Kommunikative Verpackung

Würde Sprache ausschließlich die kognitive Funktion erfüllen, dann würde sich die Satzbedeutung auf den propositionalen Gehalt reduzieren. Da sie aber gleichzeitig die kommunikative Funktion erfüllt, kommen andere Arten von Bedeutung hinzu. Eine davon sind die Illokutionen, eine weitere die Informationsstruktur. Sätze erhalten eine Informationsstruktur (auch: funktionelle Satzperspektive) dadurch, daß der Sprecher den derzeitigen Zustand des Redeuniversums, somit den Bewußtseinszustand seines Hörers einschätzt, daß er Annahmen darüber unterhält, was der Hörer weiß oder glaubt und was er noch nicht weiß oder nicht glaubt, und daß er seinerseits einige Dinge für selbstverständlich hält, während es ihm auf andere besonders ankommt. Diese Aspekte der Satzbedeutung haben mit dem übermittelten Inhalt, also dem propositionalen Gehalt, nichts zu tun; sie betrefen eher dessen “kommunikative Verpackung”.

.a.Ernas Hund hat mich gebissen.
b.Erna hat einen Hund; der hat mich gebissen.

So übermitteln .a und b denselben Sachverhalt; die Logiker sagen auch: die beiden Sätze unterliegen denselben Wahrheitsbedingungen.1 Aber die Situationen, in denen der Sprecher den einen oder den anderen äußert, sind verschieden: er wählt .a, wenn er annimmt, daß der Hörer schon weiß, daß Erna einen Hund hat, und er wählt #b, wenn er das nicht annimmt. Zur sprachlichen Kodierung dieses Unterschieds gehören u.a. die Genitivattribution in #a gegenüber der haben-Konstruktion in #b sowie die Definitheit des NSs, dessen Kern Hund ist, in #a gegenüber seiner Indefinitheit in #b.

Topic vs. comment

Der schrittweise Ausbau eines Redeuniversums geht, vereinfacht gesagt, so vonstatten, daß man nach und nach eine Menge von Referenten dort etabliert, diesen Eigenschaften zuschreibt und Beziehungen zwischen ihnen herstellt. Jede Äußerung leistet – immer noch vereinfacht gesprochen – einen Beitrag zu diesem Prozeß. Ein Satz zerfällt also typischerweise in einen Teil, über den man etwas sagt, und das, was man darüber sagt. Diese beiden Komponenten heißen auf Englisch topic und comment. Man kann dafür als deutsche Entsprechungen die Termini Thema und Rhema verwenden; aber alle diese Termini sind schon in vielerlei Sinn verwendet worden.

.a.Erna hat einen Hund.
b.Der Hund gehört Erna.

In .a und b geht es wieder um denselben Sachverhalt, also dieselben Referenten und dieselbe Beziehung zwischen ihnen. Aber die Schrittfolge, in der das Redeuniversum verändert wird, ist verschieden. In .a ist Erna Topic und hat einen Hund Comment.2 In #b dagegen ist der Hund Topic und gehört Erna Comment.

.a paßt in einen Kontext, wo Erna bereits im Redeuniversum ist und an ihr als Referenten weitere Information angereichert wird. ‘Erna’ ist also alte Information, ‘hat einen Hund’ dagegen ist neue Information. .b dagegen paßt in einen Kontext, wo der Hund bereits im Redeuniversum ist und an ihm als Referenten weitere Information angereichert wird. ‘Der Hund’ ist also alte Information, ‘gehört Erna’ ist dagegen neue Information.

Wir können verallgemeinern: Der Topic ist nicht nur das, worüber etwas gesagt wird, sondern er ist auch alte Information; der Comment ist nicht nur das, was über den Topic gesagt wird, sondern er ist auch neue Information.3 Diese beiden Konzeptpaare korrelieren nicht aus logischen, sondern aus kommunikativen Gründen: Bevor man x etwas zuschreiben kann, muß x erst einmal gegeben sein. Äußerungen, durch die man gleichzeitig x als neuen Referenten einführt und x etwas zuschreibt, mißlingen häufig, weil der Hörer überfordert ist, und in manchen Sprachen oder Kontexten sind sie geradezu ungrammatisch.

.a.Die Studentin, die Erwin geheiratet hat, hat es bitter bereut.
b.Eine Studentin, die Erwin geheiratet hat, hat es bitter bereut.

So ist .a unproblematisch in einem Kontext, wo bekannt ist, daß es eine Studentin gibt, die Erwin geheiratet hat; diese Studentin wird durch das definite NS identifiziert und fungiert in .a als Topic. Sie fungiert auch in #b als Topic. Aber da wird sie nicht als bekannt vorausgesetzt, sondern allererst ins Redeuniversum eingeführt. Der Satz ist zwar grammatisch, aber höchstens unter ganz speziellen Kontextbedingungen pragmatisch akzeptabel (z.B. wenn schon bekannt ist, daß Erwin diverse Studentinnen geheiratet hat).

Das Prinzip, möglichst pro einfachem Satz nur eine Operation der Informationsstruktur zu haben, führt dazu, daß Konstituenten, die beim augenblicklichen Zustand des Redeuniversums nicht hinreichend aktiviert sind (an die der Gesprächspartner im Moment vermutlich nicht denkt), aus dem Satz herausgenommen und separat präsentiert werden. Für den Topic gibt es zu diesem Zweck eine eigene Operation, die Linksversetzung, illustriert durch .

.In einer feudalistischen Gesellschaftsordnung, da wäre so etwas vielleicht möglich.

In ist da der Topicausdruck. Den Ausdruck in einer feudalistischen Gesellschaftsordnung hat man sozusagen aus seiner Position im Satz herausgenommen und vor die linke Satzgrenze gesetzt, weil das Gemeinte im Moment nicht präsent war und also erst einmal eingeführt werden mußte. M.a.W., Linksversetzung dient dem Zweck, Ausdrücke in einem Satz zu akkommodieren, in dem sie eigentlich Topic sein sollten, die aber für diese Funktion nicht hinreichend “alte” Information sind. In den meisten Sprachen der Welt ist diese Operation fest in der Grammatik der Norm verankert, aber im Deutschen ist sie charakteristisch für die Umgangssprache.

Die Gliederung einer Äußerung in Topic und Comment ist auf komplizierte Weise bezogen auf die Gliederung eines Satzes in Subjekt und Prädikat. Zunächst ist wichtig zu betonen, daß die beiden Gliederungen nicht zusammenfallen. Im zweiten Satz von .b und in .b ist der sowohl Subjekt als auch Topicausdruck. Aber in und im zweiten Satz von ist der Topicausdruck direktes Objekt, wobei in letzterem die Häscher Subjekt sind, die wiederum Teil des Comment-Ausdrucks sind.

.Das haben wir immer so gemacht.
.Zu Dionys dem Tyrannen schlich Damon, den Dolch im Gewande. Ihn schlugen die Häscher in Bande.

Das Subjekt ist eine syntaktische Funktion, aber der Topic ist eine Funktion der Informationsstruktur. Die beiden sind also begrifflich voneinander unabhängig und können in einer Äußerung zusammenfallen oder nicht. Nichtsdestoweniger besteht folgender Zusammenhang: Eine der Funktionen des Subjekts besteht darin, den Topic zu kodieren. Das Deutsch der Klassik ignoriert diese Assoziation gern in Sätzen wie . Aber sowohl in geläufigerem Deutsch als auch erst recht in anderen Sprachen wie Englisch und Yukatekisch würde man es bei weitem vorziehen, daß der Topic von im zweiten Satz Subjekt wäre, etwa wie in ':

'.Zu Dionys dem Tyrannen schlich Damon, den Dolch im Gewande. Er wurde von den Häschern in Bande geschlagen.

Anders gesagt: über mehrere Sätze hinweg einen Topic beizubehalten ist dann am einfachsten, wenn er immer Subjekt ist. Gleichzeitig zeigt das, daß eine eigene grammatische Ausprägung der Topicfunktion in einer Sprache mit ausgeprägter Subjektfunktion (wie Deutsch) nicht so nötig ist.

Fokus

Der Kern des Comment ist der Fokus, das ist diejenige Bedeutungskomponente, auf die es dem Sprecher am meisten ankommt. Es gibt verschiedene Grade der Abhebung des Fokus von der übrigen Satzbedeutung. Am klarsten ist der Fall beim Kontrastfokus. Hier besteht der Sprecher darauf, daß von allen Elementen, die man in einer bestimmten Position seines Satzes einsetzen könnte, nur ein einziges richtig ist; und dieses hebt er kontrastiv hervor.

Zu diesem Zweck dient in allen Sprachen der Satzakzent, der sich ja phonetisch in der Lautstärke äußert (in den Beispielen durch Hinterlegung wiedergegeben). Im Deutschen begnügt man sich meist damit, wie in .a.

.a.Erna will einen Doktortitel.
b.Ein Doktortitel ist es, was Erna will.
c.Was Erna will, ist ein Doktortitel.

Man kann im Deutschen auch komplexe Sätze wie in #b und #c bilden; aber das ist in anderen Sprachen, z.B. Englisch und Französisch, weitaus üblicher. Solche Fokuskonstruktionen verleihen der Fokussierung zusätzliche Emphase dadurch, daß sie die Asymmetrie zwischen dem Fokus und der restlichen Satzbedeutung (nicht nur prosodisch, sondern) auch syntaktisch umsetzen. Sie entstehen durch Satzspaltung. Mit diesem Terminus bezieht man sich auf das paradigmatische Verhältnis der Konstruktion von .a zu den Konstruktionen der Beispiele #b und #c. Es gibt zwei Varianten der Satzspaltung:

Die Hauptsätze sind jeweils Sätze mit nicht-verbalem Prädikat, wo allerdings Sprachen wie Deutsch eine Kopula bemühen. Der Pseudospaltsatz heißt deswegen so, weil der Spaltsatz tatsächlich eine Konstruktion sui generis ist, während der Pseudospaltsatz sich nach unabhängig existierenden syntaktischen Regeln auf die beschriebene Weise konstruieren läßt.


1 Notabene: sie sind nicht synonym!

2 Genau gesprochen: ‘Erna’ ist Topic, und Erna ist der Topicausdruck; und entsprechend für den Comment.

3 Diese Begriffe von ‘alt’ und ‘neu’ muß man noch präzisieren. Der Sprecher kann .a auch äußern in einer Situation, in der er dasselbe soeben schon einmal gesagt und der Hörer ihm mit nein, Erna hat eine Katze widersprochen hat. Dann ist der Comment nicht eigentlich neu. Mit alt ist also gemeint: “gegeben, im Redeuniversum etabliert”, mit neu dagegen: “noch nicht im Redeuniversum etabliert.”