Ein Begriff wird konstituiert durch eine Menge von semantischen Merkmalen, z.B. ‘Tisch’ durch die folgende Menge:
[Möbelstück],
[mit mindestens einem Bein],
[mit waagerechter, ebener Platte],
[dient als Arbeitsunterlage oder zum Deponieren von Gegenständen]
Die Menge der Merkmale bildet die Intension eines Begriffs, welcher der Begriffsumfang oder die Extension entspricht (s. Intension vs. Extension). Die einfachsten (diachronen) Operationen auf einer solchen Merkmalsmenge sind die beiden folgenden:
Durch welche Mechanismen des Sprachwandels im einzelnen semantische Merkmale aus einer Bedeutung verschwinden bzw. zu ihr hinzukommen können, ist Gegenstand fortgeschrittener Untersuchungen.
Es folgen einige Standardbeispiele von Bedeutungsverallgemeinerung:
früheres Stadium | → | späteres Stadium | |||
Sprache | Ausdruck | Bedeutung | Sprache | Ausdruck | Bedeutung |
lat. | adripare | (wörtl. “anufern”) landen | frz. | arriver | ankommen |
mengl. | dog | großer, starker Hund (~ Dogge) | nengl. | dog | Hund |
mengl. | target | Schießscheibe | nengl. | target | Ziel |
aengl. | bird | junger Vogel | nengl. | bird | Vogel |
nordfrz. | équiper (< nordgerm. skip “Schiff”) | Schiff ausrüsten | frz. | équiper | ausrüsten |
Bedeutungsverallgemeinerung ist also, vereinfacht gesprochen, Merkmalverlust: Die Extension wird größer, die Intension wird kleiner. Genaueres auf der dedizierten Seite.
Bedeutungsverallgemeinerung spielt eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Modewörtern, insbesondere Intensifikatoren. In einem Satz wie Das ist sehr schwierig setzte man für sehr in verschiedenen Abschnitten des Neuhochdeutschen (Zeitangaben annähernd) verschiedene Intensifikatoren ein:
Zeitraum | Ausdruck |
1920 | kolossal |
1940 | furchtbar |
1970 | unheimlich |
1980 | echt, tierisch |
1990 | total, extrem |
2000 | derbe, voll |
Diese Ausdrücke gehören zum Teil verschiedenen Stilebenen an; insgesamt ist der Gebrauch von Modewörtern nicht gerade ein Merkmal des hohen Stils. Jedenfalls ist in allen diesen Fällen von der ursprünglichen Bedeutung des Adjektivs nur das Merkmal [intensiv] bzw. [Emotionen erregend] übriggeblieben. Der Verlust von semantischen Merkmalen bis hin zur annähernden Bedeutungslosigkeit heißt auch Desemantisierung.
Entsprechendes ließe sich für die Evaluativa wie geil, cool, super, krass, heiß zeigen.1
Ein besonderer Fall von Bedeutungsverallgemeinerung liegt vor, wenn ein Nomen Proprium zu einem Appellativum umgedeutet wird. Der Vorgang heißt Deonymisierung.
Bezeichnung | Bedeutung als Appellativum |
---|---|
Uhu | Klebstoff |
Tempo-Taschentuch | Papiertaschentuch |
Pril (westdt.) ~ Fit (ostdt.) | Spülmittel |
Nutella | Schokoladencreme |
Wie die Beispiele zeigen, ist der Vorgang bei Produktbezeichnungen nicht selten.2
In Abschnitt 4 werden Metapher und Metonymie als Prozesse des Bedeutungswandels besprochen. Beide führen, synchron betrachtet, zunächst dazu, daß ein Ausdruck zu seiner bisherigen Bedeutung einen weiteren – metaphorischen oder metonymischen – Sinn dazu bekommt. Eines Tages bekommen wir am Hotelempfang für unser Zimmer nicht mehr einen traditionellen Schlüssel, sondern eine elektronische Steckkarte ausgehändigt. Die heißt nichtsdestoweniger (Zimmer-)Schlüssel (auf der Basis einer funktionellen Metapher). Der Ausdruck Schlüssel erhält also einen weiteren Sinn, “(jegliches) physikalische Objekt, das dem Öffnen und Schließen eines Schlosses dient”. Dieser verdrängt natürlich den bisherigen Sinn “länglicher Gegenstand aus hartem Material, typischerweise mit Griff und Bart, der dem Öffnen und Schließen eines Schlosses dient” nicht sofort. Folglich nimmt die Polysemie des Ausdrucks Schlüssel zu.
Auf den ersten Blick scheint es so, als kämen durch diesen Vorgang semantische Merkmale hinzu, so daß er unter Bedeutungsverengung und nicht unter Bedeutungserweiterung fallen müßte. Aber da sind die logischen Relationen zwischen den in einer Intension kopräsenten Merkmalen (logisch betrachtet, Propositionen) zu beachten: Die Relation zwischen den Merkmalen im eingangs gegebenen Beispiel ist die Konjunktion – sie treffen gleichzeitig zu. Die Relation zwischen den beiden Sinnen eines polysemen Ausdrucks wie Schlüssel ist die Disjunktion – sie treffen alternativ zu. Nur konjunktiv angeschlossene Merkmale vergrößern die Intension; disjunktiv angeschlossene verkleinern sie.3
Ein Sonderweg des Hinzukommens eines weiteren Sinns zur Bedeutung eines Ausdrucks ist die semantische Entlehnung. Sie wird im Abschnitt über Entlehnung besprochen.
Es folgen einige Standardbeispiele von Bedeutungsverengung:
früheres Stadium | → | späteres Stadium | |||
Sprache | Ausdruck | Bedeutung | Sprache | Ausdruck | Bedeutung |
ae. | deer | Tier | ne. | deer | Reh |
ae. | hound | Hund | ne. | hound | Jagdhund |
me. | fowl | Vogel | ne. | fowl | Geflügel |
ae. | starve | sterben | ne. | starve | verhungern |
idg. | *ni-sd-os | "nieder-setz-Ort" | lat. | nīdus | Nest |
agr. | hópla | Geräte, Werkzeuge | agr. | hópla | Waffen |
Bedeutungsverengung ist also Merkmalvermehrung: Die Extension wird kleiner, die Intension wird größer.
Einige Beispiele der Tabellen für Bedeutungsverallgemeinerung und -verengung hängen offensichtlich zusammen: Während derselben Zeit, da ae. dog die Bedeutung “Hund” annimmt, verliert hound diese Bedeutung. Und ebenso verdrängt bird das Wort fowl aus der Bedeutung “Vogel”. Dies weist auf einen wichtigen methodischen Grundsatz hin, der für die diachrone Semantik ebenso wie überall in der Linguistik gilt: Man untersucht solche Phänomene nicht am isolierten sprachlichen Zeichen, sondern im paradigmatischen und syntagmatischen Zusammenhang. Denn die Gleichzeitigkeit von zwei Bedeutungswandeln in den beiden genannten Paaren ist ja nicht zufällig, sondern ist Symptom für die Umstrukturierung eines ganzen Wortfeldes. Der erste, der hierauf hinwies, war Jost Trier in seinem Buch Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes (1931) (wo Sinnbezirk “Wortfeld” meint), in dem er die internen Umschichtungen in dem Wortfeld ‘intellektuelle/kognitive Fähigkeit’ durch die deutsche Sprachgeschichte untersucht.
Weiteres zur Umstrukturierung des Lexikons durch semantischen Wandel im Kapitel über strukturale diachrone Lexikologie.
1 Ein Intensifikator ist eine bestimmte Art von Adverb; ein Evaluativum ist eine bestimmte Art von Adjektiv.
2 Das Gegenteil von Deonymisierung, also Onymisierung, liegt z.B. vor, wenn eine Berufsbezeichnung wie Müller zum Familiennamen wird.
3 Formal: Im Vergleich zu p
ist die Intension von p ∧ q
größer, die von p ∨ q
jedoch geringer.