Die zweithöchste syntaktische Funktion im akkusativischen System ist das direkte Objekt. Eher noch als das Subjekt verstanden werden kann als Grammatikalisierung (mit nahezu vollständigem Verlust der ehemaligen Motivation) der semantischen Funktion des Agens (über Actor), kann das direkte Objekt verstanden werden als ebensolche Grammatikalisierung der semantischen Funktion des Patiens (über Undergoer). Darüber hinaus ist, wie wir sahen, das Subjekt vor allem eine Grammatikalisierung der kommunikativen Funktion des Topic (über Thema). Nun ist die Hierarchie der syntaktischen Funktionen gleichzeitig eine Hierarchie der Thematizität in folgendem Sinne: Für einen Partizipanten, der zum Thema (Topic) eines Satzes gehört (oder dieses bildet), eignet sich besser eine hohe Funktion auf der Hierarchie der syntaktischen Funktionen; für einen Partizipanten, der zum Rhema gehört, eignet sich eher eine niedrige syntaktische Funktion. In B1 geht es um alternative Fortsetzungen des einleitenden Satzes.
B1. | Der Bäcker und ich sind gute Freunde. | |
a. | Ich bekomme täglich Brötchen von ihm. | |
b. | Er beliefert mich täglich mit Brötchen. | |
c. | Er liefert mir täglich Brötchen. | |
d. | Er liefert täglich Brötchen an mich. |
Seit dem einleitenden Satz sind der Bäcker und ich Thema. Die Fortführungen unterscheiden sich in meiner Thematizität. In der Fortführung a werde ich erstes Thema, was sich im Subjektstatus von ich niederschlägt. Diese Version würde man wählen, wenn im folgenden weiter von mir die Rede sein soll. In b bin ich dagegen nur sekundäres Thema, und folglich wird mich direktes Objekt. Diese Version würde man wählen, wenn im folgenden weiter vom Bäcker die Rede sein soll. Dasselbe gilt für c, wo ich immer noch dem Thema nahe bin. In d kippen die Verhältnisse um. Die syntaktische Funktion von an mich ist hierarchisch so niedrig, daß sie sich nicht mehr für einen thematischen Partizipanten eignet. Ich kann aber in dieser Fortführung nicht rhematisch gemacht werden, weil ich von Anfang an bereits thematisch war. B1.d ist folglich keine natürliche Fortführung des Einleitungssatzes.
B2. | a. | Der Bäcker beliefert und umwirbt mich. |
b. | Der Bäcker liefert mir Sachen und wirbt um mich. |
B2.b wirkt erstens im Vergleich zu a unelegant, weil einerseits Partizipanten (Sachen) im syntaktischen Vordergrund sind, um die es augenscheinlich gar nicht geht, und andererseits ein - nach dem Sinn zu urteilen - zentraler Partizipant (‘ich’) in diversen niedrigen syntaktischen Funktionen erscheint. Zweitens bringt die Version #a viel besser zum Ausdruck, daß ich die volle Aufmerksamkeit des Bäckers habe, insoweit also von ihm total affiziert bin. Das direkte Objekt ist also der Konvergenzpunkt für Partizipanten, die sowohl topikalisch (nach dem Subjekt) als auch zentral (nämlich affiziert) sind.
Die Operation, die Partizipanten in die Position des direkten Objekts bringt, ist eine Promotion. B2 (wie schon B1.b) zeigt die Ableitung von beliefern auf der Basis von liefern, wodurch das Ziel der Aktion zum Undergoer und folglich zum direkten Objekt promoviert wird. Die Verbderivation, welche ein Verb mit einer direkten Objektstelle ausstattet, in welche ein promovierter Partizipant eintritt, nennt sich Applikativ.
Konversion2 ist der lexikalische Wechsel der Valenz derart, daß die Partizipanten dieselben bleiben, aber ihre syntaktische Funktion wechselt. B3f zeigen zwei deutsche Beispiele.
B3. | a. | Erna schmiert Öl an die Achse. |
b. | Erna schmiert die Achse mit Öl. |
B4. | a. | Erna gießt Öl auf die Blumen. |
b. | Erna gießt die Blumen mit Öl. |
Die Beispiele sind jeweils nicht vollständig synonym. In den b-Fassungen ist das Ziel der Manipulation vollständig affiziert, während es in den a-Fassungen möglicherweise nur partiell affiziert ist. Vollständige Affiziertheit eines Partzipanten ist hier offenbar das Ziel seiner Promotion zum direkten Objekt. Gleichzeitig eignet sich B3.b besser für einen Kontext, in dem Erna ohnehin mit der Achse befaßt ist, und dito B4.b für einen Kontext, in dem Erna sowieso die Blumen affiziert, d.h. in dem diese Partizipanten (nach Erna) thematisch sind.
Konversion2 ist also das Rearrangement der Valenz eines Verbs ohne Veränderung des Stamms. (Diese letztere Bedingung ist wie bei Konversion1.) Der Prozeß ist typisch für eine bestimme Bedeutungsklasse von Verben, zu welcher auch das Verb in B5 gehört.
B5. | a. | murum urbi circumdedit “er baute eine Mauer um die Stadt herum” |
Lat | b. | urbem muro circumdedit “er umgab die Stadt mit einer Mauer” |
In B5.a ist die Mauer thematisch und deshalb direktes Objekt, während die Stadt indirektes Objekt ist. In B5.b ist die Stadt thematisch und direktes Objekt, während die Mauer ein Adjunkt ist.
Das konverse Valenzverhältnis, welches in B3 – B5 zwischen Konstruktionsvarianten eines einzigen Lexems besteht, kann auch zwischen zwei verschiedenen Lexemen bestehen. Zwei verschiedene verbale Lexeme sind konvers zueinander, wenn sie sich ausschließlich in der Valenz unterscheiden. Beispiele sind dt. geben und bekommen, engl. lend vs. borrow.
1. | Valenzkonversion im Deutschen |
2. | Valenzkonversion im Englischen |