Bei der Behandlung der Polysemie ist angedeutet, daß diese nicht eine zufällige Zusammenwürfelung unterschiedlicher Sinne ist. Vielmehr kann man ein zunächst eindeutiges Lexem durch bestimmte semantische Operationen polysem machen. Die beiden wichtigsten davon sind Metapher und Metonymie.
Der Ausdruck Metapher kommt von dem griechischen Wort metaphorá “Übertragung”. Wie bei solchen Abstrakta üblich, bezeichnet er zunächst den Vorgang, dann aber auch dessen Resultat. Metapher ist die Verwendung eines Zeichens mit einem neuen Significatum, das mit dem Ausgangssignificatum semantische Ähnlichkeit hat. B1 verdeutlicht das Gemeinte.
B1. Erwin ist ein glänzender Redner.
Hier soll eine positive Qualität des Prädikators Redner bezeichnet werden. Gemeint ist so etwas wie “jemand, der sehr gut redet”. Das Adjektiv glänzend ist eigentlich das Partizip Präsens des Verbs glänzen und hat seine “wörtliche Bedeutung” in Ausdrücken wie eine glänzende Oberfläche. Diese Bedeutung ist in Ausdrücken wie glänzender Redner jedoch nicht gemeint. Es wird also ein Ausdruck, dessen eigentliche Bedeutung (die nachmalige Grundbedeutung) Bi
ist, in einem Kontext verwendet, wo er die Bedeutung Bj
erhält. In der Übertragung des Ausdrucks von dem ursprünglichen auf den neuen Kontext und dem damit einhergehenden Erwerb der neuen Bedeutung Bj
liegt die Metapher. Bj
– also z.B. die Bedeutung “sehr gut” des Ausdrucks glänzend – heißt auch metaphorische Bedeutung. Wenn man für glänzend als Lemma des Lexikons die Bedeutungen angeben sollte, könnte man also schreiben:
glänzend (Adj.) 1) was glänzt, 2) sehr gut.
B2. Fuß des Berges, spitze Bemerkung, sich zügeln
Ganz ebenso können die Metaphern in B2 auf eine wörtliche Bedeutung bezogen werden. Z.B. ist eine spitze Bemerkung nur in einem übertragenen Sinne spitz, da spitz im wörtlichen Sinne eine durch den Tastsinn wahrnehmbare physikalische Eigenschaft ist.
Die Basis der Metapher ist, wie gesagt, die semantische Ähnlichkeit, also etwa die Ähnlichkeit zwischen "Fuß eines Berges" und "Fuß eines Lebewesens". Hier ist wieder zu beachten, daß es um eine Ähnlichkeit zwischen Significata, nicht etwa von Denotata geht. Der Fuß eines Berges und der eines Lebewesens qua Objekte der außersprachlichen Welt weisen vermutlich keine größere Ähnlichkeit auf als eine Schnecke und eine Schreibmaschine. Die Significata aber sind ähnlich, und dies kann man durch eine semantische Analyse zum Ausdruck bringen. Relevant für diese Metapher ist offenbar das Bedeutungsmerkmal unterster Teil (eines sich in die Vertikale erstreckenden Ganzen). Die für die Metapher relevante Ähnlichkeitsbeziehung kann also linguistisch explizit gemacht werden als eine Menge semantischer Merkmale (die nachmalige Gesamtbedeutung), die der Ausgangsbedeutung (der nachmaligen Grundbedeutung) und der Zielbedeutung gemeinsam sind. Gleichzeitig sieht die Metapher von einer anderen Untermenge semantischer Merkmale der Ausgangsbedeutung ab. Im gegebenen Beispiel gehört dazu etwa das Merkmal Körperteil eines Lebewesens. Darauf, daß diese Merkmale nicht einfach verloren gehen, sondern auch in der neuartigen Verwendung noch ins Bewußtsein dringen, beruht die poetische Wirkung der Metapher.
Man verdeutscht den Terminus ‘Metapher’ gelegentlich mit ‘Bedeutungsübertragung’ und nennt eine metaphorische Bedeutung auch ‘übertragene Bedeutung’. Aber wie die Beispielerklärung gerade gezeigt hat, ist das eine irreführende Verdeutschung. Es wird ja nicht eine gegebene Bedeutung von einem Ausdruck auf einen anderen übertragen, sondern im Gegenteil ein gegebener Ausdruck von seinem ursprünglichen in einen anderen Kontext.
Wenn eine Selektionsrestriktion eines relationalen Ausdrucks regelmäßig in bestimmter Weise verletzt wird, wird sie schließlich erweitert bzw. fallengelassen. Z.B. hatte das Verb machen vermutlich ursprünglich (vielleicht im Urgermanischen) eine Selektionsrestriktion, wonach sein direktes Objekt konkret sein mußte, so wie in ein Papierschiffchen machen. Diese wird in Kombinationen wie einen guten Eindruck/Pleite/Liebe machen verletzt. Am Anfang waren solche Kombinationen Metaphern; der gute Eindruck usw. wird mit einem hergestellten konkreten Gegenstand verglichen. Diese Metapher ist jedoch längst tot, und das Verb machen hat diese Selektionsrestriktion nicht mehr. Im heutigen Deutsch kann man fast alles “machen”, Spaß, Unfug, das Examen usw. Solche Kombinationen sind also im heutigen Deutsch nicht mehr metaphorisch.
Die Lexikalisierung einer Metapher kann man sich also als einen dreistufigen Prozeß vorstellen:
Der erste Gebrauch einer Metapher ist eine Innovation. Wenn diese von einem hinreichend großen Teil der Sprachgemeinschaft übernommen wird, wie die Metapher usuell und kann als solche auch in einem Wörterbuch verzeichnet werden. Schließlich werden die Ausgangs- und die Zielbedeutung einfach ohne eigene Spezifikation unter eine Gesamtbedeutung subsumiert, so daß die Metapher nicht mehr als solche diagnostizierbar und insofern tot ist.
Metonymie (wörtl. "Umbenennung", aber gemeint ist “Übertragung des Namens”) ist die Verwendung eines Zeichens mit einem neuen Significatum, das mit dem Ausgangssignificatum durch einen faktischen (lokalen, temporalen, kausalen) Zusammenhang verbunden ist. Die Beispiele in B3 verdeutlichen das Gemeinte.
B3. | a. | (Da marschiert) die Wache. |
b. | Der Heilige Stuhl/Washington (hat verlautbart.) | |
c. | (eine Flasche) Bordeaux | |
d. | (Nach der Flucht konnten wir) aufatmen. |
Die Grundbedeutung von Wache ist das "pflichtmäßige Wachsein". Die Person, die das verrichtet, steht damit in einem faktischen Zusammenhang; dieser ist die Basis der metonymischen Gebrauchsausweitung. Ebenso ist der Bordeaux genannte Rotwein der gleichnamigen Stadt in keiner Weise ähnlich (welches die Basis für eine metaphorische Beziehung wäre), aber er wird dort produziert. Die der Metapher zugrundeliegende Beziehung wird auch Similarität, die der Metonymie zugrundeliegende Beziehung auch Kontiguität genannt. Auch dies ist in erster Linie wieder eine sprachliche Beziehung; ob der Papst wirklich auf einem heiligen Stuhl sitzt oder ob man nach gelungener Flucht tatsächlich im physischen Sinne aufatmet, spielt für die Metonymie keine Rolle. Allerdings entstammt eine metonymische Beziehung nicht dem Sprachsystem, sondern der in der Sprachverwendung konstruierten Weltkenntnis.
Eine wichtige Kontiguitätsbeziehung ist die meronymische Beziehung. Die Synekdoche ist diejenige Art von Metonymie, die auf einer meronymischen Beziehung beruht. In einer Synekdoche kann pars pro toto (“Teil fürs Ganze”) oder totum pro parte (“Ganzes für den Teil”) verwendet werden. Die Bezeichnung für die Weihnachtskrippe, also eine Anordung von Figuren, die die heilige Familie mit dem Kind in einer Krippe sowie weitere Personen und Tiere darstellen, lautet im Deutschen oft einfach Krippe. Der Futtertrog, in dem das Jesuskind liegt, ist aber nur ein Teil der Konfiguration. Folglich ist dieser Gebrauch von Krippe eine Synekdoche mit pars pro toto. Dieselbe Konfiguration heiß auf Spanisch belén. Die Grundbedeutung dieses Wortes ist “Bethlehem”. Die gemeinte Konfiguration ist nur ein Teil dieses Orts. Folglich ist dieser Gebrauch von belén ein Fall von totum pro parte.
Funktionsweise und Ergebnis einer Metapher können bis zu einem gewissen Grade mithilfe von Teilmengen semantischer Merkmale eingefangen werden, so wie oben dargestellt. Die spezifischeren, durch Metapher entstandenen Sinne haben im einfachsten Falle eine Hyponymiebeziehung zur Gesamtbedeutung. Bei der Metonymie dagegen entstehen neue Sinne, welche zu der Grundbedeutung oft nur noch eine Beziehung haben, die keiner sprachlichen Systematik folgt. Denn daß Bordeaux so oft in dem Kontext Wein aus __ und Wache so oft im Kontext __ habender auftritt, daß der Kontext schließlich weggelassen werden kann, hat mit der Sprachverwendung, nicht mit dem Sprachsystem zu tun.