Syntaktische Kategorien

Auf jeder Komplexitätsebene fallen die Einheiten in Kategorien.1 Zur Illustration werden im folgenden eine nominale Kategorie, nämlich das Nominalsyntagma (NS), und eine adverbiale Kategorie, nämlich das Adverbialsyntagma, herangezogen. Wie bereits bei der Darstellung der grammatischen Kategorien gesagt, sind diese teils semantisch (“notionell”), teils strukturell (distributionell) begründet. Die semantische Begründung ist sehr schwer explizit zu machen, weil die betreffenden Begriffe sehr abstrakt sind. Ausdrücke der Kategorie ‘Nominalsyntagma’ haben gemeinsam, daß sie auf etwas referieren können, was als Entität konzipiert (also ggf. hypostasiert) wird. Ausdrücke der Kategorie ‘Adverbialsyntagma’ haben gemeinsam, daß sie (nicht auf eine Entität referieren, sondern) einen Gegenstand oder Begriff als Umstand einer Situation konzipieren und als Modifikation davon darstellen. Da solche Kategorien (notwendigerweise) so inhaltsleer sind, konzipiert man sie besser als prototypische Begriffe, indem man z.B. sagt:

Eine Einheit einer gegebenen grammatischen Ebene kann auch bloß durch eine einzige Einheit der nächstniedrigeren Ebene repräsentiert sein. Es ist insofern kein Widerspruch, wenn man sagt, das Substantiv Erna falle in die syntaktische Kategorie ‘Nominalsyntagma’.

Um auf der Basis solcher Prototypen syntaktische Klassen zu bilden, geht man im weiteren distributionell vor. Die Methode für die beiden in Rede stehenden Kategorien ist demnach wie folgt:

Damit sind wir bei der distributionellen Konzeption primärer grammatischer Kategorien. Die Methode wird anderswo detailliert vorgeführt. Hier wird sie nur in ganz verkürzter Weise für je einen Kontext, in dem die Syntagmen der beiden Kategorien vorkommen, illustriert. .a ist ein Satz, in dem ein Eigenname fungiert; und dieser ist vorab als Nominalsyntagma kategorisiert. Syntaktische Einheiten werden in eckige Klammern eingeschlossen, ihre Kategorie wird als Index an die schließende Klammer geschrieben. Die Substitutionsprobe (die vollständige Methode erfordert natürlich auch die Anwendung von Permutationsproben) erbringt, daß man in derselben Position nicht nur eine ganze Reihe weiterer Eigennamen, sondern auch mehr oder minder komplexe Nominalsyntagmen wie in .b und sogar einen ganzen Komplementsatz wie in #c einsetzen kann.

.a.Erna sah [ Erwin ]NS.
b.Erna sah [ einen großen dicken Mann mit einer Aktentasche ]NS.
c.Erna sah, [ daß Erwin eine große dicke Aktentasche trug ]NS.

Ein Vergleich von .a und b ergibt, daß es NSen mit einem nominalen Kern so wie in #b gibt, aber auch Syntagmen wie in #c, die ganz anders aufgebaut sind, jedoch dasselbe kombinatorische Potential (in bezug auf ihre Kontexte) wie ein einfaches NS haben. Da das Kriterium der Kategorisierung ein distributionelles ist, spielt das kombinatorische Potential dabei die Hauptrolle. Die interne Struktur der so kategorisierten Syntagmen gibt sodann die Basis für eine Subkategorisierung ab.

Bei den Adverbialsyntagmen läuft es analog. .a ist ein Satz, in dem ein Modaladverb fungiert; und dieses ist vorab als Adverbialsyntagma kategorisiert.

.a.Erna studierte [ bedächtig ]AdvS.
b.Erna studierte [ mit Bedacht ]AdvS.
c.Erna studierte, [ indem sie einen Leistungspunkt auf den anderen häufte ]AdvS.

Substitutionsproben ergeben, daß man in der betreffenden Position nicht bloß Adverbien, sondern auch Präpositionalsyntagmen wie in .b und sogar Adverbialsätze wie in #c einsetzen kann. Aus diesem Grunde werden sie alle als Adverbialsyntagmen kategorisiert. Auch hier gilt, daß ein AdvS um ein Adverb herum aufgebaut sein kann, aber nicht muß.

Konstruktionen

Eine Konstruktion ist eine signifikative Einheit mit innerer Struktur. Jede Konstruktion hat eine Position in dem aus Lexikon und Grammatik bestehenden signifikativen System. Wir betrachten zunächst die Position einer Konstruktion auf der waagerechten Achse des Schemas.

Taxonomie

Substantive wie Eifer, Vorsicht, Bedacht sind eine bestimmte Art abstrakter Substantive, die psychosomatische Dispositionen bezeichnen. Man kann für sie eine Kategorie Npsd ansetzen. Ein solches Substantiv kann als das nominale Komplement einer Präposition fungieren und so etwa mit der Präposition mit zu Syntagmen der Form mit Bedacht usw. kombiniert werden. Es gibt hier eine Konstruktion [ mit [ X ]Npsd ]PräpS,2 die ungefähr bedeutet “Y ist auf die durch X bezeichnete Weise psychosomatisch disponiert”. Y ist in der Konstruktion nicht kodiert, aber semantisch ist der Bezug auf Y vorgesehen.3 Er wird wirksam, wenn man einen solchen Ausdruck in einen Satz wie .b einbaut, wo Y = ‘Erna’.

Der Ausdruck mit Bedacht instantiiert also das Schema [ mit [ X ]Npsd ]PräpS. Dieses ist freilich auch nur eine Instanz von noch allgemeineren Schemata:

Wir können den Rest der Hierarchie abkürzen:

Eine Hierarchie, die durch die Relation ‘x ist ein y’ konstituiert ist, heißt Taxonomie (vgl. auch die entsprechende lexikalische Relation). Die besprochene Taxonomie hat folgende Form:

[Z]AdvS
[[Z]PräpS]AdvS
[[[ W ]Präp[ X ]NS]PräpS]AdvS
[[[ W ]Präp[ X ]Nn-ind]PräpS]AdvS
[[[ W ]Präp[ X ]Npsd]PräpS]AdvS
[[[ mit ]Präp[ X ]Npsd]PräpS]AdvS
[[[ mit ]Präp[ Bedacht ]Npsd]PräpS]AdvS

Die Konstruktion einer jeden Zeile verhält sich zu der Konstruktion der Zeile darunter wie das Schema zur Instanz. Die von unten nach oben führende Schematisierung betrifft freilich nicht nur die Struktur, sondern auch die Bedeutung. Die Konstruktion [ [ W ]Präp [ X ]Nn-ind ]PräpS (Z. 4) ist auch semantisch viel allgemeiner als die spezifische Konstruktion, von der wir ausgegangen waren. Wie man an Instanzen wie mit Zement, unter Druck, bei Regen sieht, involviert sie nicht notwendigerweise die Referenz auf ein Y. Je weiter man die Taxonomie hinaufsteigt, desto unspezifischer wird die Bedeutung der Konstruktionen. Dies hängt unmittelbar mit der anfangs dieser Seite gemachten Beobachtung zusammen, daß die Bedeutung einer syntaktischen Kategorie so abstrakt ist, daß man sie kaum angeben kann.

Am Fuß der Taxonomie stehen andererseits lexikalisch voll ausspezifizierte Konstruktionen wie mit Bedacht, die als ganze lexikalisiert sind. Eine solche Konstruktion nennt man Phraseologismus. Man kann also Konstruktionstaxonomien wie die obige auf die waagerechte Achse des signifikativen Systems projizieren, wobei der Fuß der Taxonomie der linke Pol des Systemschemas wird.

Meronymie

Jede der Wortformen in mit Bedacht ist unmittelbarer Bestandteil des PräpS mit Bedacht. Dieses hinwiederum bildet mit dem Verb in .b ein Verbalsyntagma, und dieses mit dem Subjekt zusammen einen Satz. Diese hierarchische Struktur des Satzes ist im folgenden dargestellt:

Erna studierte mit Bedacht.
Ernastudierte mit Bedacht
Ernastudiertemit Bedacht
ErnastudiertemitBedacht.

In seiner Eigenschaft, Bestandteil eines umfassenderen Syntagmasj zu sein, ist ein Syntagmai Konstituente von Syntagmaj. Man beachte, daß der Begriff der Konstituente den des Syntagmas voraussetzt. Syntagma kann nur sein, was einer grammatischen Kategorie angehört. In .b ist natürlich studierte mit kein Syntagma und deshalb auch keine Konstituente.

Konstituenzschemata wie das obige macht man normalerweise nicht für einzelne Ausdrücke oder Sätze, sondern für Syntagmen bestimmter Kategorien. Die verallgemeinerte Fassung ist die folgende:

S
NSVS
VfinPräpS
PräpNS
ErnastudiertemitBedacht.

S = Satz, Vfin = finites Verb, VS = Verbalsyntagma

Die Hierarchie der Konstituenz (meist in Form eines Baumdiagramms dargestellt) ist eine Teil-Ganzes-Hierarchie. Eine solche nennt man Meronymie (vgl. wiederum die entsprechende lexikalische Relation). An der Spitze der syntaktischen Meronymie steht die umfassendste grammatische Einheit, der Satz. An ihrem Fuß sind die nicht weiter teilbaren grammatischen Einheiten, also die Morpheme der diversen Klassen. Folglich kann man die grammatische Meronymie ebenfalls auf das signifikative System beziehen; man kann es nämlich ohne weitere Achsendrehung auf dessen vertikale Dimension projizieren.

Syntaktische Funktionen

Die Konstituenten einer Konstruktion werden durch ihre Funktion in der Konstruktion identifiziert, und diese wiederum folgt aus der Relation, die zwischen der Konstituente und dem Rest der Konstruktion besteht. Z.B. ist in .b das NS Bedacht Komplement der Präposition mit. Das PräpS mit Bedacht hinwiederum ist adverbiale Bestimmung zu dem Verb studierte. Und das VS studierte mit Bedacht ist das Prädikat des Satzes, zu dem Erna das Subjekt ist.

Hat man einmal die Konstituenten einer Konstruktion durch ihre Funktion identifiziert, so kann man die grammatischen Regeln formulieren, welche auf sie Bezug nehmen. Das betrifft z.B. die Rektion einer Präposition: mit regiert sein Komplement im (an Bedacht allerdings nicht erscheinenden) Dativ; studieren nimmt ein optionales direktes Objekt, und dieses steht, wenn es denn deklinierbar ist, im Akkusativ. Es betrifft auch die Kongruenz: das Verb studierte kongruiert mit seinem Subjekt in Person und Numerus.

Viele syntaktische Relationen, darunter alle auf dieser Seite behandelten, sind asymmetrisch in dem Sinne, daß ein Syntagma von einem anderen abhängt. Welches das übergeordnete und welches das abhängige Glied in einer binären Konstruktion ist, stellt man wie folgt fest: Die gesamte Konstruktion [X Y] hat ein bestimmtes kombinatorisches Potential. Wenn das dasselbe ist wie das kombinatorische Potential von X alleine, dann ist dieses das übergeordnete, Y dagegen das abhängige Glied in der Konstruktion. Am Beispiel illustriert: Die Konstruktion aus Adjektivattribut plus Bezugsnomen hat dieselbe Distribution wie das Bezugsnomen allein; z.B. hat eifrige Studentin dieselbe Distribution wie Studentin (nicht jedoch wie eifrige). Also ist das Bezugsnomen der Kern, das Attribut das abhängige Glied. Syntaktische Funktionen sind Funktionen abhängiger Glieder.

Man bemerke, daß eine syntaktische Funktion im definierten Sinne etwas anderes ist als eine sprachliche Funktion, wie sie im Abschnitt über Funktionen der Sprache eingeführt wurde. Im letzteren Zusammenhang ist eine Funktion ein Zweck im Rahmen einer teleonomischen Hierarchie. Hier jedoch ist eine Funktion lediglich die Eigenschaft, Relatum in einer syntagmatischen Relation zu sein.


1 Eine Kategorie ist die Intension einer Klasse. Die beiden Wörter unterscheiden sich im Gebrauch etwa wie folgt:
Klasse wird ausschließlich extensional gebraucht, also mit Bezug auf eine Menge, die eine Intension hat,
Kategorie wird manchmal extensional, also synonym mit Klasse, manchmal aber auch intensional, also mit Bezug auf den Begriff einer Klasse, gebraucht.

2 PräpS = Präpositionalsyntagma, d.i. ein Syntagma bestehend aus einer Präposition und einem von ihr abhängigen Nominalsyntagma.

3 Eifer, Vorsicht, Bedacht sind notwendigerweise jemandes Eifer, Vorsicht, Bedacht. Das ist derselbe Partizipant, der mit den entsprechenden abgeleiteten Adjektiven (eifrig, vorsichtig, bedächtig) als Bezugsnomen bzw. Subjekt erschiene.