In empirischen Wissenschaften wie der Linguistik ist es häufig, daß Beschreibungsbegriffe wie die drei in der Überschrift erscheinenden auf theoretischer Ebene klar unterscheidbar sind, daß jedoch die von ihnen bezeichneten Erscheinungen nicht separat, sondern in Kombination mit anderen bzw. miteinander vorkommen.
Der deutsche Relativsatz mit Relativpronomen in seiner heutigen Form ist im Übergang vom Germanischen zum Althochdeutschen in zwei Stufen durch Kombination verschiedener Mechanismen des grammatischen Wandels entstanden.
1. Stufe: Aus dem Germanischen war ein postnominaler Relativsatz mit optionalem einleitendem Subordinator ererbt, der im Althochdeutschen wie in B1 (unterstrichen) erscheint:
B1. | a. | mit themo brunnen _ thu nu quist (Otfr. 2, 14,44) “mit dem Brunnen, den du nun meinst” |
b. | then weg th'er faran wolle (Otfr.) “den Weg, den er fahren wollte” |
Ferner besteht im Althochdeutschen die Möglichkeit, (nicht-sententiale) Attribute vermittelst des Demonstrativums postnominal anzuschließen, wie in B2:
B2. | a. | Ich meinu sancta Mariun, kuningin thia richun (Otfr. 1, 3, 31) “ich meine die Hl. Maria, die mächtige Königin” |
b. | ich bim Gabriel thie azstantu fora gote (Tat. 2, 9) “ich bin Gabriel, der vor Gott steht” |
Die letztere Möglichkeit wird analogisch auf die Relativsätze als komplexe Attribute übertragen, wobei der Subordinator (de = the) weiterhin optional ist:
B3. | a. | sandida mih ... zi dheodom dhem euwih biraubodon (Is. 11, 5) “sandte mich zu den Völkern, die euch beraubten” |
b. | gisah ther heilant ... iungiron ... then-de her minnota (Tat.206, 2) “sah der Heiland den Jünger, den er liebte” |
Das Demonstrativum ist hier noch nicht Konstituente des Relativsatzes, die Konstruktion kann aber – besonders bei Fehlen des Subordinators – als Relativkonstruktion mit attractio relativi1 interpretiert werden.
2. Stufe: Ebenfalls aus dem Germanischen ererbt ist eine Satzreihe mit NS im ersten Satz, das durch ein einleitendes demonstratives Anaphorikum im Nachsatz aufgenommen wird:
B4. | ingegin liofun imo zehen man riobe, thie gistuontun ferro (Tat. 111, 1) “entgegen liefen ihm zehn aussätzige Männer, die blieben ferne stehen” (= occurrerunt ei decem viri leprosi, qui steterunt a longe) |
In Analogie zu dieser Konstruktion wird das Demonstrativum in der Relativkonstruktion nach Art von B3.a als Konstituente des Relativsatzes interpretiert und im Kasus entsprechend flektiert:
B5. | sê mîn sunu den ih gachôs (Mth. [Mondsee]) “sieh meinen Sohn, den ich erkor” |
In Konstruktionen des Typs B3 findet also eine Gliederungsverschiebung statt: das Demonstrativum ist nicht mehr unmittelbare Konstituente des NSs und kataphorisch auf das folgende Attribut bezogen, sondern dessen Satzglied. Insoweit beruht die Konstruktion von B5 auf Reanalyse.
Was schließlich das Verhältnis von B4 zu B5 betrifft, so geht eine Satzreihe über in ein Satzgefüge, indem aus dem selbständigen Nachsatz ein subordinierter Satz wird. Gleichzeitig wird die Wahl des anaphorischen Ausdrucks, welche in einer Satzreihe frei ist, eingeschränkt auf das demonstrative Pronomen, nunmehr Relativpronomen. Hier liegt also Grammatikalisierung vor.
Das Ergebnis dieses komplexen Wandels ist der noch heute gültige Typ des Relativsatzes.
Einen weiteren Fall, wo alle drei Mechanismen des grammatischen Wandels zusammenspielen, stellen die bereits behandelten aus Partizipien entstandenen Präpositionen dar. Das Partizipialsyntagma wird als Postpositionalsyntagma reanalysiert; bestehende Postpositionalsyntagmen dienen als analogisches Vorbild; und das Partizip wird zur Adposition grammatikalisiert.
Name | Punkte |
---|---|
Entstehung des altenglischen Perfekts | 36 |
Altenglischer Superlativ | 8 |
die Birne | 8 |
Präteritum im Slavischen | 16 |
Der Imperativ | 5 |
1 Attractio relativi (Anziehung des Relativpronomens) ist die Konstruktion, in der das Relativpronomen im Kasus mit dem Bezugsnomen kongruiert.