Die Linguistik beschreibt die Sprache in ihren beiden Seinsformen, dem Sprachsystem und dem Text. Das gilt auch für die Semantik:
In beiden Fällen versucht die Linguistik, Bedeutung bzw. Sinn sprachlicher Einheiten wiederzugeben, d.h. detailliert zu repräsentieren. In diesem Bemühen unterscheidet sie sich von der Philologie, die den Sinn von Einheiten des Textes global charakterisiert, etwa durch Prädikate wie ‘ist zweideutig’, ‘ist metaphorisch’ oder ‘ist tiefgründig’. Die Semantik versucht, die Bedeutung / den Sinn einer sprachlichen Einheit – egal ob einer Einheit des Sprachsystems oder des Textes – explizit zu machen. Dies geschieht durch eine Analyse, die die Bedeutung / den Sinn in seine Bestandteile zerlegt und angibt, wie durch Anwendung von Operationen auf Elemente komplexe Bedeutungen erzeugt werden. Die Metasprache dient hier also nicht lediglich dazu, über Bedeutungsaspekte zu reden, sondern sie repräsentiert solche Aspekte unmittelbar.
Damit dies in einer theoretisch konsistenten Weise geschehen kann, muß die Metasprache ihrerseits genormt sein. Denn wenn lediglich eine natürliche Sprache – gar noch dieselbe wie die Objektsprache – die Rolle der Metasprache erfüllte, wäre vorderhand nichts an Explizitheit gewonnen. Die semantische Metasprache ist, ihrem Anspruch nach, eine formale Sprache. Ihre Elemente stehen für genormte Begriffe.
Würde man versuchen, die Bedeutung eines Ausdrucks einer Sprache L
durch einen Ausdruck der Sprache L
zu repräsentieren, so wäre das erste Problem, daß die wenigsten Ausdrücke einer Sprache Vollsynonyme in derselben haben. Dieser Versuch führt dann oft dazu, daß man auf Metaphern ausweicht, also z.B. nächsten Samstag erklärt durch kommenden Samstag. Damit ist jedoch nichts an Explizitheit gewonnen, denn Samstage kommen nicht im Wortsinne. Der Ausdruck kommenden Samstag wäre seinerseits erklärungsbedürftig. In solchen Fällen wird also versucht, das relativ Einfache durch das relativ Komplexe zu erklären, was nicht funktionieren kann.
Die Elemente der semantischen Metasprache sind im Prinzip semantische Merkmale bzw. formale Varianten davon, so wie in dem betreffenden Abschnitt näher erläutert.
Wenn also eine Repräsentation ein vollständig hinschreibbares statisches Objekt ist, dann kann die Linguistik eine semantische Repräsentation von Zeichen des Sprachsystems anstreben. Eine semantische Repräsentation von Nachrichten in demselben Sinne kann dagegen nicht gelingen. Hier muß die Linguistik nach einer theoretisch wohlbegründeten Alternative suchen. Die Lösung kann hier nur angedeutet werden.
Im folgenden geht es um die Repräsentation der Bedeutung des Satzes
Gestern hat Erna mir das Buch geliehen.
Die semantische Metasprache ist ein erweiterter Prädikatenkalkül. Zu den standardmäßig vorhandenen Elementen kommen folgende hinzu:
ei | Ereignisvariablen repräsentieren individuelle Situationen (Ereignisse, Vorgänge, Sachverhalte ...) |
ti | Zeitpunktvariablen repräsentieren individuelle Zeitpunkte, die die zeitlichen Grenzen von Situationen angeben. |
Eine Ereignisvariable bildet immer das letzte der Argumente eines Prädikats. Dieser Formalismus soll sagen, daß die aus Prädikat plus (nicht-letzten) Argumenten gebildete Proposition auf die durch die Ereignisvariable identifizierte Situation referiert.
Eine Zeitpunktvariable kann durch einen Index festgelegt werden. Dies kann insbesondere eine Ereignisvariable sein. te
repräsentiert dann den Zeitpunkt, zu dem e
stattfindet.
In einem ersten Schritt klären wir die semantische Repräsentation einiger Lexeme des Beispielsatzes:
e0 | Sprechakt |
t0 | te0 |
gestern (e) | te = t0 - 1 Tag |
leih (x, y, z) | geb (x, y, z, e1) & notwendig ( (∃ e2) te2 > te1 & geb (y, x, z, e2)) |
Die Elemente in Kapitälchen sind Ausdrücke der Metasprache, die Wörter in schlichter Schrifttype sind Ausdrücke der Objektsprache. geb(x,y,z) ist evtl. kein primitives Prädikat, sondern kann analysiert werden als caus (x, hab (y, z)).
Nunmehr können wir die semantische Repräsentation des gesamten Satzes zusammenbauen. Dabei ist zwischen Präsupposition und Assertion zu unterscheiden.
Präsuppositionen: | (∃x) x = Erna |
& (∃y) y = Sprecher | |
& (∃z) Buch (z) | |
& (∃t-1) t-1 = t0 - 1 Tag | |
Assertion: | geb (x, y, z, et-1) & notwendig ( (∃ e2) te2 > t-1 & geb (y, x, z, e2)) |
Diese semantische Repräsentation umfaßt die Dekomposition der Lexeme gestern und leihen und gibt die Bedeutung des definiten Artikels das dadurch wieder, daß das Buch durch eine Existenzpräsupposition eingeführt wird. Nicht analysiert wurden:
Als weiteres Beispiel einer semantischen Repräsentation, das ebenfalls den Begriff der Präsupposition voraussetzt, dienen die Verben der Beurteilung.