Die Ausdrücke Bedeutung und Sinn sind in vielen verschiedenen Bedeutungen verwendet und definiert worden.1 Die im folgenden gebotene Definition ist eine von vielen möglichen. Es geht vor allem darum, zwei Bedeutungsbegriffe auseinanderzuhalten. Ob man diese Bedeutung und Sinn oder z.B., wie die Philosophen, Standardbedeutung vs. Benutzerbedeutung nennt, ist dafür zweitrangig.
Statt der hier gemachten binären Unterscheidung wird gelegentlich (z.B. Löbner 2003, Kap. 1.1) auch eine ternäre Unterscheidung gemacht: 1) Ausdrucksbedeutung, 2) Äußerungsbedeutung, 3) Kommunikativer Sinn. Die Begriffe #2 und #3 können verstanden werden als Differenzierung des hier explizierten Begriffes ‘Sinn’.
Sprache ist die gemeinsame Erzeugung von Sinn durch Austausch von (sprachlichen) Zeichen. Hier kann ‘Sinn’ ganz allgemein verstanden werden als Deutung und mentale Repräsentation einerseits dessen, was der Kommunikationspartner denkt und will, und andererseits der Welt, in der wir leben. D.h. die Erzeugung von Sinn ist den beiden obersten Funktionen der Sprache, der Kommunikation und der Kognition, noch übergeordnet. Wichtig ist allerdings, daß der Sinn gemeinsam erzeugt wird. Wenn ein einzelner, z.B. durch Kontemplation, der Welt Sinn gibt, handelt es sich nicht um Sprache.
Gemeinsam Sinn erzeugt man in individuellen raumzeitlichen Situationen, genannt Sprechsituation. Man übermittelt, wie gesagt, Zeichen, aus denen das Gegenüber das Gemeinte erschließen kann. Man sagt z.B.:
Zwei Bier bitte!
(a) Der Sinn dieser Äußerung kann z.B. der folgende sein:
“X
fordertY
auf,X
so bald wie konventionell üblich und unter den gegebenen Umständen möglich zwei Gläser der konventionell als klein geltenden Größe gefüllt mit der in dieser Einrichtung als Default verwendeten Sorte Bieres zu bringen, undX
will darüber einen Kaufvertrag mitY
abschließen.X
ist der Sprecher der Äußerung,Y
ist derjenige, an den die Äußerung gerichtet ist, egal ob zu ihm bereits kommunikativer Kontakt besteht oder ob er kraft seiner Rolle in dieser Einrichtung auf Äußerungen dieser Art zu reagieren hat.”
Die Äußerung gewinnt diesen Sinn nur in einer geeigneten Sprechsituation. Ist z.B. überhaupt kein Kellner in Hörweite, wird jeder, der die Äußerung hört, entweder einen anderen Sinn in ihr suchen oder sie als mißlungen verbuchen. Ersteres wäre z.B. der Fall, wenn der Ausdruck als Antwort auf die Frage Und was darf ich für Euch bestellen? verwendet wird. Ob andererseits die Äußerung in der bestimmten Sprechsituation tatsächlich den angegebenen Sinn hat, kann man z.B. testen, wenn Streit zwischen X
und Y
darüber entsteht. Dabei würde X
z.B. in der umrissenen Beispielsituation feststellen – falls er denn darüber im Zweifel war –, daß er durch die Äußerung in der Tat einen Kaufvertrag mit Y
abgeschlossen hat, obwohl er davon kein Wort gesagt hat.
(b) Wiewohl die gebotene Umschreibung des Sinns der Beispieläußerung noch lange nicht vollständig ist [was z.B. soll “gefüllt” besagen?], ist schon klar, daß sie viele Komponenten enthält, die der Sprecher zwar gemeint, aber nicht kodiert hat. Kodiert hat er nur folgendes:
Das ist die Bedeutung des Ausdrucks, so wie sie sich kompositionell aus seinen Bestandteilen und den Regeln des Sprachsystems ergibt. Für alles andere, was in der obigen Sinnparaphrase enthalten ist, verläßt sich der Sprecher auf die Sprechsituation und für Situationen dieser Art geltende soziale Konventionen; und der Hörer nutzt sie, um den Sinn zu ergänzen.
Zur Kodierung des Gemeinten wird ein komplexes Sprachzeichen verwendet, eine Konstruktion aus drei Wörtern, deren Bedeutung genutzt wird. Die Bedeutung ist gerade die, die soeben angegeben wurde. Sie ist nach den Regeln dieses Sprachsystems (Deutsch) mit dieser Konstruktion assoziiert. Man kann die Wörter z.B. in einem Lexikon nachschlagen. Zur Bedeutung der gesamten Konstruktion braucht man zusätzlich die Regeln der Grammatik. Beide sind von der jeweiligen Sprechsituation völlig unabhängig.
Wie man sieht, können die in einer Äußerung verwendeten Sprachzeichen mit ihrer Bedeutung nur einen Hinweis auf den gemeinten Sinn geben. Es ist unmöglich, den Sinn vollständig zu kodieren; dies würde in einem infiniten Regress enden. Man verläßt sich immer darauf, daß das Gegenüber auch ein Mensch ist, also grundsätzlich verstehen kann und im Einzelfall dann verstehen kann, wenn er an denselben Konventionen des Zeichengebrauchs (d.h. an derselben Sprache) teilhat.
1 Eine wichtige weitere Bedeutung von Sinn, die oft, auch auf dieser Website, vorkommt, ist “eine der Lesarten eines polysemen Lexems”. Immerhin hat diese Verwendung mit der oben definierten gemeinsam, daß ein Sinn spezifischer ist als eine Bedeutung. – Völlig anderen Sinn haben die Termini Sinn (~ Significatum) und Bedeutung (~ Designatum) bei G. Frege.