6.1. Artikulationsstelle

Wie in Kap. 4.6 beschrieben, ergeben sich die Artikulationsstellen von Konsonanten als Kombination aus einem Artikulator und einem Artikulationspunkt. Bei der Darstellung eines Konsonantensystems werden sie von vorn nach hinten aufgereiht, wie in der untigen Tabelle.

6.2. Artikulationsart

6.2.1. Verschlußgrad

Konsonanten haben eine engere Konstriktion als Vokale. Konsonantische Konstriktion geht – mit Bezug auf die Tabellen in Kap. 4.5 – bis zu den Liquiden einschließlich.

6.2.1.1. Okklusion

Okklusion ist vollständiger Verschluß der Mundhöhle. Verschlußlaut ist lateinisch Okklusiv und engl. stop. Ein Plosiv ist ein Konsonant, dessen Verschluß abrupt gelöst wird, insbesondere im Gegensatz zu einem Affrikat. Okklusiv und Plosiv werden oft synonym gebraucht. Konstriktion ist aber der Verschlußgrad in der Mundhöhle. Nasalkonsonanten sind daher Okklusive, aber keine Plosive.

6.2.1.2. Affrikation

Affrikation ist eine nicht abrupt gelöste Okklusion. Sie kann auch als transitionale komplexe Artikulation – Okklusion plus Frikativierung – analysiert werden. Ein so gebildeter Laut heißt Affrikat.

6.2.1.3. Friktion

Friktion ist Reibung. Der Artikulator wird so eng an den Artikulationspunkt angenähert, daß eine Engstelle entsteht. Wenn der Luftstrom hindurchgepreßt wird, entsteht eine Turbulenz. Der entstehende Schall hat eine relativ hohe Frequenz. Ein so gebildeter Laut heißt Frikativ (Reibelaut).

Sibilanten

Ein Sibilant (“Zischlaut”) ist ein Frikativ mit einer besonders hohen Frequenz. Die üblichsten Sibilanten sind [s], [ʃ] sowie ihre stimmhaften Gegenstücke.

6.2.1.4. Rhotische Laute

Rhotisch ist “r-artig”.1 Die prominentesten und stabilsten rhotischen Laute sind Vibranten (engl. trill). Der am weitesten verbreitete und typische Vibrant ist [r]; ein anderer ist das z.B. im Standarddeutschen und -portugiesischen vorkommende [ʀ]. Die meisten Flaps und Taps (s.u.) sind ebenfalls rhotische Laute.

Zwei r-Laute stehen in Opposition im Spanischen ([r] vs. [ɾ]) und im Jaminjung ([r] vs. [ɽ]).

6.2.1.4.1. Flap

Artikulator streift Artikulationspunkt beim Vorbeikommen.

6.2.1.4.2. Tap

Kurze Hin- und Zurückbewegung des beweglichen Artikulators [dürfte kaum von kurzem Plosiv zu unterscheiden sein]. Wird nur selten systematisch vom Flap unterschieden.

6.2.1.5. Striktur

Bei Okklusiven macht die Gestalt der Zunge hinter dem Verschluß keinen Unterschied. Bei Lauten geringerer Konstriktion ändert sie den Luftstrom und Resonanzraum:

6.2.1.6. Approximant

Ein Approximant ist ein Laut mit engerer Konstriktion als ein (geschlossener) Vokal, die aber nicht ausreicht, um die für Frikative konstitutive Reibung zu erzeugen. Approximanten mit palataler oder velarer Artikulationsstelle heißen Halbvokale. Alveolare ([ɹ]) und retroflexe ([ɻ])) Approximanten gelten als rhotisch.

6.2.2. Nasalierung

Nasalierung wird traditionell als Artikulationsart analysiert. Sie kann zu konsonantischer – wie zu vokalischer – Artikulation gleichzeitig hinzutreten. Tut sie das bei konsonantischer Artikulation, spricht man einfach von Nasal(konsonant)en. Zu konsonantischer Artikulation kann Nasalierung auch transitional hinzutreten, als Pränasalierung (z.B. in Bantu- und anderen Niger-Kongo-Sprachen). Nasalisierung ist auch ein prominenter Lautwandel; s. die Klassifikation phonologischer Prozesse.

6.2.3. Sonoranz

In Kap. 4.5.4 war die Sonorität und ihre Korrelation mit der Konstriktion dargestellt worden. Das Kontinuum der Sonorität wird nun gemäß folgender Tabelle in Obstruenten vs. Sonoranten unterteilt:

Obstruenten und Sonoranten sind also gemäß dieser Konzeption (nach Ladefoged 1975:239f) zwei zusammenhängende Abschnitte auf der Sonoritätsskala. Nach der Konzeption von Chomsky & Halle 1968 dagegen ist ein Sonorant ein Laut, bei dem spontane Stimmgebung möglich ist, d.h. bei dem Stimmhaftigkeit der Default ist. Ein Obstruent ist ein Laut, bei dem das nicht so ist. Diese beiden Definitionen sind zwar intensional unabhängig voneinander, extensional definieren sie nichtsdestoweniger dieselben Klassen.

Wie zuvor schon gesehen und in der Tabelle nochmals dargestellt, korreliert Sonoranz eng mit Konstriktion. Bei der Darstellung der letzteren wurde oben schon die Sonderstellung der Nasale deutlich. Nach der Konstriktion sind es zwar Okklusive, aber nach beiden genannten Kriterien der Sonoranz sind es Sonoranten.

Da Sonorität sich vor allem auf der syntagmatischen Achse auswirkt, haben Obstruenten und Sonoranten prinzipiell verschiedene syntagmatische Position. Alles weitere dazu in Kap. 14.2.

6.2.4. Fortis vs. Lenis

Die entsprechende Opposition wie bei den Vokalen (s. Gespanntheit) existiert auch bei den Konsonanten. Im Koreanischen z.B. kontrastieren gespannte mit schlichten Plosiven. Besondere IPA-Symbole gibt es nicht.

6.2.5. Dauer

Frikative und offenere Konsonanten können in einem ‘steady state’ beliebig lange angehalten werden. Plosive sind punktuell; werden sie angehalten, hört man nichts. Länge eines Konsonanten besagt normalerweise, daß sein Verschluß den Auslaut einer Silbe und seine Lösung den Anlaut der Folgesilbe bildet; es kommt also eher auf die Ambisyllabizität als auf die Länge des Konsonanten an. Dies wird in der Orthographie gewöhnlich durch Doppelschreibung des Konsonanten symbolisiert, wie in ital. fatto “gemacht” vs. fato “Schicksal”.

Eine Geminata ist ein verdoppelter Konsonant. Phonetisch wird damit freilich kein doppelter Konsonant bezeichnet (wo also zwei gleiche Exemplare aufeinanderfolgten), sondern eben ein langer, normalerweise ambisyllabischer Konsonant. Weiteres in Kap. 15.2.

6.2.6. Stimmeinsatz

Die kontinuierliche Attemporation des Stimmeinsatzes gemäß Kap. 4.5.1.4 wird in binäre Kategorien unterteilt: [+/- stimmhaft], [-/+ aspiriert].

In antiker Terminologie, die von der Indogermanistik bis in 20. Jh. verwendet wurde, heißt

Die phonologische Systematik sieht auch noch einen stimmhaften aspirierten Plosiv (eine Media aspirata) vor; dieser ist jedoch phonetisch nicht als Abschnitt auf der Skala des Stimmeinsatzes analysierbar.

6.3. Komplexe konsonantische Artikulationen

Für komplexe konsonantische Artikulationen sind die drei in Kap. 4.7 eingeführten Unterscheidungen relevant. Was als zusätzliche konsonantische Artikulationsart analysiert werden könnte, ist bereits oben unter Affrikation und Nasalierung behandelt worden. Hier folgen die zusätzlichen Artikulationsstellen.

Die beiden miteinander kombinierten Artikulationsstellen können entweder gleichberechtigt sein, oder eine kann gegenüber der anderen sekundär sein.

6.3.1. Gleichberechtigt

Gleichberechtigung zweier miteinander kombinierter konsonantischer Artikulationsstellen ergibt doppelte Artikulation, wie in [kp͡], [gb͡] (z.B. in Kwa-Sprachen).

6.3.2. Sekundär

6.3.2.1. Labialisierung

Während Lippenrundung bei Vokalen ein primäres Merkmal ist, tritt sie bei Konsonanten als sekundäre Artikulation auf. Diakritikum für Labialisierung: [tw]

Die Rundung von Vokalen kann sich durch Koartikulation über ihren (konsonantischen) Kontext verbreiten. Wörter wie Lulu und Kuckuck sind phonetisch über ihren ganzen Verlauf [ + gerundet ].

6.3.2.2. Palatalisierung

Die Artikulationsstelle des [k] ist in Kiel vs. Kuh merklich verschieden. Im ersteren Falle ist das [k] palatalisiert. Palatalisierung ist phonologisiert in russischen und litauischen palatalisierten Konsonanten. Sie ist auch ein prominenter Lautwandel; s. Kap. 13.2.

6.3.2.3. Velarisierung

Eine sekundäre velare Artikulation verleiht einem Konsonanten eine ɯ-Färbung, z.B. in lsch. Im Russischen wird die Velarisierung zur Verdeutlichung der Opposition der Palatalisierung genutzt.

6.3.2.4. Pharyngalisierung

Eine sekundäre pharyngale Artikulation verleiht einem Konsonanten eine ɑ-Färbung. Sie ergibt z.B. die sog. emphatischen Konsonanten des Arabischen.

6.3.2.5. Glottalisierung

Glottalisierung eines Konsonanten ist die Nutzung des glottalen Luftstroms zu seiner Erzeugung.

  1. Gleichzeitig mit dem Verschluß im Artikulationsraum wird der Kehlkopf geschlossen. Sodann besteht folgende Alternative:
  2. a. Der Kehlkopf wird nach oben gedrückt; es entsteht Überdruck im Artikulationsraum.
    b. Der Kehlkopf wird nach unten gedrückt; es entsteht Unterdruck im Artikulationsraum.
  3. Unmittelbar nacheinander werden der Verschluß im Artikulationsraum und der Kehlkopfverschluß gelöst. Es entsteht ein knallendes Geräusch, und zwar:
    a. ein Ejektiv, normalerweise stimmlos ([p'] usw.),
    b. ein Implosiv, normalerweise stimmhaft ([ɓ] usw.).

6.4. IPA-Symbole

Die folgende Tabelle enthält die IPA-Symbole der wichtigsten Konsonanten, die durch pulmonischen Luftstrom erzeugt werden.2

Was in dieser Tabelle “lateraler Approximant” heißt, heißt auch einfach “Lateral”. Die erstere Bezeichnung ist nur notwendig, wenn die Opposition zu lateralen Frikativen relevant ist.

Das IPA-Symbol für den velaren lateralen Approximanten war zunächst lange [ɫ], bevor es [l] wurde. Ersteres Symbol findet sich noch an vielen Stellen in diesem Skript.

Für Deutsch ist noch wichtig: uvulares /r/ als Approximant: [ʁ̨], wie in Karte.

Die folgende Tabelle enthält die IPA-Symbole der durch velaren und glottalen Luftstrom erzeugten Konsonanten.

6.5. Akustische Eigenschaften von Konsonanten

Konsonanten sind Laute mit einer Konstriktion, die mindestens bei ihrer Lösung (bei Frikativen auch während ihrer Dauer) Turbulenz erzeugt. Sie benutzen also eine Schallquelle, die von der für Vokale (und allgemein stimmhafte Laute) benutzten, nämlich dem Kehlkopf, unabhängig ist und aperiodische Schwingungen, also Geräusch erzeugt.

Wenn Konsonanten stimmlos sind, hört man ausschließlich die Turbulenz. Wenn stimmlose Konsonanten vollständigen Verschluß haben, hört man nichts. Man kann also stimmlose Plosive wie [p t k] nicht hören und daher während ihrer Artikulation auch nicht voneinander unterscheiden.

Plosive unterliegen jedoch (wie alle Sprachlaute) der Koartikulation. Der ihnen vorangehende Vokal nimmt also gegen sein Ende hin Eigenschaften des Konsonanten an, und der der Verschlußlösung folgende Vokal hat an seinem Beginn ebenfalls Eigenschaften des Konsonanten. Im Spektrogramm werden die Formanten der Vokale am Rand des Konsonanten zu der Kombination abgebogen, welche der Artikulationsstelle des Konsonanten entspricht. Dies sind die Formantenübergänge eines Konsonanten. Verlängert man in einem Spektrogramm die Tendenz der (vokalischen) Formanten in das von dem Konsonanten besetzte Segment hinein, so kann man die virtuelle Formantenstruktur des Konsonanten, auch konsonantische Loci der Formanten genannt, konstruieren (Clark & Yallop 1995:284-286).

Die folgenden drei Sonagramme zeigen die konsonantischen Loci für [b], [d] und [g].

Ziemlich klar zu erkennen ist, daß im Locus eines velaren Konsonanten F2 vergleichsweise hoch, F3 vergleichsweise niedrig und überhaupt beide beieinander liegen. Im Locus des [b] dagegen liegen sämtliche Formanten niedriger als im benachbarten Vokal. Beim [d] schließlich sind die Formantübergänge nicht sehr klar ausgeprägt.

Wie jegliche sprachlich relevanten Eigenschaften von Lauten sind auch die Loci der konsonantischen Formanten selbstverständlich nicht durch ihre absolute Höhe definiert. Sie sind aber auch nicht einfach relativ zueinander (paradigmatisch) festgelegt, sondern auch (syntagmatisch) relativ zum benachbarten Vokal. Z.B. liegt der Locus von F2 für [l] vor [i] höher als vor [o].

6.6. Testfragen und Übungsaufgaben

Die gleichen Übungen wie in Kap. 5.10.

Außerdem:


1 Der Begriff dürfte eher phonologisch (Ähnlichkeit wg. Allophonie) als phonetisch (artikulatorische oder akustische Ähnlichkeit) definiert sein.

2 Die folgenden Tabellen sind deutsche Fassungen der Tabellen, die auf der Website der Internationalen Phonetischen Assoziation zur Verfügung stehen.