Inchoativ bedeutet wörtlich "auf den Anfang bezogen", von lat. inchoare "anfangen". Ein inchoatives Verb ist ein von einer statischen Basis abgeleitetes Verb, das einen Vorgang bezeichnet. Die Basis ist üblicherweise ein Adjektiv. Deutsche Beispiele sind grünen von grün und altern von alt.

Der Begriff wurde ursprünglich für die lateinische Grammatik geprägt. Die lateinische Derivationsmorphologie unterscheidet zwischen Zustands- und Vorgangsverben von einer adjektivischen Basis. Beispiele:

BasisBedeutungZustandsverbBedeutunginchoatives VerbBedeutung
albusweißalbereweiß seinalbescereweiß werden
(timidus *ängstlich)timerefürchtenextimescerein Furcht geraten

(* timidus ist nicht wirklich die Basis, sondern nur das statische Gegenstück zu timere.)

Die Ableitung mit dem Suffix -sc- ist die inchoative Ableitung. Wie man sieht, haben die Beispiele der traditionell so genannten Ableitung unterschiedliche Aktionsart (Grade der Dynamizität): albescere bezeichnet den Vorgang, der im Übergang von einem nicht-weißen in einen weißen Zustand besteht, ist also durativ-terminativ. Extimescere dagegen bezeichnet den Übergang in den Zustand des Fürchtens, ist also ingressiv. Die ingressive Komponente wird durch das Präverb ex- beigetragen; timescere für sich gibt es gar nicht.

Während Latein diese feinsinnigen semantischen Unterscheidungen morphologisch gar nicht durchhalten kann, haben andere Sprachen wie Deutsch von vornherein weniger Derivationsprozesse in diesem Bereich. Neben der lateinischen Trias 'Eigenschaft - Zustand - Vorgang', wie in albus - albere - albescere, steht das deutsche Paar 'Eigenschaft/Zustand - Vorgang', wie in grün - grünen, altaltern. Verben wie altern bedeuten nicht "anfangen, alt zu sein", sondern "alt werden, d.h. vom jungen in den alten Zustand übergehen". Und dasselbe gilt für lat. senescere (nicht jedoch für extimescere: das bedeutet wirklich "anfangen zu fürchten"; aber das liegt an dem ex-). M.a.W., der Terminus inchoativ ist irreführend: Wörtlich genommen, bezeichnet er dasselbe wie ingressiv, eben das Eintreten einer Situation. Aber die traditionell so genannten Verben bedeuten das nicht.

Deshalb werden Vorgangsverben auf der Basis einer Eigenschafts- oder Zustandsbezeichnung in der Sprachtypologie heute fientiv ("auf das Werden bezogen") genannt.