Allgemeines

Am Anfang der wissenschaftlichen Befassung mit einem Thema steht die Literatursuche. Das bedeutet natürlich nicht, daß man erst die Literatursuche abgeschlossen haben müßte, bevor man den nächsten Schritt tut. Im Zuge des Erkenntnisgewinns wird man Information zu neuartigen Themen benötigen oder auf weitere Literatur stoßen. Und andererseits gibt es auch vor Beginn der Literatursuche schon einen gewissen Kenntnisstand; sonst könnte man gar nicht zu suchen anfangen. Wenn man schon Ideen zum Thema hat, neigt mancher dazu, drauflos zu schreiben, weil Schreiben einem kreativen Menschen mehr Spaß macht als Lesen. Das Angenehmste zuerst zu tun konfligiert aber auch in diesem Fall mit effizienter Planung. Idealiter unterscheidet sich eine wissenschaftliche Arbeit von einem Essay u.a. dadurch, daß die erstere auf allem basiert, was schon zu dem Thema geforscht worden ist, und es weiterführt. (Wie an anderer Stelle besprochen, wird das Ideal freilich nicht immer erreicht.) Nimmt man das nicht zur Kenntnis, ist die Chance sehr groß, das Rad zum soundsovielten Male zu erfinden. Und nimmt man es erst zur Kenntnis, nachdem man schon einiges geschrieben hat, erlebt man herbe Enttäuschungen, wenn man feststellt, daß andere schon vorher dasselbe gesagt haben. Dann kann man im günstigsten Falle seine originelle Idee durch ein Literaturreferat im Umfang einer Seite ersetzen; im ungünstigsten Falle erübrigt sich die eigene Publikation. Es ist viel effizienter, sich zuerst mit dem auf dem betreffenden Feld bereits Publizierten bekannt zu machen und sich davon zu darüber hinausgehenden Ideen inspirieren zu lassen. Abgesehen davon kommt man sowieso nicht darum herum. Daß ins Thema einschlägige Publikationen nicht zur Kenntnis genommen werden, kommt zwar immer wieder vor; das ändert aber nichts daran, daß es unverantwortlich ist.

Der Umfang des zu untersuchenden Themas korreliert natürlich mit dem Umfang der dazu bereits publizierten Literatur. Als Anhaltspunkt dafür, ob ein Thema zu groß geraten ist, kann daher durchaus auch die Menge der dazu vorfindlichen Literatur dienen. Daß es z.B., solange man noch kein wohletablierter Wissenschaftler ist, nicht sinnvoll ist, eine Arbeit über die Weimarer Klassik, über Wallenstein oder über die französische Wortbildung anzufangen, kann man auch leicht feststellen, wenn man zu diesen Themen eine Literatursuche veranstaltet. Findet man zu einem Thema mehr als 200 unmittelbar einschlägige Titel, sollte man es für die Habilitationsschrift reservieren. Oder man muß es halt eingrenzen, z.B. auf die Behandlung des Dioskurenthemas in der Weimarer Klassik, Wallensteins Beziehung zu Johannes Kepler oder die französischen Lehnübersetzungen aus dem Deutschen im 19. Jahrhundert. Wie man sieht, determinieren Eingrenzung des Untersuchungsthemas und Literatursuche und -verarbeitung einander in einem längeren Prozeß wechselseitig.

Zu allererst liest man Artikel in neusten Auflagen von Enzyklopädien, z.B. der Encyclopaedia Britannica, Meyers Konversationslexikon, Wikipedia usw. Dort bekommt man einen autoritativen Überblick über ein Thema und außerdem bibliographische Hinweise. Ebenso liest man die einschlägigen Kapitel in Einführungsbüchern sowie die entsprechenden Artikel in Fachlexika und Handbüchern so lange, bis sie sich wiederholen und man sicher ist, sich auf demselben Kenntnisstand zu befinden. In allen diesen Quellen findet man ebenfalls Literaturhinweise, die man man extensiv und systematisch bibliographiert.

Die meisten dieser Quellen exzerpiert man nur sparsam, wenn überhaupt. Denn diese Artikel dienen dazu, einer breiteren Öffentlichkeit oder dem Anfänger den gesicherten Stand der Wissenschaft auf elementarem Niveau zusammenzufassen. D.h. sie sind kaum von einem wissenschaftlichen Interesse. (Am ehesten zitierfähig sind Handbuchartikel.) Man liest sie also dazu, sich auf den notwendigen Stand zu bringen.

Ein kritischer Bericht über eine wissenschaftliche Publikation (normalerweise ein Buch, kein Aufsatz) ist eine Rezension. Es gibt Rezensionsorgane, das sind Zeitschriften, die ausschließlich Rezensionen neuerer Publikationen enthalten. Ansonsten enthalten die meisten wissenschaftlichen Zeitschriften am Schluß einen Rezensionsteil. Der Zweck einer Rezension ist es, das Fachpublikum auf ein wissenschaftliches Werk aufmerksam zu machen, über seinen Inhalt zu informieren und eine – wertende – Einordnung abzugeben. Gute Rezensionen sind unentbehrliche Hilfsmittel, sich darüber zu informieren, was für Forschung auf einem bestimmten Gebiet stattfindet, ohne die Publikationen selbst lesen zu müssen. Freilich stellt man fest, daß verschiedene Leser desselben Werks verschiedene Rezensionen schreiben; die Zeitschriften sind voll von einseitigen Rezensionen. Um sicher zu gehen, müßte man also mehrere Rezensionen eines Werks lesen, und das kann dann so aufwendig werden wie die Lektüre des Werks selbst. Außerdem ist eine Rezension immer eine – gelegentlich weiterführende – Reaktion auf ein Werk, während das Ziel eigentlich darin bestand, sich über das Werk selbst zu informieren. So kann eine Rezension vielleicht die Lektüre eines schlechten Buches ersparen; aber sie kann die Lektüre eines guten Buches nicht ersetzen.

In diesem Zusammenhang sind auch die Literaturberichte zu erwähnen. Ein Literaturbericht (auch “Forschungsbericht”) ist ein (i.a. in einer Fachzeitschrift publizierter) Aufsatz einigen Umfangs, der den Gang der Forschung auf einem Spezialgebiet über einen bestimmten Zeitraum, z.B. in den letzten 20 Jahren, anhand der wichtigsten Publikationen nachzeichnet. Er enthält insoweit von den referierten Werken Abstracts und ordnet sie gleichzeitig retrospektiv in die Entwicklung der Wissenschaft ein.

Derweil betreibt man systematisch Literatursuche. Dazu benutzt man

Der beste auf dem Internet verfügbare Bibliothekskatalog ist der Karlsruher virtuelle Katalog. Er ist der Katalog der Kataloge; jedes Buch, das in irgendeiner der angeschlossenen Universitätsbibliotheken der Welt steht, ist aufgeführt.

Hat man eine der verfügbaren Zeit entsprechende Menge an Literatur beisammen, so beginnt die Phase der wissenschaftlichen Vertiefung. Nunmehr empfiehlt es sich, die Werke in chronologischer Reihenfolge zu lesen. Denn Wissenschaft ist wesentlich auch eine Form der Kommunikation; und indem man diese nachvollzieht, versteht man die wissenschaftliche Entwicklung in dem entsprechenden Bereich. Spätere Autoren referieren oft ihre Vorgänger oder zitieren sie gar wörtlich. Bei chronologischem Vorgehen hat man diese bereits selbst gelesen und gerät so nicht in die Gefahr, die Gedanken aus zweiter Hand kennenzulernen. In dieser Phase exzerpiert man auch ausgiebig. Denn bei der Abfassung der Arbeit wird es u.a. darauf ankommen, für jeden Gedanken den Urheber anzugeben.

Internetpublikationen

Die Konventionen der Nutzung von Informationen, die auf dem Internet zur Verfügung stehen, ändern sich derzeit (Anfang des dritten Jahrtausends) fast jedes Jahr, so daß man nicht hoffen kann, hierzu etwas allzeit Verbindliches zu sagen. Im Augenblick gilt jedenfalls folgendes:

Was auf dem Internet (“online”, ohne eine ISBN) veröffentlicht ist, ist zwar dadurch nicht im verlegerischen Sinne publiziert. Aber wie bei jeder anderen Veröffentlichung steht die Information jedermann zur Verfügung, und andererseits hat der Nutzer das Urheberrecht (engl. copyright) zu beachten. Für den Wissenschaftler, der Information aus dem Internet bezieht, bedeutet das, daß er die Quelle der Information ganz ebenso angibt, wie er es bei gedruckter Information tut. Viele Wissenschaftler geben ja auch für mündlich an sie gelangte Information die Quelle an (z.B. in der Form “mündliche Mitteilung NN”).

Ebenso wie publizierte Information ceteris paribus einen höheren Rang hat als halb- oder unpublizierte, so haben auch Internetpublikationen weniger Dignität als gedruckte. Das hat mehrere Gründe:

Die Konsequenz davon ist, daß gedruckte Information oft höhere Qualität hat und ihr Nutzer ein höheres Maß an Sicherheit hat als bei Internetinformation. Folglich wird er ersterer ceteris paribus den Vorzug geben. Es spricht selbstverständlich nichts dagegen, die Information, die auf dem Internet geboten wird, zur Kenntnis zu nehmen. Und nutzt man tatsächlich eine bestimmte Information aus dieser Quelle, dann hat man das im Sinne des Urheberrechts auch anzugeben.3 Aber wegen der soeben genannten drei Punkte prüft man zunächst, ob sich entsprechende Information nicht auch in Druckwerken findet, und nutzt positivenfalls diese.

Das schließt insbesondere den Fall ein, wo ein gegebenes Werk sowohl gedruckt als auch online verfügbar ist. Ist man sicher, daß die online verfügbare Fassung mit der in Druckform publizierten identisch ist, bibliographiert man jedenfalls die letztere. Als Dienst am Leser kann man der bibliographischen Angabe die URL der Internetfassung hinzufügen. Wenn - was nicht selten der Fall ist - die beiden Fassungen sich (nur) in der Paginierung unterscheiden, kann man statt auf Seiten auf Abschnitte verweisen.


1 Die Kosten für die Anmietung einer eigenen Internetdomain summieren sich auch über viele Jahre noch nicht auf den Betrag, den ein Verleger als Druckkostenzuschuß für die Publikation eines wissenschaftlichen Spezialwerks (insbesondere einer Dissertation) verlangt.

2 Es heißt derzeit, das Internet vergesse nichts. Das ist aber nur kontingent so, weil viel Information von ihrem Ursprungsort kopiert und anderswo gespeichert und evtl. auch wieder publiziert wird. Aber diejenigen, die Information kopieren, garantieren nicht, daß sie diese zugänglich halten.

3 Manche wissenschaftliche Einrichtungen verbieten derzeit (2011) ihren Studenten und Examenskandidaten noch, Information vom Internet zu verwenden. Das dürfte bald vorbei sein.