Referate des Inhalts wichtiger Werke haben genau einen angemessenen Platz in einer wissenschaftlichen Arbeit: in dem einleitenden Abschnitt über den Forschungsstand (Ausnahme s.u.). Und auch dort haben sie die Form pointierter und kontextualisierter Zusammenfassungen. Manche Handbücher zu den Methoden wissenschaftlichen Arbeitens empfehlen zu Beginn des eigenen Werks ausgiebige Referate der Positionen, die in der fürs Thema relevanten Literatur eingenommen werden. Ein solches Vorgehen ist grundsätzlich nicht zu empfehlen und außerhalb des erwähnten Abschnitts, also im Hauptteil der Arbeit, überhaupt fehl am Platze:
- Ein großer Teil der Referate hat womöglich keinerlei Konsequenz für die spezifischen Ziele der Arbeit.
- Von all den diskutierten Positionen übernimmt der Autor normalerweise nur eine. Die anderen diskutiert er nur, um sie zurückzuweisen. Das füllt das Papier und ermüdet den Leser.1
- Referate, die dem Gedankengang eines anderen Autors folgen, stören die Systematizität und Homogenität der Entwicklung des eigenen Textes.
- Referat erübrigt eigenes Denken und Argumentation des Autors. Gerade aus dem Grunde nehmen manche dazu ihre Zuflucht.
- Referate verlangt man von Anfängern, um deren Verständnis von Texten zu überprüfen. Sie haben insofern den Charakter von Etüden. In den Publikationen der Besten finden sich Referate allenfalls dann, wenn die Publikation darauf gerichtet ist, sich mit den Gedanken eines Kollegen auseinanderzusetzen.
Daher entwickelt man im Hauptteil der Arbeit die gesamte Argumentation und die Diskussion entgegengesetzter Hypothesen gänzlich in eigenen Worten, in denen etwaige Referate aufgehoben sind. Auf Gedanken von anderen macht man mit einer Fußnote oder einfach bloß einem Literaturhinweis aufmerksam.
Die einzige Ausnahme von dem genannten Prinzip bilden naturgemäß Literaturberichte und wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten (der oben erwähnte Abschnitt zum Forschungsstand ist im Grunde ein Literaturbericht in nuce). Hierfür gilt:
- Auch wenn aus dem Kontext ersichtlich ist, daß der Inhalt eines Abschnitts zur Gänze aus einem anderen, eben dem referierten Werk stammt, sind Zitate selbstverständlich als solche zu kennzeichnen.
- Mancher glaubt, er könne sich dem letzteren Erfordernis entziehen dadurch, daß er in einem im übrigen wörtlich übernommenen Passus gelegentlich ein Wörtchen wegläßt oder eine Formulierung ändert. Wenn ständiges wörtliches Zitieren schon keine wissenschaftliche Leistung ist, so ist dieses Verfahren noch viel schlimmer. Denn es dient erstens dazu, die Tatsache zu verschleiern, daß man keine eigene geistige Leistung vollbracht hat. Zweitens sind willkürliche Veränderungen an zitiertem Text nicht zulässig; und wenn das schon für als solche bezeichnete Zitate gilt, wie sollte es nicht für verdeckte Zitate gelten? Drittens wird der Sinnzusammenhang des Originals durch solche sporadischen Veränderungen sehr oft entstellt. Weiteres zum Thema ‘Zitat’ in einem anderen Abschnitt.
- Man berichtet und zitiert grundsätzlich nicht aus zweiter Hand. Wenn ein Autor X diskutiert wird, dann konsultiert man dessen Werk selbst und nicht eine Darstellung von Y. Findet man bei Y ein reproduktionswürdiges Zitat von X und hat man keine Möglichkeit, X selbst zu lesen, so gilt das anderswo Gesagte.
1 “Durch die Krise wird die Forderung nach Begründung, Argumentation, Beweisführung gestellt, und unbegründete Standpunkte brauchen weder referiert noch widerlegt zu werden: sie werden von selbst absterben.” (Hjelmslev 1968:10)