Verschriftung von Sprachen

Orthographie

Das Significans eines Sprachzeichens ist ein wahrnehmbarer Ersatz für das Significatum. Sein einziger Zweck ist es, dem Significatum so direkt und regelmäßig zu entsprechen wie möglich. Als wahrnehmbares Phänomen unterliegt es freilich den Gesetzen und Beschränkungen, die das Medium und die Möglichkeiten der Produktion und der Wahrnehmung von Phänomenen in diesem Medium diktieren. Viele phonologische und phonetische Beschränkungen und Prozesse sind nicht funktional im Hinblick auf die Semiose, behindern sie gar und rechtfertigen sich nur durch die spezifischen Eigenschaften des auditiven Mediums.

Die Wiedergabe von Sprachzeichen durch Schrift ist ihre Übermittlung in einem nicht-auditiven Medium. Bezüglich der Notwendigkeit, eine direkte Assoziation mit dem Significatum zu ermöglichen, und der Unzuträglichkeiten, welche die dem visuellen Medium eigenen Gesetze und Beschränkungen mit sich bringen, gilt dasselbe wie für das auditive Medium.

Ein Schriftsystem, dessen Ausdrücke Sprachzeichen unmittelbar repräsentieren, ist z.B. ein logographisches System: jedes Zeichen steht für einen Begriff.

Von Schriftsystemen wird häufig verlangt, sie müßten das Lautsystem, genauer: die Struktur des Significans, insbesondere seine Zusammensetzung aus Lautsegmenten, wiedergeben. Dies Verlangen läuft mindestens auf eine Silbenschrift, normalerweise jedoch auf ein alphabetisches Schriftsystem hinaus, evtl. sogar ein solches Alphabet, wo jeder Buchstabe einem Laut entspricht. Diese Forderung ist in zweifacher Hinsicht zu bewerten:

1. In systematischer Hinsicht ist die Forderung unsinnig. Es ist nicht Aufgabe eines Schriftsystems, diejenigen Beschränkungen, Variationen, Unregelmäßigkeiten usw. nachzuahmen, die im Lautsystem nur deswegen passieren, weil das lautliche Medium sie bedingt. Solche Modifikationen sind dem visuellen Medium als solchem fremd und dienen nicht dem Ziel, direkten Zugriff auf das Significatum zu ermöglichen, sondern laufen ihm im Gegenteil zuwider. Die oft gehörte Forderung, eine Schrift solle die Aussprache möglichst getreu wiedergeben, ist wissenschaftlich nicht haltbar und wird übrigens aus gutem Grunde nie befolgt. Unter systematischem Gesichtspunkt ist im Gegenteil eine logographische Schrift vorzuziehen.
Der systematische Gesichtspunkt hat auch eine ökonomische Konsequenz: Die unmittelbare Zuordnung von Schriftzeichen zu Significata der Sprache erleichtert und beschleunigt das Schreiben und Lesen. Dies ist durch vergleichende Studien von alphabetischen und logographischen Systemen empirisch erwiesen.

2. In ökonomischer und pädagogischer Hinsicht ist andererseits der Aufwand, der für das Erlernen des Schriftsystems anfällt, in Rechnung zu stellen. Da Personen, die das Schriftsystem ihrer Sprache zu lernen haben, sein Lautsystem schon beherrschen,1 ist das Schriftsystem leichter zu lernen, wenn es ein Abbild des Lautsystems ist. Dies spricht eindeutig für ein phonologisch basiertes System, wobei zu klären bleibt, was für lautliche Einheiten die Schriftzeichen genau wiedergeben sollen.

Die Abwägung der beiden Gesichtspunkte ist schwierig, weil die beiden ökonomischen Argumente nicht leicht gegeneinander aufzurechnen sind. Es gibt jedenfalls einen vernünftigen Kompromiß zwischen den beiden Extremen: ein morphophonemisches Schriftsystem. Das ist ein solches, das distinktive Einheiten der lexikalischen Ebene repräsentiert, d.h. ohne jegliche Variation, die durch phonologische und phonetische Prozesse herbeigeführt wird. Die graphischen Repräsentationen von Morphemen sind daher i.w. unveränderlich und folglich unmittelbar mit deren Significata zu assoziieren. Gleichzeitig sind die Einheiten des Systems - die Buchstaben - gering an Zahl und entsprechen funktionalen Einheiten der Sprache (nämlich den Morphophonemen).

Die Forderung, "man solle so schreiben, wie man spricht", läuft auf ein phonetisches Schriftsystem hinaus. Tatsächlich gibt es überhaupt kein phonetisches Schriftsystem qua in einer Sprachgemeinschaft zur schriftlichen Kommunikation usuelles System - also mit Ausnahme des sogleich zu besprechenden Internationalen Phonetischen Alphabets -, und zwar aus gutem Grund. Erstens ist die konkrete Aussprache, die der Sender - oder sonst jemand - seiner schriftlichen Nachricht geben würde, für deren Empfänger normalerweise von keinerlei Interesse. Zweitens müßten beide Phonetiker sein, um die Nachricht tatsächlich phonetisch zu repräsentieren. Die Forderung ist also, so oft sie auch erhoben wird, nichts weiter als dummes Geschwätz.

Existente alphabetische Schriftsysteme variieren zwischen den Polen eines logographischen und eines phonemischen Systems. Schriftzeichen wie z.B. <13>, <&> <$> usw. sind fast überall vorkommende logographische Zeichen. Bestimmte alphabetische Schriftsysteme wie das englische und französische haben eine so indirekte Entsprechung zwischen orthographischer und phonologischer Repräsentation, daß der logographische Anteil beträchtlich ist. Andererseits gibt es Sprachen, insbesondere solche mit schlichter Phonologie wie Finnisch und Spanisch, mit ziemlich regelmäßiger Entsprechung zwischen Schrift und Phonologie. Verschiedene Schriftsysteme kommen also dem Ziel, durch die visuelle Repräsentation die auditive wiederzugeben, verschieden nahe. Keines - auch das finnische nicht - ist eine Lautschrift.

Phonetische Transkription

Eine phonetische Transkription (Umschrift; Grundsätzliches anderswo) unterscheidet sich von einer orthographischen in erster Linie durch ihr Ziel: sie soll die Aussprache repräsentieren. An diesem Ziel haben neben Phonetikern und Linguisten in erster Linie Menschen Interesse, die die Standardaussprache einer Sprache - sei es der Muttersprache oder einer Fremdsprache - feststellen (typischerweise erlernen) wollen und denen keine hinreichenden akustischen Vorbilder zur Verfügung stehen.

Der zweiten Benutzergruppe dient am besten ein phonetisches Alphabet, dessen Zeichen artikulatorisch definiert sind und das von solchen Details absieht, die nicht funktional sind. Zu diesem Zweck wurde das Internationale Phonetische Alphabet (IPA) geschaffen.2 Es wird in zahlreichen Wörterbüchern, Grammatiken und Sprachlehren verschiedener Sprachen verwendet. Sein Vorteil ist, daß die Symbole überall auf der Welt dieselbe Bedeutung, d.h. dieselbe Aussprache haben, so daß man nicht pro Sprache einen Zeichensatz lernen muß. Dieser Vorteil wird konterkariert durch die ebenfalls vorkommenden Sprachlehren, deren Autor sich ein Transkriptionssystem selbst ausgedacht hat, meistens noch ohne seine Zeichen zu definieren.

Man unterscheidet zwischen einer engen und einer weiten phonetischen Transkription. Sie unterscheiden sich durch das Ziel, entweder die individuelle Aussprache mit allem Detail so wiederzugeben, daß ein Phonetiker auf Basis des Transkripts die dadurch repräsentierte Aussprache rekonstruieren und imitieren könnte, oder lediglich die systematischen Einheiten des Lautsystems (die im Sprachsystem vorgesehenen Allophone) in einer typisierten Aussprache wiederzugeben. Typischerweise wird eine enge Transkription mit deskriptiver, eine weite mit präskriptiver bzw. standardisierender Zielsetzung verwendet. Eine enge Transkription benötigt normalerweise Diakritika (s.u.) zur Bezeichnung der Feinheiten, eine weite Transkription kommt normalerweise mit Buchstaben aus. Natürlich gibt es Grade der Enge einer Transkription. Enge Transkriptionen werden fast nur zu wissenschaftlichen Zwecken benötigt. Weite Transkriptionen werden normalerweise verwendet in Werken, die auch von Laien sollen benutzt werden können.

Das folgende Beispiel wurde schon in Lektion 1 verwendet.

Das Beispiel zeigt auch, daß man den Unterschied zwischen enger und weiter Transkription nicht durch den Grad der phonetischen Detailgenauigkeit definieren kann; dieser ist nämlich im Spaltenpaar 1 derselbe wie im Spaltenpaar 2. Ausschlaggebend ist vielmehr die durch phonologische Distinktivität definierte Funktion der Transkription: Jede noch so weite Transkription deutscher Wörter muß die Abweichungen von Spaltenpaar 2 darstellen, weil sie distinktiv sind. Die des Spaltenpaars 1 dagegen wird nur eine enge Transkription wiedergeben, während eine weite Transkription die Variation zwischen der zweiten und dritten Spalte ignorieren wird.

Für die enge Transkription werden Diakritika benötigt, darunter die folgenden:

Phonetische Diakritika
AnwendungDiakritikumBedeutung
allelang
halblang
Konsonantretroflex
silbisch
k’ejektiv glottalisiert
kwlabialisiert
kjpalatalisiert
khaspiriert
Alveolardental
Sonorantstimmlos/geflüstert
Vokalnasal(iert)
laryngalisiert
unsilbisch

Übungen

Phonetische Transkription erfordert mindestens so viel Detail, daß man nicht mitschreiben kann, während jemand den zu transkribierenden Text spricht. Man muß den Text also wiederholt abhören. Daraus folgt, daß man eine akustische Aufzeichnung der zu transkribierenden Rede benötigt. Es reicht nicht aus, daß der Sprecher seine Äußerung wiederholt, weil ein ungeschulter Sprecher nicht mehrmals hintereinander genau dasselbe sagen kann.

Man übt das Transkribieren sowohl an Beispielen, deren Sprache man kennt, als auch an solchen unbekannter Sprache. Im ersten Falle übt man, nur das wiederzugeben, was wirklich zu hören ist, und nicht das, was man glaubt hören zu sollen. Im zweiten Falle übt man die auditive Diskrimination von Lauten (ohne jegliche semantische Hilfe). Die Qualität des Transkriptes kann man dadurch testen, daß man es durch einen Phonetiker verlesen läßt und diese Aussprache mit der Vorlage vergleicht.

Das folgende Beispiel dient dem wiederholten Abhören der Tonaufnahme, der Objektivierung des Gehörten durch Vergleich mit dem Sonagramm und der Zuordnung der wahrgenommenen Laute zu phonetischen Symbolen. Die beigegebene Transkription ist auf halbem Wege zwischen weit und eng. Die Symbole sind nicht präzise bündig unter den entsprechenden Abschnitten des Sonagramms.

Die International Phonetic Association hat eine Website an der University of Victoria. Dort gibt es Klangdateien, die man transkribieren oder mit den im IPA Handbook publizierten Transkripten vergleichen kann. Ferner gibt es Hilfestellung bei dem Versuch, die phonetischen Symbole auf den Bildschirm und den Drucker zu bringen.

Hier zwei koreanische Beispiele:

Beispiel 1Beispiel 2
abspielenabspielen
MustertranskriptionMustertranskription

Aufgaben

  1. (3 P.) Geben Sie die hochdeutsche Standardlautung folgender Wörter in IPA an:
    wenig
    Hoffnung
  2. (3 P.) Geben Sie die britisch-englische Standardlautung folgender Wörter in IPA an:
    engineer
    gulf
  3. (3 P.) Transkribieren Sie dies.
  4. (3 P.) Transkribieren Sie dies.


1 Für Fremdsprachen gilt das übrigens in viel geringerem Umfang.

2 Der Wikipedia-Artikel über das Internationale Phonetische Alphabet ist (am 25.01.2007) ausgesprochen professionell.