Im Vorangehenden mußten die syntaktischen Funktionen teilweise vorausgesetzt werden. Sie sollen in diesem Kapitel noch einmal (↰) im Zusammenhang besprochen werden.
Im vorigen Kapitel hatten wir gesehen, daß die Natur einer Dependenzrelation zwischen X
und Y
von einer in X
oder Y
enthaltenen Leerstelle bestimmt wird. Mithin gibt es so viele
Dependenzrelationen, wie es verschiedene Leerstellen gibt. Auch
unabhängig von der Dependenzgrammatik spricht man von syntaktischen Relationen
und meint damit syntagmatische Relationen auf einer der syntaktischen
Ebenen. Zu ihrer systematischen Behandlung ist jedoch die
Dependenzgrammatik höchst nützlich, da syntaktische Funktionen Arten
der Abhängigkeit sind: Eine syntaktische Funktion i.e.S. ist die Eigenschaft eines abhängigen Gliedes, in einer
bestimmten syntaktischen Relation zum übergeordneten Glied zu stehen.
Die einzelnen syntaktischen Funktionen werden nicht selten durch morphologische Eigenschaften ihrer Träger definiert. So wird z.B. gesagt, das Subjekt sei dasjenige Satzglied, welches im Nominativ steht, und entsprechend wird das direkte Objekt durch den Akkusativ und das indirekte durch den Dativ definiert. Das ist unwissenschaftlich, erstens aus methodologischen Gründen - so macht man keine Definition - und zweitens aus empirischen Gründen - tatsächlich spricht man von Subjekten und Objekten in zahlreichen Sprachen wie Englisch, die die genannten Kasus überhaupt nicht haben. Syntaktische Funktionen werden in Wahrheit nicht nach morphologischen, sondern nach übergreifenden syntaktischen Kriterien, allerdings nach zwei inkommensurablen Gesichtspunkten wie folgt bestimmt:
Die erste Einteilung ist die zwischen Subjekt und Prädikat i.S.v. ‘Satzgegenstand’ und ‘Satzaussage’. Sie teilt einen Satz in zwei Teile mit diesen Funktionen:
(Prädikations-)Subjekt, Prädikat.
Das (Prädikations-)Subjekt ist traditionellerweise mit Bezug auf den Nominalsatz definiert. Ein Satz ist ein Nominalsatz genau dann, wenn sein Prädikat ein Nominal(-Syntagma) ist. B1 zeigt einige Beispiele.
B1. | a. | Das Leben - ein Traum. |
b. | Die Polizei - dein Freund und Helfer. | |
c. | Ende gut, alles gut. |
Nominalsätze sind offensichtlich zweigliedrig, sie bestehen aus Subjekt und Prädikat. Von den Nominalsätzen minimal verschieden sind die Kopulasätze, die man aus den Sätzen in B1 erhält, wenn man jeweils die Kopula ist einfügt, und die übrigens im Deutschen ungleich häufiger sind als die eigentlichen Nominalsätze.
Kopulasätze bieten durch die Kongruenz der Kopula mit dem Subjekt eine grammatische Handhabe, um das Subjekt vom Prädikat zu unterscheiden. An ihnen kann man also die grammatischen Eigenschaften des Subjekts in der betreffenden Sprache erkennen und dann feststellen, in welchen anderen Satzarten das so definierte Subjekt noch auftritt.
Im Deutschen und vielen anderen Sprachen steht das Subjekt in selbständigen Sätzen im Nominativ. Aber nicht jedes NSNom ist ein Subjekt, denn viele andere Konstituenten, z.B. das Prädikatsnomen, können auch im Nominativ stehen.
In einer Klause ist das Prädikat alles außer dem Subjekt. Im Nominal- und Kopulasatz nennt man es Prädikatsnomen (kurz für “Prädikatsnominalgruppe”). Im Verbalsatz ist das Prädikat i.w.S. das Hauptverb mit seinen sämtlichen Dependenten (also in Ludwig fuhr den Wagen in die Garage alles außer Ludwig). Fuhr dagegen ist nicht das Prädikat, sondern der Prädikatskern (das Prädikatsverb oder Hauptverb).
Die zweite Einteilung der syntaktischen Funktionen ist eine nach Dependenz. Hier sind zunächst die Soziationsbeziehungen auszusondern. Das Gros der syntaktischen Funktionen ergibt sich aus Dependenzrelationen, und zwar so wie in der folgenden Tabelle dargestellt.
Rektion | Modifikation | ||||
---|---|---|---|---|---|
Regens | Rektum | Modifikatum | Modifikator | ||
Kategorie | Kategorie | Funktion | Kategorie | Kategorie | Funktion |
Verb | NSNom | Subjekt | Verb(alsyntagma) | ||
NSAkk | direktes Objekt | ||||
NSDat | indirektes Objekt | NSDat | possessiver/benefaktiver Dativ | ||
NSGen | Genitivobjekt | ||||
PräpS | präpositionales Objekt | ||||
AdvS | adverbiales Komplement | AdvS | adverbiale Bestimmung | ||
relationales Substantiv | NSGen | possessives Komplement | absolutes Substantiv | NSGen | possessives Attribut |
Substantiv | Adj-al | Adjektivattribut | |||
RS | Relativsatz | ||||
AdvS | adverbiales Attribut | ||||
relationales Adjektiv | NSobl | Komplement | Adjektiv | AdvS | adverbiale Bestimmung |
Adposition | NSobl | Komplement | Adverb | AdvS | adverbiale Bestimmung |
Die Tabelle enthält die traditionellen syntaktischen Funktionen und noch einige mehr. Die zusätzlichen Funktionen entspringen der traditionell nicht geläufigen Systematizität der Gliederung.
Die syntaktischen Funktionen sind interlinguale grammatische Begriffe. Solche Begriffe sind prototypischer Natur und haben eine gemischt funktional-strukturelle Definition. Auf interlingualer Ebene gehen natürlich keine konkreten Ausdruckseigenschaften in den Begriff ein. Solche wachsen den grammatischen Begriffen erst auf der Ebene der einzelnen Sprache zu.
Es folgen Beispiele für die Arten von Komplementen. Das Syntagma in der relevanten Funktion ist unterstrichen.
Funktion | Beispiel |
Subjekt | Erna kommt. |
direktes Objekt | Erna verachtet Erwin. |
indirektes Objekt | Erna folgt Erwin. |
Genitivobjekt | Erna gedenkt ihres Professors. |
präpositionales Komplement | Erna vertraut auf ihren Dackel. |
adverbiales Komplement | Erna wohnt hier. |
Komplement eines relationalen Substantivs | Erna liegt auf dem Grund des Sees. |
Komplement eines relationalen Adjektivs | Erna ist noch ihrer Sinne mächtig. |
Komplement einer Präposition | Erna vertraut auf ihren Dackel. |
Das (Valenz-)Subjekt kann man operational so bestimmen: Es ist derjenige verbale Dependent, der anaphorisch kontrolliert wird, wenn die Klause als infinite von einem übergeordneten Verb regiert wird. Das bedeutet folgendes: Angenommen einen Verbalsatz so wie die abhängige Proposition in B2, der von einem übergeordneten Verb wie ‘versuchen, sich weigern, versprechen’ abhängt, welches verlangt, daß einer seiner Dependenten (typischerweise sein Subjekt) mit dem Subjekt des abhängigen Satzes identisch sei.
B2. | a. | X versucht (Y küßt Z ) |
b. | X versucht (Z wird von Y geküßt) |
Die Variablen sind nur zu Testzwecken verschieden: zwar ist entweder Y
oder Z
mit X
identisch; aber eben das will man ja herausfinden. – Nun konstruiert
man die abhängige Proposition so, wie das übergeordnete Verb das
verlangt, im Deutschen also als erweiterten Infinitiv, wie in B2'.
B2'. | a. | X versucht, Z zu küssen. |
b. | X versucht, von Y geküßt zu werden. |
Nun stellt man fest, welche Stelle des abhängigen Verbs freibleibt und als von dem im übergeordneten Satz enthaltenen Referenten besetzt interpretiert wird. Im Deutschen ist das in B2.a Y
und in B2.b Z
. Aus der Definition folgt mithin, daß in B2.a Y
und in B2.b Z
Subjekt des Nebensatzes ist. Diese Definition basiert, wie oben
gefordert, auf der Funktion der zu definierenden Entität in einem
übergreifenden Kontext. Sie ist unabhängig von morphologischen
Begleiterscheinungen wie dem Nominativ des Subjekts und der Kongruenz
des Verbs mit dem Subjekt, die in vielen Sprachen nicht auftreten. Sie
können aber durchaus auf der Ebene der Einzelsprache den
Subjektsbegriff konkretisieren.
Das Valenzsubjekt wird vom Verb regiert, aber gleichzeitig von ihm modifiziert. Es ist daher selbständiger als die anderen verbalen Dependenten. Es determiniert die Kongruenz des Verbs in Person und Numerus. Es ist das Ziel diverser syntaktischer Operationen, insbesondere der Passivierung, wie man bereits an B2.b sieht.
In vielen Sprachen einschließlich Deutsch hat das Valenzsubjekt dieselben syntaktischen Eigenschaften wie das Prädikationssubjekt (s.u.), so daß man hier für Nominal- und Kopulasätze einerseits und Verbalsätze andererseits eine einheitliche Subjektsfunktion hat.
Der Prototyp des direkten Objekts ist dasjenige verbale Komplement, welches bei Passivierung Subjekt wird (Weiterführendes anderswo). Wenn dieses Satzglied nominal besetzt (also kein Objektsatz) ist, dann steht es im Deutschen und manchen anderen Sprachen (allerdings nicht im Englischen) im Akkusativ. Gemeint sind dabei nur solche NSenAkk, die nicht mittels einer Präposition (also "direkt") ans Verb angeschlossen sind.
Allerdings werden nicht alle vom Verb abhängigen NSenAkk bei Passivierung Subjekt; z.B. nicht das in B3.a. Und B3.b enthält zwar ein NSAkk, kann aber gar nicht passiviert werden.
B3. | a. | Siegfried arbeitete den ganzen Tag. |
b. | Das Auto kostet einen Haufen Geld. |
Traditionell versteht man unter dem direkten Objekt nicht lediglich eine rein syntaktisch (hier also durch die paradigmatische Beziehung zur Passivkonstruktion) bestimmte Funktion, sondern eine Valenzfunktion des Verbs. Dann wäre der Begriff so zu fassen, daß mindestens der oblique Dependent in B3.b noch direktes Objekt heißen kann. Dazu kann man den Begriff ausweiten auf solche Verbkomplemente, mit denen dieselben sekundären grammatischen Kategorien verbunden sind wie mit dem Prototypen. Damit sind einerseits die sekundären grammatischen Kategorien gemeint, welche am Rektum auftreten - vor allem der Kasus -, und andererseits solche, die am Regens auftreten - in vielen Sprachen Kongruenz des Verbs mit dem direkten Objekt.
In der Schulgrammatik wird das direkte Objekt gewöhnlich durch den an ihm auftretenden Akkusativ definiert und entsprechend “Akkusativobjekt” genannt. Ich hatte oben schon gesagt, daß das unwissenschaftlich ist. Wie wir unten sehen werden, kann z.B. auch ein Nebensatz direktes Objekt sein, der in einer Sprache wie dem Deutschen grundsätzlich nicht im Akkusativ stehen kann.
Das indirekte Objekt ist sehr schwer übereinzelsprachlich zu definieren. Es ist ein verbaler Dependent, welcher nicht eine der beiden zentralen (s.u.), aber immer noch eine unmittelbar vom Verb regierte6 syntaktische Funktion hat. Es kann, ähnlich wie das direkte Objekt, Gegenstand von Operationen ähnlich dem Passiv sein, auf die wir in Kap. 3.5 zu sprechen kommen. Der Prototyp des indirekten Objekts ist die syntaktische Funktion, die der Rezipient von ‘geben’ annimmt (aber selbst dieser ist in manchen Sprachen kein indirektes Objekt).
Für Zwecke der deutschen Grammatik wie der einiger anderer Sprachen ist es eine notwendige Bedingung für das indirekte Objekt, daß es im Dativ stehe.1 Dies ist aber keine hinreichende Bedingung, denn zusätzlich gilt jedenfalls die Eingangsvoraussetzung, daß es sich um ein unmittelbares Komplement des Verbs handle. Deshalb ist das NSDat in B4.a ein indirektes Objekt, nicht jedoch das in B4.b. (Die Funktion des Dependenten in B4.b kommt anderswo zur Sprache.)
B4. | a. | Arno genehmigte seiner Freundin ein Bier. |
b. | Arno schüttete seiner Freundin ein Bier in den Ausschnitt. |
Daher bezeichnet der in der deutschen Schulgrammatik verwendete Terminus Dativobjekt nichts; er ist durch indirektes Objekt zu ersetzen.
Präpositionalsyntagmen ist nicht ohne weiteres anzusehen, ob sie präpositionale Objekte (also Komplemente) oder adverbiale Bestimmungen (also Adjunkte) sind. Kriterium ist natürlich, ob das Verb eine Leerstelle für sie hat; vgl. B5.a mit b.
B5. | a. | Siegfried investierte in Briefkästen. |
b. | Siegfried nieste in den Briefkasten. |
Es gibt zwei Arten von präpositionalen Objekten, repräsentiert durch B6.a und b.
B6. | a. | Charlotte verließ sich auf Eduard. |
b. | Charlotte stellte die Vase unter den Tisch. |
Das Verb in B6.a regiert eine bestimmte Präposition; jede andere Präposition außer auf ist nach sich verlassen unmöglich. Das Verb in b dagegen verlangt keine bestimmte Präposition; möglich wären auch auf, neben, hinter usw. Eigentlich verlangt das Verb gar kein präpositionales Objekt, sondern ein Adverbial als Komplement. Möglich wäre nämlich auch:
B6. | b'. | Charlotte stellte die Vase hierhin. |
Daher sollte man hier besser von einem adverbialen Komplement als von einem präpositionalen Objekt sprechen.
1. | Subjekt |
2. | Direktes Objekt 1 |
3. | Direktes Objekt 2 |
Es folgen Beispiele für die Arten von Modifikatoren.
Funktion | Beispiel |
benefaktiver Dativ | Erna kauft ihrer Tocher ein Eis. |
possessiver Dativ* | Erna tritt ihrer Tocher auf den Fuß. |
adverbiale Bestimmung zum Verb | Erna schläft hier. |
possessives Attribut eines absoluten Substantivs | Erna erlebt eine Nacht des Grauens. |
Adjektivattribut | Erna hat einen niedrigen Dackel. |
Relativsatz | der Dackel, den Erna liebt |
adverbiales Attribut | Erna bevorzugt den Dackel unter dem Tisch. |
adverbiale Bestimmung zum Adjektiv | Erna ist über die Maßen schön. |
adverbiale Bestimmung zum Adverb | Erna liegt ziemlich weit unten. |
* Der possessive Dativ hat nur einige der untigen Merkmale eines Modifikators (aber kein Merkmal eines Rektums).
Unter der Bezeichnung Attribut werden eine Reihe von Dependenten zusammengefaßt, die gemeinsam haben, daß sie ein Nominal modifizieren.2
B7. | a. | Fridolin kaufte einen älteren Wagen. |
b. | Fridolin kaufte einen Wagen älteren Baujahrs. | |
c. | Fridolin kaufte einen Wagen von beträchtlichem Alter. | |
c. | Fridolin kaufte einen Wagen, der schon ziemlich alt war. |
B7 zeigt nacheinander ein Adjektivattribut, Genitivattribut, präpositionales (oder adverbiales) Attribut und einen Attributsatz, gewöhnlich Relativsatz genannt.
Wie die Beispiele zeigen, verhalten sich Rektion und Modifikation systematisch verschieden in bezug auf die strukturellen Korrelate der Relationalität, deren Nummern in der folgenden Tabelle wieder aufgenommen werden:
Rektion | Modifikation | |
1. | Ein Element mit einer regierenden Leerstelle kontrolliert das bezogene Element. | Ein Element mit einer modifizierenden Leerstelle hängt von dem bezogenen Element ab. |
Das Syntagma aus Regens und Rektum ist nicht endozentrisch. | Das Syntagma aus Modifikatum und Modifikator ist endozentrisch. | |
Ein Element kann mehr als eine rektive Leerstelle haben. | Ein Element kann nur eine modifikative Leerstelle haben. | |
2. | Regens kann den Kasus des Rektums bzw. die Präposition, mit der das Rektum angeschlossen wird, bestimmen. | Modifikatum bestimmt (abgesehen von Nr. 4) nichts über den Modifikator. |
Referent des Rektum hat semantische Rolle gegenüber Regens. | Referent des Modifikators ist identisch mit Referent des Modifikatums. | |
3. | Ein Rektum ist ein NS, das kasuslos ist oder durch einen grammatischen Kasusrelator markiert wird. | Ein Modifikator ist kein kasusloses NS. |
4. | Regens kann mit Rektum in der Person (evtl. noch in Genus und Numerus), nicht jedoch im Kasus kongruieren. | Modifikator kann mit Modifikatum im Kasus (evtl. noch in Genus und Numerus), nicht jedoch in der Person kongruieren. |
5. | Rektum kann obligatorisch sein. | Modifikator ist i.a. optional. |
Wenn man die in der Tabelle enthaltenen Aussagen an den obigen Beispielserien überprüft, muß man bedenken, daß nicht alle der strukturellen Korrelate in allen Sprachen auftreten. Z.B. gibt es im Deutschen Personenkongruenz nur zwischen Verb und Subjekt, während im Baskischen das Verb auch mit dem Objekt und im Türkischen auch das Bezugsnomen mit seinem nominalen Dependenten (i.e. einem solchen, dessen Kern ein Substantiv ist) kongruiert.
Ferner wird in der deutschen Grammatik oft kein Unterschied gemacht zwischen einem nominalen Dependenten, der sein Bezugsnomen modifiziert, und einem solchen nominalen Dependenten, welcher Komplement seines Bezugsnomens ist. Dies hängt, ganz ebenso wie in der Verbvalenz, von der Relationalität des Bezugsnomens ab. Ein grammatisch relationales Substantiv verhält sich in der possessiven Dependenz (oft ungenau possessive Attribution genannt) als inalienabel; ein nicht-relationales Substantiv verhält sich alienabel.3
Dieser Unterschied wird im Deutschen u.a. relevant bei den nominalen Dependenten von Verbalnomina. Wenn ein Verb substantiviert wird, wird aus seiner verbalen eine nominale Valenz. D.h., es nimmt dann z.B. kein direktes Objekt mehr, sondern stattdessen ein Genitivattribut. Man vergleiche: Cäsar zerstörte Karthago – Karthagos Zerstörung durch Cäsar. Wenn nun das Komplement des Verbs ein präpositionales Komplement ist, dann “erbt” das Verbalsubstantiv typischerweise diese Valenz. Man vergleiche dt. wir entschieden über den Vorschlag – unsere Entscheidung über den Vorschlag, aber engl. we decided on the proposal – our decision on the proposal. Wie man sieht, wird der präpositionale Dependent des Substantivs gerade durch die Präposition eingeleitet, welche auch das zugrundeliegende Verb regiert. Das bedeutet aber, daß dieser Dependent in der Tat vom Bezugsnomen regiert wird, dieses also nicht modifiziert.
Mit "Referent des Modifikators" (Punkt 2) ist die Entität gemeint, die der Modifikator charakterisiert. Z.B. referiert in Schreibmaschine der Sekretärin der Modifikator der Sekretärin auf eine Entität, die "sekretärinnenzugehörig" ist, und nicht etwa auf die Sekretärin (die wäre der Referent eines NS die Sekretärin).
Syntaktische Kategorien und Funktionen sind teilweise wechselseitig unabhängig. D.h. ein Syntagma einer gegebenen Kategorie kann verschiedene Funktionen haben; und eine gegebene Funktion kann von Syntagmen verschiedener Kategorie erfüllt werden, insbesondere auch von einem Nebensatz (s.u.).
Ein Satzglied ist ein Syntagma in einer bestimmten syntaktischen Funktion so wie oben definiert. Die hier besprochenen syntaktischen Funktionen werden auch Satzgliedfunktionen genannt. In der germanistischen Linguistik fallen nur unmittelbare Konstituenten des Satzes unter den Begriff Satzglied. Hier dagegen dient dieser Terminus in erster Linie zur Gegenüberstellung des Trägers einer syntaktischen Kategorie mit einem Träger einer syntaktischen Funktion (eben einem Satzglied), in zweiter Linie dazu, die auf syntagmatischen Relationen basierenden syntaktischen Funktionen zu unterscheiden von ganz andersartigen syntaktischen Funktionen, die man meint, wenn man z.B. sagt: "Die Funktion einer Konjunktion ist es, einen Nebensatz unterzuordnen."
Syntaktische Kategorien einschließlich Wortarten und syntaktische Funktionen sind streng auseinanderzuhalten. Jedem Wort kann man seine Wortart in Isolation ansehen, und ebenso jedem Syntagma seine syntaktische Kategorie. Die syntaktische Funktion dagegen ergibt sich erst aus dem Kontext. Wir sahen bereits, daß nicht jedes NSAkk ein direktes Objekt, nicht jedes Adverbial eine adverbiale Bestimmung zu einem Verb ist, usw.
Schließlich sind syntaktische Funktionen wie Subjekt und direktes Objekt klar von morphologischen Kategorien wie Nominativ und Akkusativ verschieden. Wie mehrfach gesagt, kann etwas (z.B. ein Nebensatz) Objekt sein, ohne im Akkusativ zu stehen; und dito kann etwas (z.B. ein Adverbial der zeitlichen Erstreckung) im Akkusativ stehen, ohne direktes Objekt zu sein. In schlecht gemachten interlinearen morphologischen Glossen finden sich nichtsdestoweniger nicht selten Glossen wie wir (1.PL.SUBJ) oder ihn (3.SG.OBJ), wo “1.PL.NOM” bzw. “3.SG.AKK” gemeint ist.
1. | Syntaktische Funktionen 1 |
2. | Syntaktische Funktionen 2 |
Man kann die syntaktischen Funktionen hierarchisieren. Die diversen hierzu verwendeten Kriterien haben gemeinsam, daß es auf die Wichtigkeit der syntaktischen Funktion für den Satzbau einer Sprache ankommt. Besonderes Augenmerk gilt dabei den adverbalen Funktionen (d.s. die, wo das Verb der Dependenzkontrolleur ist). Die Hierarchie wird an dieser Stelle vorweggenommen, ohne daß alle beteiligten Funktionen oder die relevanten Kriterien hätten erläutert werden können.
Subjekt ~ Absolutiv |
indirektes Objekt |
anderes Komplement |
Adjunkt |
Je weiter oben auf der Hierarchie eine syntaktische Funktion rangiert, desto zentraler ist sie für die Syntax einer Sprache. Weiteres hierzu im Abschnitt über Promotion und Demotion. Eine wesentliche Erscheinungsform der Hierarchie der syntaktischen Funktionen ist die Zugänglichkeitshierarchie.
1. | syntaktische Funktionen 1 |
2. | syntaktische Funktionen 2 |
3. | Unmittelbare Konstituenten |
4. | Satzgliedfunktion des Reflexivpronomens |
Abhängige Sätze heißen in der Schulgrammatik auch Nebensätze. Anhand der oben aufgeführten Konstituentenstrukturregel 2, ‘NS → S’, war schon zu sehen, wie in einer Konstituentenstrukturgrammatik abhängige Sätze konzipiert werden: Es wird angenommen, daß ein sprachlicher Ausdruck, der zunächst in die Kategorie ‘Klause’ (S) fällt, umkategorisiert wird, so daß er sekundär in eine solche syntaktische Kategorie fällt, welche den Status eines Satzglieds, also einer Konstituente eines Satzes hat.
Eine strukturelle Analyse von Nebensätzen ergibt sich, wie im gesamten Kap. 2, aus einer Untersuchung ihrer Distribution. Auch hier also ersetzt man den Nebensatz durch ein einzelnes Wort, um besser zu erkennen, in welche Kategorie er fällt und als welches Satzglied er fungiert. Diese Übung setzen wir im folgenden voraus. Indem wir wieder Konstituenz und Dependenz kombinieren, klassifizieren wir die Nebensätze auf struktureller Basis nach drei Kriterien:
Dependenz- kontrolleur | Kategorie | Funktion | Nebensatztyp | Beispiel |
Satz | Satz | Dependent | angeschlossener Nebensatz | Je schneller du fährst, desto gefährlicher wird's. / Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's völlig ungeniert. |
N | NS | Attribut/Apposition | adnominaler Substantivsatz | Wir stießen auf das Problem, daß Erna keine Grammatik konnte / was Erna überhaupt studiert hatte. |
N | Adj_al | Attribut | Relativsatz | Wir stießen auf das Problem, das Erna nicht gelöst hatte. |
V | NS | Subjekt | substantivischer Relativsatz in Subjektsfunktion | Was Erna nicht gelernt hat, geht auf keine Kuhhaut. |
V | NS | Objekt | substantivischer Relativsatz in Objektsfunktion | Was Erna nicht gelernt hat, lernt Erwin nimmermehr. |
V | NS | Subjekt | Subjektsatz | Daß Erna keine Grammatik konnte, wunderte uns überhaupt nicht. / Ob Erna überhaupt Grammatik konnte, war sehr die Frage. |
V | NS | Objekt | Objektsatz | Wir vermuteten stark, daß Erna keine Grammatik konnte. / Erna befahl, Erwin möge Linguistik studieren. |
V | NS | (präpositionales) Komplement | weiterer Komplementsatz | Wir staunten nicht schlecht, daß Erna Grammatik konnte. / Wir zweifelten stark, ob Erna Grammatik konnte. |
V | AdvS | adverbiale Bestimmung | Adverbialsatz | Erna wurde allenthalben bewundert, weil sie so gut Grammatik konnte. |
Hierzu ein paar Einzelkommentare:
B8. | a. | Wir warten auf Ernas Kommen. |
b. | *Wir warten auf daß Erna kommt. | |
c. | Wir warten, daß Erna kommt. |
Da man sich hier auf der höchsten syntaktischen Ebene befindet, ist die Korrespondenz zwischen Struktur und Funktion vergleichsweise eng. Das heißt, daß eine Klassifikation der Nebensätze auf semantischer Grundlage zu einer ähnlichen Einteilung kommen würde. Dies ist das Gebiet der interpropositionalen Relationen, welches in Kap. 3 und, auf fortgeschrittenem Niveau, in eine Theorie der Nexion fällt.
1 Das funktioniert auch nur deswegen, weil es im Deutschen keine Komplementsätze in Funktion eines indirekten Objekts gibt (die würden nämlich jedenfalls nicht im Dativ stehen).
2 Es kursiert auch – vor allem in der Germanistik, z.B. im Duden – ein weiterer Begriff von ‘Attribut’, wo jeglicher Dependent, der nicht von einem Verb abhängt, so heißt. Ein solcher Begriff wird hier nicht benötigt.
3‘Alienabel’ ("veräußerlich") und ‘inalienabel’ ("unveräußerlich") sind leicht verkürzende Termini für die Eigenschaft von Substantiven, keine bzw. eine regierende Leerstelle für ein possessives Attribut zu haben. Der von einem inalienablen Substantiv bezeichnete Begriff wird nur als bezogen auf einen (in dem Genitivattribut gegebenen) Fixpunkt, also nicht für sich, gedacht. Inalienabel sind meist Körperteile, Raumteile und Verwandtschaftsbezeichnungen (vgl. die semantische Basis der Relationalität).
4 In den beiden gegebenen Beispielen ist eine Einbettung des Nebensatzes allenfalls möglich. Ein angeschlossener Nebensatz, der ohne Strukturveränderung nicht eingebettet werden kann, liegt vor in Wohin du gehst, dahin werde auch ich gehen.
5 Das ist einer der Gründe, warum es nicht sinnvoll ist, das direkte Objekt durch den Akkusativ zu definieren; denn wie erkennt man dann einen Objektsatz?
6 Das indirekte Objekt heißt also nicht deshalb indirekt, weil es vermittelst eines dritten Elements, etwa einer Präposition, vom Verb regiert würde. Ganz im Gegenteil fallen die präpositionalen Objekte nicht unter die indirekten Objekte.