Satzglieder unterliegen bestimmten syntaktischen Prozessen. Im Deutschen z.B. wird das direkte Objekt bei Passivierung zum Subjekt promoviert (Weiterführendes anderswo); das Dativkomplement ist Ziel der Possessor-Promotion; das Subjekt eines Infinitivkomplements unterliegt der Kontrolle des Matrixverbs; u.v.a.m.

Einige syntaktische Prozesse operieren auf NSen verschiedener syntaktischer Funktionen. Bei der Relativsatzbildung z.B. wird der Relativsatz mit einem Bezugsnomen kombiniert. Dieses spielt in dem Relativsatz, als dessen Nukleus, eine bestimmte Rolle. Diese wird dadurch markiert, daß im Relativsatz eine Leerstelle (i.S.v. “unbesetzte syntaktische Funktion”) gebildet wird, welche vom Nukleus besetzt zu denken ist. Die syntaktische Funktion dieser Leerstelle kann im Prinzip variieren. Sie wird in den Sprachen syntaktisch verschieden behandelt. In einigen Sprachen wie Lateinisch und Deutsch wird sie durch ein Relativpronomen markiert. An diesem wird die syntaktische Funktion durch Kasusmarkierung ausgedrückt.

Für die Möglichkeit, daß der Nukleus im Relativsatz eine bestimmte syntaktische Funktion habe, gilt die Hierarchie der syntaktischen Funktionen:

Hierarchie der syntaktischen Funktionen
Subjekt ~ Absolutiv X
dir. Objekt ~ Ergativ
fundamentale
Funktion
indir. Objekt
unmittelbares Komplement adpositionales Komplement
Komplement Adjunkt
adverbale Funktion adnominale
Funktion
Dependenzfunktion Secundum comparationis
einzelne Konstituente Konstituente koordinierter Struktur
Funktion in
demselben einfachen Satz

adverbalem
Nebensatz
adnominalem
Nebensatz

Es gilt folgendes implikative Gesetz: Wenn eine Relativsatzbildungsstrategie einer Sprache Relativsätze mit dem Nukleus in einer gegebenen syntaktischen Funktion zu bilden erlaubt, dann kann sie auch Relativsätze mit dem Nukleus in allen höheren syntaktischen Funktionen bilden. Unter diesem Aspekt wurde die Hierarchie syntaktischer Funktionen in Keenan & Comrie 1977 als ‘noun phrase accessibility hierarchy’ vorgeschlagen. Der Name implizierte, daß NSen in verschiedenen syntaktischen Funktionen für einen syntaktischen Prozeß wie Relativsatzbildung unterschiedlich “zugänglich” sind.

Die Relativsatzbildungsstrategien verschiedener Sprachen kommen auf der Hierarchie in der Tat sehr verschieden weit nach unten. Deutsch (mit seinem Relativpronomen) reicht bis zur Dependenzfunktion, Latein bis zur einzelnen Konstituente, Persisch (ohne Relativpronomen) bis zur Funktion in demselben einfachen Satz. Näheres in Lehmann 1984, Kap. IV.3.

Literatur

Keenan, Edward L. & Comrie, Bernard 1977, "Noun phrase accessibility and universal grammar." Linguistic Inquiry 8(1):63-99.

Lehmann, Christian 1984, Der Relativsatz. Typologie seiner Strukturen - Theorie seiner Funktionen - Kompendium seiner Grammatik. Tübingen: G. Narr (LUS, 2).