von Y
abhängt; dann wird die Stellung von X
mit Bezug auf Y
angegeben (und nicht umgekehrt und nicht mit Bezug auf Z ≠ Y
).
In einem NS ist der Determinator der Operator und das Nominal der Operand. Gemäß obiger Definition ist der Operand der Skopus (oder: im Skopus) des Operators. Im einfachsten Fall steht ein Operator neben dem Operanden, über den er Skopus hat. Die Stellung des deutschen definiten Artikels ist also ein Fall von Skopusstellung.
. | a. | Auch Erna kommt morgen. |
b. | Erna kommt auch morgen. |
In geht es noch einmal (↰) um die Stellung von auch. In .a steht es vor dem Subjekt, in b vor einer adverbialen Bestimmung. Die Sätze haben verschiedene Bedeutung: in .a wird Erna gegenüber anderen Leuten hervorgehoben, deren Kommen vorausgesetzt wird, in b wird dagegen morgen hervorgehoben gegenüber anderen Gelegenheiten, zu denen Ernas Kommen vorausgesetzt wird. Auch hat Skopus über das Syntagma, das so hervorgehoben wird. Die Kategorie und syntaktische Funktion dieses Syntagmas spielt offenbar keine Rolle. Hier lautet das Stellungsgesetz also: das unakzentuierte auch steht unmittelbar vor dem Syntagma, über das es Skopus hat.
Schablonenstellung
. | a. | Habe ich es ihm gegeben? |
b. | Hast du sie mir gegeben? | |
b. | Hat sie ihn dir gegeben? |
In geht es um die Reihenfolge der Personalpronomina. Durch Einfügung weiterer Satzglieder stellt man zunächst fest, daß der zentrale Bezugspunkt das finite Verb bzw. Hilfsverb ist und daß die Pronomina diesem unmittelbar folgen. Hier liegt aber keine syntaktische Struktur wie [[[[habe] ich] es] ihm] oder [habe [[ich es] ihm ] oder irgendetwas Ähnliches vor, was eine Hierarchie unter den Pronomina schüfe. Außer dem Subjektspronomen, das vom Auxiliar abhängt, hat keines der Pronomina Skopus über eines der benachbarten Syntagmen. Hier kann also keine Skopusstellung vorliegen. Offensichtlich stehen die Personalpronomina in der Reihenfolge 'Subjekt - direktes Objekt - indirektes Objekt' (wobei die Vertauschung der beiden Objekte eine weniger übliche Alternative ist). Es besteht eine Schablone (engl. template), gemäß welcher die Einheiten hinter dem Verb zu reihen sind, so wie hier dargestellt.
Die Schablone wird mit einem Fixpunkt im Syntagma - im Beispiel ist es das finite Verb - zur Deckung gebracht, und die Elemente, um deren Stellung es geht, werden in die vorgesehenen Positionen eingesetzt. Die Besetzung einer Schablonenposition kann fakultativ sein. Das gilt für alle Positionen in diesem Beispiel. Die Reihenfolge der vorhandenen Elemente bleibt davon unberührt. D.h. es ist selbstverständlich nicht so, daß in einem Syntagma wie habe es dir gegeben das Pronomen es die für das Subjektspronomen reservierte Position einnähme.
Solche Schablonen werden oft auch auf morphologischer Ebene verwendet, weil dort keine syntaktischen Relationen herrschen. Die Schablone für die finite Verbform des Deutschen ist einfach
‘Lexemstamm (- Tempus) - Personalendung’,
wobei die Tempusposition nur durch das Präteritalsuffix -t besetzt werden und auch leer bleiben kann.
Skopusstellung vs. Schablonenstellung
Schablonen sind dort angemessen, wo eine "flache", also keine hierarchische Struktur herrscht. Das ist typischerweise dort der Fall, wo keine Dependenzrelationen bestehen:
- Es gilt für Sequenzen von Klitika (s. ‘Phonetik & Phonologie’, Kap. 15), wie in , sowie für die Reihenfolge der Morpheme in Flexionsformen. Schablonenstellung wird hier nicht semantisch interpretiert und ist daher typisch für fortgeschrittenen Grammatikalisierungsgrad.
- Es gilt für die Informationsstruktur, wo es nur um Grade der Topikalität und der Rhematizität, aber nicht um semantische oder syntaktische Abhängigkeit von Komponenten geht. Daher sind die durch und illustrierten Wortstellungen ebenfalls Fälle von Schablonenstellung.
In derivierten Formen dagegen spielt Umkategorisierung eine wichtige Rolle. Diese schafft eine hierarchische Struktur. In bezug auf die Abfolge der Morpheme bedeutet dies, daß an den Stamm der Kategorie Ki zunächst solche Morpheme antreten, die eben Ki voraussetzen. Das sind Operatoren, die den Operanden in die Kategorie Kj überführen; und nun treten solche Morpheme an, die Kj voraussetzen. Dies kann sogar rekursiv geschehen, wie in der Derivationskette
obrig - Obrigkeit - obrigkeitlich - Obrigkeitlichkeit.
Hier sind Schablonen unangebracht; Umkategorisierungsoperatoren haben Skopusstellung.
Schablonenstellung ist komplexer als Skopusstellung:
- Skopusstellung ist nur eine Begleiterscheinung einer bestehenden binären grammatischen Relation, in der
X
vonY
abhängt. Um die Stellung fürX
anzugeben, muß man daher nur sagen, auf welcher Seite vonY
es steht. - Für Schablonenstellung dagegen muß man zunächst einen Fixpunkt
Y
vorgeben, zu demX
evtl. gar keine grammatische Relation hat, und dann muß man die Position vonX
durch die Seite und die numerische Distanz vonY
spezifizieren.
Deshalb ist es methodisch in jedem Einzelfall geschickt, zunächst die Möglichkeit auszuloten, ob Skopusstellung vorliegt. Erst wenn diese Analyse scheitert, sollte man zur Schablone greifen.
Die folgende Tabelle resümiert den Vergleich zwischen Skopus- und Schablonenstellung:
Kriterium | Skopusstellung | Schablonenstellung |
---|---|---|
Stellung durch semantische Relation motiviert | ja | nein |
binäre Relation zwischen gestelltem Element und Bezugspunkt | ja | nicht unbedingt |
gestelltes Element zu Bezugspunkt adjazent | ja | nicht unbedingt |
Syntagma in der Position expandierbar | ja | nein |
Rekursion | möglich | unmöglich |
grammatische Struktur | hierarchisch | flach |
1. | Stellung von nur |
2. | Deutsche Satzgliedstellung I |
3. | Deutsche Satzgliedstellung II |
4. | Morphologie des Swahili 1 |
5. | Morphologie des Swahili 2 |
6. | Syntaktische Beschreibung |