Der Unterschied zwischen regierten und modifizierenden Dependenten ist besonders wichtig, wenn die Dependenz von einem Verb kontrolliert wird. Denn in einem gegebenen Syntagma kann ein Verb gleichzeitig mehrere Komplemente und mehrere Adjunkte haben, wie etwa in B1.
B1. | steckte das Buch am Abend mit Vorbedacht in den Kühlschrank |
Für mehrere Zwecke ist es wichtig, hier die Komplemente (das Buch, in den Kühlschrank) von den Adjunkten (am Abend, mit Vorbedacht) unterscheiden zu können. Z.B. ist bei dt. stecken die Richtungsangabe obligatorisch, bei seinem spanischen Übersetzungsäquivalent meter jedoch nicht. Auch erwartet der Benutzer eines Lexikons, daß er bei erinnern Angaben darüber findet, ob und wieviele oblique Komplemente das Verb nimmt, daß es reflexiv gebraucht werden kann und in welcher Weise dann das Objekt angeschlossen werden muß (im Genitiv, mit der Präposition an oder gar direkt im Akkusativ?). Allgemein gesprochen, müssen im Lexikon für jedes Verb seine Leerstellen gemäß ihren strukturellen Korrelaten spezifiziert sein. Andererseits kann das Lexikon unmöglich darüber Auskunft geben, was für Modifikatoren bei einem gegebenen Verb stehen können. Dies hat nämlich nichts mit den grammatischen Eigenschaften des Verbs, sondern eher mit dessen Bedeutung zu tun.
Wegen der besonderen Bedeutung des Unterschieds zwischen Rektion und Modifikation im Zusammenhang mit dem Verb haben sich in diesem Bereich eigene Grammatikmodelle mit einer umfangreichen Terminologie herausgebildet. Hier soll nur auf die wichtigsten Punkte hingewiesen werden.
Ein Aktant ist ein Komplement eines Verbs. Subjekt, direktes und indirektes Objekt sind die wichtigsten Aktanten (vgl. die Hierarchie der syntaktischen Funktionen).
Ein Adjunkt (auch Zirkumstant genannt) ist ein Modifikator eines Verbs. Alle adverbialen Bestimmungen zu einem Verb (der Fall in B6.b' zählt nicht dazu) sind seine Adjunkte.
Die Valenz eines sprachlichen Zeichens ist seine regierende Relationalität, d.h. die Gesamtheit der Leerstellen, durch die es Rektion ausübt. Dazu gehören die Anzahl der Leerstellen und die Korrelate der Relationalität.1
Man spricht von Valenz überwiegend im Zusammenhang mit Verben; allerdings können auch Wörter anderer Wortarten - Substantive, Adjektive, Adpositionen - Komplemente nehmen und folglich Valenz haben. Man sagt auch, die Aktanten seien valenzabhängig, die Adjunkte dagegen nicht.
Die Unterscheidung von Komplementen und Modifikatoren/Adjunkten beruht, wie gesagt, auf den fünf Korrelaten der Relationalität. Sie geben also die Kriterien für den Unterschied ab; und diese wiederum sind in Form von Tests zu operationalisieren, mit denen man im Einzelfall feststellen kann, ob ein gegebener Dependent ein Komplement/valenzabhängig ist oder ob er ein Modifikator/nicht valenzabhängig ist. Diese Operationalisierung wird an anderer Stelle ausgeführt.
Es gibt eine Valenzgrammatik, die sich auf die Fragen dieses Kapitels spezialisiert, und Valenzlexika, die für jedes Verb einer Sprache vollständige Angaben über seine Relationalität machen (was sowieso jedes Lexikon tun sollte). Bei der Besprechung der Relationalität hatten wir schon ungefähr gesehen, wie man für ein gegebenes Verb die Valenz angeben kann.
1. | Komplement oder Adjunkt? |
Der wichtigste Parameter in der Verbvalenz ist die Transitivität. Ein Verb ist transitiv genau dann, wenn es ein direktes Objekt nimmt2; andernfalls ist es intransitiv. Terminologischen Wirrwarr gibt es um Verben wie kochen.
B2. | a. | Bei uns kocht mein Vater das Mittagessen. |
b. | Bei uns kocht mein Vater. | |
c. | Das Mittagessen kocht. |
In B2.a hängen von kocht zwei Aktanten ab, in b und c nur einer. Deswegen wird oft gesagt, in B2.a sei kochen transitiv, in b und c intransitiv. Die Begriffe ‘transitiv’ und ‘intransitiv’ sind jedoch nicht mit Bezug auf aktuelle Sätze, sondern mit Bezug auf grammatische Eigenschaften verbaler Lexeme (Stämme) definiert. Eine Leerstelle kann obligatorisch oder fakultativ besetzt werden; auch wenn sie einmal nicht besetzt wird, bleibt sie vorhanden. Wenn das in B2.b nicht so wäre, dürfte dieser Satz nur ebenso wie c semantisch interpretierbar sein (also in dem Sinne, daß der Vater wütend ist). Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Vielmehr ist es eine ganz normale Interpretation von B2.b, daß der Vater ein unspezifiziertes Objekt kocht. Folglich enthalten B2.a und b beide ein transitives Verb.
Anders liegt der Fall in B2.c. Hier ist es nicht möglich, einen weiteren Aktanten anzuschließen. Folglich ist kochen hier tatsächlich intransitiv. Im übrigen gibt es Derivations- und Konversionsprozesse, die aus transitiven Verben intransitive und umgekehrt machen, die also Alternationen wie zwischen B2.a und c herbeiführen. (In diesem Falle handelt es sich um Deagentivierung.)
Ein Verb, das ein direktes Objekt nimmt, ist jedenfalls transitiv, gleichgültig, welche Aktanten es sonst noch hat. Daher sind z.B. auch dt. genehmigen und bezichtigen transitiv. Ebenso ist ein Verb, das kein direktes Objekt nimmt, jedenfalls intransitiv, gleichgültig, welche Aktanten es sonst noch hat. Weiteres dazu unten.
Transitivität ist die syntaktische Manifestation von Kontrolle und Affiziertheit in der Partizipantenstruktur. Weiteres zur Typologie der Transitivität anderswo.
In logischer Analyse sind Substantive und Adjektive ebenso wie Verben Prädikate (oder Prädikatoren), welche einem Argument zugeschrieben werden, welches syntaktisch im einfachsten Falle als Subjekt fungiert. B3.a - c werden also analog gesehen:
B3. | a. | Erwin ist ein Wüterich. |
b. | Erwin ist wütend. | |
c. | Erwin wütet. |
Aufgrund dieser Analogie schreibt man Substantiven und Adjektiven ebenso wie Verben eine Argumentstelle zu, die von dem Term x besetzt wird, auf den das Prädikat zutrifft: ‘Wüterich (x), wütend (x), wütet (x)
’.
Valenz ist jedoch keine logische (oder semantische), sondern eine syntaktische Eigenschaft von Lexemen. Die gemeinte Argumentstelle manifestiert sich syntaktisch
Substantive dienen in erster Linie der Referenz, nicht der Prädikation.
Anders ist es mit der rektiven nominalen Valenz. Oben waren Komplemente zu relationalen Substantiven und Adjektiven aufgeführt worden. Adjektive wie teilhaftig und hörig haben in der Tat eine rektive Leerstelle (für ein Genitiv- bzw. Dativkomplement). Die Rektion von Substantiven wie Seite ist im Deutschen nicht sehr stark ausgeprägt. Die Rektion von Verbalnomina wird im Kapitel über syntaktische Funktionen kurz behandelt.
Adposition und Adverb haben die modifikative Beziehung zu ihrem Dependenzkontrolleur gemeinsam. Sie stehen in folgender Proportion:
Kategorie: | Adverb | : Präposition | = intransitives Verb | : transitives Verb |
---|---|---|---|---|
Beispiel: | unten | : unter | = gehen | : begehen |
Anders gesagt: Wird die Argumentstelle des adverbialen Relators in eine grammatische Leerstelle umgesetzt, so erscheint er als eine Adposition. Wird sie jedoch deiktisch-implizit besetzt, ohne sich grammatisch zu manifestieren, so erscheint er als ein Adverb. Ein Präpositionaladverb ist wie ein transitives Verb mit optionalem direkten Objekt.
Wie in jeder nach mehreren voneinander unabhängigen Kriterien aufgestellten Klassifikation gibt es auch hier verschiedene Ebenen von Klassen und Subklassen. Man kann z.B. nur das Kriterium der Anzahl der Leerstellen berücksichtigen. Diese nennt man die Stelligkeit oder quantitative Valenz. Nach diesem Kriterium kann man die Verben in die folgenden Klassen einteilen.
Ein Verb mit | n Leerstellen ist | n-valent oder | n-wertig/stellig. | Beispiel |
0 | a | null | hageln | |
1 | mono | ein | schlafen | |
2 | bi | zwei | trinken | |
3 | tri | drei | zeigen | |
4 | quadri | vier | vergelten |
Eine besondere Rolle spielen hier die mono- und bivalenten Verben, weil sie die häufigsten sind und einer großen Zahl von syntaktischen Prozessen unterliegen. Da im Prinzip jedes Verb ein Subjekt hat (auf die Problematik der avalenten Verben gehen wir nicht ein), haben monovalente Verben keine obliquen Aktanten.3 Monovalente Verben sind also notwendigerweise intransitiv. Das Umgekehrte gilt nicht, denn auch ein bivalentes Verb wie gehorchen ist intransitiv. Ein bivalentes Verb hat einen obliquen Aktanten. Wenn dieser ein direktes Objekt ist, heißt das Verb transitiv. Wie bereits gesagt, können auch Verben mit mehr als zwei Stellen (z.B. genehmigen, bezichtigen) transitiv sein, eben wenn einer ihrer Aktanten ein direktes Objekt ist.
Mit zunehmender Anzahl der Stellen gibt es im Lexikon weniger Verben. In den meisten Sprachen ist die quantitative Valenz nicht so weit entwickelt wie im Deutschen. Aber auch hier gibt es – neben einer Anzahl abgeleiteter Verben – nur verhältnismäßig wenige Verben wie geben, sagen, deren Wurzel bereits trivalent ist. Erst recht findet man für Quadrivalenz in erster Linie ein paar abgeleitete Verben wie vergelten, an Basisverben aber allenfalls kaufen (wobei es bereits leichte Variation in der Präposition gibt, mit der der Preis angeschlossen wird).
Der Valenzbegriff wird nicht selten auf die quantitative Valenz reduziert. Tatsächlich sind rein quantitativ bestimmte Valenzklassen für Zwecke der grammatischen Beschreibung kaum relevant. Z.B. haben die bivalenten Verben gedenken, gehorchen, jagen kaum wichtige syntaktische Gemeinsamkeiten. Am wichtigsten ist Strukturkorrelat 2.
1. | Valenzklassen |
2. | Vollverb vs. Modalverb als Strukturklassen |
1 Es gehören alle aufgeführten Korrelate dazu. Daraus folgt, daß zwei bis auf den heutigen Tag kursierende Meinungen über Valenz irrig sind: 1) Die Valenz sei die Anzahl der Leerstellen; dies ist vielmehr die quantitative Valenz oder Stelligkeit. 2) Ein Dependent sei genau dann valenzabhängig, wenn er vom Verb “gefordert” werde, d.h. obligatorisch sei; in Wahrheit herrscht hier gemäß Korrelat Nr. 5 Variation.
2 An dieser Stelle wird statt nimmt oft fordert gesagt. Das ist falsch; Obligatorietät des Leerstellenbesetzers ist nur eines der möglichen Korrelate einer rektiven Leerstelle.
3 Im Deutschen gibt es ein paar erratische Ausnahmen vom Typ mich friert.