Phonetische Aktualisierung

Jemand, der spricht, aktualisiert Einheiten des Sprachsystems in der Rede. Die Aktualisierung des Significans ist das “Ausbuchstabieren” seiner lexikalischen phonologischen Repräsentation in Form einer phonetischen Repräsentation und deren Überführung in Artikulationsbewegungen.

Die lexikalische Repräsentation eines Significans ist in mehreren Hinsichten abstrakt:

Die Phonologie befaßt sich mit der Aktualisierung nur bis zu einer Stufe, die systematische phonetische Repräsentation genannt wird. Das ist eine phonetische Repräsentation nicht einer individuell vorgekommenen Äußerung, sondern eines “Systemsatzes”. Man kann diesen Begriff operationalisieren z.B. in Form einer Ausspracheanweisung an einen phonetisch geschulten Sprecher, der anhand ihrer eine normgerechte (und ggf. situationsangemessene) Aussprache realisieren würde.

Die lexikalische Repräsentation eines Significans andererseits ist eine morphophonemische Repräsentation.

  1. Sie ist distinktiv, d.h. die Einheit ist von allen anderen (nicht-homophonen) Einheiten desselben Systems unterschieden.
  2. Sie ist im obigen Sinne unterspezifiziert.
  3. Sie ist in phonologischen, nicht in phonetischen Merkmalen angegeben.
  4. Sie ist offen für alternative Realisierungen, die abhängen von Information, welche erst bei der Einbettung der Einheit in einen bestimmten Kontext hinzukommt.

Ad 1: Auf dieser Ebene sind z.B. dt. { ba:d } und { ba:t } verschieden, obwohl sie (wenn als Wortformen realisiert) systematisch-phonetisch beide [baːt] sind.

Ad 2: Z.B. sind für das {a} von {ba:t} Merkmale wie [+ tief] spezifiziert. Der Wert von [stimmhaft] (+) dagegen ist nicht angegeben, weil er durch Regel eingesetzt werden kann.

Ad 3: Z.B. würde das phonologische Merkmal [+ tief] auf systematisch-phonetischer Ebene in das Ladefogedsche Merkmal [1 height] umgesetzt werden; und dieses würde schließlich z.B. als [10% height] ausbuchstabiert werden.

Ad 4: Z.B. weist die lexikalische Repräsentation von dt. über einen Wortakzent auf der ersten Silbe auf. Der kommt aber in den meisten Kombinationen, z.B. in Übersetzung, nicht zum Tragen (Näheres im Abschnitt über Akzent). Die Unakzentuiertheit der ersten Silbe ermöglicht sodann die Kürzung des {y:} und folglich Allegro-Realisierungen wie [ʔʏbɐˈzɛʦʊŋ].

Die Aktualisierung kann folglich, aus systemlinguistischer Sicht, verstanden werden als ein Prozeß, der lexikalische in textuelle, in der Phonologie also morphophonemische in systematisch-phonetische Repräsentationen überführt. Das ist ein komplexer Prozeß, der sich aus zahlreichen einzelnen phonologischen und phonetischen Prozessen zusammensetzt.