Mit ‘Deixis’ (griech. “Zeigen”) bezeichnet man eine solche Referenz, welche eine Komponente der Sprechsituation als Bezugspunkt nimmt. Gemeint sind die im vorigen Abschnitt eingeführten Komponenten, also die Sprechaktteilnehmer und weitere Mitglieder der Sprechsituation, die Nachricht sowie Ort und Zeit des Sprechaktes.
Deixis ist also eine Methode der Referenz. Die Referenz eines Ausdrucks kann nicht allein aus seinem Designatum berechnet werden, denn dies ist ein Begriff, ist also virtuell, während ein Referent aktuell ist, d.h. der jeweiligen Sprechsituation angehört. Die Referenz eines Ausdrucks ergibt sich grundsätzlich durch ein Zusammenwirken seines Designatums mit einem Bezugspunkt. Es kommen i.w. drei Arten von Bezugspunkten infrage:
B1. | a. | der böse Wolf |
b. | der Ausbruch des Vesuvs, welcher Pompeii verschüttete | |
c. | Hast du eigentlich dieses Buch hier gelesen? |
B1.c enthält verschiedene Formen von Deixis, die in den folgenden Abschnitten aufgenommen werden. Ein Deiktikum ist ein - normalerweise grammatisches - Wort oder Morphem, dessen Significatum einen Verweis auf eine Komponente der Sprechsituation enthält, also deiktisch ist. Der absolute Bezugspunkt und die letzte Instanz jeglicher Deixis ist der Sprecher. Der Bezugspunkt der Deixis heißt Origo (lateinisch für “Ursprung”). Der Sprecher monopolisiert die Deixis, denn wie im betreffenden Abschnitt besprochen, kontrolliert er die Sprechsituation. D.h. wenn man wissen will, was er mit ‘du’ oder ‘hier’ meint, muß man seine Perspektive einnehmen. Das hat zur Folge, daß im Gespräch mit jedem Sprecherwechsel die Origo und folglich sämtliche deiktischen Bezüge wechseln. Deiktika sind deshalb auch shifters genannt worden (Jakobson 1957).
Der Sprecher definiert also durch seinen Sprechakt den Nullpunkt für alle deiktischen Kategorien. Dazu zählen (jeweils mit den zugeordneten Arten der Deixis):
Es gibt nicht-deiktische Verfahren, um auf die Sprechaktteilnehmer zu referieren, z.B. der Unterzeichnete oder jemand in Und doch hat jemand einen braunen Saft in jener Nacht nicht ausgetrunken (Goethe, Faust I). Hier gilt jedoch das, was in zahlreichen Universalien vorausgesetzt wird: In allen Sprachen in typisch gleicher Weise ständig wiederkehrende Elemente der Kommunikation und Kognition werden grammatikalisiert. D.h. es ist nicht notwendig, Kreativität zu ihrer Bewältigung einzusetzen; die Sprache hält Routinen und Versatzstücke, eben grammatische Formative und grammatische Operationen, dafür bereit. So gibt es auch zur Referenz auf die Sprechaktteilnehmer Deiktika, die Personalpronomina (auch Personalia1). In den meisten Sprachen sind diese hochgradig grammatikalisiert; aber in einigen Sprachen, besonders in Ostasien (z.B. Vietnamesisch), sind es eher Lexeme, die Rollen wie ‘Herr’, ‘Diener’ und auch Verwandte bezeichnen.
Da im prototypischen Verlauf der ‘parole’ die Rollen der Sprechaktteilnehmer ständig wechseln, funktioniert das System der Personalpronomina so, daß es einen Ausdruck für den Sprecher und einen für den Hörer gibt, deren Referenz genau dann wechselt, wenn der Sprecher wechselt. ‘Ich’ bezeichnet denjenigen, der ‘ich’ sagt.
Die zentralen grammatischen Kategorien der Personalia sind Person und Numerus (vgl. Helmbrecht 2003). Die Kategorie der ‘Person’ umfaßt Werte, welche sich auf die Sprechaktteilnehmer beziehen, sowie weitere, die sich auf Nicht-Sprechaktteilnehmer beziehen. Zu den ersteren gehören die erste und zweite Person, deren Referenz eben den Sprecher bzw. den Hörer einschließt (z.B. du in B1.c). Zu den letzteren gehören diverse Formen der dritten Person. Es ist also nicht der Fall - wie es häufig heißt -, daß die Referenten von Personalpronomina Personen, und zwar Sprechaktteilnehmer seien. Allerdings wird ein personalpronominales Paradigma in einer Sprache daran erkannt, daß es wesentlich Formative einschließt, die auf die Sprechaktteilnehmer verweisen.
Hieraus ergibt sich, daß in personalpronominalen Paradigmen der wichtigste Unterschied zwischen der ersten und zweiten Person auf der einen und der dritten (bzw. den dritten Personen) auf der anderen Seite besteht. Die Pronomina der ersten beiden Personen referieren notwendigerweise deiktisch, nicht anaphorisch (s. Kap. 8 zum Zusammenhang von Referenz und Anapher). Sooft der Sprecher auch ich sagt, ist keines dieser Vorkommen ein Anaphorikum, das auf ein früheres Vorkommen verwiese, sondern jedes referiert deiktisch unmittelbar auf den Sprecher (der selbstverständlich, wie alle sprachlichen Referenten, jedenfalls im Redeuniversum und manchmal auch in der Wirklichkeit existiert). Die Pronomina der dritten Person dagegen können entweder deiktisch oder anaphorisch referieren. Im ersteren Falle heißen sie Demonstrativa, im letzteren Anaphorika. Demonstrativa sind freilich fast immer in einem raumdeiktischen System organisiert. Bloße Deixis der 3. Person ohne spezifische Demonstration ist höchst selten. Das hat damit zu tun, daß sie eigentlich nur für den Mithörer gebraucht würde; aber dessen Rolle ist zu ambivalent, um in Sprachen grammatikalisiert zu sein. Pronomina der dritten Person sind also marginal im System der Personalpronomina: entweder es sind - anders als die Pronomina der ersten beiden Personen - gar keine Deiktika, sondern Anaphorika; oder wenn sie deiktisch sind, sind es allermeist Demonstrativa und also keine Personalia.
Zahlreiche Sprachen haben überhaupt kein Personalpronomen oder kein Personalaffix am Verb für die 3. Person. Das Ainu und Maricopa z.B. haben Personalpräfixe der 1. und 2., nicht jedoch der 3. Person am Verb. Wo es solche Elemente doch gibt, fallen sie oft aus dem Paradigma heraus. Mehrere Dagestansprachen z.B. haben Personalpronomina der 1. und 2. Person, für die 3. Person jedoch nur Demonstrativa.2
Die Kategorie des Numerus funktioniert in Personalia anders als in anderen nominalen Ausdrücken. In den letzteren bedeutet ‘X in einem nicht-singularischen Numerus’ “mehrere Elemente, die unter den Begriff X fallen”. Nicht-singularische Personalia dagegen bezeichnen häufig ein Kollektiv von Entitäten, die verschiedene Rollen im Sprechakt oder außerhalb haben (Helmbrecht 2003, ch. 4). Z.B. ist einer der Sinne von wir “ich und gewisse andere Leute”, d.h. eine Menge, die den Sprecher und einige Nicht-Sprechaktteilnehmer inkludiert. Diese Heterogenität nicht-singularischer Bedeutungen von Personalia hängt mit der Eigenschaft der prototypischen Sprechsituation zusammen, daß es eine Mehrzahl von Sprechern nur unter engen Bedingungen gibt und eine Mehrzahl von Hörern ebenfalls nicht der Normalfall ist. Tatsächlich gibt es keine Sprache, die über nicht-singularische Pronomina der ersten und zweiten Person verfügte, welche genau “Mehrzahl von Sprechern” bzw. “Mehrzahl von Hörern” bedeuteten; dieses sind immer nur mögliche Lesarten neben den im erwähnten Sinne heterogenen Lesarten.
Das wichtigste heterogene Kollektiv, welches durch ein Personale bezeichnet werden kann, ist durch die Natur der prototypischen Sprechsituation vorgezeichnet: es ist die aus Sprecher und Hörer bestehende Dyade. Zahlreiche Sprachen haben nicht nur Pronomina der 1., 2. und 3. Person, sondern auch noch eines für 1. & 2. Person. ‘1 & 2’ ist eigentlich eher ein Wert der Kategorie ‘Person’ als des Numerus.4
Diese Dyade ist an der Basis zweier häufiger Unterscheidungen im personalpronominalen Paradigma. Die eine ist die Opposition zwischen Dual und Plural. Sie hat ihren Ursprung jedenfalls in der 1. Pers., und eine 1. Pers. Du. bezeichnet allermeist gerade die Sprecher-Hörer-Dyade. Im Yidiny allerdings bezeichnet sie ‘Sprecher & X’, wo X u.a. der Hörer sein kann.
Die zweite sich aus der Sprecher-Hörer-Dyade ergebende Opposition ist die zwischen inklusiver und exklusiver 1. Pers. (Dual oder Plural). Eine 1. Pers. Nichtsingular ist jedenfalls immer dadurch definiert, daß der Sprecher zur Referenzmenge zählt.3 Der relevante Unterschied ist dann, ob der Hörer auch dazuzählt (inklusiv) oder nicht (exklusiv). Die Notwendigkeit einer solchen referentiellen Unterscheidung wird in allen Sprachgemeinschaften empfunden, aber nicht alle haben sie grammatikalisiert. Wo sie grammatikalisiert ist, kann sie nicht nur im Plural, sondern auch im Dual erscheinen.
Zur Illustration der genannten Kategorien kann das Paradigma der Subjektpronomina des Maori dienen:
1 Ein Pronomen ist notwendigerweise ein Wort. Man kann den Terminus ‘Personale’ praktischerweise dazu verwenden, um auch solche personalpronominalen Elemente zu bezeichnen, die keine Wörter sind.
2 Mehrere dieser Angaben stammen aus Helmbrecht 2003, ch. 4.
3 Wie alle sprachlichen Ausdrücke haben auch Personalia metaphorische und pragmatisch besonders motivierte Verwendungen. So gibt es auch Verwendungen von dt. wir, die tatsächlich den Sprecher ausschließen, etwa in So, haben wir jetzt ausgeschlafen? (Hoffmann 1997:313ff)
4 Im Asháninca Campa gibt es singularische Personalia für die 1., 2., 1&2. und die 3. Person, und alle werden optional auf dieselbe Weise pluralisiert (Helmbrecht 2003, ch. 4.1).