In Kap. 1.3.3.1 hatten wir gesehen, daß die Grammatiktheorie kein Teil der Sprachtheorie, sondern der Theorie der Sprachbeschreibung ist. Sie hat also in diesem Traktat nicht um ihrer selbst willen vorzukommen. Die Grammatik ist allerdings der wesentliche Teil der Sprachstruktur; die Sprachstruktur gehört zum Wesen der Sprache und ist daher auch Gegenstand der Sprachtheorie. Die Grenzlinie zwischen Sprach- und Grammatiktheorie verläuft hier zwischen dem, was jedenfalls für die Struktur der menschlichen Sprache gilt, und dem, was in Abhängigkeit vom gewählten Beschreibungszweck und Beschreibungsmodell die Grammatik - als Erzeugnis des Linguisten - gestaltet.
Eine Sprachtheorie hat diejenigen Eigenschaften der Sprachstruktur zu deduzieren, die universal sind. Manche Grammatiktheorien basieren nicht auf einer Sprachtheorie. Universalien der Sprachstruktur können in ihnen insoweit nicht deduziert werden. Statt dessen werden sie gelegentlich postuliert und einer ‘Universalgrammatik’ genannten Instanz zugeschrieben. Als Folge davon variieren die sprachlichen Universalien dann je nach Grammatiktheorie. Die Sprachtheorie stellt sich die Aufgabe, diejenigen Struktureigenschaften anzugeben, die menschliche Sprachen jedenfalls aufweisen unabhängig von den Beschreibungsbegriffen, mit denen sie angegangen werden, und die folglich jeglicher Grammatiktheorie vorgegeben sind.
Dieser Anspruch ist nicht ganz leicht einzulösen, weil wir über die Sprachstruktur in Termini sprechen, die aus bestimmten Grammatikmodellen bekannt sind. Z.B. stelle ich die syntaktische Struktur in Begriffen dar, die an eine kategorial spezifizierte Dependenzgrammatik angelehnt sind. Diese Begriffe sind teilweise in andere Konzeptionen, etwa einer Konstituentenstrukturgrammatik oder einer Konstruktionsgrammatik, übersetzbar. Soweit das der Fall ist, kann meine Begrifflichkeit modellneutral verstanden werden. Zum anderen Teil mögen uns die Begriffe, um modellunabhängig von sprachlichen Strukturen zu sprechen, auch einfach fehlen.
Sprache ist das unbeschränkte Schaffen interindividuell verfügbarer Bedeutungen.
"Das Verfahren der Sprache ist aber nicht bloß ein solches, wodurch eine einzelne Erscheinung zustandekommt; es muß derselben zugleich die Möglichkeit eröffnen, eine unbestimmbare Menge solcher Erscheinungen und unter allen ihr von dem Gedanken gestellten Bedingungen hervorzubringen. Denn sie steht ganz eigentlich einem unendlichen und wahrhaft grenzenlosen Gebiete, dem Inbegriff alles Denkbaren, gegenüber. Sie muß daher von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch machen und vermag dies durch die Identität der Gedanken und Sprache erzeugenden Kraft." (Humboldt 1836:477)
Dieses Postulat Humboldts ist in unserer Definition der Sprache in dem Attribut ‘unbeschränkt’ umgesetzt. Die Definition sagt damit freilich nichts über die Struktureigenschaften eines semiotischen Systems, das solchen Anforderungen genügen soll. Einige dieser Eigenschaften haben wir schon in Kap. 6 über das sprachliche Zeichen besprochen. Die wichtigste war die zweifache Gliederung des Sprachzeichens. Aus ihr folgt, wie wir festgestellt haben, sowohl die Arbitrarietät des Sprachzeichens als auch seine relative Motivation. Dieses Kapitel soll sich nun näher mit den Eigenschaften befassen, welche die relative Motivation dem Sprachsystem aufnötigt.
Wir hatten schon gesehen (↰), daß der Sprecher in der Sprachtätigkeit von einer Idee ausgeht. Wir nehmen an, daß diese etwas Individuelles und Vorsprachliches ist. Sie kann nur mitgeteilt werden, wenn der Sprecher sie dem Hörer als partikulären Fall von etwas Allgemeinerem darstellt (Kap. 7.2). In Kap. 6.5.1.1 hatten wir gesehen, daß Ideen auch als ungegliederte Signale übermittelt werden können, daß dann jedoch der Anzahl der Signale und somit der Anzahl der durch sie unterschiedenen Ideen enge Grenzen gesetzt sind. Die zweifache Gliederung besagt, daß das Allgemeine, worunter der Sprecher seinen individuellen Denkinhalt subsumiert, Einheiten des Sprachsystems sind, aus denen sich das Signal zusammensetzt. Er muß also seinen Denkinhalt in intersubjektiv verfügbare Einheiten zerlegen und diese wiederum zu der Ganzheit, von der er ausging, zusammenfügen (vgl. Finck 1909:4f). Über diese intersubjektiv verfügbaren Größen sagt Humboldt:
"In dem ganzen Bereiche des in der Sprache zu Bezeichnenden unterscheiden sich zwei Gattungen wesentlich voneinander: die einzelnen Gegenstände oder Begriffe und solche allgemeinen Beziehungen, die sich mit vielen der ersteren teils zur Bezeichnung neuer Gegenstände oder Begriffe, teils zur Verknüpfung der Rede verbinden lassen. Die allgemeinen Beziehungen gehören größtenteils den Formen des Denkens selbst an und bilden, indem sie sich aus einem ursprünglichen Prinzip ableiten lassen, geschlossene Systeme. In diesen wird das Einzelne sowohl in seinem Verhältnis zueinander als zu der das Ganze zusammenfassenden Gedankenform durch intellektuelle Notwendigkeit bestimmt." (Humboldt 1836:454f)1
An diesen Arten von semantischen Entitäten ist zunächst wichtig, daß sie nicht partikulär, sondern allgemein, begrifflich sind. Ich erinnere nochmals an das, was im Kap. 7.2 über die Natur sprachlicher Bedeutungen gesagt wurde. Außerdem erinnere ich an die kurze Diskussion von ‘langue’ und ‘parole’ in Kap. 7.8.1: Das Sprachsystem enthält nur allgemein verfügbare Einheiten und Operationen. Sie identifizieren nicht von sich aus das individuell vom Sprecher Gemeinte. Dies erreicht der Sprecher vielmehr erst durch die Aktualisierung des Systems in seiner Sprechsituation.
Ferner ist die Zweiteilung der semantischen Größen in Begriffe und Gegenstände einerseits und Relationen andererseits zu beachten. Wir können für unsere Zwecke die Gegenstände unter die Begriffe subsumieren; denn Humboldt nennt offenbar einen Gegenstand einen solchen Begriff, unter dessen Extension nur ein Element fällt. Im übrigen aber ist die Dichotomie zwischen Begriff und Relation nicht weiter reduzierbar. Sie figuriert z.B. prominent in E. Sapirs (1921, ch.V) Typologie der Konzepte, die zwischen zwei Hauptkategorien, ‘material content’ und ‘relation’, unterscheidet. Freilich kann man bezweifeln, daß diese beiden Kategorien disjunkte Klassen bilden. Sapir z.B. unterteilt die Konzepte mit materiellem Inhalt in ‘basic concepts’ und ‘derivational concepts’; und die Relationen unterteilt er in ‘concrete relational concepts’ und ‘pure relational concepts’. Die so gewonnenen vier Arten von Konzepten versteht er prototypisch und ordnet sie in dieser Reihenfolge auf einem Kontinuum an. Ohne die Details unbedingt zu akzeptieren, werden wir den Grundgedanken des Übergangs von Begriffen in Relationen später weiter ausarbeiten.
Ich habe mich bis jetzt bemüht, die Struktureigenschaften der Sprache aus den semiotischen Anforderungen abzuleiten, die die Benutzer an ihr Zeichensystem stellen. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, den weiteren Aufbau des Sprachsystems zu begründen, und zwar einerseits die weitere Einteilung der Begriffe und Relationen in die sog. Redeteile, die Wortarten also, und andererseits über die zweifache Gliederung hinaus die Schichtung jeder der beiden Gliederungsebenen in einer Ebenenhierarchie. Hier muß der semiotische Gesichtspunkt ergänzt werden um die Rahmenbedingungen der Sprachtätigkeit, die einerseits die physikalische Konstitution der Wirklichkeit und deren menschliche Wahrnehmung sowie die Strukturen unseres Denkens und andererseits die anatomischen und physiologischen Grundlagen unserer artikulatorischen und auditiven Fähigkeiten betreffen. Dies gilt natürlich, wie schon wiederholt bemerkt, nur insoweit diese Rahmenbedingungen tatsächlich von der Sprache unabhängig vorgegeben sind.
Die sprachlichen Einheiten der ersten Gliederungsebene sind zeichenhaft, d.h. kombinieren Significans und Significatum. Das gilt bis hinunter zu den kleinsten Einheiten dieser Ebene, den in Kap. 6.5.3 besprochenen submorphemischen Einheiten. Es gilt also auch für grammatische Kategorien, also Flexions- und Derivationskategorien sowie Wortarten, soweit sie sowohl strukturelle als auch funktionelle Eigenschaften haben. Alle solche Einheiten kann man nur durch Definitionen erfassen, die auf Ausdruck und Inhalt, auf Struktur und Funktion gleichermaßen Bezug nehmen. Jeder Versuch, z.B. eine Wortart rein semantisch oder eine Derivationskategorie rein strukturell zu definieren, ist zum Scheitern verurteilt, weil er dem Wesen der Sache nicht angemessen ist.
Wenn eine solche Kategorie sprachübergreifend konzipiert werden soll, muß ihre Definition von Unterschieden in den Funktionen und Strukturen, durch deren Assoziation sie in einer einzelnen Sprache charakterisiert ist, absehen. Z.B. kann man ‘Tempus’ nicht als übereinzelsprachlichen Begriff definieren und in die Definition aufnehmen, daß es durch morphologische Modifikation des Verbs ausgedrückt werde; denn das ist gerade eine Ausdrucks- bzw. Struktureigenschaft, die das Tempus nur in bestimmten Sprachen hat. Man kann es auch nicht rein semantisch bzw. funktionell definieren, weil man dann nicht vermeiden kann, Wörter wie Zeit oder Sonntag unter die Kategorie ‘Tempus’ zu subsumieren.
Definitionen von zeichenhaften sprachlichen Einheiten sind also notwendigerweise Mischdefinitionen. Da es in der Sprache keine 1:1-Zuordnung von Ausdruck und Inhalt gibt, muß jegliche Definition solcher Einheiten die Möglichkeit der Variation eröffnen. Solche Begriffe müssen also als prototypische Begriffe gefaßt werden. Das führt zu Unschärfe und, methodisch betrachtet, zu Aporien im Einzelfall, wo es schwierig sein kann zu entscheiden, ob eine bestimmte Kategorie nun Tempus oder Aspekt ist. Das ist kein Fehler in der Konzeption, und es wäre im Gegenteil ein Fehler, solchen unvermeidlichen Schwierigkeiten dadurch ausweichen zu wollen, daß man sich auf eindeutig entscheidbare Strukturkriterien zurückzieht, wie es immer wieder gefordert wird.
Eine Befassung mit den Wortarten setzt den Begriff des Worts voraus. Es ist bekannt, daß dieser Begriff in der Linguistik derart schwer zu definieren ist, daß z.B. Lyons (1977:27) ihn als intuitiv-vortheoretisch gegeben voraussetzt. Immerhin sind sich - außerhalb gewisser moderner Grammatikmodelle - alle Theoretiker darin einig, daß das Wort für den Aufbau der Sprache schlechthin fundamental ist. Man kann das u.a. darin ablesen, daß auf die Struktur des Wortes Anfang des 19. Jahrhunderts eine Sprachtypologie, nämlich die morphologische Typologie, gegründet wurde, deren Konzeption heute noch in vielen Bereichen der Grammatiktheorie eine Rolle spielt. Dem fundamentalen Charakter des Wortbegriffs widerspräche in gewissem Sinne das Bemühen, ihn durch eine Definition zu explizieren; denn das hieße ja, ihn aus den Fundamenten der Theorie zu eliminieren. Die folgende Definition ist daher weniger als Explikation denn als Charakterisierung des Wortbegriffs zu verstehen.
Die Definition des Worts setzt den Begriff des Morphems als kleinsten Sprachzeichens voraus (vgl. Bloomfield 1933:161): Das Wort ist das kleinste selbständige Sprachzeichen. Selbständigkeit ist als eine Eigenschaft mit Korrelaten auf den verschiedenen Ebenen des Sprachsystems zu verstehen:
Den Begriff der Selbständigkeit habe ich durch eine Menge nicht unbedingt homogener Korrelate auf verschiedenen Ebenen des Sprachsystems expliziert. Soweit diese de facto voneinander unabhängig sind, sind die in ihnen impliziten Bedingungen natürlich nicht unbedingt gleichzeitig erfüllt. Z.B. kann eine Einheit, die ein Klitikum enthält, wie lat. dominusque "und der Herr", nach phonologischen Gesichtspunkten ein Wort sein, nach syntaktischen und semantischen jedoch nicht. Das Klitikum seinerseits ist nach semantischen und morphologischen Gesichtspunkten ein Wort, nach syntaktischen jedoch nicht. Erwähnen kann man auch die Komposita vom Typ engl. clitic placement "Plazierung von Klitika", die man mit einem treffenden Terminus ‘Zusammenrückungen’ (engl. phrasal compounds) nennt, weil sie mit nahezu syntaktischer Freiheit jederzeit ad hoc gebildet werden können und weil die konstitutiven Wörter ihre Selbständigkeit eigentlich kaum einbüßen. Wie immer, wenn die Extension eines Begriffs nicht durch eine einzige binäre Entscheidung abgegrenzt werden kann, muß man auch in diesem Falle den Begriff als prototypischen auffassen, also zulassen, daß es typische Wörter und daneben Einheiten gibt, die nur marginal unter den Begriff fallen, weil sie (wie das Klitikum) weniger selbständig sind als das typische Wort oder (wie die Zusammenrückung) kleinere Einheiten enthalten, die auch nicht ganz unselbständig sind.
C. Knobloch stellt fest:
"Die psychologische Prominenz der Worteinheit verdankt sich ... nicht einer festen Gebildeeigenschaft, sondern dem Umstand, daß es ‘minimale Handlung’, kleinste bewußtseinsfähige Einheit von Symbol- und Feldwerten ist." (Knobloch 1984:220)‘Symbol- und Feldwerte’ bedeutet "lexikalisch-semantische und grammatische Eigenschaften". Die Bedingungen der minimalen Handlung und der Bewußtseinsfähigkeit hängen bei Knobloch zusammen, weil nur bewußtseinsfähige Akte Handlungen heißen, während Operationen unterbewußte Handlungskomponenten sind. Die morphologische Zusammensetzung des Wortes geht daher in Operationen, nicht in Handlungen vor sich. Wir kommen auf die Begriffe der Handlung und der Operation später zurück und halten hier bloß fest, daß das Wort bewußtseinsfähig ist. Das soll nicht heißen, daß menschliche - nämlich metasprachliche - Reflexion sich nicht auch auf kleinere sprachliche Einheiten richten könnte - wenn sie das nicht könnte, gäbe es keine Linguistik -, sondern daß Wörter die kleinsten Einheiten sind, die in gewöhnlicher Sprachtätigkeit bewußt manipuliert werden. Das Postulat der Bewußtseinsfähigkeit gewinnt auch Plausibilität aus der Tatsache, daß es in vielen Sprachen ein Wort für ‘Wort’ gibt, jedoch in keiner, soweit man weiß, ein Wort für ‘Morphem’, das vor dem wissenschaftlichen Terminus existiert hätte.
Dieselben Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Definition, die der Begriff des Worts bietet, wiederholen sich bei den Wortarten. Auch deren Begriffe werden von den meisten Linguisten vorausgesetzt, auch von solchen, die (wie Harweg 1968, Kap.II) die Möglichkeit ihrer Definition prinzipiell bestreiten. Da auch die Wortarten zeichenhaft sind, können sie nur durch Bündel von Korrelaten auf semantischer und struktureller Ebene definiert werden. Auch sie müssen als prototypische Begriffe gefaßt werden. Dann verschwinden viele der bekannten Schwierigkeiten bei ihrer Definition.
J. Lyons (1977, ch.11.3) gibt neben der syntaktischen eine semantische Begründung der Wortarten. Dazu setzt er eine Ontologie voraus, die dem "naiven Realismus" (442) entspricht. Dies ist eine Hierarchie mit folgenden drei Rängen (442f):
order | definition | examples | properties |
---|---|---|---|
1 | entities that are said to exist | physical objects: persons, animals, things | relatively constant as to their perceptual properties; located in space and time; publicly observable |
2 | entities that are said to occur / to take place | events, processes, states-of-affairs | located in time |
3 | entities that form the object of propositional attitudes | abstract entities: propositions, concepts | have no spatio-temporal location |
Dieser Entwurf hat zwei Schwächen. Erstens ist es unplausibel, ihm den Status einer Ontologie zu verleihen. Denn damit ist ja die Annahme verbunden, daß all diese Sorten von Entitäten unabhängig von unserer Erfahrung bzw. unserem Denken sind. Lyons glaubt, diese Voraussetzung machen zu müssen, damit die auf sie aufbauende semantische Begründung der Wortarten nicht zirkulär wird. In seiner Theorie ist dieses Bedenken am Platze, weil er zwischen Significans und Denotatum nur eine Bedeutungsebene ansetzt. Wir unterscheiden jedoch, wie in Kap. 7.2 ausführlich dargestellt wurde, die Ebenen des Significatums als der innersprachlichen Bedeutung und die des Designatums als die einer einzelsprachunabhängigen kognitiven Größe. Da eine Wortart eine Kategorie eines einzelnen Sprachsystems ist, ist ihr semantischer Aspekt klärlich eine Angelegenheit des Significatums. Dessen universale Begründung hinwiederum ist auf der Ebene des Designatums, also auf der kognitiven Ebene zu suchen. Damit ist natürlich in keiner Weise ausgeschlossen, daß die kognitive Ebene ihrerseits mindestens teilweise ontologisch begründbar ist. Aber sie ist es sicherlich nicht restlos. Außerdem ist es methodisch immer falsch, Ebenen zu überspringen. Es ist hier an die in Kap. 6.4 erwähnten Modi significandi zu erinnern. Die Scholastiker hatten bereits klargestellt, daß die Wortarten nicht Abbilder von Kategorien der Realität sind, sondern Weisen spiegeln, in denen wir die Realität konzipieren.
Die zweite Schwäche der Lyonsschen Konzeption liegt darin, daß sie den Eigenschaften und Handlungen keinen Status in der Hierarchie zuweist. Sie gehören nicht auf die erste Ebene, weil es keine raumzeitlich existierenden Objekte sind; und sie gehören nicht auf die zweite Ebene, weil sie - für sich genommen und ohne Einbeziehung von Gegenständen, an denen sie auftreten - nicht in der Zeit geschehen. Stattdessen treten sie an Entitäten erster Ordnung auf oder erscheinen an ihnen; und in der Vereinigung mit ihnen gehen sie in Entitäten zweiter Ordnung über. So ergibt die Kombination einer Eigenschaft mit einer Entität erster Ordnung einen Zustand, und die Kombination einer Handlung mit Entitäten erster Ordnung ergibt ein Ereignis. Als Entitäten der Hierarchie zählen also nur solche, auf die mit Substantiven oder durch Nominalisierung referiert werden kann. Diese Eigenschaft der Hierarchie ist offenbar von der Sprache abgeleitet, was wieder die Gefahr der Zirkularität mit sich bringt.
Trotz dieser Schwäche wollen wir die Lyonssche Konzeption i.w. übernehmen. Der Gedanke, daß Eigenschaften und Handlungen konzeptuelle Größen sind, die von den in der Dreiebenenhierarchie versammelten Entitäten kategorial verschieden sind, hat auch einen attraktiven Aspekt. Denn die in der Hierarchie enthaltenen Begriffe sind, im logischen Sinne, gesättigt, während die außerhalb stehenden ungesättigt sind. Wir können die letzteren auffassen nicht als Entitäten, sondern als Funktoren, die Entitäten einer Ordnung in Entitäten einer anderen Ordnung überführen. Als solche hätten sie in der Tat einen anderen kognitiven Status als die Gegenstände der drei Ordnungen.
Der für die semantische Begründung der Wortarten unmittelbar relevante Teil von Lyons’ Konzeption ist nun sehr viel einfacher. Es gibt eine Wortart für die Entitäten erster Ordnung; das ist das Substantiv. Es gibt eine Wortart für die Größe, die in der Kombination mit einer Entität erster Ordnung einen Zustand ergibt, also für die Eigenschaft; das ist das Adjektiv. Und es gibt eine Wortart für die Größe, die in der Kombination mit einer Entität erster Ordnung ein Ereignis ergibt, also für eine Handlung; das ist das Verb. Dies ist, wie Lyons nicht verkennt, die traditionelle semantische Begründung der Wortarten, allerdings mit einer wesentlichen Präzisierung: Die kognitiven Gegenstücke der Wortarten sind Prototypen. Lyons betont
"that the semantic, or ontological, parts of the traditional definitions of the parts-of-speech define for each part-of-speech, not the whole class, but a distinguished subclass of the total class. Each such semantically defined subclass is focal within the larger class in much the same way that, according to the Berlin and Kay hypothesis ..., a particular area within the total area denoted by a colour term is focal." (Lyons 1977:440)
Aus dieser Konzeption folgt die Hypothese: Wenn eine Sprache überhaupt Substantive hat, dann werden Entitäten erster Ordnung zu den substantivischen Bedeutungen gehören. Wenn eine Sprache überhaupt Verben hat, werden Handlungen zu den verbalen Bedeutungen gehören. Und wenn eine Sprache überhaupt Adjektive hat, werden "relatively simple perceptual properties" (447) zu den adjektivischen Bedeutungen gehören. Ferner ist der Begriff der Eigenschaft ambivalent. Er kann entweder völlig statisch aufgefaßt und auf die Funktion der Klassenbildung reduziert werden; dann werden Eigenschaften zu den Entitäten erster Ordnung geschlagen, und Adjektive erscheinen als Substantive. Oder er kann dynamisiert werden, so daß Zustände als Vorgänge erscheinen; dann werden Eigenschaften zu den Handlungen geschlagen, und Adjektive erscheinen als Verben. Es wird daher vorausgesagt (448f), daß wenn eine Sprache von den drei Basiswortarten nur zwei unterscheidet, dies die Substantive und Verben sein werden; und die Adjektive werden entweder zu der einen oder zu der anderen Kategorie geschlagen.
Auf die syntaktische Begründung der Wortarten kann ich jetzt noch nicht eingehen, weil dazu Voraussetzungen notwendig sind, die ich erst später darlegen kann. Wir können hier festhalten, daß die Begründung der Wortarten ihrem Anspruch nach universal ist. Soweit sie semantischer Natur ist, wird dieser Anspruch dadurch eingelöst, daß man auf kognitive Größen rekurriert, deren Universalität vorausgesetzt wird oder jedenfalls in der Linguistik nicht überprüfbar ist. Man kann ahnen, daß eine syntaktische Begründung, die denselben Ansprüchen genügt, wesentlich schwieriger sein wird, erstens weil sie innerhalb der Linguistik überprüfbar ist und zweitens, weil syntaktische Eigenschaften nicht ohne weiteres universal sind. Die syntaktische Begründung, die Lyons (ch.11.2) anbietet, illustriert das: Nach ihm hat die Existenz von Substantiven und Verben damit zu tun, daß der einfache Satz in NP und VP zerfällt. Aber das ist, nach allem, was wir in Kap. 7.7.3.2 über Prädikation gesehen haben, nicht so. Eine syntaktische Begründung der Wortarten müßte, um universal zu sein, von den in den einzelnen Sprachen mit ihnen assoziierten Struktureigenschaften abstrahieren und lediglich auf den funktionellen Aspekt Bezug nehmen. Sie wird damit, so kann man vorwegnehmen, in enge Nachbarschaft zu der semantischen Begründung geraten.
Da die semantische Begründung der Wortarten prototypisch konzipiert ist, präjudiziert sie natürlich wenig über die Extension der Wortarten in den einzelnen Sprachen. D.h. sie macht keine Voraussagen darüber, welche Begriffe außer den fokalen Instanzen in den einzelnen Sprachen in einer gegebenen Wortart repräsentiert sein werden. So können z.B. Zeiteinheiten in einer Sprache als Substantive auftreten, etwa als ‘Jahr’, und in einer anderen als Verben, als ‘sich jähren’. Das hat die methodische Konsequenz, daß wir, um als Linguisten den Begriff des Substantivs auf eine beliebige Sprache anwenden zu können, die Klasse der Substantive in ihr wie folgt identifizieren müssen:
E. Coseriu schreibt daher:
"Die Wortarten sind nicht entweder Modi significandi oder formale Schemata, sondern universale Modi significandi, die sich in bestimmten Sprachen ausdrücken (sich manifestieren oder materialisieren) mittels bestimmter formaler Schemata." (Coseriu 1957:259)
Hier bleibt freilich fraglich, ob der Begriff des Modus significandi auf die universale kognitive Ebene oder nicht eher auf die des einzelsprachlichen Significatums gehört. Diese Frage dürfte sich allerdings auf eine Scholastikerexegese reduzieren, so daß wir sie auf sich beruhen lassen können.
Ich komme zurück auf das eingangs über Begriffe und Relationen Gesagte. Auf der Ebene des Designatums wird die Ganzheit des Gedankens zerlegt in eine Kombination aus Begriffen und Relationen zwischen ihnen. Die sprachliche Entsprechung der Begriffe sind die Wörter; den Relationen entsprechen die grammatischen Strukturen. Diese Darstellung ist stark vereinfacht. Begriffe können Relationen enthalten, wie wir gleich noch näher sehen werden; und nicht alle grammatischen Strukturmittel stellen Relationen her, z.B. nicht die Pluralisierung eines Substantivs. Wir werden die Darstellung daher im Laufe der Diskussion präzisieren müssen.
Grammatische Konstruktionen haben, ebenso wie Wörter, Significans und Significatum (so schon Frei 1962). Ihre Significata sind die grammatischen Bedeutungen oder Funktionen, auf die wir in einem späteren Abschnitt zurückkommen. Ihre Significantia heißen mit einer statischen Bezeichnung Strukturmittel oder mit einer dynamischen grammatische Prozesse bzw. Strukturprozesse. Bleiben wir bei dem letzteren Terminus.
In der sprachwissenschaftlichen Tradition gibt es spätestens seit Humboldt (1826f:54f) eine Liste von Strukturprozessen mit teilweise wechselndem Inhalt (vgl. Sapir 1921, ch.IV). Meistens zählen jedoch die folgenden dazu:
Akzent, Intonation, Pause, Wortstellung, morphologische Abwandlung der Wörter, grammatische Wörter.Dies ist eine sehr heterogene Menge, die zunächst einmal in zwei Teilmengen zerfällt: Akzent, Intonation, Pause und Wortstellung auf der einen, morphologische Abwandlung der Wörter und grammatische Wörter auf der anderen Seite. Diese Einteilung ergibt sich sowohl nach Ausdrucks- als auch nach Inhaltskriterien. Einerseits sind die Prozesse der ersten Menge suprasegmental, die der zweiten segmental. Andererseits können die Prozesse der zweiten Menge spezifische Bedeutungen haben, die der ersten nicht. Das ist wie folgt zu verstehen. Eine morphologische Abwandlung wie Ablaut oder ein grammatisches Wort, etwa eine Präposition, können in einer gegebenen Sprache ohne Rücksicht auf den Kontext eine Eigenbedeutung haben, z.B. "Präteritum" oder "Benefaktiv". Das heißt natürlich nicht, daß ihre Bedeutung nicht je nach Kontext variiert, sondern lediglich, daß sie überhaupt einen eigenen spezifischen Inhalt zur Gesamtbedeutung beitragen (vgl. Lehmann 1992, §2). Für suprasegmentale Prozesse gilt das nicht. Z.B. kann die Stellung eines NSs hinter dem Verb in einer bestimmten Sprache die grammatische Bedeutung "Objekt" vermitteln. Aber das beruht darauf, daß die beteiligten Elemente als Verb bzw. NS identifiziert sind. Nachstellung für sich bedeutet nichts Bestimmtes, sondern eröffnet lediglich die Möglichkeit der semantischen Zusammengehörigkeit der betreffenden Elemente und des (quasi-)anaphorischen Bezuges des zweiten auf das erste. Steigende Intonation am Ende selbständiger Sätze kann "Frage" bedeuten. Aber steigende Intonation für sich bedeutet nichts Spezifisches, sondern signalisiert bestenfalls, daß die Äußerung noch nicht beendet ist. Ähnliches gilt für Akzent und Pause. Alle Beispiele, die Sapir (1921:79-81) für Akzent und Ton in grammatischer Funktion anführt, sind an bestimmte Wortarten gebunden.
Man sieht sofort, daß dies so sein muß. Denn die suprasegmentalen Prozesse führen ein gewisses Eigenleben und treten unabhängig von dem spezifischen jeweils mitzuteilenden Gedanken auf. Die Wörter können nicht anders als in der Kette aufeinander folgen. Kommunikation wäre unmöglich, wenn Aufeinanderfolgen schon etwas Spezifisches bedeutete. Pausen entstehen unsystematisch durch Wortfindungsschwierigkeiten oder werden zur Erhöhung der Spannung eingesetzt. Akzent und Intonation bestehen im Wechsel von hoher und niedriger Intensität und Tonhöhe und können jeden Augenblick gebraucht werden, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu erregen. Das alles sind Motivationen, die von der Struktur des Significatums weitgehend unabhängig sind. Linguisten wie Sapir (1921: 113f) haben die suprasegmentalen die fundamentalen Strukturprozesse genannt. Das ist nur in dem Sinne richtig, daß sie in evolutivem Sinne vorsprachlich und jederzeit in allen Sprachen präsent sind. Es impliziert jedoch keine fundamentale Rolle in der Übermittlung grammatischer Bedeutungen.
In zahlreichen Konstruktionen sind Akzent, Intonation und Wortstellung nicht distinktiv. – sind deutsche Beispiele:
. | a. | läuft schnell |
b. | schnell läuft |
. | a. | Weizen kaufen |
b. | kaufen Weizen |
. | a. | Meiers Aussagen zufolge |
b. | zufolge Meiers Aussagen |
Diese Syntagmen beinhalten spezifische syntaktische Funktionen wie adverbiale Bestimmung, direktes Objekt oder Komplement der Adposition, ohne daß diese durch irgendeinen suprasegmentalen, geschweige einen segmentalen, Strukturprozeß kodiert würden. Man kann beweisen, daß diese Funktionen hier wirklich vorhanden sind, indem man andere Wörter substituiert, an denen sie Ausdrucksreflexe zeitigen. Aufgrund wovon aber verstehen wir diese Funktionen in den gegebenen Syntagmen?
Die Antwort ist: sie sind in den beteiligten Wörtern angelegt. Die Fähigkeit, Relationen einer bestimmten Art zu Elementen des Kontexts einzugehen, gehört zur grammatischen Ausstattung eines Worts. Diese Eigenschaft ist seine Relationalität. Wir sagen, daß das Wort eine oder mehrere Leerstellen eröffnet, in die andere Wörter oder Syntagmen, die bestimmte Bedingungen erfüllen, eintreten können. Die Relationalität eines Worts gehört zu seinen ihm lexikalisch mitgegebenen grammatischen Eigenschaften ebenso wie das Genus eines Substantivs oder die Aktionsart eines Verbs. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Wortart. Z.B. eröffnen alle Adjektive eine Leerstelle für ein zu modifizierendes Nominal, alle deutschen Verben haben eine Leerstelle für ein Subjekt, aber kein Substantiv hat eine solche Leerstelle, usw. Der enge Zusammenhang zwischen Wortart und grammatischer Relationalität als strukturellen Begriffen besteht darin, daß beides Abstraktionen über der Distribution eines Worts bzw. Stamms sind.
Wir haben zwischen begrifflicher und grammatischer Relationalität zu unterscheiden. Ein relationaler Begriff wie ‘Vater’ und ‘Seite’ inkorporiert eine Relation zu einem Bezugspunkt, insofern ein Vater notwendigerweise der Vater von jemand ist. Logisch formuliert: die komplexe Aussage
∃(x) Vater (x) ∧ ¬ ∃(y) Vater (x, y)2
ist in sich widersprüchlich. Entsprechendes gilt für ‘Seite’: Seiten kommen isoliert nicht vor, sondern nur an den Dingen, von denen sie eine Seite sind. Der Begriff ‘jagen’ enthält eine Relation zu einem Aktor, der jagt, und eine weitere zu einem Betroffenen, der gejagt wird. Ein absoluter Begriff hat solche Eigenschaften nicht. Z.B. eine Maus oder eine Stadt sind unschwer als autonom konzipierbar. Sie können zwar die Maus oder Stadt von jemandem oder von etwas sein; aber das ist eine fakultative Zutat und nicht etwas, was diesen Begriffen inhärierte. Ebenso sind ‘Regen’ und ‘regnen’ absolute Begriffe. Wenn wir sagen, daß es regnet, konzipieren wir dabei nicht notwendigerweise etwas, was regnet. Wir sprechen hier, wie gesagt, von Eigenschaften der Begriffe ‘Vater’, ‘Seite’, ‘Maus’, ‘Stadt’, ‘jagen’ und ‘regnen’, nicht von Eigenschaften der deutschen Wörter Vater, Seite, Maus, Stadt, jagen und regnen.
Diese Schnittstellen für konzeptuelle Relationen heißen Argumentstellen. Sie gehören zur Intension eines Begriffs. Die Relationalität eines Begriffs kann man durch begriffliche Operationen ändern; aber dadurch wird es ein anderer Begriff.
Begriffliche Relationalität kann sich grammatisch manifestieren. Ein Ausdruck A ist grammatisch relational, gdw. eine bestimmte grammatische Relation zu einem Ausdruck B einer bestimmten Kategorie zu As grammatischer Ausstattung gehört. Das heißt, daß A Beschränkungen über mögliche B enthält. Die wichtigsten unter diesen sind:
Das erste Korrelat der grammatischen Relationalität ist das wichtigste: Die Leerstelle determiniert eine Dependenzrelation zwischen A und B. Sie bestimmt zunächst, ob in dieser A oder B das abhängige Glied ist. Immer noch angenommen, A ist Träger einer Leerstelle, dann besteht folgende Alternative:3
Die Leerstelle eines Adjektivs macht es zum Modifikator, d.h., wenn keine weiteren Strukturprozesse eingesetzt werden, zum Attribut. Die zweite Leerstelle eines transitiven Verbs macht sein Relatum zum direkten Objekt. Mit der syntaktischen Funktion sind dann auch morphologische Eigenschaften der Relata gegeben. Die direkte Objektsstelle eines Verbs kann z.B. für das Verb personale Kongruenz oder für das Objekt den Akkusativ erfordern. Die Leerstelle eines Adjektivs kann für dieses Kongruenz mit seinem Bezugsnomen begründen.Gemäß Beschränkung Nr. 2 oben kann die Leerstelle die Obligatorietät des Relatums determinieren, z.B. bei einem transitiven Verb wie betreffen oder einer Präposition wie wegen. Gemäß Beschränkung Nr. 3 kann sie eine grammatische Subklasse des Relatums erfordern. Z.B. muß das Objektsprädikativum von taufen ein Eigenname sein. Die in den drei Arten von Beschränkungen gegebenen strukturellen Korrelate einer Leerstelle dienen, methodisch betrachtet, dazu, den Begriff der Leerstelle zu operationalisieren, also das Bestehen einer bestimmten syntaktischen Funktion und somit einer bestimmten Leerstelle zu diagnostizieren.
Von Ausnahmen abgesehen, hat grammatische Relationalität auch semantische Korrelate. Diese bestehen gerade in der zugrundeliegenden begrifflichen Relationalität. So gehören zur grammatischen Relationalität von jagen seine Leerstellen für ein Subjekt und ein direktes Objekt. Deren semantische Korrelate sind der bereits erwähnte Aktor und der Betroffene. Die semantischen Korrelate der beiden Nominalsyntagmen, die diese Funktionen einnehmen, sind die Belebtheit des Aktors und normalerweise auch des Betroffenen. Allgemeiner gesagt, sind die Partizipantenrollen und Partizipanteneigenschaften semantische Spezifikationen von syntaktischen Funktionen und den Kategorien der Relata, die sich aus den lexikalischen Eigenschaften des Trägers der Leerstelle ergeben.
Nicht nur Lexeme, auch grammatische Morpheme können relational sein. Ich hatte schon die Relationalität der Präpositionen erwähnt, die natürlich auch für grammatische Präpositionen wie zu gilt. Determinantien wie die Artikel sind in ähnlicher Weise relational wie Adjektive. Wie wir in dem Kapitel über Grammatikalisierung näher sehen werden, besteht ein gleitender Übergang von grammatischen Wörtern zu Affixen. Die Wörter verlieren auf diesem Wege ihre Relationalität nicht; im Gegenteil, von ihrer Bedeutung bleibt am Schluß nicht mehr als die Leerstelle mit ihren grammatischen Eigenschaften übrig.
Eine benefaktive Postposition eröffnet eine Leerstelle, durch die sie ihr nominales Komplement regiert, und eine weitere, durch die das Postpositionalsyntagma ein anderes Syntagma, z.B. ein Verb, modifiziert. Benefaktive Postpositionen werden durch Grammatikalisierung zu Dativsuffixen. Die regierende Leerstelle wird dadurch zu einer morphologischen Position, nämlich der Position des Nominalstamms, der das Suffix trägt. Die modifizierende Leerstelle bezieht den nominalen Ausdruck als indirektes Objekt auf ein Verb. Die benefaktiven semantischen Merkmale gehen größtenteils verloren; es bleibt lediglich, was immer die Bedeutung des Dativs ist ("indirekte Beteiligung an einem Geschehen"). Auch grammatische Affixe haben also Leerstellen. Ja, häufig sind die grammatischen Korrelate ihrer Leerstellen ihre einzige Bedeutung. Deshalb ist man in verschiedenen Schulen der Linguistik (z.B. A. Martinet) der Auffassung, grammatische Morpheme hätten keine Bedeutung, sondern eine Funktion.
Für unseren Zusammenhang ist hieran folgendes wichtig: Strukturprozesse, die Relationen ausdrücken, sind dann entbehrlich, wenn die aufeinander zu beziehenden Elemente ihrerseits relational sind in der Weise, daß sie die betreffende Relation von sich aus eingehen. Soweit das nicht der Fall ist, werden Strukturprozesse zur Herstellung der Relationen eingesetzt. Sie bestehen im Einsatz grammatischer Morpheme, die die gewünschten Leerstellen tragen. Durch Kombination mit einem entsprechenden grammatischen Formativ kann also ein Element relational werden und dann grammatisch fungieren wie ein Element, bei dem die betreffende Leerstelle bereits zur lexikalischen Ausstattung gehört.
Als Beispiel können wir die Transitivierung eines Verbs betrachten. Das Verb lügen hat, als intransitives Verb, keine Leerstelle für die vom Lügen betroffene Person. Durch Kombination mit dem Präfix be- wird es mit der entsprechenden Leerstelle ausgestattet und ist nunmehr, als belügen, ebenso transitiv wie das Verb täuschen, das von Hause aus transitiv ist. Wiederum hat ein Substantiv wie Freund von sich aus keine Leerstelle, durch die es ein Nominal modifizieren könnte. Es kann aber mit dem Suffix -lich kombiniert werden, das eine solche modifizierende Leerstelle mitbringt.6 Mit ihm ausgestattet kann das Wort nun, in der Form freundlich, ebenso Attribut eines Substantivs werden wie das Adjektiv lieb, das das schon von sich aus kann.
Präfigierung und Suffigierung, wie in belügen und freundlich, sind Strukturprozesse. Wir haben sie hier in spezifischen Funktionen betrachtet, nämlich der Transitivierung eines Verbs und der Adjektivierung eines Substantivs. Strukturprozesse zusammen mit solchen Funktionen sind Operationen. Sprachliche Operationen sind die kleinsten dynamischen Einheiten der Sprachtätigkeit. Sie sind, wie schon bei der Diskussion des Wortbegriffs erwähnt, im Prinzip unterbewußt, sind, wie Knobloch (1984:237) sich ausdrückt, nicht selbst zielfähig und werden zur Erreichung von Zielen i.w. automatisch eingesetzt. Eine Operation setzt mindestens eine Entität voraus, auf der sie operiert, den Operanden. Z.B. setzt Transitivierung als Operanden ein Verb voraus, und Determination ein Nominal. Manche Operationen nehmen auch zwei Operanden, die sie zueinander in Beziehung setzen. Dazu gehört etwa die Koordination, vielleicht auch die Verbindung zweier nominaler Ausdrücke durch of im Englischen. Manche Operationen, insbesondere solche der Umkategorisierung, sind mit keinem segmentalen Strukturmittel assoziiert; man sieht ihre Wirkung dann nur an dem resultierenden Verhalten des Operanden. In dem Syntagma das Alte vergeht z.B. ist das Adjektiv alt substantiviert worden. Aber es gibt kein Substantivierungsmorphem; man sieht die Operation der Substantivierung nur daran, daß das Adjektiv den definiten Artikel nimmt. Andere Operationen sind mit einem grammatischen Morphem assoziiert. Definitivierung geschieht im Deutschen durch den definiten Artikel; die Verbindung eines NSs als Genitivattribut mit einem nominalen Ausdruck manifestiert sich im Englischen durch das Morphem of. Solche Entitäten, die durch die Operation eingeführt werden, sind Operatoren. Wir können sie verstehen als Spuren, die die Anwendung von Operationen hinterläßt. Diese Auffassung ist jedenfalls dann möglich, wenn der Operator ein rein grammatisches Morphem ist. In der Kategorialgrammatik sind Operatoren nicht unbedingt grammatische Morpheme, sondern einfach relationale Ausdrücke, die sich mit einem Operanden als Argument verbinden und mit ihm zusammen einen Ausdruck einer neuen Kategorie ergeben. Wir werden diese alternative Auffassung unten problematisieren und sehen, daß sie mit der ersten in Zusammenhang gebracht werden kann.
Man könnte erwarten, daß ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den beiden zuvor erwähnten Typen von Operationen besteht, deren erster nur einen Operanden verändert, während der zweite zwei Operanden in Beziehung setzt. W.v. Humboldt (1836:468) hatte hier, wie schon zitiert, zwischen "den allgemeinen Formen der Anschauung und der logischen Anordnung der Begriffe" unterschieden. Die in diesen beiden Arten von Operationen eingesetzten Arten von Strukturprozessen können allerdings dieselben sein. D.h. es ist nicht der Fall, daß z.B. Präfigierung zur Veränderung von Eigenschaften und Suffigierung zur Herstellung von Relationen eingesetzt würden, oder etwas Ähnliches (vgl. Sapir 1921:68f). Dem entspricht auf der Inhaltsseite die Tatsache, daß die beiden Typen von Operationen in Wahrheit nicht grundsätzlich verschieden sind. Denn die Veränderung der grammatischen Eigenschaften eines Wortes kann auch darin bestehen, daß seine Relationalität verändert wird. Wenn es relational gemacht wird, kann es eine Relation zu einem anderen Element eingehen ganz ebenso, wie wenn zwischen es und das andere ein Relator gesetzt würde. Wir können z.B. ein Substantiv durch Setzen in den Genitiv dazu befähigen, einen nominalen Ausdruck zu modifizieren, oder wir können es durch eine Präposition wie engl. of mit dem zu modifizierenden Ausdruck verbinden.
Wir haben bisher die morphologische Veränderung eines Worts undifferenziert als eine Art von segmentalem Strukturprozeß aufgefaßt. Unter diesen Begriff fallen jedoch eine ganze Reihe heterogener Prozesse, nämlich mindestens die folgenden:
Hier schließt sich die Frage an, ob es eigentlich einen funktionalen Unterschied macht, welcher Strukturprozeß in einer Operation eingesetzt wird. Macht es etwas aus, ob wir den Plural durch Anfügung eines Affixes bilden, wie in türk. palto-lar, oder durch Umlaut, wie in dt. Mäntel? Viele moderne Linguisten würden die Frage mit einem glatten Nein beantworten. Die Sprachwissenschaftler, besonders die Typologen, des 19. Jahrhunderts waren ebenso sicher, daß die Frage mit Ja zu beantworten ist. Auf diesen Unterschied, nämlich den Unterschied zwischen Agglutination und Flexion, hat F. Schlegel eine ganze Typologie begründet (↰). Bekanntlich gehören die altindogermanischen Sprachen, in denen das durch Mantel - Mäntel illustrierte Verfahren überwiegt, dem flektierenden Typ an, die altaischen und viele andere Sprachen, in denen das durch palto - palto-lar illustrierte Verfahren überwiegt, jedoch dem agglutinierenden Typ. Hat man hier eine Typologie auf eine unwesentliche Äußerlichkeit begründet?
Ich hatte schon mehrmals Gelegenheit, auf die unlösliche Verbindung von Significans und Significatum hinzuweisen. Von den Zufällen der Synonymie abgesehen, kann man nicht dasselbe auf andere Weise sagen. Von dieser theoretischen Position ergibt sich, daß die morphologischen Typologen des 19. Jahrhunderts im Prinzip recht haben müssen. Das agglutinative Affix fügt dem Begriff des Lexems einen mehr grammatischen Begriff hinzu. Bei der flexivischen Abwandlung dagegen wird der Begriff des Lexems in einer gewissen grammatischen Hinsicht gedacht. Johan N. Madvig charakterisiert das flexivische Verfahren prägnant folgendermaßen:
"die Bedeutung der grammatischen Bezeichnungen ist, Formen von Vorstellungen oder Verhältnisse zwischen Vorstellungen ... anzudeuten, ohne Form oder Verhältnis zu benennen" (Madvig 1875:110)Das letztere gilt gerade für das agglutinative Verfahren.
Betrachten wir noch einmal türk. palto-lar gegenüber dt. Mäntel. Aus der gegebenen Charakterisierung folgt, daß der Ausdrucksunterschied nicht allein darin besteht, daß das Significans des Stammes und das des agglutinativen Affixes diskret sind, d.h. daß eine Grenze zwischen ihnen angegeben werden kann, während dies für den Stamm und die flexivische Abwandlung nicht möglich ist. Wenn sich der Unterschied zwischen agglutinativer und flexivischer Morphologie darauf reduzierte, wäre das englische Pluralsuffix -s agglutinativ, und ebenso das deutsche Pluralsuffix in Herren und Knechte. Der Ausdrucksunterschied besteht auch darin, daß das agglutinative Affix morphologisch optional ist, d.h. daß sich auch ohne es eine zulässige Wortform ergibt (auch das ist für die englischen und deutschen Beispiele der Fall). Ferner ist das agglutinative Affix syntaktisch nicht ans Wort, sondern ans Syntagma gebunden. Z.B. folgt das türkische -ler einem ganzen NS nur einmal, die deutschen Suffixe dagegen jedem Wort. Schließlich ist das typische agglutinative Affix gelegentlich syntaktisch optional; d.h. wenn seine Bedeutung schon anderswo im Kontext ausgedrückt wird, kann es fehlen. So fehlt das türkische Pluralsuffix nach Zahlwörtern, wo das deutsche gerade (von gewissen Ausnahmen abgesehen) obligatorisch ist.
Im Durchschnitt gilt: je stärker ein morphologischer Prozeß im Ausdruck mit dem betroffenen Lexem fusioniert, desto automatischer wird die betreffende Operation eingesetzt. Sie nimmt dann rein grammatische Abwandlungen vor, und desto geringer ist folglich die Chance, daß sie etwas Unvorhersehbares zum Designatum beiträgt. Es macht also durchaus einen Unterschied, welcher der angeführten morphologischen Prozesse zum Ausdruck einer grammatischen Bedeutung eingesetzt wird; denn danach variiert auch die ausgedrückte grammatische Bedeutung selbst.
Der Begriff der Relation (Beziehung) ist primitiv und daher nicht definierbar. Wir können ihn nur charakterisieren und veranschaulichen. Eine Beziehung setzt zwei oder mehr Entitäten voraus, zwischen denen sie besteht. Sie heißen die Relata der Relation. Z.B. kann zwischen zwei Personen A und B die Beziehung ‘A ist verheiratet mit B’ bestehen. Dann sind A und B die Relata und ‘ist verheiratet mit’ die Relation. Die Beziehung ist in diesem Beispiel symmetrisch; bei ‘A ist Chef von B’ ist sie asymmetrisch. Die Symmetrie einer Relation R kann man wie folgt definieren:
R ist symmetrisch genau dann, wenn xRy ⇔ yRx.Der Satz Erna verehrt Erwin bezeichnet eine Situation. Ontologisch betrachtet, gibt es in dieser Situation zwei Entitäten, eben Erna und Erwin, und außerdem die zwischen ihnen bestehende asymmetrische Beziehung. In dem sie bezeichnenden Satz gibt es drei Wörter, wovon zwei die beiden Entitäten und das dritte ihre Beziehung bezeichnen. Diese signifikativen Einheiten sind drei Entitäten von derselben Art, nämlich Wörter. Das heißt aber, daß der sprachliche Ausdruck den ontologischen Unterschied nicht wiedergibt. Eine Relation ist etwas Unkörperliches, nicht Greifbares. Aber das sie bezeichnende Wort nimmt seine Stelle im Syntagma ein genauso wie die Entitäten bezeichnenden Wörter. Mehr noch, die Verbform verehrt in unserem Beispielsatz geht ihrerseits Relationen zu den links und rechts von ihr stehenden Syntagmen ein: Erwin steht zu verehrt in der grammatischen Relation ‘ist direktes Objekt von’, und Erna steht zu diesem Verbalsyntagma in der Relation ‘ist Subjekt von’. Was also eine Relation zu bezeichnen schien, ist, grammatisch betrachtet, selbst Relatum von Relationen. Wir können noch einen Schritt weiter gehen. An der Relation zwischen finitem Verb und Subjekt ist wesentlich das Personalsuffix des finiten Verbs beteiligt: verehrt kongruiert durch das Personalsuffix -t mit seinem Subjekt. Das Suffix nimmt Person und Numerus des Subjekts auf. Es hat also eine grammatische Beziehung zum Subjekt und außerdem eine morphologische Relation - eben die des Suffixes - zu dem Verbstamm verehr-. Man sagt auch, -t ist der Relator der Relation zwischen Prädikatsverb und Subjekt.
Andernfalls ist R asymmetrisch.
In unseren Vorstellungen sind Relationen etwas Unselbständiges, was keine konzeptuelle Autonomie hat. Sobald wir die Vorstellungen versprachlichen, entspricht nicht nur jedem Relatum, sondern auch der Relation selbst ein Zeichen, das sie ausdrückt. Dieses Zeichen heißt Relator. Es vermittelt die Relation zwischen den Relata, aber es besetzt auch selbst eine Position im Syntagma und geht folglich syntagmatische Relationen ein.
Unter einer grammatischen Relation soll hier eine syntagmatische Relation zwischen Einheiten der ersten Gliederung verstanden werden. Wir können zunächst zwischen syntaktischen und morphologischen Relationen unterscheiden, nach dem Kriterium, welcher der beiden grammatischen Ebenen die Relata angehören. Empirisch läßt sich feststellen, daß syntaktische Relationen häufig durch einen Relator vermittelt sind, morphologische Relationen dagegen ganz selten. Infrage kommen hier eigentlich nur submorphemische Einheiten wie das deutsche Kompositionsfugen-s, welches zwischen zwei Stämmen als morphologischen Relata vermittelt.
Ein Relator ist ein Zeichen, hat also Significans und Significatum. Vom Significatum wurde im vorangehenden Abschnitt ausführlich gehandelt. Wesentlich ist natürlich, daß der Relator i.S.v. Kap. 8.4.2 relational ist. Wir kommen sogleich darauf zurück. Das Significans ist im einfachsten Falle segmentaler Natur, so wie das soeben erwähnte -t-Suffix. Es kommen aber auch die anderen in Kap. 8.4.4 genannten morphologischen Prozesse als Significans eines Relators infrage.
Durch Zeichen repräsentierte Relationen unterscheiden sich von gedachten Relationen, wie gesagt, gerade dadurch, daß ein Relator zwischen die Relata treten kann. Betrachten wir die Attribution als Beispiel:
. | a. | kif-e | qatur |
Pers | Mappe-Attr | dick | |
"dicke Mappe" | |||
b. | big folder |
Im Persischen wird die attributive Relation zwischen dem Adjektiv qatur und seinem Bezugsnomen kif in .a durch einen suffixalen Attributor - also einen segmentalen Relator - an letzterem hergestellt. In der deutschen Übersetzung erfüllt das (kongruierende) Deklinationssuffix des Adjektivs eine ähnliche Funktion. In der englischen Fassung von .b entspricht dem nichts. Die attributive Relation besteht unmittelbar zwischen den beiden Relata big und folder.
Es gibt zwei entgegengesetzte Möglichkeiten, solche Zustände zu beschreiben. Man kann entweder die Attribution als eine unmittelbare Relation zwischen einem Attribut und seinem Bezugsnomen (bzw. genauer: Bezugsnominal) auffassen. Die Relation wird hergestellt durch eine gleichnamige Operation, welche die beiden Relata miteinander kombiniert. Dazu werden sie u.a. in die korrekte Reihenfolge gebracht. Im englischen Falle geschieht nur das. Im persischen und deutschen Falle hinterläßt die Operation darüber hinaus den Attributor als Spur ihrer Anwendung.
Oder aber man faßt Attribution auf als eine Operation, welche zunächst einen Attributor mit einem der Relata und das so resultierende Syntagma sodann mit dem anderen Relatum kombiniert - jeweils natürlich in der korrekten Reihenfolge und Fügungsenge. Beide Schritte sind im persischen und deutschen Falle nachvollziehbar. Im englischen Falle müßten wir dagegen einen Attributor mit Nullausdruck annehmen.
Es ist offensichtlich, daß die erste Konzeption der Attribution besser auf den englischen, die zweite dagegen besser auf den persischen und deutschen Fall paßt. Das im ersten Falle für das Persische und Deutsche notwendige Konzept einer Spur einer Operation ist ebenso metaphorisch wie das im zweiten Falle für das Englische nötige Konzept eines Null-Relators. Ferner ist festzuhalten, daß die Attribution in allen Fällen das Gleiche leistet, daß es also sinnvoll ist, einen einheitlichen Begriff der Attribution anzunehmen. Drittens sind die beiden Ausprägungen der Attribution Varianten voneinander. In einer einzigen Sprache kann es ceteris paribus Adjektivattribution mit und ohne Attributor geben. Neben dicke Mappe, mit Adjektivkongruenz, heißt es im Deutschen rosa Mappe, ohne Kongruenz. Die Theorie muß also dafür sorgen, daß Attribution mit und ohne Attributor dasselbe leisten kann.
Das gleiche läßt sich in der Attribution substantivischer Ausdrücke sehen. In .a wird das postnominale Attribut mit einer Präposition als Relator angeschlossen, und ebenso in der spanischen Fassung b, während es in der indonesischen Fassung c direkt angeschlossen wird.
. | a. | Apfelsinen aus Indonesien |
b. | naranjas de Indonesia | |
c. | jeruk Indonesia |
Ein Relator hat, wie gesagt, ein Significatum. Das Significatum der Präposition in .a ist spezifischer als das Significatum der Präposition in b, denn dt. aus bezeichnet eine ablativische Relation aus dem Inneren des Bezugsobjekts, während span. de einfach bloß eine Relation zu einem Bezugsobjekt bezeichnet. In .c wird die Attribution ganz ohne Relator geleistet. Wenn ein Relator, wie im Falle von .b, nichts weiter tut als eine Relation herzustellen, dann ist es verständlich, daß es Varianten einer Operation und der von ihr hergestellten Relation mit und ohne Relator geben kann.
Ein Relator verfügt über zwei grammatische Leerstellen, in welche die beiden Relata eintreten. Ein Zeichen wie span. de, welches ein Relator ist und sonst nichts leistet, hat kein darüber hinausgehendes Significatum. Ein Relator wie die deutsche Präposition aus dagegen hat nicht nur die beiden Leerstellen, sondern zusätzlich die genannten lokalen Merkmale. Entsprechend sind die so hergestellten Relationen semantisch mehr oder weniger spezifisch. Im Falle von .b und c ist es einfach eine Dependenzrelation zwischen einem übergeordneten Nominal und einem abhängigen Nominalsyntagma, also eine rein formale (oder strukturelle) Relation. Im Falle von .a dagegen ist es eine spezifische lokale Relation.
Ebenso wie Präpositionen sind Kasusaffixe Relatoren. Schon im 19. Jahrhundert hat man festgestellt, daß die Kasus eines Paradigmas wie des lateinischen verschieden abstrakt sind. Der Ablativ z.B. kann eine konkrete lokale Partizipantenrolle wie das deutsche aus bezeichnen, während der Akkusativ in erster Linie bezeichnet, daß sein Nominalsyntagma direktes Objekt des regierenden Verbs ist, seine Partizipantenrolle aber weitgehend offenläßt (fast alle außer Agens sind möglich). Man unterscheidet daher zwischen konkreten Kasus wie dem Ablativ und grammatischen oder strukturellen Kasus wie dem Akkusativ.
Die syntaktischen Relationen lassen sich in demselben Sinne in konkrete und strukturelle einteilen. So wäre im Deutschen die - mit dem Nullkasus Nominativ assoziierte - Relation des Subjekts eine strukturelle, die - durch Präpositionen wie von und seitens ausgedrückte - Relation des Agens beim Passiv eine konkrete. Die strukturellen syntaktischen Relationen werden in manchen Grammatikmodellen auch grammatische Relationen genannt; aber diesen Terminus haben wir schon an den Oberbegriff für ‘syntaktische Relation’ und ‘morphologische Relation’ vergeben.
Wenn ein Relator ein Zeichen mit zwei Leerstellen und einem mehr oder minder spezifischen Significatum ist, dann könnte man natürlich auch verehrt in Erna verehrt Erwin als Relator auffassen. Die Tatsache, daß verehrt, wie gesehen, seinerseits einen Relator, nämlich -t, enthält, täte dem keinen Abbruch, denn auch Relatoren müssen natürlich mit den Mitteln der Sprache bildbar sein; vgl. die untige Analyse von seitens. Worauf es hier in Wahrheit ankommt, ist, daß ein Relator keine beliebige Relation, sondern ausschließlich syntaktische Relationen wie oben definiert bezeichnet. Somit haben wir folgende terminologische Entsprechungen zwischen Relationen und (den sie zustandebringenden) Operationen:
Relation | Relatum | Relator | relationaler Ausdruck |
Operation | Operand | Operator | Funktor |
So wie ein Relator ein relationaler Ausdruck ist, welcher eine syntaktische Relation bezeichnet, ist ein Operator ein Funktor, der durch die Operation eingeführt wird.
In der Dependenzgrammatik teilt man die syntaktischen Relationen ein in solche der Dependenz und der Soziation. Eine Dependenzrelation ist eine solche, die auf der grammatischen Relationalität eines der Relata beruht. Die kognitive Basis grammatischer Relationalität ist, wie in Kap. 8.4.2 gesehen, begriffliche Relationalität. Die beiden Arten von grammatischen Leerstellen, die wir dort unterschieden haben, nämlich rektive und modifikative Leerstellen, begründen die beiden fundamentalen Typen von grammatischen Relationen: Rektion und Modifikation. Die beiden Typen erschöpfen die logischen Möglichkeiten von Dependenzrelationen, sowohl wenn man von der Organisation von Leerstellen als auch wenn man von der Distribution der resultierenden Syntagmen ausgeht:
Neben den syntaktischen Relationen stehen phorische Relationen, nämlich die Exophora (oder einfach Referenz), d.i. die Relation zwischen einem sprachlichen Ausdruck und einem Referenten, und die Endophora (oder Koreferenz), d.i. die Beziehung zwischen zwei sprachlichen Ausdrücken, die denselben Referenten haben. Die wichtigste Art von Endophora ist Anapher. An den Definitionen ist schon abzulesen, daß Endophora Exophora voraussetzt und daß diese fundamental ist. Zahlreiche Anaphorika gehen durch Grammatikalisierung auf Demonstrativa zurück.
Weder Exophora noch Endophora ist eine grammatische Relation. Im Unterschied zur Exophora ist Endophora jedoch eine syntagmatische Relation; das hat sie mit der Dependenz gemeinsam. Endophora kann, wie soeben angedeutet, grammatikalisiert werden. Durch Grammatikalisierung schrumpft der Skopus eines Anaphorikums auf die Ebene des einfachen Satzes. Hier wird die Anapher dann zu einer syntaktischen Relation, z.B. zu der Relation zwischen einem Subjektskongruenzsuffix am Verb und dem Subjekt des Verbs.
Die Subjektsrelation eines solchen Verbs entsteht also aus der Verkettung zweier Relationen:
Dies wird in B3 verdeutlicht.
↶ | ↷ | ||
B3. | Petrus | curri-t. | |
Lat | Subjekt | Verbstamm-Subjektkongruenzsuffix |
Diese beiden Relationen wiederum beruhen, wie zuvor gesehen, auf begrifflicher Relationalität und auf Endophora, die ihrerseits auf Exophora beruht. Das Beispiel ist repräsentativ. An der Basis aller sprachlicher Relationen, und somit auch aller grammatischer Relationen, stehen begriffliche Relationalität und Exophora.
Ebenen spielen in ganz verschiedenen Bereichen der Linguistik eine Rolle. Man spricht u.a. von soziolektalen Ebenen, von Stilebenen, von syntaktischen Ebenen. Oft begegnet man auch Aufzählungen, die die phonetische, phonologische, morphologische, syntaktische, semantische und pragmatische Ebene in einem Atemzug nennen, als entstammte eine solche Aufzählung einer linguistischen Systematik. In Wahrheit vermischt sie Ebenen, die durch drei unabhängige Arten von Kriterien begründet sind:
Wir behandeln im folgenden die semiotischen Ebenen und auf jeder von ihnen die interne hierarchische Organisation.
Das phonologische Wort ist die größte Einheit, auf die segmentale phonologische Prozesse Bezug nehmen, und gleichzeitig die kleinste Einheit, für die es suprasegmentale Grenzsignale gibt. Das phonologische Wort kann einem Syntagma aus mehreren "grammatischen Wörtern" (Wortformen) entsprechen. Es wird aus Silben gebildet. Eine Silbe ist die kleinste Einheit, die allein ein phonologisches Wort konstituieren kann. Sie ist ihrerseits zusammengesetzt aus Segmenten, und jedes Segment hat phonologische Merkmale.
Die Einheiten höherer Ebenen ergeben sich nicht additiv aus den Einheiten niederer Ebenen, sondern haben jeweils eigene Gestaltqualitäten. Die phonologischen Merkmale sind schon gar keine Einheiten, sondern Eigenschaften von phonologischen Einheiten oder Modulationen von ihnen. Ich hatte schon erwähnt, daß ein phonologisches Merkmal, wie andere Eigenschaften auch, nicht selbständig vorkommt.
Es ergibt auch nicht eine Folge von geeigneten Segmenten eine Silbe. Segmente sind halbselbständige Einheiten. Sie treten einerseits nur in linearer Sukzession auf, was eben ihre Segmentierung und gelegentlich auch ihre Isolierung in der Rede ermöglicht. Andererseits bestehen zwischen den Segmenten in der Kette verschieden starke Bindungen. Gewisse Segmente haften stark an anderen bis zu dem Punkt, wo sie nur noch Eigenschaften der letzteren sind. Ich hatte schon erwähnt, daß ein Konsonant, akustisch betrachtet, eine Eigenschaft des benachbarten Vokals ist; allerdings, wie man hinzufügen muß, eine Eigenschaft, die klärlich am linken oder rechten Rand des Vokals lokalisiert ist. Eine dynamische Betrachtung des Status des Konsonanten /h/ zeigt, daß er in Eigenschaften benachbarter Segmente übergeht, nämlich in die Aspiration eines vorangehenden Konsonanten, die Länge eines vorangehenden Vokals und die Stimmlosigkeit eines folgenden Vokals. Schließlich ergibt auch eine Folge von Silben nicht ein phonologisches Wort; vielmehr bedarf es einer suprasegmentalen Struktur, die die Folge zusammenhält.
Man hat die phonologische Struktur und ihre Ebenen mit verschiedenen Modellen beschrieben. Deren Diskussion wäre Gegenstand der Theorie der Sprachbeschreibung (oder der Grammatiktheorie i.w.S.). Einige seien dennoch hier erwähnt, weil sie die zugrundeliegenden sprachtheoretischen Probleme illustrieren. Seit Jakobson et al. 1952 hat man die phonologische Struktur in zweidimensionalen Merkmalmatrizen dargestellt. Hier gibt es eigentlich gar keine phonologischen Ebenen, sondern stattdessen die beiden Dimensionen der Simultaneität und der Sukzession, in denen die Merkmale angeordnet sind.
In anderen Modellen dringt die Analyse zwar nicht bis zur Ebene der Merkmale vor, berücksichtigt aber die Silbe. Den Aufbau der Silbe kann man mit dem Instrumentarium der Konstituentenstrukturgrammatik beschreiben (vgl. Kuryłowicz 1948, Fudge 1969) und so darstellen, wie es hier am Beispiel der deutschen Wortform Strunks gezeigt ist:
Konstituenz | Silbe | ||||||
Ansatz | Reim | ||||||
Präinitial | Ansatznukleus | Reimnukleus | Postcoda | ||||
Initial | Postinitial | Gipfel | Coda | ||||
Beispiel | ʃ | t | ʁ | u | ŋ | k | s |
Wie in der Grammatiktheorie (i.e.S.) gibt es auch hier als alternativen Beschreibungsansatz das Dependenzmodell. Die Dependenzphonologie betrachtet die Elemente des Silbenrandes als vom Nukleus abhängig. Beide Modelle versuchen, die herrschende hierarchische Struktur explizit zu machen und die Tatsache, daß die Sonoritätskurve bis zum Silbengipfel steigt und dann wieder fällt, in den Silbenbegriff zu inkorporieren. Für uns ist hier nur wichtig, daß sich die Einheiten der niederen Ebenen vermittels spezifischer Relationen zu größeren Einheiten zusammenfügen.
Auf die Konstitution semantischer Einheiten ist hier nicht noch einmal einzugehen, da sie schon in Kapitel 7 ausführlich behandelt wurde. Ich erinnere nur daran, daß wir auf der höchsten semantischen Ebene mit Ideen rechnen, die aus einem Gedanken - einer Proposition - mit einer illokutiven Kraft bestehen. Die Proposition ist aus Begriffen zusammengesetzt vermittels der zwischen ihnen bestehenden Relationen. Die Begriffe haben semantische Merkmale. Diese sind jedoch ihrerseits begrifflicher Natur. Die semantische Analyse führt also zu keinen kleineren Einheiten als den elementaren Begriffen und Relationen.
Wie wir in Kap. 4.2.2.5 gesehen hatten, werden alle sprachlichen Einheiten, an welchen Wahrnehmbares beteiligt ist, d.h. die Einheiten der phonologischen und die der grammatisch-lexikalischen Ebene, in der Zeit aktualisiert. Für ihre Anordnung ist daher eine sequentielle Achse relevant, auf welcher sie linearisiert werden. Darüber hinaus steht auf der phonologischen Ebene der Achse der Sequentialität diejenige der Simultaneität gegenüber. Für die Einheiten der semantischen Ebene gilt dies nicht. Sie sind zwar in mehreren Dimensionen hierarchisch strukturiert, aber sie verlaufen nicht in der Zeit. Unter rein psychologischem Gesichtspunkt ist es zwar so, daß wir manche Ideen gleichzeitig und andere nacheinander haben. Dies ist jedoch linguistisch irrelevant. Die Reihenfolge, in welcher wir Ideen und ihre Bestandteile versprachlichen, wird durch die Reihenfolge, in welcher diese Ideen uns gekommen sind, nur insoweit bestimmt, als wir trivialerweiser eine Idee erst sprachlich umsetzen können, nachdem sie uns gekommen ist. Im übrigen jedoch bestimmt sich die Linearisierung durch kommunikative und grammatische Rücksichten, welche eben erst relevant werden, wenn man die rein semantische Ebene verläßt.
Sprachzeichen fügen sich zu komplexen Einheiten zusammen. Ich habe bisher drei grammatische Einheiten erwähnt, das Morphem, das Wort und den Satz. Für Morphem und Wort habe ich an den überkommenen Definitionen, in prototypischer Interpretation, festgehalten. Das Charakteristikum jener Definitionen war, daß sie eine Menge teilweise unabhängiger, auf verschiedene sprachliche Ebenen bezogener Bedingungen enthielten. Dies wird auch in der Definition des Satzes so sein müssen.
Eine im amerikanischen Strukturalismus geläufige Definition des Satzes ist: Der Satz ist die kleinste sprachliche Einheit, die eine Äußerung bilden kann. Hier wird allerdings auf ein Kriterium rekurriert, das nicht innerhalb des Sprachsystems operationalisiert werden kann; denn was eine Äußerung ist, ist nur unter Rekurs auf die Sprechsituation feststellbar. Im Sinne dessen, was ich in Kap. 8.1 über die Bildung sprachlicher Einheiten in der ‘parole’ gesagt habe, ist durchaus damit zu rechnen, daß der Satz keine Einheit des Sprachsystems ist, sondern erst in der Aktualisierung zustandekommt (vgl. Lyons 1977:29-31 über "Systemsätze"). Doch völlig ohne Bezug auf das Sprachsystem ist der Satz nicht zu definieren. Denn auch Ausrufe wie Aha! oder die Zahl, die jeder ausruft, wenn eine Reihe von Personen sich selbst durchzählt, sind sprachliche Äußerungen. Wenn wir diese nicht für Sätze halten, berufen wir uns offenbar auf sprachsystematische Kriterien.
Ich hatte im vorigen Kapitel daran erinnert, daß der mitgeteilte Denkinhalt eine Idee ist, die aus Proposition und illokutiver Kraft besteht. Die Proposition wiederum wird durch eine Referenz und eine Prädikation konstituiert. Ferner hatten wir in Kap. 7.6 gesehen, daß das Sprachsystem keine Sätze zuläßt, die nicht eine illokutive Kraft haben. Daher können wir den Satz (i.S.v. engl. sentence) nun definieren als die kleinste sprachliche Einheit, die eine eigene illokutive Kraft haben kann und die mindestens eine Proposition (mithin eine Referenz und eine Prädikation i.S.v. Kap. 7.7.1) enthält.
Diese Definition sagt mehr als die traditionellen Definitionen des Typs, daß ein Satz die Mitteilung eines Gedankens (oder einer Idee) ist. Denn ich hatte illokutive Kraft und Proposition ohne Rekurs auf ‘Idee’ definiert, so daß ihr Ausdruck unabhängig vom Begriff der Idee überprüft werden kann.
Die Definition muß in folgender Weise als prototypische interpretiert werden (vgl. die Definition der Wortarten in Kap. 8.3.2): Alle sprachlichen Zeichen, die die Bedingung erfüllen, sind Sätze; ferner alle Zeichen, die dieselbe Struktur wie die ersteren haben. Damit ist dafür gesorgt, daß auch eine Konstruktion wie es schneit als Satz zählt, obwohl hier keine Referenz stattfindet. Ferner sind alle minimalen sprachlichen Einheiten, die zwar eine eigene illokutive Kraft, aber entweder keine Referenz oder keine Prädikation haben, keine typischen Sätze. Dies gilt vor allem für elliptische Konstruktionen, wie sie in Antworten auf Fragen häufig sind.
Nach einer anderen, ebenfalls im amerikanischen Strukturalismus geläufigen Definition (vgl. Bloomfield 1933:170) ist der Satz die größte selbständige syntaktische Form, die durch keinerlei grammatische Konstruktionen ihrerseits in eine andere syntaktische Form eingebettet ist. Das ist sicher richtig. Nur setzt diese Definition voraus, daß wir ‘syntaktisch’ definieren können ohne Rekurs auf den Begriff des Satzes. D.h. sie setzt voraus, daß wir das Syntaktische an der Satzgrenze enden lassen, also gegen das Textuelle abgrenzen können, ohne auf den Begriff des Satzes Bezug zu nehmen. Das wäre evtl. unter Rekurs auf den Begriff der Grammatikalisierung möglich, indem man den Übergang vom Textuellen zum Syntaktischen da ansetzt, wo Regularitäten des einzelsprachlichen Systems wirksam werden, die nicht rein semantisch motiviert sind. Wir werden in einem anderen Kapitel auf diese Möglichkeit zurückkommen.
In Kap. 8.3.2. hatte ich kognitiv begründete Definitionen der Wortarten gegeben. Sie bilden semantische Klassen von kleinsten selbständigen Zeichen, die in vielen Sprachen - einige in allen Sprachen - vertreten sind wegen ihrer kognitiven Wichtigkeit. Diese schlägt sich darin nieder, daß die Klassen sehr umfangreich sind und in Äußerungen immer wieder vorkommen. Das ist die Voraussetzung dafür, daß sie keine rein lexikalischen Klassen bleiben, wie etwa die Klasse der Wörter, die visuelle Qualitäten bezeichnen, sondern daß sie systematisiert, also zu grammatischen Klassen verarbeitet werden. Das bedeutet, daß die Wortarten in einer gegebenen Sprache immer anhand grammatischer Kriterien bestimmt werden können. Dies können morphologische Kriterien, also etwa die Flexionseigenschaften der Wortarten sein; oder es kann sich um syntaktische Kriterien handeln, die annähernd Distributionsklassen von Wörtern ergeben. In diese strukturell bestimmten Klassen fallen dann, wie schon gesagt, immer auch Wörter, die den semantischen Eigenschaften des betreffenden Prototyps nicht entsprechen.
Die Etablierung von grammatischen Klassen von Wörtern ist auch unabhängig von der kognitiven Wichtigkeit bestimmter semantischer Klassen ein semiotisches Erfordernis für ein funktionsfähiges Sprachsystem. Wir hatten gesehen, daß die Unbeschränktheit der Sprachtätigkeit nur gewährleistet werden kann, wenn für sprachliche Zeichen von einer gewissen Komplexität an aufwärts die relative Motivation gilt, wenn sie also nach dem Kompositionalitätsprinzip gebildet sind. Das besagt u.a., daß ein gegebenes Wort in beliebigen semantischen Konstellationen vorkommen können muß. In all diesen unvorhersehbaren Fällen muß es eine regelmäßige Möglichkeit geben, das Wort mit den syntagmatisch benachbarten zu einer Konstruktion zu verknüpfen. Für all diese unendlich vielen Verknüpfungsmöglichkeiten kann es aber nicht unendlich viele verschiedene Verknüpfungsoperationen geben. Vielmehr muß es möglich sein, mit einer endlichen Zahl von Relationen oder Relatoren beliebige Verknüpfungen herzustellen. Die Anforderungen an die Verknüpfungsoperationen müssen in eine begrenzte Anzahl von immer wiederkehrenden Fällen eingeteilt werden können. Das bedeutet aber, daß die Relata in Klassen eingeteilt sein müssen, so daß für eine gewisse Konstellation von Klassen von Relata eine gewisse Verknüpfungsoperation zuständig ist. Auch dies führt also zu grammatisch konstituierten Wortarten.
Das soeben Gesagte läuft darauf hinaus, daß die Wortarten sich in ihrem Verknüpfungspotential unterscheiden. Ch. Bally schreibt:
"Les catégories lexicales sont caractérisées par leur valeur, et cette valeur est inséparable de leur fonction." (Bally 1944: 114)
Sie können sich also in ihrer Relationalität wie in Kap. 8.4.2 definiert unterscheiden; und häufig tun sie das. In allen bekannten Sprachen7 gibt es z.B. eine Wortart, deren prototypische Mitglieder überhaupt keine Leerstelle eröffnen; das sind die Substantive. Weiter gibt es in den meisten Sprachen eine Wortart, die mehr als eine regierende Leerstelle eröffnen kann; das sind die (transitiven) Verben. Die prototypischen Mitglieder einer weiteren Wortart haben eine modifizierende Leerstelle für ein Substantiv; das sind die Adjektive.
An diesen Definitionen sind mehrere Punkte bemerkenswert. Erstens, diese Kriterien allein würden nicht zur Gewinnung universaler Wortartbegriffe führen. Es gibt Nicht-Substantive, z.B. die Interjektionen, die keine Leerstelle eröffnen. Es gibt Sprachen, deren Verben offenbar nur sehr schwach wirksame Leerstellen eröffnen, z.B. das Japanische (vgl. Coseriu 1979); und es gibt Sprachen, deren Verben nie mehr als eine Leerstelle haben, wie das Bororo (vgl. Crowell 1979). Da die Organisation der Struktur prinzipiell eine Angelegenheit der Einzelsprache ist, braucht uns das nicht zu verwundern. Für die einzelne Sprache ist ja lediglich wichtig, daß es überhaupt Klassen von Zeichen gibt, die Relationen von je bestimmter Art eingehen; es ist dagegen von sekundärer Wichtigkeit, wie dieses kombinatorische Potential mit etwaigen semantischen Klassen assoziiert ist. Dieses strukturelle Kriterium kann also in einer universalen Definition der Wortarten bestenfalls akzessorische Funktion haben.
Zweitens, die bestehenden übereinzelsprachlichen Affinitäten zwischen bestimmten semantischen Klassen und bestimmten kombinatorischen Klassen sind sprachtheoretisch interessant. Die Tatsache, daß die Klasse, deren prototypische Mitglieder Entitäten erster Ordnung bezeichnen, i.a. zusammenfällt mit einer Klasse, deren prototypische Mitglieder nicht relational sind, ist zweifellos kein Zufall. Die Relationalität eines Wortes besagt ja, daß sein Begriff nur gedacht wird in bezug auf etwas anderes. Die typischen Entitäten erster Ordnung aber sind Phänomene wie Stern, Baum, Frau, die uns autonom vorkommen. Eigenschaften und Handlungen, so hatten wir gesagt, stehen außerhalb der Hierarchie von Entitäten, weil sie an Entitäten auftreten und Entitäten einer Ordnung in Entitäten einer anderen Ordnung überführen. Mithin erscheint es natürlich, daß die für sie zuständigen Wortarten eine Leerstelle für die Wortart für Entitäten erster Ordnung aufweisen.
Der dritte bemerkenswerte Punkt ist, daß die kombinatorische Definition der Wortarten, soweit sie gilt, eine Hierarchie unter den Wortarten voraussetzt, welche die in der semantischen Definition vorausgesetzte Hierarchie spiegelt. Denn in der semantischen Definition hatten wir ja die erste Ordnung von Entitäten voraussetzungslos akzeptiert. Die Begriffe der Eigenschaft und der Handlung dagegen sind mit Bezug auf Entitäten erster Ordnung konzipiert. Das Entsprechende finden wir nun wieder in unseren kombinatorischen Definitionen. Auch hier kann die Klasse der Substantive für sich definiert werden, während die Adjektive und Verben mit Bezug auf die Substantive definiert werden, nämlich als Wortarten, deren Mitglieder bestimmte Leerstellen für Substantive (genauer: nominale Ausdrücke) haben.
Ich habe bisher immer nur von den drei Wortarten der Substantive, Verben und Adjektive gesprochen. Wenn wir den Aufbau eines Wortartsystems als Vorgang auffassen, ist die erste Unterscheidung die zwischen Substantiven und Verben. Die nächste Differenzierung, die in den meisten, aber nicht in allen Sprachen durchgeführt ist, unterscheidet eine Klasse der Adjektive von den Substantiven einerseits und von den Verben andererseits. Diese drei können wir als die primären Wortarten bezeichnen. Einerseits werden andere Klassen von Begriffen oft zu einer der drei primären Wortarten geschlagen. Vorgänge und sogar, wie wir gesehen hatten (↰), Eigenschaften werden z.B. mit den Handlungen zusammen durch Verben bezeichnet. Zahl- und Mengenbegriffe erscheinen häufig als Adjektive, aber auch als Verben oder Substantive, usw. Andererseits ist die zwischensprachliche Variation in den weiteren Wortarten viel größer als in den drei primären. Indogermanische Sprachen z.B. haben Numeralia, Konjunktionen und Adpositionen; das Hixkaryana hat keine Numeralia und keine Konjunktionen, das Dyirbal keine Adpositionen. Die Variation hängt auch damit zusammen, daß diese weiteren Wortarten hierarchisch den drei primären untergeordnet sind. Ein Adverb ist z.B. ein Wort, das eine modifizierende Leerstelle für ein Verb oder ein Adjektiv hat. Verb und Adjektiv sind hier also schon vorausgesetzt. Ob und wie sich in einer Sprache Adverbien präsentieren, wird also stark davon abhängen, wie sich in der Sprache die Verben und Adjektive darstellen.
Lyons (1977:448) hatte bereits hinsichtlich des Adjektivs gemeint, sein kombinatorisches Potential sei für seine Konstitution offenbar wichtiger als seine Funktion, Eigenschaften zu bezeichnen. Wir hatten in Kap. 8.3.2 gesehen, daß Eigenschaften und Handlungen aufgefaßt werden können als Funktoren, die eine Entität erster Ordnung in eine Entität höherer Ordnung überführen. Dasselbe können wir für die sie typischerweise bezeichnenden Klassen von Sprachzeichen, nämlich Adjektive und Verben, geltend machen.
Das Entsprechende gilt erst recht für viele der sekundären Wortarten. Kaum lassen sich für Adverbien, Adpositionen, Konjunktionen usw. begriffliche Klassen angeben. Bei ihnen tritt stattdessen die kombinatorische Funktion stärker in den Vordergrund. So kann eine Adposition aufgefaßt werden als der Operator einer Operation, die einen nominalen Ausdruck in die Substitutionsklasse der Adverbien, also einen adverbialen Ausdruck, überführt. Und eine Konjunktion wäre der Operator einer Operation (scil. der Nominalisierung), die ein Sprachzeichen, das eine Entität dritter Ordnung bezeichnet, überführt in ein Sprachzeichen der Klasse, die Entitäten erster Ordnung bezeichnet.
Es ist eine Klärung zu den Begriffen des Funktors und des Operators nachzutragen. Wir hatten einen Operator bisher als eine Entität aufgefaßt, die in der Operation eingeführt wird und als die Spur ihrer Anwendung in dem Resultat verbleibt. Diese Auffassung erscheint für grammatische Elemente wie etwa Artikel oder Kasusaffixe plausibel. Von Begriffen dagegen hatten wir angenommen, sie seien vorgegeben, und die Relationen zwischen ihnen müßten, soweit sie den Begriffen nicht schon inhärierten, durch Operationen hergestellt werden. D.h. wir hatten mit dem Operationsbegriff Handlungsschemata assoziiert, die ausschließlich der Herstellung von Struktur dienen und nicht ihrerseits Begriffe einführen. Insofern können wir unterscheiden zwischen Begriffen, die relational sind und die bei der Herstellung komplexerer Einheiten als Funktoren wirken, und grammatischen Elementen, die nichts außer einer bestimmten Relation enthalten und die bei der Herstellung komplexerer Einheiten als Operatoren wirken. Allerdings hatte ich schon darauf hingewiesen, daß es zwischen diesen beiden Begriffen einen gleitenden Übergang gibt.
Das Lexikon enthält in jeder der Wortarten eine mehr oder weniger große Menge von Lexemen. Dies sind Einheiten, auf die ein ganzheitlicher Zugriff genommen wird, die also nicht frei nach Regeln gebildet werden. In den klarsten Fällen sind es entweder morphologisch nicht analysierbare Stämme oder jedenfalls lexikalisierte Fügungen, also solche, die wegen unregelmäßiger Beziehungen zwischen Significans und Significatum inventarisiert werden. Die Menge der Lexeme ist in jedem Augenblick der Sprachgeschichte endlich. Das in jedem Augenblick Mitzuteilende ist jedoch nicht vorhersehbar. Folglich muß die Sprache Mittel (Operationen) bereitstellen, durch die die vorhandenen Klassen erweitert werden können.
Diese Forderung rührt wieder aus der Unbeschränktheit der Sprachtätigkeit. Sie ergibt sich allerdings nicht als logisch zwingende Konsequenz. Es würde theoretisch genügen, wenn beliebige Ideen ausgedrückt werden können. Das ist mit den im vorigen Abschnitt postulierten Mitteln, nämlich strukturell definierten lexikalischen Klassen und Operationen zu ihrer Kombination, schon gewährleistet. Vorausgesetzt, es besteht auch noch die Möglichkeit, sich auf eine zuvor ausgedrückte Idee oder Teile davon anaphorisch zu beziehen, so würde dieser Apparat schon hinreichen. Tatsächlich bieten aber alle Sprachen Möglichkeiten, nicht nur eine unbeschränkte Anzahl von Ideen, sondern auch eine unbeschränkte Anzahl von Begriffen zu bilden.
Betrachten wir ein einfaches Beispiel. Mit dem Syntagma .a haben wir zunächst einen Begriff "voriges Jahr", auf dessen Basis den Referenten "das vorige Jahr" gebildet und diesen dann mit "im vorigen Jahr" als Bezugspunkt für weiteres zur Verfügung gestellt. Stattdessen könnten wir auch die Sätze in .b aneinander reihen:
. | a. | im vorigen Jahr |
b. | Es gibt Jahre. Eines ist das vorige. Da (geschah es.) |
Unterschiede zwischen Sprachen manifestieren sich teilweise darin, daß die eine so umständlich verfährt in einem funktionellen Bereich, in dem eine andere ein kompaktes Konstruktionsschema bereithält. Aber keine Sprache geht ausschließlich so wie in .b vor.
Das mag mit Ökonomie zu tun haben. Das ökonomische Argument ist allerdings schwer objektivierbar. Denn es bezieht sich auf ein optimales Verhältnis zwischen der Komplexität des Systems und der Länge der Nachrichten. Es sind keine objektiven Maßstäbe bekannt, nach denen man abschätzen könnte, Systeme welcher Komplexität die menschliche Sprachfähigkeit noch verkraften kann, bzw. andererseits, wie sich die für Sprachtätigkeit benötigte Zeit verhält zu der Zeit, die der Mensch insgesamt verfügbar hat. Wenn wir z.B. halb so viele Phoneme hätten, wie wir haben, würden unsere Nachrichten bis zu doppelt so lang werden. Ob das aber auch doppelten Zeitaufwand bedeutete, und wenn ja, ob das ein die Sprachentwicklung beeinflussender Faktor wäre, ist sehr schwer zu sagen.
Während also das ökonomische Argument in der Frage, warum jede Sprache Operationen der Begriffsbildung bereitstellt, nicht verifizierbar ist, ist das folgende semantische Argument, wenigstens was die Fakten angeht, klar. Die obige Umschreibung von in diesem Jahr durch eine Folge von Sätzen bedeutet nicht dasselbe wie dieser Ausdruck. Wir wählen die Umschreibung, die uns ja zur Verfügung steht, deswegen nicht, weil wir gar nicht sagen wollen, daß es Jahre gibt und daß eines das vorige ist. Dazu hat sich H. Steinthal wie folgt geäußert:
[Mens humana] quas cogitationes saepius tanquam subjectum et praedicatum una junxerat comprehensione, eas quamvis copulatione sublata arctius tamen denuo comprehensas tanquam unam sumsit cogitationem ad novamque cum aliis iunxit sententiam constituendam.
Inter has sententias: corona splendet et corona est splendida nullum fere cognoscitur discrimen. A quibus corona splendida non notione tanquam materia distinguitur, sed expressionis lingua effectae forma. Sed cum forma mutatur sensus. Nam illis sententiam enunciamus quam ab aliis probari volumus; sed verbis corona splendida rem exprimimus tanquam jam dudum judicatam ab omnibusque concessam, ita ut una habeatur composita notio. Enunciationis igitur unitas in notionis unitatem mutata est. (Steinthal 1847: 22, 74)
"Die Gedanken, die der menschliche Geist öfter als Subjekt und Prädikat in einem Satz verknüpft hat, die hat er, wiewohl unter Aufhebung der Verbindung [Kopula], doch fester wieder zusammengefaßt, als einen Gedanken genommen und mit anderen zur Bildung eines neuen Satzes verknüpft."
"Zwischen diesen Sätzen: die Krone glänzt und die Krone ist glänzend erkennt man fast keinen Unterschied. Von ihnen unterscheidet sich glänzende Krone nicht durch den Begriff als wie durch den Stoff [das Designatum], sondern durch die Form des durch die Sprache gewirkten Ausdrucks. Aber mit der Form ändert sich der Sinn. Denn mit jenen Ausdrücken äußern wir einen Satz, zu dem wir von anderen Zustimmung haben wollen; aber mit den Worten glänzende Krone drücken wir die Sache als längst so entschieden und von allen gebilligt aus, so daß sie als ein zusammengesetzter Begriff gilt. Die Einheit des Satzes hat sich somit in die Einheit des Begriffs verwandelt."
Das Sprachsystem läßt keine Sätze zu, die nicht eine illokutive Kraft haben. Begriffe dagegen haben keine illokutive Kraft. Wir können also Begriffsbildung deshalb nicht durch Satzbildung ersetzen, weil wir Begriffe wie "voriges Jahr" nicht erst im Sprechakt etablieren, sondern als gegeben betrachten wollen.
Das Gesagte läuft darauf hinaus, daß wir Operationen brauchen, die aus den vorhandenen Lexemen neue Begriffe bilden und diese in eine der bereits verfügbaren Strukturklassen einordnen. Theoretisch wäre es wiederum denkbar, daß die durch Operationen gebildeten Begriffe neuartige Strukturklassen konstituieren, daß also etwa die Strukturklasse ‘Nominal’, in die der Begriff "voriges Jahr" fällt, mit keiner bereits bestehenden Strukturklasse zusammenfällt. Bis zu einem gewissen Grade ist das auch so. Z.B. ist das Wort Jahr für die Komposition verfügbar, das Syntagma voriges Jahr dagegen nicht; wir bilden also Hungerjahr, aber nicht hungervoriges Jahr. Oder wir können Jahr mit dem indefiniten Artikel versehen, jedoch nicht ein voriges Jahr bilden. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die komplexen Ausdrücke doch größtenteils den gleichen Operationen zugänglich sind wie die einfachen. Wir setzen z.B. den definiten Artikel vor Jahr und bilden ebenso das vorige Jahr; und wir setzen den komplexen Ausdruck in den Plural oder kombinieren ihn mit einer Präposition, ebenso wie wir das mit dem einzelnen Wort tun. In erheblichem Maße fällt also die Distribution eines komplexen Nominals mit der eines Substantivs zusammen. Sie fallen also, von den genannten Unterschieden abgesehen, in dieselbe Strukturklasse.
Das ist die Basis für die syntaktischen Kategorien, die es in jeder Sprache gibt. Eine syntaktische Kategorie ist mithin eine Klasse von Syntagmen, die dieselbe Distribution wie eine Wortart haben; bzw. intensional gesprochen ist es die Eigenschaft eines Syntagmas, dieselbe Distribution wie eine bestimmte Wortart zu haben. Auf dieser Basis sind syntaktische Kategorien wie Nominal, Verbal(-syntagma), Adjektival oder Adverbial zu verstehen.
Hier ist auch wieder der gestaltlinguistische Gesichtspunkt ins Spiel zu bringen: die Operationen, welche komplexe Ausdrücke bilden, können so konzipiert sein, daß sie mit ihrem Resultat auf bestimmte Strukturklassen zielen, die durch die Analogie der Wortarten vorgegeben sind (vgl. Dik 1985). Die daraus resultierende “kategoriale Uniformität” kann einen typologischen Unterschied zwischen Sprachen begründen (Himmelmann 2007).
Ich habe jetzt die syntaktischen Kategorien mit Bezug auf die Wortarten definiert; d.h. ich habe die letzteren als gegeben vorausgesetzt und die ersteren als ihre Derivate betrachtet. In einer operationalen Sprachauffassung ist dieser Gesichtspunkt umkehrbar. Wir hatten gesehen, daß durch Lexikalisierung ursprünglich regelmäßig gebildete komplexe Ausdrücke ihre Kompositionalität einbüßen und also ins Lexikon übergehen. Z.B. ist die Form fließend ein regelmäßig gebildetes Partizip Präsens des Verbs fließen. Sie erwirbt jedoch durch Lexikalisierung die Bedeutung "ohne Stocken oder Anstoß realisiert", die in fließendes Französisch auftritt. Die Form vermehrt somit das Inventar der Adjektive, und sekundär das der Adverbien (sie spricht fließend Französisch). Die Operationen zur Bildung komplexer Ausdrücke "füttern" also die Wortarten und garantieren so ihren Bestand. Im Tamil basieren z.B. fast alle Adjektive auf Partizipien (Lehmann 1990, §4.4). Komplementär zu der zuvor gegebenen analogischen Begründung der syntaktischen Kategorien auf den Wortarten gilt also, daß die Wortarten operational auf den syntaktischen Kategorien begründet sind.13
Unter den Operationen, die komplexe Ausdrücke bestimmter syntaktischer Kategorien bilden, sind zwei Prototypen zu unterscheiden, die wir Translation (vgl. Tesnière 1959) und Transposition nennen wollen. Beispiele sind jeweils bzw. .
. | a. | ich habe x gestern getroffen |
b. | den ich gestern getroffen habe |
. | a. | kaufen |
b. | käuflich |
Eine Translation überführt einen nach grammatischen Regeln gebildeten syntaktisch komplexen Ausdruck in einen ebenfalls nach grammatischen Regeln gebildeten syntaktisch komplexen Ausdruck. Wenn die syntaktische Kategorie des Resultats von der des Operanden verschieden ist, ist es eine Translation im eigentlichen Sinne. So liegt in .a ein offener Satz vor ("offen" deshalb, weil er eine ungebundene Variable oder auch Leerstelle enthält). Die Operation der Adjektivalisierung überführt einen solchen Ausdruck in ein Adjektival, nämlich in den Relativsatz von .b. Das geschieht dadurch, daß der offene Satz nominalisiert wird, daß ihm also die syntaktische Kategorie ‘Nominal’ (i.w.S.) zugewiesen wird. Gleichzeitig wird er auf seine Leerstelle ausgerichtet, wodurch diese eine modifizierende Leerstelle wird. Das Produkt ist ein komplexes Adjektival, das in ähnlicher Weise wie ein einfaches Adjektiv einer weiteren Operation, der Attribution unterworfen werden und somit Attribut zu einem Bezugsnomen werden kann. Andere Translationen überführen Nominalien in Verbalien (z.B. mithilfe der Kopula) oder NSen in Adverbialien, z.B. mithilfe von Präpositionen. Für die letztere Operation hatten wir das Beispiel im vorigen Jahr gesehen. Translationen sind eine Form von syntaktischen Operationen.
Eine Transposition überführt ein Lexem in ein anderes Lexem. Wenn die Wortart des Resultats von der des Operanden verschieden ist, ist es eine Transposition im eigentlichen Sinne (in der Wortbildungsliteratur auch Konversion oder besser Umkategorisierung genannt). So liegt in .a ein Verb vor. Die Operation der Adjektivierung überführt es in ein Adjektiv, z.B. das in .b. Das geschieht dadurch, daß das Verb zunächst nominalisiert (i.w.S.), also in die Kategorie der Verbalnomina überführt wird. Die für das Subjekt bzw. Agens vorgesehene Leerstelle geht dabei verloren. Es bleibt die für das direkte Objekt bzw. Patiens vorgesehene Leerstelle, und auf diese wird der Operand ausgerichtet. Dadurch wird sie eine modifizierende Leerstelle. Das Produkt ist ein abgeleitetes Adjektiv, das ebenso wie ein einfaches Adjektiv attribuiert werden kann. Andere Transpositionen überführen Substantive in Verben (z.B. durch das Präfix be-, wie in Stuhl - bestuhlen) oder Substantive in Adverbien (wie in nachts). Transpositionen sind eine Form von Wortbildungsoperationen.
Ich habe für die Darstellung der Translation und der Transposition weitgehend parallele Beispiele gewählt. Der Translation ‘Adjektivalisierung’ entspricht die Transposition ‘Adjektivierung’. Zwischen solchen einander entsprechenden syntaktischen und wortbildenden Operationen bestehen durchaus Gemeinsamkeiten. Eine, die hier genannt zu werden verdient, besteht darin, daß der Operand nicht eine tatsächlich vorkommende Konstruktion bzw. Wortform sein muß. So ist der Operand der durch illustrierten Adjektivalisierung ein offener Satz; aber offene Sätze kommen in der Rede nicht vor, sondern sind Konstrukte der Grammatiktheorie. Ebenso ist der Operand der durch illustrierten Adjektivierung nicht eine Verbform (insbesondere nicht der in .b erscheinende Infinitiv), sondern ein Verbstamm, also wiederum ein Konstrukt der Grammatiktheorie, das als solches nie eine Wortform in der Rede bildet.8 Es ist schwierig, hier sprachtheoretische von beschreibungstheoretischen Fragen zu trennen. Soviel kann man aber wohl als sprachtheoretisch relevant festhalten, daß die paradigmatischen Relationen, welche zwischen Konstruktionen durch Operationen hergestellt werden, zuweilen über Zwischenstufen vermittelt sind, die selbst in der Sprache nicht kodiert werden.
Zwischen Translationen und Transpositionen bestehen die Unterschiede, die allgemein zwischen syntaktischen und wortbildenden Operationen bestehen. Man kann sich zunächst fragen, warum es eigentlich distinkte Operationen für grammatische Konstruktionen und für Lexeme gibt. Könnten nicht Adjektivalisierung und Adjektivierung ein und dieselbe Operation sein, das eine Mal angewandt auf offene Sätze, das andere Mal auf Verbstämme? Tatsächlich unterscheiden sich Sprachen in dieser Beziehung. In dem oben erwähnten Tamil sind Adjektivierung und Adjektivalisierung dieselbe Operation. Wo das nicht so ist, wie im Deutschen, wird die Tatsache relevant, daß die komplexen syntaktischen Kategorien nicht genau in dieselben Substitutionsklassen fallen wie die Wortarten. Ein deutscher Relativsatz z.B. ist ein komplexes Adjektival, aber er wird nicht genauso attribuiert wie ein Adjektiv, nämlich nicht prä-, sondern postnominal. Ein daß-Satz, wiewohl durch Nominalisierung eines Satzes zustandegekommen, verhält sich syntaktisch nicht einfach wie ein beliebiges NS. Er kann z.B. nicht mit Präpositionen angeschlossen werden; vgl. .a und b.
. | a. | für deine Gesundung |
b. | *für daß du gesundest |
Dies hängt teilweise mit den involvierten Strukturprozessen zusammen. Es gibt solche mit engem Skopus, die sich zur Anwendung auf Lexeme oder Wörter eignen, und solche mit weitem Skopus, die sich zur Anwendung auf syntaktische Konstruktionen eignen.
Damit hängt ein noch wesentlicherer Gesichtspunkt zusammen. Die Translation tut nichts, als die syntaktische Kategorie und evtl. noch weitere grammatische Eigenschaften des Operanden zu ändern, läßt aber dessen Bedeutung im übrigen unangetastet. D.h. sie wahrt die Kompositionalität der Bedeutung. Die Transposition dagegen involviert häufig leichte Bedeutungsänderungen des Operanden, die zum Teil auch unkontrollierbar sind. So bedeutet käuflich nicht einfach das, was ein auf die Patiensposition ausgerichtetes Verbaladjektiv von kaufen bedeuten müßte, nämlich "was gekauft wird", sondern es bedeutet "was gekauft werden kann". Dieselbe modale Schattierung findet sich in unsäglich. Wir würden sicher recht daran tun, diese Bedeutungskomponente dem Suffix -lich zuzuschreiben. Wir würden aber dennoch mit Wörtern wie sträflich und förderlich zu tun bekommen, deren Bedeutung nicht wie die von käuflich gewonnen wird. Sträflich ist etwas, "was gestraft werden muß", und förderlich ist etwas, "was fördert". Derartige Unregelmäßigkeiten kommen bei den Translationen nicht vor. Offenbar liegt das daran, daß Transpositionen unmittelbar an den Lexemen ansetzen und in deren Spezifika involviert werden, während Translationen an die in der Konstruktion enthaltenen Lexeme nicht heranreichen, sondern sozusagen nur an ihre syntaktische Schale. Z.B. betreffen die Nominalisierung und die Modifikationen der Leerstelle in unmittelbar das verbale Lexem. In dagegen ist das Verb treffen von den entsprechenden Operationen nicht unmittelbar betroffen. Die Unterschiede in den eingesetzten Strukturprozessen spiegeln auch hier die funktionalen Unterschiede. Die unmittelbar die Bedeutung des Lexems affizierende Transposition wird realisiert durch einen Prozeß mit engem Skopus, der eine morphologische Veränderung des Verbstamms mit sich bringt. Die die syntaktische Konstruktion als ganze affizierende Translation wird realisiert durch einen Prozeß mit weitem Skopus (Einleitung des Relativsatzes durch ein Relativpronomen), der keines der in der Konstruktion enthaltenen Lexeme verändert.
Wir hatten bisher mit drei grammatischen Ebenen gerechnet, nämlich den Ebenen des Morphems, des Worts und des Satzes. Mit der Behandlung von syntaktischen Kategorien haben wir jedoch implizit zwischen Wort und Satz eine weitere grammatische Ebene, die des Syntagmas, eingeführt. Eine syntaktische Kategorie ist die Intension einer Klasse von Syntagmen, die dieselbe Distribution wie eine Wortart hat. Auf der Ebene des Syntagmas befinden sich also die syntaktischen Kategorien. Dies ist allerdings ein anderer Typ von grammatischer Ebene als die Ebenen von Morphem, Wort und Satz, weil innerhalb von syntaktischen Kategorien Rekursion herrscht. Ein Morphem kann nicht ein Morphem enthalten, ein Wort nur in gewissen Formen von Komposition ein Wort, und ein Satz kann nicht einen Satz (sentence) (sondern nur einen Nebensatz) enthalten. Aber eine syntaktische Kategorie kann beliebig viele syntaktische Kategorien enthalten. Insbesondere kann Syntagma A Syntagma B enthalten, auch wenn A und B derselben syntaktischen Kategorie angehören; und das nicht in ausgrenzbaren Ausnahmefällen, sondern als wesentliche Eigenschaft von syntaktischen Kategorien. Wir haben also nicht bloß eine einzige Ebene des Syntagmas, so wie wir eine einzige Ebene des Morphems oder des Worts oder des Satzes haben. Natürlich würde es auch nichts nützen, eine Anzahl intermediärer Ebenen anzusetzen. Man kann höchstens pro syntaktische Kategorie eine Ebene ansetzen, also z.B. die Ebene des NSs oder die der Klause (des einfachen, nicht notwendig selbständigen Satzes). Um sie von den anderen grammatischen Ebenen zu unterscheiden, nennen wir diese syntaktische Ebenen.
Allerdings ist die Einbeziehung der syntaktischen Ebenen fruchtbar für das Verständnis der gesamten Ebenenproblematik. Betrachten wir noch einmal das Kontinuum der Konstruktionen in (vgl. Kap. 7.7.3.1).
. | a. | Fred is sleeping |
b. | that Fred is sleeping | |
c. | for Fred to be sleeping | |
d. | Fred's sleeping | |
e. | Fred's sleep |
Der Satz .a geht bei zunehmender Nominalisierung in das NS .e über. Das Substantiv sleep ist, so betrachtet, das Endprodukt einer Operation, die an einem Satz mit dem Prädikat is sleeping ansetzt. Es gibt ein Kontinuum zwischen den Ebenen ‘Satz’ und ‘Wort’, das in einer gegebenen Sprache an diversen Punkten mit syntaktischen Konstruktionen besetzt ist. Diese syntaktischen Konstruktionen sind Produkte gewisser syntaktischer Operationen und bieten Ansatzpunkte für weitere Operationen. Z.B. kann man .c durch ein Adverb wie constantly erweitern, .d dagegen durch ein Adjektiv wie constant. Wir können auf .b in demselben Satz durch ein expletives it verweisen, nicht jedoch auf .d, usf. Auf diese Weise bündeln sich die syntaktischen Operationen an bestimmten Punkten auf dem Kontinuum. Je mehr syntaktische Operationen einen solchen gemeinsamen Bezugspunkt haben, desto mehr gewinnt dieser den Status einer Ebene. Die syntaktische Ebene ist also nicht etwas im Sprachsystem statisch Vorgegebenes, nach dem sich die übrige Struktur zu richten hätte; sie ist im Gegenteil das Produkt der Interaktion sprachlicher Operationen (vgl. Lehmann 1984, Kap.7.2). In dem Maße, wie verschiedene Sprachen über Operationen mit unterschiedlichem Skopus verfügen, werden sie sich auch in ihren syntaktischen Ebenen unterscheiden. So gibt es in vielen Sprachen keine Ebene des Nebensatzes im indogermanischen, durch .b illustrierten Sinne, weil Operationen wie etwa Adjektivalisierung in ihnen einen engeren Skopus haben.
In diese Relativität der grammatischen Ebenen muß man schließlich auch Wort und Satz einbeziehen. Einerseits kann es Sprachen geben, in denen der Satz nicht vom Verbal zu unterscheiden ist. Hier kommen sog. klausenverkettende (‘clause-chaining’) Sprachen infrage, in denen umfangreiche Textpassagen i.w. aus Folgen von Verbalien bestehen (vgl. Longacre 1985). Andererseits gibt es offenbar Sprachen, in denen die Ebene des Worts nicht zu unterscheiden ist von der Ebene komplexerer syntaktischer Kategorien. Die sog. polysynthetischen Sprachen, in denen Wörter morphologisch sehr komplex werden und morphologische Abwandlungen eine nahezu syntaktische Regelmäßigkeit haben, sind hier einschlägig. Sapir schreibt dazu:
"Every language has its special method or methods of binding words into a larger unity. The importance of these methods is apt to vary with the complexity of the individual word. The more synthetic the language, in other words, the more clearly the status of each word in the sentence is indicated by its own resources, the less need is there for looking beyond the word to the sentence as a whole... And yet to say that a sufficiently elaborate word-structure compensates for external syntactic methods is perilously close to begging the question. The elements of the word are related to each other in a specific way and follow each other in a rigorously determined sequence. This is tantamount to saying that a word which consists of more than a radical element is a crystallization of a sentence or of some portion of a sentence". (Sapir 1921:109f)
Solche Unterschiede zwischen Sprachen sind für die Sprachtypologie sehr wichtig. Wenn sie theoretisch in der skizzierten dynamischen Weise aufgefaßt werden, wird auch die darauf aufbauende Sprachtypologie nicht eine Typologie von Strukturmerkmalen, sondern von Gestaltungsprinzipien sein können.
Die in den Sprachen der Welt vorkommenden Strukturprozesse lassen sich exhaustiv in eine überschaubare Anzahl von Typen klassifizieren. Für die Identifikation der meisten dieser Typen reichen rein strukturelle Kriterien aus. Z.B. können wir Ablaut definieren als den mit systematischen Bedeutungsunterschieden verbundenen Wechsel bestimmter Vokale in einem Morphem. Die systematischen Bedeutungsunterschiede müssen wir in dieser Definition nur erwähnen, um Ablaut als grammatischen Strukturprozeß von einem rein phonologischen Prozeß wie Vokalharmonie zu unterscheiden. Wir brauchen jedoch nichts über die Art der ausgedrückten Bedeutungen zu sagen. Wir können auch Affigierung von Komposition durch das rein formale Kriterium der Selbständigkeit der angefügten Einheiten unterscheiden.9
Nur der Einsatz grammatischer Wörter läßt sich nicht so leicht ohne Rekurs auf semantische Kriterien als Strukturprozeß definieren. Vergleichen wir .a und b.
. | a. | Fritz hat rücksichtsvoll behandelt zu werden. |
b. | Fritz verlangt, rücksichtsvoll behandelt zu werden. |
. | Fritz ist rücksichtsvoll zu behandeln. |
Hat (.a) ist die Form eines Modalverbs, das eine obligative Konstruktion bildet, allgemeiner also ein grammatisches Wort, das eine periphrastische Konstruktion (oder Verbform) bildet. Verlangt (.b) nimmt dieselbe Position ein, ist jedoch ein Lexem, das einen infiniten Nebensatz regiert und mit diesem keine periphrastische Konstruktion bildet. Wir können diesen Strukturunterschied dartun, indem wir z.B. .a in umformen und so zeigen, daß die übliche transformationelle Beziehung zwischen haben und sein auch in dieser obligativen Konstruktion besteht, während .b keine solche gesetzmäßige Beziehung zu einer anderen Konstruktion eingeht.
Dasselbe Kriterium würde uns allerdings nicht helfen, um das Verbum sein in als grammatisches Verb zu erkennen.
. | Fritz ist am schlafen. | |
. | Fritz hat geschlafen. |
steht zwar in einer paradigmatischen Beziehung zu . Aber hier besteht ein deutlicher Bedeutungsunterschied, wie er auch auftritt, wenn man ein Lexem für ein anderes substituiert.
Eine Möglichkeit, die grammatischen von den lexikalischen Wörtern zu unterscheiden, bietet der Begriff der Grammatikalisierung mit seinen formalen Korrelaten. Wir werden ihn anderswo besprechen und dort sehen, daß er uns zwischen grammatischen und lexikalischen Wörtern zwar keine Grenze zu ziehen, wohl aber einen prinzipiellen Unterschied zu machen erlaubt. Hier wollen wir einer anderen Möglichkeit nachgehen, nämlich derjenigen einer semantisch begründeten Unterscheidung. Ist der zwischen .a und b bestehende Bedeutungsunterschied von einer Art, wie er grundsätzlich grammatische von lexikalischer Bedeutung unterscheidet? Wenn wir auf rein semantischer Basis grammatische von lexikalischer Bedeutung unterscheiden können, können wir grammatische Formative sehr leicht als Zeichen mit grammatischer Bedeutung definieren. Sollten wir allerdings nicht in der Lage sein, die grammatische Bedeutung ohne Rekurs auf den Ausdruck einzugrenzen, wird dieses Unterfangen in Zirkularität enden.
Ich wiederhole das schon in Kap. 8.3 gegebene Zitat aus Madvigs Kleinen philosophischen Schriften:
"die Bedeutung der grammatischen Bezeichnungen ist, Formen von Vorstellungen oder Verhältnisse zwischen Vorstellungen ... anzudeuten, ohne Form oder Verhältnis zu benennen."10
Das scheint mir richtig. Wir hatten in demselben Kapitel gesehen, daß man eine grammatische Relation zwischen zwei Begriffen herstellen kann dadurch, daß man ein relationales grammatisches Morphem zuhilfe nimmt, das die gewünschten Leerstellen enthält. Wenn das Morphem weiter keine Eigenschaften hat als eben die erforderlichen Leerstellen zu besitzen, tut es nichts als die Relation herzustellen und fügt im übrigen der Gesamtbedeutung nichts hinzu. Beispiele, die das Gemeinte annähernd verdeutlichen, sind der Nominativ und der Akkusativ im Deutschen oder die in .b illustrierte spanische Präposition. Sie befähigen das mit ihnen ausgestattete Nomen, in eine bestimmte syntaktische Relation zu Elementen des Kontexts zu treten, tragen aber zur Bedeutung im übrigen fast nichts bei.
Wenn andererseits das Element, das die Relation vermitteln soll, eine eigene Bedeutung hat, dann bringt es selbst einen Begriff in den Zusammenhang ein, der seinerseits auf die anderen bezogen werden muß. Vergleichen wir dazu .a und b.
. | a. | Von der Opposition wird folgender Vorschlag gemacht. |
b. | Von seiten/seitens der Opposition wird folgender Vorschlag gemacht. |
Die Präposition von (.a) drückt nur aus, daß die Opposition Ursprung der Handlung ist und also zum Verb dieselbe semantische Relation hat, die in aktiver Version das Subjekt haben würde. Das Morphem seiten (.b) dagegen hat eine mehr oder minder anschauliche Bedeutung, wonach der Ursprung der Handlung als anderen Partizipanten gegenüberstehend und von ihnen distanziert gedacht wird. Dieses Morphem kann (wiewohl begrifflich relational) die Herstellung der Relation zwischen dem Aktanten und der Handlung nicht allein leisten, so wie von das kann. Es muß vielmehr seinerseits mit einem Relator ausgerüstet werden, nämlich entweder von oder einem -s-Suffix, welcher das Element seiten befähigt, zusammen mit seinem Komplement etwas zu modifizieren. Dies ist offenbar der Sinn des Postulats, die grammatischen Bedeutungen würden angedeutet, nicht benannt.
Einige Autoren (z.B. Sapir 1921, ch.V) meinen, die grammatischen unterschieden sich von den lexikalischen Bedeutungen dadurch, daß sie relational sind. Nehmen wir an, daß ‘relational’ hier nicht einfach ein anderes Wort für ‘grammatisch’ ist, sondern seine technische Bedeutung hat, nämlich "eine Leerstelle enthaltend". Dann scheint es klar, daß die Relationalität keinen Unterschied zwischen lexikalischen und grammatischen Elementen konstituiert; denn einerseits können lexikalische Elemente wie Onkel und Spitze relational sein, und andererseits gibt es grammatische Elemente wie was und nichts, die nicht relational sind. Allerdings können wir zugestehen, daß die Relationalität bei vielen grammatischen Wörtern stark im Vordergrund steht, eben weil sie außer ihr kaum eine Bedeutung haben.
Man hat auch gemeint, lexikalische Bedeutungen seien anschaulich oder konkret, grammatische dagegen abstrakt. Dieser Gedanke findet sich ebenfalls bei Sapir. In der chinesischen grammatischen Tradition unterscheidet man im selben Sinne zwischen ‘vollen’ und ‘leeren’ Wörtern. Daran ist sicher richtig, daß grammatische Bedeutungen nicht konkret oder anschaulich sind. Die Bedeutungen von Zeichen wie zu, sein, und ergeben keine mentalen Bilder, können nicht illustriert werden und sind, in diesem Sinne, tatsächlich abstrakt. Andererseits gilt zweifellos nicht für alle Lexeme, daß sie konkrete oder anschauliche Bedeutungen haben; z.B. nicht die Wörter Lexem und Bedeutung. Die Abstraktheit oder Unanschaulichkeit ist also bestenfalls eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine grammatische Bedeutung.
Die Abstraktheit oder Unanschaulichkeit grammatischer Bedeutungen läßt sich auch so formulieren: grammatische Elemente haben ein Significatum, aber kein Designatum (und folglich auch kein Denotatum). Sie haben ein Significatum, weil sie etwas zur Konstruktion der Gesamtbedeutung beitragen, was seinen Platz strikt innerhalb des Sprachsystems hat. Sie haben kein Designatum, weil sie keine Existenz außerhalb der Sprache haben. Allerdings gilt auch dies wieder für zahlreiche lexikalische Bedeutungen wie "Lexem" und "Bedeutung".
Den Unterschied zwischen lexikalischer und grammatischer Bedeutung hat man auch mit einer anderen Dichotomie zu erfassen versucht, indem man von autosemantischen und synsemantischen Einheiten sprach, also von "selbstbedeutenden" vs. "nur im Zusammenhang mit anderen Einheiten bedeutsamen" Einheiten. Alternative Termini, die dasselbe besagen, sind kategorematisch und synkategorematisch. Diese beziehen sich auf die aristotelischen Kategorien. Eine Bedeutung, die in eine der Kategorien fällt, ist danach kategorematisch; andere Bedeutungen treten nur an kategorematischen Bedeutungen auf.
Wir können das Gemeinte wie folgt illustrieren: Ein Substantiv kann von sich aus einen gewissen Begriff bedeuten und kann unabhängig auf ein Element des Redeuniversums referieren. Ein Zahlklassifikator dagegen hat diese Fähigkeit nicht. Er hilft, Einheiten beim Zählen zu individuieren, bedeutet also einen Begriff nur in Kombination mit einem anderen Wort (einem Numerale). Ebenso kann jedes Verb eine Art von Zustand, Vorgang oder Handlung oder individuelle Vorkommen davon bedeuten. Ein Hilfsverb dagegen hat diese Fähigkeit nicht, sondern benötigt ein anderes Verb, um mit ihm zusammen solche Begriffe zu bedeuten. Diese semantische Abhängigkeit ist bereits bei grammatischen Wörtern wahrnehmbar, wird aber bei Affixen noch deutlicher. Ein Genus- oder Numerusmorphem bedeutet nicht einen Genus- oder Numerusbegriff an sich,14 sondern nur insoweit dies Merkmale anderer Begriffe sind. Ebenso drückt ein Kasus- oder Tempuselement nicht eine isolierbare Aktantenrolle bzw. einen Zeitbegriff aus, sondern nur insofern dies Kategorien oder Relationen nominaler oder verbaler Begriffe sind. Das ist auch einer der semantischen Unterschiede zwischen dem Wort Mehrheit und dem Pluralsuffix, oder dem Wort Vergangenheit und dem Präteritalsuffix (vgl. oben zu ).
Die semantische Abhängigkeit der synsemantischen Zeichen schlägt sich auch in folgendem nieder: sie werden nicht nur obligatorisch mit autosemantischen Zeichen kombiniert, sondern können auch nur mit bestimmten Klassen von diesen kombiniert werden. Im Englischen z.B. hat der grammatische Plural seinen Platz in den Klassen der Substantive und Pronomina; er kann nicht mit Adjektiven, Verben (außer dem Verb to be) oder irgendeiner anderen Wortart kombiniert werden.
Während sich das mit der Dichotomie ‘autosemantisch vs. synsemantisch' Gemeinte durch Beispiele verdeutlichen läßt, scheint es nicht so klar, ob dieses Kriterium distinkt ist von den schon erwähnten Kriterien der Relationalität und der Unanschaulichkeit. Läßt sich z.B. für die Wörter was und nichts, um die erwähnten Beispiele wieder aufzugreifen, der Status als Synsemantika plausibel machen? Und wie wäre das Kriterium zu operationalisieren? Auf strukturelle Kriterien dürften wir dabei nicht rekurrieren, wenn wir die oben erwähnte Zirkularität vermeiden wollen. Abgesehen davon geht der grammatische Status einer Bedeutung natürlich nicht notwendig mit einer strukturellen Unselbständigkeit einher; Syntagmen wie er oder habe ich können ohne weiteres (freilich elliptische) Äußerungen konstituieren.
Es scheint also, daß es kein allgemeingültiges und ausnahmsloses Kriterium der Grammatizität einer Bedeutung gibt. Wenn eine intensionale Bestimmung des Begriffs der grammatischen Bedeutung nicht möglich ist, kann man natürlich versuchen, ihn extensional zu definieren, also die grammatischen Bedeutungen aufzuzählen. Dies ist in der Geschichte der Sprachwissenschaft immer wieder versucht worden, angefangen von der allgemeinen Grammatik im 17. und 18. Jahrhundert bis zur Kölner Forschergruppe UniTyp des ausgehenden 20. Jahrhunderts (s. Seiler 1993). Am Anfang des Unternehmens steht die Prämisse, daß die grammatischen Bedeutungen eine abgeschlossene Menge bilden oder mindestens auf eine abgeschlossene Menge allgemeinerer sprachlicher Funktionen bezogen sind. Die erste Alternative erscheint zweifelhaft. Denn eine grammatische Bedeutung ist, wie gesagt, ein Significatum. Sie ist somit innerhalb des Systems der Einzelsprache definiert und fällt mithin mit keinem Significatum eines anderen Sprachsystems zusammen. Da die Menge der Sprachen offen ist, gibt es, wenn schon nicht eine unendliche, so doch eine nicht abzählbare Menge grammatischer Bedeutungen.
Die zweite Alternative hat mehr Aussichten, der Wirklichkeit zu entsprechen. Hier wird angenommen, daß eine gewisse Menge von grammatischen Bedeutungen auf eine gemeinsame Funktion abgebildet werden kann. Das Modell ist so konzipiert, daß die Menge von Bedeutungen, denen eine gemeinsame Funktion entspricht, grundsätzlich offen ist, daß dafür aber die Zahl der Funktionen endlich ist. Die Zahl der obersten und umfassendsten Funktionen, genannt funktionale Domänen, ist vielleicht nicht einmal sehr groß, beträgt vielleicht einige Dutzend. Der zwischensprachlichen Variation, der nicht abzählbaren Vielfalt grammatischer Bedeutungen, wird man dadurch Herr, daß man ein Prinzip angibt, nach dem diese Vielfalt zu ordnen ist. Das heißt, daß jede beliebige neu aufgefundene Bedeutung nach diesem Prinzip einer Funktion oder funktionalen Domäne zugeordnet werden kann.11 Betrachten wir als Beispiel die Funktion, den quantitativen Umfang anzugeben, in dem die mit einem Designatum assoziierbaren Referenten an einer Situation beteiligt sind. Nennen wir diese Funktion die Quantifikation. Sie wird u.a.12 von folgenden grammatischen Elementen und Prozessen erfüllt:
Alle angeführten Beispiele bedeuten etwas Verschiedenes. Nur einige von ihnen haben überhaupt eine grammatische Bedeutung. Am Anfang des Verallgemeinerungsprozesses steht daher die Einordnung des einzelnen Elements in sein Paradigma. Wir suchen also nicht einen gemeinsamen Nenner für dt. einige und engl. some, sondern für die Paradigmen von Quantoren, zu denen diese Wörter gehören, und die Strukturprozesse, in denen sie eingesetzt werden. Das bringt eine Einordnung in eine der obigen fünf Strategien mit sich. Die Strategien sind ihrerseits prototypisch konzipiert und daher graduell voneinander verschieden. Alle haben jedoch mit Operationen über einer Menge von Referenten zu tun; dies ist ihre gemeinsame Funktion. Ferner gibt es regelmäßige Beziehungen zwischen den fünf Strategien. Was z.B. in einer Sprache die Numeri Dual und Paukal sind, sind in einer anderen Sprachen die Quantoren ‘beide’ und ‘wenige’. Der Quantor ‘alle’ kann wie ein Determinator zum Nominalsyntagma gehören oder, durch ‘floating’, beim Verb stehen und sich so den Adverbien annähern. Die Verben wiederum stehen durch Derivation ebenfalls zu den Adverbien in Beziehung, so daß wir neben den unter Nr.5 angeführten Verben die Adverbien ‘überwiegend’ und ‘genug’ haben. Die spezifische vs. generische Determination eines NSs betrifft nicht dieses für sich, sondern hängt mit der Generizität des Prädikats zusammen (vgl. Chafe 1970:168-171).
Die Funktion der Quantifikation reduziert sich nicht auf eine bestimmte Art von nominaler Determination, sondern betrifft die Relation von Referenten zu einer Situation, nämlich den Umfang, in dem eine Menge von Referenten an ihr beteiligt ist. Die Abfolge der fünf Strategien versinnbildlicht das ‘floating’ der Quantifikation zwischen Referenten und Sachverhalt, zwischen Nomen und Verb. So wie gewisse Strategien strukturell mehr das Nomen, andere mehr das Verb betreffen, so betrifft auch die quantifikative Operation bei den ersteren mehr die Referenten, bei den letzteren mehr die Handlung.
Ich führe jetzt nicht im einzelnen aus, was die Etablierung solcher Strategien rechtfertigt und nach welchen Kriterien sie systematisch aufeinander und auf die gemeinsame Funktion bezogen sind. Dies sind z.T. methodische Fragen. Sprachtheoretisch wichtig sind hier vier Punkte:
Das Gesamt der auf eine gemeinsame Funktion zugeordneten Strategien wird in diesem Modell eine funktionale Domäne genannt. Wir wollen einmal annehmen, daß die Abstraktion von den Unterschieden zwischen den einzelsprachlichen Strategien in der angedeuteten Weise methodisch abgesichert werden kann. Dann bleibt die Frage, ob es eine abgeschlossene Menge solcher universaler funktionaler Domänen gibt.
Eine wissenschaftlich interessante Antwort auf die Frage setzt voraus, daß die Geschlossenheit der Menge von Domänen nicht durch die Methode herbeigeführt wird. Es kann z.B. passieren, daß wir auf einem gewissen Forschungsstand eine gegebene Menge von Domänen überschauen und außerdem über eine Methode verfügen, die uns erlaubt, jedes beliebige einzelsprachliche Phänomen entweder einer der Domänen zuzuordnen oder aus der Menge der Domänen auszuschließen. Das analoge Problem stellt sich bereits auf der Ebene der einzelnen Domäne, wo es darum geht, ob ein gegebenes sprachliches Phänomen zu der Domäne gehört oder nicht. Die Antwort greift dort auf ein spezifisches funktionales Prinzip zurück. Bei der jetzt anstehenden grundsätzlicheren Frage benötigen wir ebenfalls ein funktionales Prinzip, das uns die Entscheidung erlaubt. Es darf aber eben nicht auf eine bestimmte Menge von Domänen zugeschnitten sein, sondern muß einen allgemeinen Grund angeben, aus dem etwas als eine funktionale Domäne gilt.
Damit sind wir aber auf das Anfangsproblem zurückgeworfen, die Menge der grammatischen Bedeutungen intensional einzugrenzen. Offensichtlich stellt eine bloße Aufzählung, selbst wenn sie möglich wäre, methodologisch nicht zufrieden. Beim Eintritt in diese Problematik hatten wir uns die Aufgabe gestellt, den Begriff der grammatischen Bedeutung auf semantischer Basis zu bestimmen. In dem operationalen und funktionalen Modell, das ich gerade skizziert habe, beziehen wir die Semantik der Grammatik (im Gegensatz zur Semantik des Lexikons) auf die sprachlichen Operationen und Funktionen. Wir benötigen daher eine Konzeption von Sprache, die sie als zielgerichtete Tätigkeit begreift. Das ist gerade die in Kap. 2.6 eingeführte Konzeption. Sehen wir also, was sie in unserer Frage leistet.
Die beiden obersten Funktionen der Sprachtätigkeit sind die epistemische und die soziale Funktion, Erkenntnis und Kommunikation.
Die beiden fundamentalen Operationen des propositionalen Aktes, Referenz und Prädikation, sind also den beiden fundamentalen Sprachfunktionen, Kommunikation und Erkenntnis, zugeordnet (vgl. Lehmann 1984:30f).
Die lexikalischen Bedeutungen sind die Gegenstände der Referenz und Prädikation, das, worauf sie sich beziehen oder wovon sie handeln. Die grammatischen Bedeutungen aber sind Operatoren in Operationen, welche Referenz und/oder Prädikation leisten oder unterstützen. D.h. alle grammatischen Bedeutungen haben direkt oder indirekt mit Referenz oder Prädikation zu tun. Denn Kommunikation und Erkenntnis sind nicht isolierte Ziele der Sprachtätigkeit, sondern wie wir in Kap. 3.2.1 sahen, kann das eine nur dann in einem humanen Sinne vollkommen verwirklicht werden, wenn gleichzeitig das andere verwirklicht wird. Entsprechend sind Referenz und Prädikation nicht isolierte Akte, sondern aufeinander bezogen und ineinander verwoben. In H. Seilers Modell ist dem dadurch Rechung getragen, daß alle funktionalen Domänen analog aufgebaut sind nach dem Prinzip, daß die beteiligten Strategien entweder mehr zur Referenz (hier Indikation genannt) oder zur Prädikation beitragen.
Wir können spekulieren, daß ein umfassendes funktionales Modell jeder Domäne einen Platz zuweisen wird, der sich nach ihrem Beitrag zur Referenz bzw. zur Prädikation bestimmt. Das ergibt das folgende Modell, in dem die Anordnung der Domänen in etwa einer abnehmenden Zuordnung zur Referenz und einer zunehmenden Zuordnung zur Prädikation entspricht.
funktionale Domäne | wichtigste Teilbereiche |
---|---|
Apprehension und Nomination | Begriffstypen, Kategorisierungssysteme |
Begriffsbildung | Modifikation (Attribution, Apposition), Begriffsverankerung (inkl. durch Partizipation) |
Quantifikation und Ordnung | Quantifikation in der Referenz, Quantifikation in der Prädikation, Ordnung |
Referenz | Individuation, Verankerung (inkl. Deixis), Phora, Referenzverfolgung, Determination |
Possession | Possession in der Referenz, possessive Prädikation, Possession und Partizipation |
Raumkonstruktion | Bezugspunkte, lokale Relationen, Raumregionen, räumliche und Gestalteigenschaften sowie Posituren von Gegenständen |
Prädikation | Präsentation, Existenz/Befinden, Identifikation, Charakterisierung |
Partizipation | Kontrolle und Affiziertheit, zentrale vs. periphere Partizipantenrollen |
Situationsgestaltung | Situationstypen, Aspektualität (Verbalcharaktere, Aktionsarten), Modifikation von Situationen, Taxis |
Temporale Orientierung | absolutes Tempus, temporale Relation |
Illokution und Modalität | Aussage, Frage, Ausruf, Bitte und Befehl, Hortation/Monition, Obligation, Volition, Möglichkeit, Evidentialität, Abtönung |
Kontrast | Negation, Vergleich, Abstufung, Intensivierung |
Junction | Proposition vs. Sachverhalt, Redewiedergabe, Inhaltssätze, interpropositionale Relationen, Interdependenz von Propositionen |
Diskursstruktur | Informationsstruktur (Topic vs. Comment; Präsupposition vs. Assertion, Fokus, Emphase) |
Es versteht sich, daß diese Skizze nicht vollständig ist. Sie kann auch bei unserem derzeitigen Kenntnisstand nicht in den Details gerechtfertigt werden. Wichtig ist lediglich, daß eine funktionale und operationale Sprachauffassung es uns überhaupt ermöglicht, den Begriff der grammatischen Bedeutung sprachtheoretisch zu begründen.
Wegen der unlöslichen Verbindung von Significans und Significatum lassen sich alle sprachlichen Einheiten, die Zeichencharakter haben, nicht einseitig entweder formal-strukturell oder semantisch-funktionell erfassen, sondern ihre Konzeption muß immer Kriterien beider Ebenen kombinieren. Für die Definition des Grammatischen haben wir also sowohl semantische als auch strukturelle Kriterien anzugeben. Die semantischen habe ich in diesem Kapitel dargestellt; die strukturellen folgen in Kap. 11.3.2.
Himmelmann, Nikolaus P. 2007. "Lexical categories and voice in Tagalog." Austin, Peter K. & Musgrave, Simon (eds.), Voice and grammatical relations in Austronesian languages. (Studies in Constraint-Based Lexicalism.) Stanford, CA: Center for the Study of Language and Information; 247-293.
Steinthal, Heymann 1847, De pronomine relativo commentatio philosophico-philologica cum excursu de nominativi particula. Diss. Tübingen. Berlin: F. Dümmler.
1 Vgl. dazu auch das Zitat im vorigen Kapitel.
1b Man sagt auch, die Syntax sehe nicht in die Struktur des Wortes hinein. D.h. eine syntaktische Regel kann wohl eine durch Flexion kodierte grammatische Eigenschaft eines Wortes verlangen oder darauf Bezug nehmen; aber es ist ihr egal, ob und wie diese Eigenschaft morphologisch kodiert ist. Zu diesem Prinzip gibt es Ausnahmen, z.B. wenn die Syntax auf das Determinans eines Kompositums Bezug nimmt.
2 "Da ist jemand, der Vater ist, aber es gibt niemanden, von dem er der Vater ist."
3 Oder logisch äquivalent: Angenommen, B hängt von A ab, dann gilt folgende Alternative:
4 A ist Regens, B ist Rektum.
5 A ist Modifikator, B ist Modifikatum.
6 S. Lehmann 1990[R] zur Relationalität der Affixe be- und -lich.
7 Sasse 1988 behauptet eine Ausnahme für das Cayuga, die nicht haltbar ist.
8 Daß der Imperativ häufig mit dem Stamm identisch ist, ist unter diesem Gesichtspunkt irrelevant.
9 Es gibt freilich gebundene Lexemstämme wie nehm-. Sie komplizieren das Problem etwas, weil man sie zunächst in eine Klasse mit den entsprechenden freien Lexemstämmen (wie spring) sortieren muß, bevor man das obige Kriterium anwenden kann.
10 Der Locus classicus für diesen Gedanken ist das folgende - freilich etwas längere - Zitat:
"Die Wörter und ihre grammatischen Verhältnisse sind zwei in der Vorstellung durchaus verschiedene Dinge. Jene sind die eigentlichen Gegenstände in der Sprache, diese bloß die Verknüpfungen, aber die Rede ist nur durch beide zusammengenommen möglich. Die grammatischen Verhältnisse können, ohne selbst in der Sprache überall Zeichen zu haben, hinzugedacht werden, und der Bau der Sprache kann von der Art sein, daß Undeutlichkeit und Mißverstand dabei dennoch, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, vermieden werden. ... Soll aber die Ideenentwicklung mit wahrer Bestimmtheit und zugleich mit Schnelligkeit und Fruchtbarkeit vor sich gehen, so muß der Verstand dieses reinen Hinzudenkens überhoben werden und das grammatische Verhältnis ebensowohl durch die Sprache bezeichnet werden, als es die Wörter sind. Denn in der Darstellung der Verstandeshandlung durch den Laut liegt das ganz grammatische Streben der Sprache. Die grammatischen Zeichen können aber nicht auch Sachen bezeichnende Wörter sein; denn sonst stehen wieder diese isoliert da und fordern neue Verknüpfungen." (Humboldt 1822:37f)
11 Die funktionale Typologie forscht seit etwa 1970 in diesem Sinne. Zu nennen sind die Arbeiten H. Seilers und seiner Forschergruppe UniTyp, die Arbeiten im Rahmen von R. Langackers Kognitiver Grammatik, die semantischen Netze oder kognitiven Karten der US-amerikanischen Grammatikalisierungsforschung wie bei S. Kemmer oder J. Bybee. Diese Art von Forschung fußt wesentlich auf dem, was in Kap. 3.3.2 über die semantischen Rahmenbedingungen der Sprache gesagt wurde.
12 Die Aufzählung der Strategien ist exemplarisch und am Deutschen orientiert. In anderen Sprachen gibt es quantifikative Verbderivation u.v.a.m.
13 "Hat man die Syntagmen als Entfaltung der kategorialen Potentiale der Wörter zu verstehen, oder sind die Kategorien umgekehrt der untere Grenzfall deszendenter Satz- und letztlich Äußerungsfunktionen?" (Knobloch & Schaeder 2000:681).
14 Span. -a deutet feminines Genus an. Es bedeutet aber nicht “feminin”; das ist vielmehr die Bedeutung des Wortes feminino.