Einführung

Ein Wortfeld oder lexikalisches Feld ist eine Menge von bedeutungsverwandten Wörtern. Z.B. gehören zum Wortfeld ‘Straßen und Wege’ u.a. die Wörter in B1.

B1. Straße, Weg, Gasse, Pfad, Allee

Der dem Wortfeld zugrundeliegende Begriff der Bedeutungsverwandtschaft läßt sich mithilfe der onomasiologisch begründeten paradigmatischen lexikalischen Relationen explizieren:

  1. Die Mitglieder eines Wortfeldes sind allesamt Hyponyme eines einzigen Hyperonyms. Wenn diesem Hyperonym eines ganzen Wortfeldes ein Wort der Sprache entspricht, heißt dieses Archilexem.
  2. Die Mitglieder eines Wortfeldes stehen in den onomasiologisch begründeten paradigmatischen lexikalischen Relationen zueinander.

Beide Kriterien werden allerdings milde ausgelegt. Für viele Wortfelder gibt es tatsächlich ein Archilexem. Z.B. ist Gewässer das Archilexem des Wortfeldes, zu dem die Wörter in B2 gehören.

B2. Fluß, Strom, Bach, See, Meer, Teich

Dagegen gibt es im Deutschen kein Archilexem für das durch B1 umrissene Wortfeld. Da Wortfelder grundsätzlich onomasiologisch konstituiert sind, kann das Vorhandensein eines Archilexems ohnehin nur eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung zur Konstitution eines Wortfeldes sein.

Und wiederum stehen zwar viele Mitglieder von Wortfeldern in einer der betreffenden lexikalischen Relationen zueinander. So ist Allee Hyponym von Straße, Pfad Hyponym von Weg, Stute komplementär zu Hengst usw. Oft handelt es sich um Teilsynonymie, wie sie für Synonymenwörterbücher relevant ist. Im allgemeinen jedoch werden die Oppositionen zwischen den Gliedern eines Wortfeldes durch unterschiedliche Werte von semantischen Merkmalen begründet, die in dem Wortfeld walten.

Gelegentlich (z.B. Löbner 2003:131) wird zusätzlich gefordert, daß die Mitglieder eines Wortfeldes derselben Wortart angehören. Theoretisch ist diese Forderung unbegründet, denn sie verwendet ein strukturelles Kriterium in einer Analyse, die doch onomasiologisch vorgeht. Methodisch freilich ist das Erfordernis sinnvoll, weil man die Proben, die man zur Analyse durchführen muß (s.u.), nur mit Wörtern durchführen kann, die annähernd die gleiche Distribution haben.

Wie semantische Merkmale ein Wortfeld strukturieren, ist anderswo anhand der Haustierterminologie vorgeführt. Dort wird freilich nicht das gesamte Wortfeld der Haustierbezeichnungen behandelt, sondern nur ein Ausschnitt, der durch wenige Merkmale wie [ equin ], [ bovin ], [ ovin ], [ gallin ], [ erwachsen ] und [ weiblich ] konstituiert wird. Wenn denn ein Archilexem existiert, so werden i.a. alle Wörter berücksichtigt, die darunter fallen. Wenn also z.B. Pferd das Archilexem wäre, müßte man u.a. alle Wörter in B3 mitbehandeln:

B3.a.Hengst, Wallach, Stute, Fohlen, Füllen
b.Vollblut, Warmblut, Kaltblut
c.Gaul, Klepper, Mähre, Mustang, Roß
d.Falbe, Fuchs, Schimmel, Rappen, Brauner

Das Feld ist in B3 so vorstrukturiert, daß ersichtlich wird, daß noch ganz andere semantische Merkmale eine Rolle spielen werden. Zumal gibt es auch Unterschiede wie die in B3.c, die eher mit Konnotationen als mit denotativen semantischen Merkmalen zu tun haben

Wortfelder in Lexika natürlicher Sprachen sind selten so systematisch strukturiert wie das Schraubensortiment im Abschnitt über Merkmale. Im Gegenteil ist in der Linguistik oft gesagt worden, der wesentliche Unterschied zwischen Grammatik und Lexikon liege darin, daß erstere systematisch, letzteres idiosynkratisch sei. Dieser Unterschied ist selbstverständlich ein gradueller; es gibt durchaus hochgradig strukturierte Bereiche des Lexikons, etwa die Verwandtschaftsterminologie. Nichtsdestoweniger ist das im europäischen Strukturalismus hochgehaltene Postulat, die Mitglieder eines Wortfeldes teilten den semantischen Bereich restlos unter sich auf und es gebe keine lexikalischen Lücken, frommes – und theoretisch unbegründetes – Wunschdenken. Um sich der empirischen Lage zu vergewissern, braucht man nur an die Ende des 20. Jh. in der deutschen Sprachgemeinschaft geführte Diskussion um das Wörtchen sitt zu denken, welches die durch x bezeichnete offensichtliche lexikalische Lücke in der Proportion hungrig : satt = durstig : x besetzen sollte. Das Lexikon ist voll von solchen Lücken. Das ist auch kein Wunder, da sogar die – sonst ja viel regelmäßiger strukturierte – Grammatik Lücken hat, z.B. in Form von Defektivität.

Methode der Wortfeldanalyse

Es sei als Beispiel das Feld menschlicher Fortbewegung zu analysieren. Zunächst legt man eine zweidimensionale Matrix an, mit den Wörtern in den Zeileneingängen und den Eigenschaften in den Spalteneingängen, wie in folgender Tabelle.

Verben der menschlichen Fortbewegung
Merkmal
Verb   ╲
gehen+
laufen++
rennen+++
bummeln++
schlendern++
wandern++
kriechen++
springen++
hüpfen+++

Die logische Form der Merkmale ist hier so gewählt, daß jedes Merkmal einem Lexem entweder zukommt (+) oder nicht zukommt ( ), wobei im letzteren Fall über das Zutreffen des Merkmals nichts gesagt ist. Jedes Merkmal ist also einwertig. Allerdings gibt es in der Analyse Merkmale, die einander ausschließen, z.B. schnell und in nachlässiger Gangart, oder mit aller Kraft und spielerisch. Diese könnte man jeweils zu zweiwertigen Merkmalen zusammenfassen, also etwa [ ± schnell ] und [ ∓ spielerisch]. Die Spezifikation eines Merkmals mit ‘-’ wäre dann eine weitere, informationshaltige, Spezifikation, würde also die Intension des so spezifizierten Lexems vergrößern. Daneben gäbe es auch hier die Abwesenheit von Spezifikation. Mehr als zweiwertige Merkmale sind denkbar, also etwa [ schnell ] mit den Werten 0, 1, 2 oder -1, 0, 1. Gleich wieviele Werte ein Merkmal zuläßt, immer muß es außerdem die Möglichkeit geben, daß das Merkmal unspezifiziert ist, z.B. für Wörter außerhalb des Wortfeldes.

Jedes spezifizierte Merkmal vergrößert die Intension des betreffenden Lexems. Das bedeutet, daß die Merkmalbeschreibung Hyponymiebeziehungen zum Ausdruck bringt: immer wenn die Spezifikationen eines Lexems in denen eines anderen Lexems inkludiert sind, ist es ein Hyperonym des letzteren. Daher ist in dieser Matrix rennen ein Hyponym von laufen und hüpfen ein Hyponym von springen. Heuristisch ist es oft so, daß man, wenn man die Merkmalsanalyse fertiggestellt hat, feststellt, daß man Hyponymiebeziehungen formalisiert hat, die intuitiv gar nicht bestehen. Hätten wir z.B. das Merkmal in nachlässiger Gangart durch langsam ersetzt und auch dem Lexem kriechen zugeschrieben, so hätten wir gefunden, daß kriechen nach dieser Analyse ein Hyponym von schlendern ist, und hätten daraufhin die Analyse ändern müssen.

Ein Wortfeld ist, wie gesagt, grundsätzlich onomasiologisch – nämlich i.w. durch seinen gemeinsamen Nenner – konstituiert. Daraus folgt, daß semasiologisch begründete paradigmatische Relationen bei der Analyse außen vor bleiben. D.h. wenn ein Mitglied eines Wortfeldes mehrdeutig ist oder metaphorische Verwendungen hat, bleiben alle diejenigen Bedeutungen, die nicht in das Wortfeld fallen, also nicht Hyponyme des Archilexems sind, bei der Analyse außer Betracht. Die obige Wortfeldanalyse wäre z.B. unmöglich durchzuführen, wenn wir von den Verben gehen, laufen, und springen auch die Bedeutungen berücksichtigen wollten, die in B4 auftreten:

B4.a.Die Uhr geht nicht mehr.
b.Das Geschäft läuft.
c.Die Tasse ist gesprungen.

Die Wortfeldanalyse gilt also immer nur für bestimmte Bedeutungen der beteiligten Lexeme. Von diesen macht man dann freilich eine semasiologische Analyse.

Der wichtigste methodische Grundsatz bei der Auffindung der semantischen Merkmale ist, auf die paradigmatischen und syntagmatischen Relationen zu achten. Man setzt die Wörter daher einerseits in diagnostische Kontexte, insbesondere solche, die zu Inkompatibilitäten führen, wie in B5.

B5.a.Stefan Holm hüpfte über 2,40 m.
b.Das Kind sprang vor Vergnügen von einem Bein aufs andere.

Andererseits bildet man in geeigneten Kontexten Oppositionen, wie in B6.

B6.a.Wir bummelten/schlenderten an den Schaufenstern entlang.
b.Der Riese lief/rannte gemächlich neben ihm her.

Die Zusammenstellung der Wörter zu einem Wortfeld schiebt die paradigmatischen Relationen in den Vordergrund; desto mehr muß man auf die syntagmatischen achten.

Diese Form der Analyse muß auch jeder vornehmen, der ein gewöhnliches Wörterbuch verfassen will. Er kann nicht seine Wortliste alphabetisch abarbeiten und sich die Bedeutung von schlendern überlegen, wenn es an der Reihe ist. Er muß ja sicher gehen, daß die Bedeutungsbeschreibung von schlendern von der aller anderen Einträge des Wörterbuchs verschieden ist und das Wort in beliebigen Kontexten zu verstehen erlaubt. Deshalb muß er eine Analyse wie die obige machen.


Bibliographische Hinweise

Gipper, Helmut & Schwarz, Hans (eds.) 1962-1985, Bibliographisches Handbuch zur Sprachinhaltsforschung. Teil I: Schrifttum zur Sprachinhaltsforschung in alphabetischer Folge nach Verfassern. Opladen: Westdeutscher Verlag (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Abhandlungen, 16).

Gipper, Helmut & Schwarz, Hans (eds.) 1986-1989, Bibliographisches Handbuch zur Sprachinhaltsforschung. Teil II: Systematischer Teil (Register). Opladen: Westdeutscher Verlag.