Bevor wir uns mit Sprachtheorie befassen können, müssen wir ein paar wissenschaftstheoretische Prolegomena machen. Denn wir können ja nicht voraussetzungsfrei anfangen, Sprachtheorie zu betreiben. So wollen wir denn versuchen, die vorauszusetzenden Begriffe und Postulate der Reihe nach explizit zu machen.
Sprachtheorie ist, kurz gesagt, die Instanz, in der die Erkenntnisse aller Sprachforschung systematisch zusammengefaßt und begründet sind. Ein präziseres Verständnis des Begriffs 'Sprachtheorie' werden wir gewinnen, wenn wir uns mit der Bedeutung seiner Bestandteile, 'Sprache' und 'Theorie', befassen. Beginnen wir mit der Klärung des Begriffs 'Theorie'.
Die wörtliche Bedeutung des aus dem Griechischen stammenden Worts Theorie ist "Anschauung". Diese Erklärung scheint dem, was wir gewöhnlich mit dem Wort verbinden, geradewegs zuwiderzulaufen. Theorien finden wir meist gerade nicht anschaulich, sondern abstrakt. Dies sind jedoch keine sachgerechten Assoziationen. Die Paraphrase von 'Theorie' durch 'Anschauung' ist durchaus auch dem modernen Theoriebegriff noch angemessen, wenn man nämlich 'Anschauung' im Sinne von Sehweise, Auffassung, Konzeption versteht. Angenommen, es gibt einen gewissen zusammenhängenden Bereich von Gegenständen unserer Innen- oder Umwelt. Wir gewinnen Erkenntnisse über diesen Gegenstandsbereich und organisieren diese zu einer Anschauung von ihm, in dem soeben erläuterten Sinne. Je vollständiger nun diese Anschauung ihren Gegenstandsbereich erfaßt, je systematischer sie organisiert ist, je besser sie integriert und begründet und je objektiver sie gefaßt ist, desto mehr verdient sie den Namen einer Theorie, d.h. eine desto bessere Theorie ist sie.
Dies sind also die Qualitätsmerkmale einer Theorie:
Um diese Qualitäten ihrer Erkenntnisse bemüht sich besonders die Wissenschaft. Daher könnten wir auch einfach sagen: Eine Theorie ist die wissenschaftliche Anschauung eines Gegenstandsbereichs. Aber dann dürften wir bei der Definition von 'Wissenschaft' den Begriff 'Theorie' nicht verwenden. Das jedoch müssen wir, denn Wissenschaft läßt sich definieren als eine menschliche Tätigkeit, die sich um die methodisch kontrollierte Aufstellung von Theorien bemüht (vgl. Finke 1979: 3, 5).
Dieser Theoriebegriff ist weiter unten in seinen Aspekten zu entfalten. Zunächst allerdings fällt es der wissenschaftlichen Reflexion auf, daß Wörter wie Theorie, aber auch Wissenschaft, Grammatik und mehrere ähnliche, eine zweifache Verwendung haben. Sie können grammatisch einerseits als Massensubstantive behandelt werden, sind dann nicht pluralisierbar und nehmen den indefiniten Artikel nicht. Diese Verwendung tritt auf in Sätzen wie den folgenden:
Dieselben Wörter können andererseits als Individualsubstantive behandelt werden, sind dann pluralisierbar und nehmen auch den indefiniten Artikel. Diese Verwendung illustrieren die folgenden Sätze:
In ihrer Verwendung als Individualsubstantive bedeuten diese Wörter Vorkommen, d.h. individuelle Ausprägungen des allgemeinen Phänomens, das das Massensubstantiv bezeichnet. Im Wortfeld ‘Wissenschaft’ heißt das oft, daß das Massensubstantiv eine Disziplin, das Individualsubstantiv eine Ausprägung oder ein Produkt der Disziplin bezeichnet. Theorie ist daher einerseits allgemein die Organisation von Erkenntnis zu einer Anschauung, die bestimmten (oben genannten) Anforderungen genügt. In diesem Sinne steht der Begriff der Theorie dem der Praxis gegenüber (s. Wissenschaft vs. Praxis). Andererseits ist eine Theorie eine individuelle Ausprägung dieses allgemeinen Phänomens.
Derselben zweifachen Verwendung unterliegt auch der Terminus 'Sprachtheorie'. 'Sprachtheorie' in generischer, singularischer Verwendung bezeichnet eine wissenschaftliche Disziplin; eine Sprachtheorie dagegen, in spezifischer, pluralisierbarer Verwendung, ist ein individuelles Produkt dieser Disziplin. Überschriften sind freilich immer abgekürzt und verzichten auf sonst notwendige Artikel. Daher ist das Wort 'Sprachtheorie' auch als Benennung dieses Traktats in dem erläuterten Sinne zweideutig.
Wenn eine Theorie eine Anschauung eines Gegenstandsbereichs ist, so impliziert dies, daß ein gegebener Gegenstandsbereich nicht eine bestimmte, nämlich die einzige ihm gemäße Theorie determiniert.1 Vielmehr gibt es über einen gegebenen Gegenstandsbereich oder innerhalb einer gegebenen Disziplin mehrere konkurrierende Theorien. Diese können alternativ sein, d.h. einander ausschließen. Dann ist höchstens eine davon wahr. Häufiger noch ergänzen sie einander, d.h. betreffen verschiedene Aspekte des Gegenstandsbereichs. In dem Maße, in dem eine Theorie nur einem Aspekt eines Gegenstandsbereichs gerecht wird, ist sie natürlich nicht vollständig.
Neben einigen wahren gibt es natürlich auch viele falsche Theorien (s. anderswo zum Begriff der Wahrheit). Deshalb ist die im logischen Positivismus gelegentlich vorgebrachte Definition einer Theorie als einer Menge von wahren Sätzen über einen Gegenstandsbereich ungeschickt; das Gemeinte ist besser im Postulat der Objektivität aufgehoben. Eine Theorie als eine Menge von Sätzen zu bezeichnen, kann dagegen nichts schaden. Wenn eine Anschauung in sprachliche Form gebracht werden soll – und wenn sie den obigen Anforderungen genügen soll, so muß sie das –, ist es kaum zu vermeiden, daß dies in Form von Sätzen geschieht. Diese Definition ist freilich eine rein formale und äußerliche, die über das Wesen der Theorie und ihre Rolle in der Wissenschaft nichts aussagt.
Daß eine Theorie integriert sein soll, bedeutet zweierlei, betrifft einen internen und einen externen Aspekt der Theorie:
Da das Aufstellen von Theorien ein so anspruchsvolles Unterfangen und die aufgestellten Theorien letztlich der Prüfstein der Ergiebigkeit einer Wissenschaft sind, muß man Theorien daraufhin bewerten können, inwieweit sie ihrem Gegenstandsbereich gerecht werden, und zwar besser als etwaige konkurrierende Theorien. Man will also messen, inwieweit eine Theorie die Anforderungen der Vollständigkeit, Systematizität, Integration und Begründung erfüllt. Damit das möglich ist, muß die Theorie so formuliert sein, daß objektive Bewertungsmaßstäbe angelegt werden können. Die Forderung der Objektivität befindet sich insofern auf einer anderen methodologischen Ebene als die ersten vier: Diese sind nur dann überprüfbar, wenn die Theorie eben jene Forderung erfüllt.
Objektivität einer Theorie besagt in erster Linie Intersubjektivität: Es muß gewährleistet sein, daß jeder die Theorie so interpretiert wie ihr Autor. Alles, was in der Theorie gelten soll, muß daher ausdrücklich und unmißverständlich gesagt werden. Es gibt keine impliziten, als selbstverständlich betrachteten Vorannahmen. Zur Überprüfung der Theorie muß der Leser seine Intuition und sein gutwilliges Verständnis nicht bemühen. Theorien, Annahmen und überhaupt Aussagen, die diese Voraussetzungen erfüllen, heißen explizit. Die Explizitheit einer Theorie ist eine Forderung, die aus ihrer Objektivität notwendig folgt (Näheres dazu unten).
Bei einer empirischen Theorie hat Objektivität eine zweite Seite: Angemessenheit gegenüber dem Gegenstand. Ob eine Theorie ihrem Gegenstand gerecht wird, überprüft man dadurch, daß man sie auf ihn anwendet. Es müssen sich also aus den Gesetzesaussagen der Theorie partikuläre Aussagen ableiten lassen, von denen man feststellen kann, ob sie im Gegenstandsbereich zutreffen. Im Hinblick darauf, daß die Überprüfung der Aufstellung der Theorie zeitlich folgt, heißen solche abgeleiteten Aussagen auch Voraussagen der Theorie. In methodologischer Hinsicht ist hierbei (seit Popper 1994) nicht wichtig, daß man Fälle finden kann, die die Theorie bestätigen, sondern daß die Theorie so formuliert ist, daß man sie falsifizieren kann. Eine Theorie zu falsifizieren bedeutet einen Fall im Gegenstandsbereich anzugeben, der sich anders verhält als von der Theorie vorausgesagt. Aus der Objektivität einer Theorie folgt mithin ihre Falsifizierbarkeit: Wenn nicht klar ist, wie der Gegenstandsbereich beschaffen sein müßte, damit der Autor seine Theorie als widerlegt betrachtete, ist sie nicht falsifizierbar.2
In Definitionen von 'Theorie' ist häufig von Gesetzen, von Beschreibung und Erklärung die Rede. Soweit diese Begriffe etwas mit dem Theoriebegriff zu tun haben, sind sie in dem Begriff der Anschauung sowie in unseren Forderungen der Vollständigkeit, Systematizität, Integration, Begründung und Objektivität enthalten:
Explizit ist, was ausdrücklich gesagt ist. Ob etwas allerdings in einer Menge von Sätzen ausdrücklich gesagt ist, ist – da es ja normalerweise nicht um den buchstäblichen Wortlaut geht – eine Frage der Interpretation dieser Menge. Wenn sie in einer natürlichen Sprache formuliert ist, sind hier wieder keine objektiven Kriterien anwendbar. Daher verlangt man, die Theorie möge in einer formalen Sprache ausgedrückt sein, damit formale Kriterien angewendet werden können. Eine Theorie, die dieser Forderung genügt, ist eine formale Theorie. Die in Frage kommenden formalen Sprachen sind im Prinzip jegliche Sorte von Kalkül, wie sie in der Logik, Mathematik und Informatik aufgestellt werden. In der Linguistik spielen besonders der Aussagen- und der Prädikatenkalkül und höhere Stufen davon eine Rolle.
Eine besonders wichtige Art von formaler Theorie ist die axiomatische Theorie. Sie genügt den Forderungen nach systematischem und begründetem Aufbau durch folgende Struktur: Die Fundamente der Theorie erhalten einen Sonderstatus. Die primitiven Begriffe, die nicht erklärt werden, werden von den abgeleiteten unterschieden.Die primitiven Sätze, die nicht aus anderen abgeleitet werden, aus denen jedoch alle anderen abgeleitet werden können, heißen Axiome. Eine axiomatische Theorie genießt wegen ihres durchsichtigen und logischen Aufbaus den Vorzug vor anderen Theorien. Daher wird in den Wissenschaften, die mit der Formalisierung ihrer Theorien gemeinhin keine Schwierigkeiten haben, der Axiomatisierung besondere Aufmerksamkeit gewidmet.3
Die formalen Bewertungsmaßstäbe, zum Beispiel das Kriterium der Widerspruchsfreiheit, sind völlig berechtigt. Eine Theorie kann bereits an ihnen scheitern, ohne daß man inhaltliche Kriterien überhaupt ins Feld zu führen braucht. Mithin ist die Forderung nach Formalisierung einer Theorie grundsätzlich sinnvoll. Für sie gilt jedoch, was oben über die Objektivität überhaupt gesagt wurde: Die Formalisierung ist nicht eine Forderung, die gleichberechtigt neben die anderen an eine Theorie zu stellenden Forderungen tritt. Sie ist lediglich ein methodisches Postulat, dessen Erfüllung es erleichtert, zwischen guten und schlechten Theorien zu unterscheiden. Eine nicht-formalisierte Theorie ist also nicht einfach schlecht; es ist nur schwieriger zu beurteilen, ob sie gut ist. Wir werden uns später der Frage widmen, warum linguistische Theorien so schwer zu formalisieren oder gar zu axiomatisieren sind und warum gerade die formalen linguistischen Theorien oft nicht die besten sind.
Die Gegenstände und Weisen menschlicher Erkenntnis lassen sich so wie in der folgenden Darstellung systematisieren:
Welt | |||
| | ↖ empirisch | ||
| | |||
menschl. Geist | Mitmensch | ||
↖ logisch | ↖ hermeneutisch |
Hiernach bezieht sich Erkenntnis auf drei grundsätzlich verschiedene Arten von Gegenständen, von denen wir zunächst nur die ersten beiden betrachten:
Über die ersteren können wir Beobachtungen anstellen und auf diese Weise etwas über sie in Erfahrung bringen. Die letzteren sind nicht Objekte der Erfahrung und nicht auf Beobachtbares zurückführbar; wir können sie nur einer begrifflichen Analyse unterwerfen. Die ersteren sind empirische, die letzteren logische Gegenstände.
Es kann hier offen bleiben, ob logische Gegenstände (z.B. Zahlen) denkende Menschen voraussetzen oder ob sie (im platonischen Sinne) vor und unabhängig von denkenden Wesen existieren.
Ist der Gegenstandsbereich einer Theorie empirischer Natur, ist es eine empirische Theorie; ist er logischer Natur, ist es eine logische Theorie. Diese Beziehung ist nicht vertauschbar. Insbesondere gilt: Will man eine Theorie über einen empirischen Gegenstandsbereich machen, so ist eine logische Theorie nicht das Gesuchte.4
Ein Gegenstand ganz anderer Art ist das, was der Mitmensch des erkennenden Subjektes meint und was dieses zu verstehen sich bemüht. Dieses ist einerseits nichts, was in der umgebenden Welt vorfindlich und beobachtbar wäre (ein empirischer Gegenstand), es ist andererseits aber auch nichts, was unabhängig von aller Erfahrung gegeben wäre (ein logischer Gegenstand). Vielmehr ist es uns durch Einfühlung, durch Einverständnis zugänglich, also dadurch, daß wir uns in den anderen hineinversetzen. Und diese Haltungen oder Handlungen sind wiederum nur gegenüber Menschen und deren Botschaften, nicht jedoch gegenüber empirischen oder logischen Gegenständen sinnvoll. Wissenschaftliches Verstehen ist Hermeneutik; eine Theorie, die auf Verstehen beruht, ist eine hermeneutische Theorie.
Das folgende Schema verdeutlich noch einmal die Systematik der drei Erkenntnisarten:
Erkenntnisobjekt | ↙ | ↘ | |
---|---|---|---|
im erkennenden Geist | außerhalb des erkennenden Geistes | ||
↙ | ↘ | ||
Produkt eines anderen erkennenden Geistes | natürlicher Gegenstand | ||
↓ | ↓ | ↓ | |
Erkenntnisart | logisch | hermeneutisch | empirisch |
Die meisten Wissenschaften lassen sich nach diesen drei Erkenntnisweisen einordnen. Z.B. sind Philosophie und Mathematik logische Wissenschaften, Chemie und Biologie sind empirische Wissenschaften, Literatur- und Geschichtswissenschaft sind hermeneutische Wissenschaften.
Insoweit eine Theorie den Forderungen nach systematischem und begründetem Aufbau genügt, leistet sie einen Beitrag zur Grundlagenforschung in ihrer Wissenschaft. Denn sie bringt dann die Begriffe innerhalb ihres Bereichs in eine Hierarchie von primitiven und abgeleiteten Begriffen und zeigt also, auf welchen Begriffen die Wissenschaft aufgebaut werden kann. Ein methodisch wichtiger Aspekt dieser Funktion von Theorien ist die Tatsache, daß die Theorie Positionen der Wissenschaft ans Licht holt, die in der Forschung sonst implizit bleiben, unhinterfragt vorausgesetzt werden. Bei dem Versuch, die Theorie in begründeter Weise aufzubauen, müssen solche Positionen explizit gemacht werden. Dabei wird dann deutlich, ob sie haltbar und mit anderen Positionen verträglich sind und welchen Stellenwert sie im Gebäude der Wissenschaft haben.
Die Funktion der Theoriebildung, implizit Vorausgesetztes explizit zu machen, ist in den empirischen Wissenschaften besonders wichtig. Allzu leicht kann bei der empirischen Forschung der Eindruck entstehen, man brauche nur in methodisch kontrollierter Weise den Gegenstandsbereich zu beobachten und darüber Hypothesen zu bilden, so gelange man zu sicheren wissenschaftlichen Erkenntnissen, die der Theoretiker dann in seine Theorie einbauen könne und müsse. Dabei wird übersehen, daß alle Erfahrung theorieabhängig ist. Außerhalb und unabhängig von jeglicher Theorie bestehen lediglich die Phänomene, das Material. Der Stoßseufzer eines Empirikers, "die Theorien vergehen, aber das Material bleibt bestehen" (Löfstedt, Syntactica I, 1942II: IX), ist insofern, wenn auch etwas theoriefeindlich, so doch durchaus zutreffend. Nur macht das Sammeln von Material allein noch keine Wissenschaft. Sobald wir über unseren Gegenstandsbereich Beobachtungen anstellen, also sogenannte Fakten konstatieren und somit Erkenntnisse gewinnen, machen wir gewisse Vorannahmen, ob wir sie nun in Form einer Theorie explizit machen oder, wie meist, implizit und vielleicht sogar unbewußt voraussetzen. Zum Beispiel läßt sich der Wechsel zwischen zwei Allophonen, den die Phonologen, wie sie sagen, beobachten, in keiner Weise voraussetzungslos beobachten. Eine hier gemachte Voraussetzung ist zum Beispiel, daß der Lautstrom überhaupt in Segmente gegliedert ist. Dies aber ist etwas, was sich nicht unmittelbar beobachten, sondern allenfalls durch Hypothesen erschließen läßt.9
Daß die auf die Durcharbeitung des Gegenstandsbereichs gerichtete empirische Arbeit und die bei ihr gemachten Beobachtungen die Theoriebildung in einer empirischen Wissenschaft kontrollieren müssen, war schon in unserer Forderung enthalten, eine Theorie müsse ihrem Gegenstandsbereich angemessen sein, und eine Theorie über einen empirischen Gegenstandsbereich müsse mithin eine empirische Theorie sein. Hier kommt es auf den entgegengesetzten Gesichtspunkt an: Die Theoriebildung muß die empirische Arbeit kontrollieren; sie muß dem Empiriker seine Vorannahmen zu Bewußtsein bringen und diese hinterfragen.
Wir wenden nun das Gesagte auf die Sprachtheorie an. Dabei treten Besonderheiten auf, die aus dem anderen Begriff resultieren, aus dem zusammen mit dem Begriff 'Theorie' der Begriff der Sprachtheorie gebildet ist. Da dieser Traktat die oder eine Theorie der Sprache bietet, klärt er den Begriff der Sprache. In dem erreichbaren Maße vollständig geklärt sein wird dieser Begriff also erst am Ende dieses Traktats. Wir müssen uns hier mit einer kurzen Vorwegnahme dessen begnügen, was für die theoretische Behandlung von Sprache wichtig ist (Elementares zum Sprachbegriff anderswo). Sprache ist das unbeschränkte Schaffen interindividuell verfügbarer Bedeutungen. Diese Definition hat eine Reihe von Implikationen für die Natur der Sprache und damit auch für die Natur der Theorien, die diesem Gegenstand gerecht werden können.
1. Fangen wir damit an, daß die geschaffenen Bedeutungen interindividuell verfügbar sind. Das besagt ja, daß sie zwischen Menschen5 übermittelt werden können; und dies besagt wieder, daß sie in einem Medium übertragen werden, das Menschen wahrnehmen können. Bekanntlich ist das in erster Linie der Laut, in zweiter Linie die Schrift. Der Gegenstand der Sprachtheorie, und ebenso auch der Sprachwissenschaft, ist also wahrnehmbar oder hat mindestens eine wahrnehmbare Seite. Insoweit ist er ein empirischer Gegenstand, die Sprachtheorie ist eine empirische Theorie, und ebenso ist die Sprachwissenschaft eine empirische Wissenschaft.
Dies hat weitreichende Konsequenzen. Eine Theorie muß ihrem Gegenstandsbereich adäquat sein. Das besagt in allererster Linie, daß sie eine Theorie des Gegenstandsbereichs ist, von dem sie eine Theorie zu sein vorgibt. Jede rein logische Theorie scheidet mithin als mögliche Sprachtheorie von vornherein aus. Es ist nicht möglich, eine adäquate Sprachtheorie "im Lehnstuhl", wie es so schön heißt, also durch reine Begriffsanalyse, aufzustellen; denn es gibt wesentliche Dinge über Sprache zu wissen, die man nur durch Erfahrung wissen kann. K. Bühler sagt:
“Die Sprachtheorie muß die einfache Spitze des empirischen Werkes der Sprachforscher sein.” (Bühler 1934: XXIV)
2. Andererseits schafft Sprache Bedeutungen. Bedeutungen aber sind mentale Entitäten, Bewußtseinsgrößen, Komponenten des Denkens. Wir schaffen einerseits Bedeutungen nach den Gesetzen unseres Denkens; andererseits sind die Gesetze des Denkens durch unsere Sprache mitgeformt, und zwar sowohl durch unsere spezifische Muttersprache (langue) als auch durch die menschliche Sprache (langage). Auf die Beziehungen zwischen Sprache und Denken, zwischen Sprachstruktur und Logik, wird erst im Kapitel über Sprache und Denken eingegangen. Wie komplex sie sind, kann man schon daran ermessen, daß sich sowohl behaupten läßt, die Logik sei allem Denken und aller Sprache a priori vorgeordnet, als auch, die Logik sei ein Derivat aus unserer natürlichen Sprache. Für uns genügt es festzuhalten, daß die Sprache eine innere Seite hat, welche zwar der Introspektion zugänglich ist, deren Erkenntnis sich aber nicht ausschließlich aus Erfahrung ergibt, sondern zum Teil schon vor aller Erfahrung in uns angelegt ist. Daraus folgt, daß Sprachtheorie neben dem empirischen auch einen logischen Aspekt hat.
Nichts von dem bisher Gesagten würde darauf schließen lassen, daß die Aufstellung und Formalisierung einer Sprachtheorie irgend schwieriger sein sollte als die Aufstellung und Formalisierung von Theorien über andere Gegenstandsbereiche. Die Erfahrungswissenschaft, in der die Formalisierung von Theorien notorisch am weitesten fortgeschritten ist, ist die Physik. Ihr Gegenstandsbereich hat mit dem der Linguistik gemeinsam, daß er empirisch ist. Die Sprache hat darüber hinaus noch jene logische Komponente, die der Formalisierung von Theorien über sie wohl eher förderlich als hinderlich sein sollte. Dennoch ist man in der Linguistik von fruchtbaren formalen Theorien im Sinne der Physik weit entfernt. Die meisten in der Linguistik existierenden formalen Theorien sind entweder nicht wirklich formal (es gibt durchaus eine Scheinformalisierung), oder aber sie sind nicht empirisch, sondern rein logisch und damit nach dem oben Gesagten ihrem Gegenstandsbereich nicht angemessen. Worin aber liegt die Crux?
Daß wir in der Sprache Bedeutungen unbeschränkt schaffen, wie es in der Definition hieß, besagt, daß wir darin frei sind, soweit das Erfordernis der interindividuellen Verfügbarkeit dies zuläßt. In allen seinen Tätigkeiten und Lebensäußerungen, nicht nur in der Sprache, ist der Mensch frei. Freiheit bedeutet auch Freiheit von Gesetzen und Regeln. Alle Wissenschaften von den Tätigkeiten und Lebensäußerungen des Menschen haben seiner Freiheit Rechnung zu tragen. Die Systematisierung ihres Gegenstandsbereichs hört da auf, wo er nicht mehr systematisch ist. Widerspruchsfreiheit der Theorie ist unmöglich, wenn der Gegenstandsbereich selbst Widersprüche enthält.6 Deshalb sind linguistische Theorien nicht – unter Wahrung ihrer Objektivität – restlos formalisierbar.
3. Obwohl Sprecher und Hörer in der Sprachtätigkeit frei sind, haben sie doch einen erstaunlich hohen Erfolg in ihrem Bemühen, Bedeutungen gemeinsam zu schaffen, d.h. das Ziel zu erreichen, daß der eine dieselben Bedeutungen erzeugt wie der andere. Dieses Ziel kann nicht quasi automatisch, algorithmisch erreicht werden, denn erstens ist der beiden gemeinsame Code, wie schon gesagt, nicht vollständig systematisch und geregelt, und zweitens genügt der Code nicht zur gemeinsamen Erzeugung von Sinn, zur Verständigung also. Zahlreiche mit Sprache verzahnte oder außersprachliche Faktoren, von denen später die Rede sein wird, beeinflussen unsere Verständigung. Einen anderen verstehen bedeutet folglich mehr, als die von ihm übermittelten Signale nach dem Code zu entschlüssen, nach dem er sie verschlüsselt hat. Verstehen beruht auf einem zwischenmenschlichen Einverständnis, das immer schon vorausgesetzt ist. Die Grundlage davon ist die zwischenmenschliche Empathie.
Die Sprachwissenschaft hat keinen anderen Zugang zu ihrem Gegenstand, als ihn alle Sprecher und Hörer haben. Ebenso wie Sprecher und Hörer von ihrem eigenen Innern etwas zu dem Signal dazutun müssen, um sich mit seiner Hilfe zu verständigen, muß dies auch der Sprachwissenschaftler tun, der herausbekommen will, wie Sprecher und Hörer es schaffen, sich sprachlich zu verständigen. Sprachwissenschaft ist somit auch eine verstehende Wissenschaft. Die Sprachtheorie hat folglich neben ihrer empirischen und logischen auch eine hermeneutische Komponente.
Einzelne linguistische Forschungen fokussieren oft nur einen oder zwei dieser Zugänge. Korpus- oder Neurolinguistik nimmt typischerweise überwiegend den empirischen, formale Linguistik nimmt den logischen, und Konversationsanalyse nimmt den hermeneutischen Zugang. In der wissenschaftlichen Arbeit ergänzen diese Zugänge einander. Eine vollständige Sprachtheorie muß sie freilich alle berücksichtigen.
In Klammern sei hier angemerkt, daß wegen dieses dreifachen Charakters der Sprachwissenschaft der perfekte Sprachwissenschaftler Fähigkeiten auf empirischem, logischem und hermeneutischem Gebiet haben muß. Wenn wir gelegentlich mit Ergebnissen linguistischen Bemühens unzufrieden sind, so kann das daran liegen, daß sie zwar unter einem oder zweien der drei Gesichtspunkte sauber erarbeitet, jedoch unter dem dritten Gesichtspunkt defizient sind. Daß eine linguistische Arbeit logisch in Ordnung, jedoch empirisch unbedarft sein kann und umgekehrt, ist jedem Linguisten geläufig. Ein Fall, der ebenfalls nicht selten vorkommt, jedoch meist nicht als solcher diagnostiziert wird, ist der folgende: Ein linguistisches Ergebnis ist sowohl empirisch als auch logisch einwandfrei und dennoch nicht plausibel. Es widerspricht unserer Intuition; wir haben den Eindruck, der Autor habe nicht erfaßt, worum es in dem Gegenstandsbereich "eigentlich" gehe. Eine solche Arbeit ist hermeneutisch defizient.
Oben war gesagt worden, die Verknüpfungen, die eine empirische Theorie herstelle, könnten kausaler Natur sein, und dann ließen sich kausale Erklärungen aus ihr ableiten. Die kausale Erklärung eines Phänomens setzt voraus, daß es ursächlich durch andere Phänomene determiniert ist. Die Sprachtätigkeit ist aber frei; ihre Phänomene sind nicht ursächlich determiniert und folglich nicht kausal erklärbar. Im Bereich dessen, was sprachliche Substanz genannt worden ist (L. Hjemlslev), gibt es kausale Zusammenhänge. Soweit die Weise, in der wir uns sprachlich verständigen, durch das akustische Medium beeinflußt ist (s. Kap. 3), ist sie durch etwas beschränkt und motiviert, was unserem freien Willen entzogen ist. Insoweit sind also kausale Erklärungen möglich. In allem aber, was die sprachliche Form und also den Kern der Sprache angeht, herrscht Freiheit. Dort gibt es also keine kausalen Erkärungen.
Sprachtätigkeit ist auf ein Ziel gerichtet, eben auf das Ziel der Verständigung. Ein Phänomen im Hinblick auf das Ziel, dem es untergeordnet ist, zu beschreiben und zu erklären, heißt, eine finalistische oder teleonomische Beschreibung bzw. Erklärung geben. Die Beschreibungen und Erklärungen, die sich aus einer Sprachtheorie ableiten lassen, sind also finalistischer Natur (Näheres anderswo).
Eine Sprachtheorie muß Aussagen auf drei Ebenen machen:
Die Ausfüllung der ersten Ebene erfordert eine Einbeziehung der sogenannten Bindestrich-Disziplinen, die der zweiten eine sowohl sprachphilosophische als auch semiotische Perspektive, die der dritten Ebene linguistische Analyse zahlreicher Sprachen.
Man hat eine Streitfrage aus der Frage gemacht, welche Wissenschaft eigentlich für die Aufstellung von Sprachtheorien zuständig ist bzw. in welche Disziplin die Subdisziplin 'Sprachtheorie' fällt. Man hat behauptet (E. Coseriu, W. Oesterreicher), die zuständige Disziplin sei nicht die Sprachwissenschaft, sondern die Sprachphilosophie. Diese Auffassung läßt sich verhältnismäßig leicht widerlegen. Was für eine Art von Wissenschaft die Philosophie sei, brauchen wir dazu nicht zu klären; es genügt festzustellen, daß sie keine empirische Wissenschaft ist. Eine Sprachtheorie ist jedoch, gemäß dem zuvor Gesagten, eine empirische Theorie. Mithin kann die Sprachphilosophie nur Beiträge zur Sprachtheorie leisten, nämlich vermutlich logische und allenfalls hermeneutische. Alles jedoch, was an der Sprachtheorie empirisch ist, muß von empirischen Wissenschaften beigesteuert werden.
Ebenso falsch wäre es aber, wollte man mit dem Geschäft der Sprachtheorie ausschließlich die Sprachwissenschaft betrauen. In einer ganzen Reihe von Wissenschaften wird Sprachforschung betrieben, wobei unterschiedliches Schwergewicht auf den empirischen, den logischen und den hermeneutischen Aspekt dieser Tätigkeit gelegt wird. Die Phonetik zum Beispiel konzentriert sich auf die Gewinnung empirischer Erkenntnisse über Sprache. Die Theorie der formalen Sprachen widmet sich vor allem dem logischen Aspekt des Gegenstandes. Die Philologie rückt der Sprache auf hermeneutischem Wege zu Leibe. Da Sprachwissenschaft gemäß dem zuvor Gesagten sowohl empirisch als auch logisch als auch hermeneutisch vorgehen muß, könnte sie theoretisch all diese Gesichtspunkte hinreichend berücksichtigen und somit eine allseits zufriedenstellende Sprachtheorie in Alleinarbeit erstellen. Dazu wäre es aber nötig, daß Sprachwissenschaft die genannten Wissenschaften und noch einige mehr inkorporierte. Das entspricht nicht der Arbeitsteilung unter den Wissenschaften. Deshalb bleibt es dabei, daß andere Wissenschaften ebenso wie die Sprachwissenschaft zum Geschäft der Sprachtheorie beizutragen haben. Wenn die jeweils von ihnen beigesteuerten Theorien dem obigen Erfordernis der Fruchtbarkeit genügen, können sie in eine Gesamttheorie integriert werden.
Um das Bild abzurunden, sollen neben den schon genannten eine Anzahl weiterer einschlägiger Wissenschaften erwähnt werden. Welche das sind, sollte sich durch weitere Entfaltung unseres Sprachbegriffs ergeben. Versuchen wir es also auf diese Weise (vgl. auch die graphische Überblicksdarstellung).
Sprache ist eine menschliche Tätigkeit. Zuständig für den Menschen als ein handelndes Leib-Seele-Wesen ist die Anthropologie. Wenn es ein hierarchisches Wissenschaftsgebäude gäbe derart, daß eine Wissenschaft eine andere inkludieren oder ihr übergeordnet sein könnte,8 so wäre unter allen Wissenschaften die Anthropologie diejenige, in die die Sprachwissenschaft noch am ehesten zu inkludieren bzw. der sie unterzuordnen wäre. In diesem Sinne wäre eine Sprachtheorie Teil einer umfassenden anthropologischen Theorie. Abgesehen davon, daß es ein solches Wissenschaftsgebäude nicht gibt, sind die tatsächlichen Beziehungen zwischen Anthropologie und Linguistik – aus hier nicht interessierenden wissenschaftsgeschichtlichen Gründen – nicht so eng, wie es von der vorausgesetzten wissenschaftstheoretischen Position zu fordern wäre. Immerhin gibt es einige anthropologischen Theorien wie die von A. Gehlen (1961), die den Anschluß einer Sprachtheorie begünstigen.
Sprache ist das Schaffen von Bedeutungen. Bedeutungen sind, wie gesagt, mentale Entitäten. Folglich ist hier die Psychologie zuständig. Sie steuert zur Sprachtheorie nicht nur Erkenntnisse über die Natur von Bedeutungen bei, sondern auch Erkenntnisse über die psychischen Vorgänge, die im Sprecher und Hörer ablaufen. Soweit eine Sprachtheorie mit Redeerzeugung und Redeverstehen zu tun hat, ist sie eine psychologische Sprachtheorie. Das Buch von C. Knobloch (1984) ist hier zu erwähnen.
Es gibt, besonders in der Generativen Grammatik, auch die Auffassung, Linguistik sei ein Zweig der Psychologie, nämlich der Denkpsychologie (Chomsky 1972: 1), und jegliche Sprachtheorie sei mithin eine psychologische Theorie. Kennzeichnend für diese falsche Lehre ist die Ausklammerung der sozialen Dimension der Sprache. Im besonderen Falle der Generativen Grammatik ist es paradoxerweise so, daß dieses Verhältnis von Linguistik und Psychologie zwar behauptet wird, daß aber die von der Generativen Transformationsgrammatik tatsächlich vorgebrachten linguistischen Theorien keinen Anschluß an psychologische Theorien haben, so wie Psychologen sie verstehen (vgl. Knobloch 1984).
Sprache ist eine interpersonale Tätigkeit. Unter diesem Aspekt ist sie Gegenstand der Soziologie. Die Beiträge der Soziologie zur Sprachtheorie betreffen einerseits die soziale Dimension der Sprechsituation, also die Beziehung zwischen Sprecher und Hörer, andererseits aber auch den sozialen Aufbau der gesamten sprechenden Gemeinschaft, soweit er sich in ihrer Sprachtätigkeit niederschlägt. Sprache ist das sozialpsychologische Phänomen par excellence. Unter dem Gesichtspunkt ihrer Beiträge zur Sprachtheorie bilden daher Psychologie auf der einen, Soziologie auf der anderen Seite und Linguistik in der Mitte eine eng zusammengehörige Trias von Wissenschaften.
Interindividuell verfügbare Bedeutungen sind natürlich Bedeutungen von Zeichen. Mit den Sprachzeichen befaßt sich auch die Wissenschaft, die sich mit allen Zeichen befaßt, die Semiotik. Der semiotische Beitrag zur Sprachtheorie ist eine Klärung des Begriffs des Sprachzeichens auf dem Hintergrund eines allgemeinen Zeichenbegriffs und die Explikation der Eigenschaften, die ein jegliches Zeichensystem zu seinem Funktionieren braucht. F. de Saussure (1916) hatte sich wegen dieser begrifflichen Verhältnisse vorgestellt, die Linguistik sei ein Teil der Semiotik. Das setzt jedoch die Sicht der Sprache als eines Zeichensystems voraus, die, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, verkürzt ist.
Im Zentrum aller Wissenschaften steht letztlich der Mensch. Sprache ist ein so hervorragendes Kennzeichen des Menschen, daß man ihn auch das sprechende Wesen genannt hat. Aus diesem Grunde ist es nicht zu verwundern, daß die Wissenschaft von der Sprache Berührungspunkte mit so vielen anderen Wissenschaften hat. Es wäre müßig, die Aufzählung der Wissenschaften, die zur Sprachtheorie beitragen, zu verlängern. Kommen wir nun vielmehr zu der Frage, welche Stellung die Sprachtheorie innerhalb der Sprachwissenschaft hat.
Es ist bekannt, daß wo die Wörter fehlen, gelegentlich auch die zugehörigen Begriffe fehlen. Mehrere Sprachen weisen eine spezifische, gerade der linguistischen Begriffsbildung besonders abträgliche Ausdrucksarmut auf, indem sie nicht zwischen 'sprachlich', d.h. 'auf Sprache bezogen', und 'linguistisch', d.h. 'auf Linguistik bezogen', unterscheiden (Elementares hierzu anderswo). Das gilt zum Beispiel für das Englische, wo beides linguistic heißt. Zu einer Kette von in diesem Zusammenhang unglücklichen Umständen gehört ferner, daß man auf englisch statt theory of language meist linguistic theory sagt und daß die anglophone linguistische Begrifflichkeit weite Bereiche des linguistischen Denkens dominiert. Die Folge ist, daß die begriffliche Stellung von Sprachtheorie innerhalb der Linguistik noch unklarer ist also so manches andere in dieser Wissenschaft. Wegen der erwähnten Zweideutigkeit kann linguistic theory sowohl "auf Sprache bezogene Theorie", also "Sprachtheorie", als auch "linguistische Theorie" bedeuten. Der Begriff 'linguistische Theorie' wiederum umfaßt jegliche von Linguisten gemachte Theorie; auf einige davon werden wir sogleich zurückkommen. Hier ist zunächst festzuhalten, daß, wenn eine Arbeit von linguistic theory oder von théorie linguistique handelt, es noch lange keine sprachtheoretische Abhandlung zu sein braucht; und daß man umgekehrt, will man Sprachtheorie ins Englische oder Französische übersetzen, theory of language bzw. théorie du langage sagen sollte, um Mißverständnisse zu vermeiden.
Das logische Verhältnis der verschiedenen Arten von Theorien, die in einer gegebenen Wissenschaft relevant sind, ist ein Problem der Wissenschaftstheorie. Für die Verhältnisse in der Sprachwissenschaft liegt ein Vorschlag von H.-H. Lieb (1970; aufgegriffen in Oesterreicher 1979, Kap. 2, und Bartsch & Vennemann 1982, Kap. 1) vor, wonach wir für eine gegebene Wissenschaft W auf der obersten hierarchischen Ebene zwei Theorien zu unterscheiden haben, und zwar nach ihrem Gegenstandsbereich. Auf der einen Seite haben wir die Theorie, deren Gegenstandsbereich gleich dem Gegenstandsbereich von W ist. Im Falle der Sprachwissenschaft ist das die Sprachtheorie. Auf der anderen Seite haben wir die Theorie, deren Gegenstandsbereich W ist. Im Falle der Sprachwissenschaft ist das die Theorie der Sprachwissenschaft.
Die gesamte Methodologie von W ist nun Gegenstand der Theorie von W. Hier werden zwei große Bereiche unterschieden. Auf der einen Seite haben wir die Gesamtheit der Methoden, mit denen der Gegenstandsbereich von W zu erforschen ist; nennen wir sie die Methodik von W. Auf der anderen Seite haben wir die Gesamtheit der Verfahren, mit denen W ihren Gegenstandsbereich darstellt und beschreibt; nennen wir sie die Beschreibungsverfahren. Die Theorien dieser beiden Gegenstandsbereiche, d.h. die beiden Teiltheorien der Theorie von W, sind demnach die Methodenlehre von W und die Theorie der Beschreibungsverfahren von W. Die beiden Hauptteile der Theorie der Sprachwissenschaft sind entsprechend die Theorie der Spracherforschung oder auch die sprachwissenschaftliche Methodenlehre und die Theorie der linguistischen Beschreibungsverfahren oder auch Theorie der Sprachbeschreibung. Ein wesentlicher Teil der letzteren ist die Grammatiktheorie; das ist die Theorie von der Form einer Grammatik, also davon, wie Grammatiken abzufassen sind.
Dieses Jonglieren mit Theorien, die es zum größten Teil gar nicht gibt, in abstrakten wissenschaftstheoretischen Höhen, wo die Luft schon ziemlich dünn wird, mag manchem als l'art pour l'art erscheinen. Tatsächlich werden hier jedoch Entscheidungen gefällt, die handfeste Konsequenzen haben und einem Teil der linguistischen Praxis diametral zuwiderlaufen. Am brisantesten ist sicher die Auffassung, daß Sprachtheorie und Grammatiktheorie zwei völlig verschiedene Dinge sind. Sie sind nicht einmal zwei Aspekte derselben Sache, sondern stehen in zwei verschiedenen Zusammenhängen auf verschiedenen hierarchischen Stufen. Dabei ist natürlich vorausgesetzt, daß Sprache und Grammatik in demselben Sinne verschieden sind. Sprache ist eine menschliche Tätigkeit; Grammatik ist die wissenschaftliche Beschreibung eines Aspekts dieser Tätigkeit.
In der Theorie der Sprachwissenschaft, die von der Generativen Transformationsgrammatik verbreitet worden ist, ist das völlig anders. Das, was der Muttersprachler in seinem Kopf hat und in der Sprachtätigkeit aktiviert, und das, was der Linguist beschreibt, heißt beides 'Grammatik'. Das heißt: abgesehen davon, daß hier der Objektbereich auf den grammatischen Bereich eingeengt wird, was uns im Augenblick nicht beschäftigt, werden auch der Gegenstand und seine wissenschaftliche Beschreibung ausdrücklich identifiziert (mehr dazu unten). Sprache hinwiederum erscheint in diversen Publikationen N. Chomskys (1980: 82f.) als ein "Epiphänomen" am Rande der Grammatik. Soweit es hier überhaupt eine Sprachtheorie gibt, wird sie mit der Grammatiktheorie identifiziert. Einen Zweig, der der linguistischen Methodenlehre in unserem Schema entspräche, gibt es in der Generativen Transformationsgrammatik überhaupt nicht. Wir brauchen an dieser Stelle nicht in eine Kritik der Auffassung der Generativen Transformationsgrammatik einzutreten. Es genügt zu sehen, daß die Perspektive dort eine völlig andere ist und daß gewisse zentrale Termini eine ganz andere Bedeutung als die hier beobachtete haben.
Andererseits ist die hier bevorzugte Einteilung bei näherem Hinsehen auch nicht ganz unproblematisch, und zwar zum Teil durchaus aus denselben Gründen, die in der Generativen Transformationsgrammatik zu einer Identifikation des Objekts mit seiner Beschreibung geführt haben. In jeder anderen Wissenschaft außer der Linguistik erschiene diese Identifikation mit Recht absurd. Das Planetensystem ist klärlich ein Gegenstand ganz anderer Art als Keplers Theorie des Planetensystems. Nur in der Sprachwissenschaft (und den anderen Disziplinen wie Sprachphilosophie, deren Gegenstand die Sprache ist) liegt der logisch komplizierte Fall vor, daß die Beschreibung des Gegenstands ein Objekt derselben Art ist wie der Gegenstand selbst, nämlich ein sprachliches Objekt. Wir können Sprache immer nur wieder durch Sprache beschreiben.
Logisch läßt sich das Problem lösen, indem man zwei Ebenen unterscheidet, die Ebene der Objektsprache und die der Metasprache. Die Objektsprache ist dabei die Sprache, die Gegenstand der Beschreibung ist; die Metasprache ist die Sprache, in der wir uns auf eine Sprache als Gegenstand beziehen und sie etwa beschreiben. Bei einer auf deutsch abgefaßten englischen Grammatik ist also Englisch die Objektsprache und Deutsch die Metasprache. Das ist soweit völlig klar. Für die Sprachwissenschaft bleibt allerdings das Problem, daß man die Metasprache verstehen muß, um die Beschreibung verstehen zu können. Daß in unserem Beispiel Objektsprache und Metasprache zwei verschiedene natürliche Sprachen sind, tut dabei nichts zur Sache (es könnte auch dieselbe sein); entscheidend ist, daß zum Verständnis der Beschreibung Kenntnisse eben derselben Art vorausgesetzt werden, wie sie gerade beschrieben, also doch explizit gemacht werden sollen, nämlich Sprachkenntnisse.
Für Beschreibungen und Theorien aller Wissenschaften gilt, wie oben gesagt, daß sie völlig explizit sein müssen, d.h. nichts dem verstehenden Entgegenkommen des Lesers bzw. Rezipienten überlassen dürfen. Wenn eine Theorie oder Beschreibung formalisiert, d.h. in einer formalen Sprache abgefaßt ist, ist diese Forderung in gewissem Sinne erfüllt. Denn die formale Sprache ist mit allen ihren Elementen und Regeln zwischen den sie benutzenden Wissenschaftlern vollständig verabredet; Unklarheiten oder Mißverständnisse sind also nicht möglich.
Könnte man das der Sprachwissenschaft durch das Verhältnis von Objekt- und Metasprache aufgegebene Problem also dadurch lösen, daß man linguistische Beschreibungen und Theorien formalisiert? Wir haben zuvor schon gesehen, daß vollständige Formalisierung in der Linguistik nicht erreichbar ist, weil die Exaktheit der Metasprache an der Vagheit und Widersprüchlichkeit der Objektsprache abprallt. Im gegenwärtigen Zusammenhang ist das Problem jedoch ein ganz anderes: Ist, wenn wir in der Wissenschaft eine Metasprache in allen ihren Teilen restlos verabreden, wirklich gewährleistet, daß in ihr abgefaßte Theorien und Beschreibungen des entgegenkommenden Verstehens des Rezipienten nicht mehr bedürfen? Die Antwort lautet offensichtlich: nein. Denn um die Metasprache zu verabreden, mußten wir ja eine Sprache benutzen und somit an die Sprachkenntnis unserer Kollegen sowie ihr Verständnis appellieren. Diese Sprachkenntnis und dieses Verständnis müssen die Wissenschaftler immer wieder aktivieren, wenn sie Texte, die in der formalen Metasprache abgefaßt sind, interpretieren wollen. Dieses Problem ist selbstverständlich in allen Wissenschaften dasselbe. Nur sind die anderen Wissenschaften in der Lage, daß sie ihren Gegenstand unabhängig von jeglicher sprachlicher Fassung beobachten können. Die Linguisten dagegen haben, als hermeneutische Wissenschaftler, ihren Gegenstand in eben derselben Weise zu interpretieren, wie sie auch Theorien darüber interpretieren.
Der Versuch, eine Metasprache zu verabreden, führt also mindestens in der Linguistik zu einem infiniten Regreß; wir kommen nicht aus der Sprache heraus. Wenn das aber so ist, ist es vielleicht am realistischsten, wenn man linguistischen Theorien und Beschreibungen gleich den Status von Paraphrasen zuschreibt – und nichts als Paraphrasen. Schon der Semiotiker Ch. Morris nannte 1948 seinen Aufsatz über die Metasprache "Signs about signs about signs" (vgl. zur theoretischen Grundlegung auch Jakobson 1959: 261). Die Paraphrase appelliert ebenso wie das Paraphrasierte an das Verständnis des Empfängers. Allerdings macht sie den Empfänger zusätzlich darauf aufmerksam, daß eine Paraphrasenrelation intendiert ist, d.h. daß er sich auf die synonymen Aspekte von Paraphrase und Paraphrasiertem konzentrieren soll, und läßt ihn so beides präziser verstehen und im günstigsten Falle neue Aspekte in dem Paraphrasierten entdecken.
Das Gesagte ist ein Argument, aufgrund dessen man zu der Auffassung gelangen kann, das Objekt der Sprachwissenschaft und seine Beschreibung seien nichts Wesensverschiedenes. Ein völlig anderes Argument führt zu demselben Ergebnis. Bevor wir dieses prüfen, müssen wir allerdings den Begriff der Idealisierung einführen.
1. Der Gegenstandsbereich einer Wissenschaft wird nicht einfach durch vorwissenschaftliche Erfahrung vorgefunden. Vielmehr wird er von der Wissenschaft bzw. von einer Strömung oder Theorie einer Wissenschaft definiert. Dazu gehört insbesondere, daß diese sich den Gegenstand gegenüber der Fülle und Komplexität der Phänomene vereinfacht. Der Wissenschaftler sieht von bestimmten Eigenschaften des Gegenstandes bewußt ab, tut also für die Zwecke seiner Theorie so, als hätte der Gegenstand solche Eigenschaften nicht. Z.B. gilt Galileis Fallgesetz für den Fall im luftleeren Raum; jeglicher tatsächlich beobachtbare Fall findet aber nicht im luftleeren Raum statt. D.h. die Theorie handelt von nichts, was es wirklich gibt. Das wird nicht als fatales Manko der Theorie angesehen, solange sie dennoch fruchtbar ist.
Viele linguistische Theorien sehen davon ab, daß jegliche Sprache synchron in allen möglichen Dimensionen variiert und daß sie sich diachron wandelt. Solche Theorien sehen von wesentlichen Eigenschaften menschlicher Sprache ab. Ob sie dennoch fruchtbar sein können, bestimmt sich offensichtlich nach den Erkenntnisinteressen der Benutzer der Theorie. Eine Idealisierung eines Gegenstandsbereichs ist eine Vereinfachung derart, daß von bestimmten seiner Eigenschaften der Einfachheit halber abgesehen wird. Im Gegensatz zu einer Abstraktion ist eine Idealisierung nicht eine Verallgemeinerung über Details, sondern eine Ausklammerung von Aspekten, die möglicherweise wesentlich sind (Weiteres anderswo). Methodologisch betrachtet, repräsentiert eine Idealisierung eine Entwicklungsstufe der Theoriebildung, die langfristig durch eine umfassende Theorie überwunden werden muß.
2. Der Begriff des Modells ist von dem der Theorie nicht sehr weit entfernt. Die verschiedenen Modellbegriffe haben gemeinsam, daß ein Modell jedenfalls eine idealisierte Repräsentation eines bestimmten Gegenstandsbereichs ist (vgl. Rinke 1979:31). Man kann das Modell zwischen Theorie und Gegenstandsbereich ansiedeln. Von der Theorie aus gesehen, vertritt es dann den Gegenstandsbereich; vom Gegenstandsbereich aus gesehen, vertritt es die Theorie. Die erstere Sicht des Modells ist in den Wissenschaften, die über formale Theorien verfügen, geläufig, während in Wissenschaften wie der Linguistik der letztere Begriff gängig ist. Gegeben den verhältnismäßig niedrigen Stand theoretischer Vervollkommnung in diesen Wissenschaften, ist es eine zweitrangige Frage, ob wir einen gegebenen Gegenstandsbereich in einem Modell repräsentieren oder eine Anschauung von ihm formulieren, die wir Theorie nennen.
Der Modellbegriff enthält allerdings einen zusätzlichen Aspekt, auf den es in unserem Zusammenhang ankommt: Das Modell soll dem repräsentierten Gegenstandsbereich isomorph sein, soll ihn also abbilden. Das Bohrsche Atommodell und das Doppelhelixmodell von Watson und Crick sind klare Beispiele dafür, daß die Wissenschaft die Struktur eines für das unbewaffnete Auge nicht wahrnehmbaren Gegenstandes dadurch allseitiger Betrachtung zugänglich macht, daß sie eine vergrößerte und idealisierte Replik, eben ein Modell von ihm, erstellt, dessen Struktur der des repräsentierten Gegenstands analog ist. Dieser Aspekt des Modellbegriffs ist im Grunde eine Verschärfung und Konkretisierung einer unserer Forderungen an eine Theorie, nämlich daß sie ihrem Gegenstandsbereich angemessen sei.
Übertragen wir diesen Gedanken auf die Linguistik, so besagt er, daß die Beschreibung oder Theorie des Linguisten von der Sprache ein Modell der Sprache ist. Als solches ist sie der Sprache isomorph, d.h. sie ist eine – gewöhnlich idealisierte – Kopie der Sprache in allen ihren Bestandteilen, nur mit dem Unterschied, daß man diese Kopie sozusagen von außen betrachten kann. Wenn man also auf den Unterschied zwischen Theorie und Modell verzichtet, kann man zu der Auffassung gelangen, daß die Wissenschaft in ihrer Theorie den Gegenstandsbereich nachkonstruiert, eine Kopie von ihm anfertigt, daß also die wissenschaftliche Theorie bzw. das Modell und der wiedergegebene Objektbereich wesentlich identisch sind. Diese Auffassung wird vermutlich noch gefördert durch den zuvor geschilderten Umstand, daß die Sprachtheorie ebenso wie ihr Gegenstand ein sprachliches Objekt ist, daß also die Theorie und ihr Gegenstand Objekte derselben Art sind.
Der Leser wird bemerkt haben, daß ich, um diesen Argumenten Plausibilität zu verleihen, die Präzision gelegentlich etwas vernachlässigen mußte. Daß zwei Gegenstände von derselben Art sind oder daß der eine eine Kopie des anderen ist, besagt natürlich in Wahrheit nicht, daß die beiden identisch sind. Insofern ist die in der Generativen Transformationsgrammatik propagierte Identifikation des Produkts der linguistischen Arbeit mit der Sprachfähigkeit des Muttersprachlers durch die beiden Argumente nicht gerechtfertigt, und sie ist meines Erachtens durch nichts zu rechtfertigen. Zudem ist eine wissenschaftliche Beschreibung eines Gegenstandsbereichs auch nicht einfach eine sprachliche Abbildung. Aufgabe der Wissenschaft ist es ja, die Phänomene auf den Begriff zu bringen und Prinzipien für die beobachtbare Variation anzugeben (mehr dazu anderswo).
Dennoch zeigen beide Argumente, daß gerade im Falle der Sprachwissenschaft der Gegenstand und seine Beschreibung schwieriger auseinanderzuhalten sind als in anderen Wissenschaften. Vielleicht findet sich in keiner anderen Wissenschaft so häufig der Vorwurf, ein Kollege habe Eigenschaften seiner Konstrukte mit Eigenschaften der Sache verwechselt und biete Feststellungen über sein linguistisches Modell als Erkenntnisse über die Sprache an.7
Das Fazit dieser Überlegungen ist, daß Sprachtheorie gegen andere Arten von in der Sprachwissenschaft relevanten Theorien abgegrenzt werden kann und muß. Der undifferenzierte Ausdruck 'linguistische Theorie' für alle diese Theorien verschleiert wesentliche Unterschiede. Unter allen Theorien, die in und über Sprachwissenschaft gemacht werden können, hat als einzige die Sprachtheorie die Sprache zum Gegenstand. Da die Sprache nur in Form von Sprachen vorkommt, ist es ebenso richtig zu sagen, die Sprachtheorie habe die Klasse aller Sprachen zum Gegenstand.
Rein wissenschaftstheoretisch betrachtet, leuchtet auch die Notwendigkeit ein, die Sprachtheorie von der Theorie der Sprachbeschreibung zu unterscheiden, denn das Objekt ist nicht gleich seiner Beschreibung. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß das Bemühen des Wissenschaftlers gerade darin bestehen kann, seine Beschreibung, in Form eines Modells, dem beschriebenen Gegenstand möglichst ähnlich zu machen, und daß Aussagen über theoretische Konstrukte oft de facto nicht zu unterscheiden sind von Aussagen über den Gegenstand selbst. Ich nehme daher nicht für mich in Anspruch, daß mir der Fehler, in einer Abhandlung über Sprachtheorie Aussagen über Sprachbeschreibung zu machen, niemals unterläuft.
1 In dieser Beziehung gilt die konstruktivistische Wissenschaftstheorie; vgl. Maturana & Varela 1987.
2 Falsifizierbar zu sein ist also eine positive Eigenschaft einer Theorie! Es ist natürlich nicht dasselbe wie falsifiziert zu sein. Näheres hierzu anderswo.
3 In der Linguistik ist es u.a. Hans-Heinrich Lieb (Berlin), der sich um die Axiomatisierung seiner Theorien bemüht (z.B. Lieb 1984ff).
4 Die Begriffe 'formale Theorie' und 'logische Theorie' hängen also nicht notwendig (aber gelegentlich faktisch) voneinander ab.
5 Der Ausdruck interindividuell präjudiziert in Wahrheit nicht, daß die Individuen Menschen sind. Somit ist es kein Bestandteil des Definiens von ‘Sprache’, daß sie auf Menschen bezogen sei. Wie wir an anderem Orte sehen werden, ist das aber de facto so. Deswegen kann es nichts schaden, wenn hier von Menschen die Rede ist und wenn gelegentlich (etwas schlanker) interpersonal statt interindividuell gesagt wird.
6 Bereits ein ungrammatischer Satz in einem Korpus führt zu inkonsistenten Daten. Ein sprachlicher Prozeß, der einem allgemeinen Prinzip über Prozesse dieser Art zuwiderläuft, so wie etwa die wenigen Fälle von Degrammatikalisierung der Unumkehrbarkeit von Grammatikalisierung zuwiderlaufen, führt Inkonsistenz auf einer höheren Ebene, nämlich der des Sprachsystems, ein. Über solche Verhältnisse im Gegenstandsbereich lassen sich keine Gesetzesaussagen machen, die in einem logischen Kalkül ausdrückbar wären. Mehr dazu auf der Seite über Ausnahmen.
7 Vgl. z.B. Coserius (1974) Begriff der linguistischen Universalien (i.Ggs.z. den sprachlichen Universalien).
8 Dies gilt in erster Linie für das Verhältnis zwischen den Wissenschaften so, wie sie sich als Ordnungseinheiten akademischer Einrichtungen manifestieren. Es gilt weniger für die Untergliederung einer einzelnen Wissenschaft; da gibt es sehr wohl allgemein anerkannte Hierarchien.
9 Im selben Sinne sagt H. Paul (1909IV: 5): "Man befindet sich in einer Selbsttäuschung, wenn man meint, das einfachste historische Faktum ohne eine Zutat von Spekulation konstatieren zu können."