Hochschulzugang

Folgendes Zitat ist repräsentativ für die Haltung vieler Politiker zu der Frage, was die Aufgabe der Universitäten bzgl. der Studienanfänger ist:

“Wir sagen den Hochschulen: Ihr müßt dafür sorgen, dass die Studenten auch Absolventen werden, durch bessere Eingangsberatung und Betreuung.” (Hannelore Kraft, Wissenschaftsministerin Nordrhein-Westfalen, Bonner General-Anzeiger, 06.12.2004)

Das genaue Gegenteil trifft zu. Es besteht überhaupt kein gesamtgesellschaftliches Interesse daran, daß jemand, der die nötigen Voraussetzungen nicht erfüllt, ein Studium absolviert. Solange jeder, der bloß ein Abiturzeugnis vorweist, ein Studium aufnehmen kann, ist es Aufgabe der Hochschulen im Dienste der Gesellschaft, dafür zu sorgen, daß alle Bewerber, die die Voraussetzungen nicht erfüllen, am besten gar nicht zu studieren anfangen oder, wenn sie das doch tun, die Hochschule möglichst bald wieder verlassen, und zwar ohne Examen.

Hochschulabschluß

Jedes Mitglied einer Gemeinschaft, das dazu in der Lage ist, muß sich so gut wie möglich bilden. Es tut dies sowohl aus intrinsischer Motivation als auch, um seinen Status in der Gesellschaft zu verbessern. Und die Gesellschaft hat ein Interesse an diesem Engagement ihres Mitglieds für seine eigene Bildung, weil es dann seine Aufgaben in der Gemeinschaft besser erfüllen kann.

Die Mitglieder der Gesellschaft bilden sich auf sehr unterschiedliche Weise. Der Staat hat ein Interesse an möglichst selbständigen, flexiblen Bürgern, die Aufgaben kritisch und konstruktiv angehen und in der Lage sind, Verantwortung für ihre Leistungen zu übernehmen. Er hat als solcher kein Interesse daran, Personen für partikuläre Zwecke auszubilden.

Unternehmen haben ein Interesse daran, daß ihre Berufsanfänger für die partikulären Tätigkeiten, die sie da ausüben sollen, geschult sind. Und diese Fertigkeiten sollen sie mitbringen; die Unternehmen wollen die dadurch bedingten finanziellen Lasten selbstverständlich nicht selbst tragen. Sie wollen sie der Gemeinschaft aufbürden. Deswegen fordern sie, daß die Universitäten einen sogenannten “berufsqualifizierenden Abschluß” anbieten. Und das soll der erste Studienabschluß sein, also der Bachelor, mit niedrigerer Wertigkeit als die bisherigen Examina auf dem Niveau von Magister und Diplom. Das wollen die Unternehmen, damit ihre Berufsanfänger möglichst unselbständig sind und keinen Anspruch auf höhere Einstufung machen können. Menschen, die die eingangs genannten Qualitäten der Selbständigkeit und Flexibilität nicht haben, kann man leichter wieder “freisetzen”, wenn man die Produktion umstellt. Allzu viele Politiker machen sich diese Forderungen gern zu eigen und zwingen sie den Universitäten und damit der Gemeinschaft auf, die sie eigentlich vertreten sollten. Sie haben ihrerseits kein Interesse an mündigen, kritischen Bürgern; denn die sind schwerer zu regieren und machen nur Ärger.

Der Staat bezuschußt zahlreiche Bildungseinrichtungen, darunter insbesondere auch die Universitäten. Er subventioniert aber nur solche Formen der Bildung, an denen er selbst ein Interesse hat. Sein Auftrag an die Universitäten muß daher lauten, Bürger zu bilden, die die eingangs erwähnten Qualitäten haben. Nur das kann der Ausdruck ‘berufsqualifizierender Abschluß’ bedeuten, wenn er an einer Universität soll erworben werden können. Die Universitäten müssen das Ansinnen von sich weisen, für bestimmte Berufe auszubilden. Das können einerseits die Arbeitgeber tun, die Arbeiter und Angestellte brauchen, die solche Berufe ausüben können. Und das kann andererseits an Bildungseinrichtungen wie Fachschulen, Fachhochschulen und privaten Hochschulen geschehen, wo der Schüler oder Student dafür bezahlt, daß er auf einen von ihm gewählten Beruf vorbereitet wird.

Die Idee vom ersten Universitätsexamen als einem berufsqualifizierenden Abschluß ist aus einem weiteren Grunde abwegig. Das Proprium der universitären Bildung, das sie von anderen Formen der Ausbildung unterscheidet, ist die wissenschaftliche Fundierung. Das bedeutet, daß die studierten Bereiche Gegenstände von Theorien sind, daß die zugehörigen Probleme mit wissenschaftlichen Methoden angegangen werden und daß hierüber ständig kritisch reflektiert wird mit dem Ziel, es besser zu machen. Nur unter dieser Voraussetzung werden praktische Probleme (wie sie z.B. in bestimmten Berufen anliegen) angegangen. Dieses Voraussetzungsverhältnis impliziert, daß man zuerst die theoretischen und methodischen Grundlagen erwirbt und sich sodann überlegt, wie man damit praktische Probleme lösen kann. Solange man noch mit dem Erwerb der theoretischen Kenntnisse und methodischen Fähigkeiten befaßt ist, kann man keinen “berufsbefähigenden” Abschluß erwerben, sondern bestenfalls einen akademischen Abschluß, der zum Weiterstudium befähigt. Die Idee dagegen, die erste Stufe eines gestuften Studiengangs mit berufsrelevanter Ausbildung zuzubringen und sich dann ggf. auf der nächsten Stufe zu fragen, warum man die praktischen Tätigkeiten so ausführt bzw. wie man es eigentlich rational begründet machen sollte, heißt das Pferd vom Schwanze aufzuzäumen und läuft der Aufgabe einer Universität zuwider. Übrigens läuft es auch den Gesetzen der kognitiven Entwicklung zuwider, die u.a. für Studenten gelten: Menschen sind im Alter von 18 bis 21 Jahren bestens darauf vorbereitet, theoretische Zusammenhänge zu begreifen. Diese Fähigkeit wird danach nicht besser, sondern nimmt ab. Es ist Verschwendung, Menschen in dieser Phase mit praktischen Fertigkeiten zu befassen, die sie intellektuell unterfordern.

Der den Universitäten Anfang des 21. Jh. von der Politik aufgezwungene “Bolognaprozeß”, in dem die Universitäten gestufte Studiengänge mit einem ersten berufsqualifizierenden Abschluß einführen mußten, ist in seinen ersten 10 Jahren erfolglos gewesen. Das war aus zahlreichen Gründen so. Einer davon ist die soeben dargestellte reverse Aufzäumung des Pferdes. Die Universitäten waren aus gutem Grunde nicht bereit, den politischen Auftrag umzusetzen, soweit er angesichts logischer, methodischer und didaktischer Gesetze überhaupt umsetzbar war. Sie packten folglich alle wissenschaftlichen Inhalte, die zuvor im vierjährigen Magisterstudium absolviert wurden, nunmehr in das dreijährige Baccalaureusstudium. Die Folgen hatten die Studenten zu tragen.

Ein gestuftes Studium mit einem ersten Abschluß nach drei und einem zweiten nach weiteren zwei Jahren hat viele Vorteile. Aber es muß klar sein, daß der Student die erste Phase i.w. dazu benötigt, Kenntnisse über den Gegenstandsbereich, für diesen entworfene Theorien und auf ihn anzuwendende Methoden zu erwerben. Erst in der zweiten Phase kann er selbständig an die Lösung von Problemen gehen. Der erste Abschluß kann daher keinen sehr viel anderen Status als die Zwischenprüfung früherer Zeiten haben, mit der die Universität zu verlassen sich nicht empfahl.