Sprechakt

Durch Sprachtätigkeit suchen wir Ziele zu erreichen, die sich eben durch Reden (anstatt Handeln) erreichen lassen. Dazu gehören solche Dinge wie etwas erfahren, jemanden überzeugen, sich bei jemandem bedanken, jemanden verfluchen usw. Einige dieser Ziele ließen sich auch auf nicht-sprachlichem Wege erreichen; z.B. kann man sich auch durch eine Geste oder durch Übersendung eines Blumenstraußes bedanken. Einige Ziele werden innerhalb einer Gesellschaft konventionell dadurch erreicht, daß man bestimmte Dinge sagt. Wenn ich z.B. danke sage, habe ich eine Konvention erfüllt und kann dann in Anspruch nehmen, mich bedankt zu haben. Eine solche sprachliche Handlung kann weitreichende Konsequenzen haben, z.B. wenn jemand unter geeigneten Umständen B1 zu einem sagt.

B1. Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes auf den Namen Erna.

Ein Sprechakt i.w.S. ist ein Vorkommen von Sprachtätigkeit unter Einschluß aller funktionaler Aspekte. Dazu gehören also die Äußerung eines Sprachzeichens mit seinem Significans und Significatum, seinen epistemischen und kommunikativen Funktionen und seinem sprachlichen Kontext, die Sprechsituation, in der die Äußerung getan wird, mit den Bedingungen, unter denen sie verstanden und bewertet wird, und ihre sozialen Konsequenzen unter diesen Bedingungen. Alle diese Aspekte wären z.B. eingeschlossen bei einer vollständigen Beschreibung des in B1 gemeinten Sprechaktes.

Aus diesem Sprechakt i.w.S. kann man den illokutiven Akt oder Sprechakt i.e.S. herauslösen. Dabei betrachtet man nur die konventionalisierte kommunikative Funktion des Sprechakts i.w.S. Z.B. kann man durch die Alternativen in B2 gleichwertige illokutive Akte (eben solche des Dankens) ausführen.

B2.a.Danke.
b.Vielen Dank.
c.Ich bedanke mich.

Man sagt auch, solche Äußerungen hätten dieselbe illokutive Kraft.

Das Lexikon jeder Sprache enthält eine Menge Verben, die verschiedene illokutive Akte bezeichnen. B3 bietet eine Sammlung solcher Sprechaktverben.

B3. versprechen, sich bedanken, loben, beleidigen, verfluchen, segnen, taufen

Eine Teilmenge der Sprechaktverben benennt nicht nur einen Sprechakt, sondern man kann sie außerdem dazu verwenden, den Sprechakt auszuführen. Das ist z.B. möglich mit den in B4 aufgeführten Verben sowie mit taufen wie in B1.

B4.a.Ich verspreche es.
b.Ich bedanke mich.
c.Ich verfluche dich.
d.Ich segne dich.

Dagegen kann man kaum jemanden loben, indem man sagt Ich lobe dich, und sicherlich niemanden beleidigen, indem man sagt Ich beleidige dich. Ein Verb ist performativ genau dann, wenn es als finites Verb im Präsens Indikativ Aktiv des Prädikats eines positiven selbständigen Aussagesatzes mit Subjekt in der 1.Ps. dazu verwendet werden kann, den illokutiven Akt auszuführen, den es bezeichnet.2 Die folgende Tabelle stellt einige performative und nicht-performative deutsche Sprechaktverben gegenüber:

Performative und nicht-performative deutsche Sprechaktverben
performativnicht-performativ
verfluchenbeleidigen
segnentrösten
sich entschuldigensich herausreden
warnendrohen

Die performativen Verben stellen eine Vorstufe der Grammatikalisierung kommunikativer, genauer: illokutiver Funktionen dar. Bei weitergehender Grammatikalisierung der illokutiven Funktionen hat man als Strukturmittel nicht mehr Verben, sondern Partikeln (i.e.S.), grammatische Morpheme und schließlich nur noch Wortstellung und Intonation. Eine Auswahl bietet B5.

B5.a. [lat.] Num Romae habitas? "Wohnst du in Rom?"
b.Warum bist du gekommen?
c.Wohnst du in Rom?
d.[ital.] Abiti a Roma? "Wohnst du in Rom?"

B5.a zeigt die Partikel num zur Signalisierung einer Satzfrage. In b wird der Fragecharakter durch ein morphologisches Mittel, das Fragepronomen, sowie durch dessen Voranstellung signalisiert. In c ist es die Spitzenstellung des Verbs im Verein mit der besonderen Intonation, die die Frage ausdrückt. In d schließlich bleibt nur die Intonation, um den Satz von einer Aussage zu unterscheiden.

Übungsaufgaben
1.Performative Verben 1
2.Performative Verben 2
3.Illokutive Kraft

Satztyp

Die illokutive Kraft kann vollständig grammatikalisiert sein, derart daß die so grammatikalisierten illokutiven Kräfte ein syntaktisches Paradigma bilden. Ein Satztyp (deutsche Schulgrammatik: ‘Satzart’) ist ein Typ von (selbständigen oder abhängigen) Sätzen, die durch eine derart grammatikalisierte illokutive Kraft voneinander verschieden sind. In der traditionellen Grammatik wird mit vier Satztypen gerechnet:

Diese sind definiert durch ihre konventionelle illokutive Kraft sowie die entsprechenden grammatischen Mittel. Z.B. ist ein Befehlsatz ein Satz, der im Imperativ oder sonst einer dafür geeigneten Konjugationskategorie steht und, wenn selbständig, die illokutive Kraft eines Befehls sowie eine bestimmte Intonation hat.1 Weiterführendes anderswo.

Freilich sind diese standardisierten illokutiven Kräfte so stark grammatikalisiert, daß sie leicht von anderen Bedeutungselementen überlagert werden können. Es gibt keine eindeutige Entsprechung zwischen Satztyp und tatsächlicher illokutiver Kraft.

B6.a. Könnten Sie bitte die Tür offenlassen?
b.Diese ständig offene Tür macht mich noch wahnsinnig.
c.Ich würde gern wissen, wie spät es ist.

Einerseits kann man, wie B6.a und b zeigen, den Sprechakt einer Aufforderung auch mithilfe eines Frage- bzw. eines Aussagesatzes ausführen; und andererseits kann man, wie B6.b und c zeigen, einen Aussagesatz auch mit der illokutiven Kraft einer Aufforderung oder einer Frage gebrauchen.

Ferner haben abhängige Sätze i.a. keine eigene illokutive Kraft. Man konstatiert jedoch die traditionellen Satztypen auch in Nebensätzen und spricht mit Bezug auf B7 von abhängigen oder indirekten Deklarativ-, Interrogativ- und Imperativsätzen.

B7.a.Friedrich meinte, es sei schon ziemlich spät.
b.Friedrich meinte, ob es denn schon so spät sei.
c.Friedrich meinte, sie sollten jetzt nach Hause gehen.

Die illokutive Kraft allein kann also keinesfalls kriterial für die Unterscheidung von Satztypen sein. Bei der Zuordnung der in Konstruktionen wie B7 auftretenden Strukturmittel zu den Satztypen spielen offenbar transformationelle Beziehungen zu entsprechenden selbständigen Sätzen eine Rolle.

Übungsaufgaben
1.Satztypen
2.Abhängige Satztypen

Modalität

Mit dem Satztyp hängt eng die Modalität zusammen. Die Modalität eines Satzes ist eine semantische Eigenschaft, die die Einstellung des Sprechers zum Inhalt des Satzes betrifft.3 B8 verdeutlicht das Gemeinte.

B8.a. Er hat sich geweigert.
b.Er hat sich wohl geweigert.
c.Er soll sich geweigert haben.
d.Er hätte sich weigern sollen.
e.Hätte er sich doch geweigert!

In allen Sätzen von B8 geht es um denselben Gedanken der Weigerung einer dritten Person in der Vergangenheit. Alle außer e sind Aussagesätze, haben also denselben Satztyp. In a wird ausgedrückt, daß der Gedanke der Realität entspricht. In b wird eine Vermutung geäußert, daß der Gedanke der Realität entspricht, mit der Nuance, daß der Sprecher unzureichende Information hat, um dies einfach behaupten zu können. Ähnlich ist es in c, wo ausgedrückt wird, daß der Sprecher die Information aus einer anderen Quelle hat. In d bringt der Sprecher zum Ausdruck, daß der Gedanke sich nicht realisiert hat und daß er dies negativ bewertet. In e wird ebenfalls gesagt, daß der Gedanke sich nicht realisiert hat, und zusätzlich, daß der Sprecher wünscht, er hätte sich realisiert.

Dies sind ein paar Beispiele für mögliche Einstellungen des Sprechers zum Gesagten. Wichtig daran ist, daß es meist um die Beziehung des ausgedrückten Gedanken zur Wirklichkeit und zusätzlich um eine Bewertung des Gedankens nach verschiedenen Kriterien geht.

Die zum Ausdruck der Modalität eingesetzten Mittel sind vielfältig. In B8.b haben wir eine Partikel (i.e.S.), genauer eine Modalpartikel, in c und e ein Modalverb, in d und e einen Modus (in einem bestimmten Tempus). Modus kann man definieren als eine Konjugationskategorie, die Modalität ausdrückt. Ein Modalverb ist ein grammatisches Verb, das Modalität ausdrückt. Von den drei Mitteln ist der Modus am stärksten grammatikalisiert. Ähnlich wie bei den Satztypen ist es auch hier so, daß die grammatische Bedeutung der Modi völlig von anderen semantischen Elementen des Satzes überlagert werden kann. Z.B. stehen im Lateinischen und den meisten romanischen Sprachen Nebensätze, die durch bestimmte Konjunktionen eingeleitet werden, im Konjunktiv, ohne daß damit Modalität im eben definierten Sinne ausgedrückt würde, sondern nur, weil die Regeln der Grammatik das verlangen.

Auch in diesem funktionalen Bereich ist die Terminologie nicht optimal klar. Modalität in einem weiten Sinne umfaßt Satztyp; in einem engen Sinne tut sie das nicht. Man kann versuchen, Satztyp auf die kommunikative und Modalität auf die epistemische Funktion von Sprache zu beziehen. Für die bisher gegebenen Beispiele schiene das auch plausibel. Allerdings gibt es in vielen Sprachen Modi für bestimmte illokutive Funktionen, z.B. einen Imperativ für Befehlssätze und einen interrogativen (bzw. dubitativen) Modus für Fragesätze. Die Einstellung des Sprechers zum Gesagten ist offenbar nicht zu trennen von dem, was er damit erreichen will.

In der Diskussion haben wir angenommen, daß man von einer Äußerung illokutive Kraft und Modalität quasi abziehen kann und dann etwas übrig behält, was ich gelegentlich 'Gedanke' genannt habe. Das ist der älteste, vorlinguistische Terminus dafür. Später sagte man 'Sachverhalt', 'Satzbegriff', 'Informationsgehalt', 'propositionaler Gehalt', 'Proposition', 'kognitiver Gehalt'. Gemeint ist immer dasselbe: Man kann auf der semantischen Seite eines Satzes einen objektiven Teil, die Vorstellung von einer Situation, unterscheiden von einem subjektiven Teil, den Einstellungen und Absichten, die der Sprecher damit verbindet. In einem Schichtenmodell der Satzbedeutung würde man als Kern den propositionalen Gehalt ansetzen und mehr am Rande Modalität und illokutive Kraft als Operatoren. Dies kann man auch syntaktisch plausibel machen, wenn man B8 mit B9 vergleicht.

B9.a. Ich behaupte, daß er sich geweigert hat.
b.Es ist wohl so, daß er sich geweigert hat.
c.Man sagt, daß er sich geweigert hat.
d.Es wäre besser gewesen, wenn er sich geweigert hätte.
e.Ich wünschte, daß er sich geweigert hätte.

Die Sätze B9.a-e sind mit den Sätzen B8.a-e jeweils soweit wie möglich synonym. Der propositionale Gehalt der letzteren ist in den ersteren jeweils in einen Nebensatz verpackt, während die Modalität in weniger stark grammatikalisierter Weise im Hauptsatz ausgedrückt ist.

Diese grammatischen und semantischen Verhältnisse sind die Konsequenz der Kombination zweier verschiedener Operationen der Sprachtätigkeit. Der propositionale Gehalt eines Satzes wird durch einen propositionalen Akt zustandegebracht. Darauf wird dann der illokutive Akt angewendet. Wir haben im vorigen gesehen, daß der illokutive Akt sehr vielschichtig und vermutlich aus einer Reihe von Teilakten zusammengesetzt ist. In den folgenden Kapiteln werden wir sehen, daß dasselbe für den propositionalen Akt gilt.

Übungsaufgaben
1.Fragesätze
2Modus

1 Die traditionellen Termini ‘Aussage-, Frage-, Ausrufe- und Befehlssatz’ legen das Mißverständnis nahe, daß die Satztypen ausschließlich durch ihre illokutive Kraft definiert sind. Um dies zu vermeiden, sollten besser die oben angeführten Termini verwendet werden. Vgl. Lyons 1977, ch.16.2.

2 Ein ziemlich sicheres Testkriterium ist die Hinzufügung von hiermit. Andererseits sind viele Verben wie äußern nur unter bestimmten Bedingungen performativ.

3 Weiterführendes zur Rolle des Sprechers in der Rede anderswo.