Die menschliche Sprache hat, wie aus der Diskussion des Begriffs hervorgeht, viele Facetten. Sie ist auch eine Tätigkeit, die allen Menschen gemeinsam ist und sie von den Tieren unterscheidet. Folglich kann man sie mit Methoden der Verhaltensforschung untersuchen und auch fragen, wie diese Tätigkeit sich in der Evolution herausgebildet hat. Zudem entspricht ihr eine menschliche Fähigkeit, nämlich die Fähigkeit, durch Zeichen die Welt zu erfassen und miteinander zu kommunizieren (d.i. Semiose). Diese hinwiederum hat eine physische Grundlage. Die Voraussetzungen liegen sowohl in der menschlichen Anatomie als auch der Ausgestaltung des Nervensystems. Soweit solche Eigenschaften angeboren sind, müssen sie in den Genen transportiert werden, und insoweit kann es sinnvoll sein, nach Sprachgenen zu suchen. Schließlich ist die Sprachkompetenz des Individuums in den neuralen Strukturen seines Gehirns verdrahtet, und während es sprachtätig ist, bilden sich besondere neurale Aktivitätsmuster. Sowohl die Strukturen als auch den Energiefluß kann man mit neurologischen Methoden untersuchen.

Durch die Kombination von linguistischen Gegenständen mit den Fragestellungen und Methoden anderer Disziplinen entstehen interdisziplinäre Forschungszweige wie die Biolinguistik, Neurolinguistik, Psycholinguistik, Soziolinguistik u.a.m., deren Stellung im wissenschaftlichen Umfeld der Linguistik anderswo dargestellt ist. Verschiedene Methoden können auf verschiedene Gegenstände angewandt werden. Trivialerweise kann man z.B. Ersatz- und Verschiebeproben mit Tokens sprachlicher Einheiten in Beispielsätzen machen, aber nicht mit Neuronen im Hirn. Und andererseits kann man mit einem EEG (Elektroenzephalogramm, einer graphischen Darstellung gemessener Hirnströme) ereigniskorrelierte Potentiale in Neuronen messen, man kann aber kein EEG von sprachlichen Einheiten und ihrer Distribution machen. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Methoden sind daher nicht leicht zu einem kohärenten Bild zusammenzufügen. Die genannten “Bindestrichdisziplinen” auf der einen Seite und die Systemlinguistik auf der anderen handeln zum erheblichen Teil nicht von denselben Gegenständen. Einerseits bereichert diese Vielfalt die Linguistik als Wissenschaft und ihre Erkenntnismöglichkeiten. Andererseits bleibt es eine Langfristaufgabe der Wissenschaft, all diese unabhängigen Ergebnisse doch zusammenzuführen. Am Beispiel gesprochen: Letzlich möchte man schon wissen, welche neuralen Muster dem kombinatorischen Potential einer sprachlichen Einheit entsprechen. Daß diese Frage derzeit und sicher auch noch ein paar Jahrzehnte keine Antwort haben wird, liegt möglicherweise nicht in der Natur der Sache, sondern an dem noch unterentwickelten Zustand unserer Wissenschaft.

Literatur

Lieberman 1984, Marquardt 1984.