Mit den grammatischen Ebenen sind normalerweise die Komplexitätsebenen1 grammatischer Struktur gemeint, die bereits im Abschnitt über die sprachlichen Ebenen eingeführt wurden. Die Darstellung wird hier wiederholt:
Einheit | Beispiel |
---|---|
Satz | Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. |
Klause | wer andern eine Grube gräbt |
Syntagma | andern eine Grube gräbt |
Wort(-form) | gräbt |
Morphem | -t |
Es werden also, die Hierarchie der grammatischen Ebenen hinaufsteigend, Wortformen zu Syntagmen, diese zu einfachen Sätzen und diese zu zusammengesetzten Sätzen kombiniert. Zur Terminologie ist folgendes zu bemerken:
- Es gibt einen weiten und einen engen Begriff von ‘Syntagma’:
- Ein Syntagma i.w.S. ist jegliche syntagmatische Kombination sprachlicher Einheiten, also z.B. auch eine Silbe oder ein Satz.
- Ein Syntagma i.e.S. ist eine Kombination von Wortformen zu einer syntaktischen Einheit, die dann ihrerseits eine Funktion in einem umfassenderen Syntagma erfüllt, bis hinauf zum einfachen Satz. Es ist also eine Einheit auf einer Zwischenebene zwischen Wortform und einfachem Satz. Traditionell wird sie auch Wortgruppe genannt; und Syntagmen einzelner Kategorien wie etwa das Nominalsyntagma heißen dann entsprechend Nominalgruppe usw.
- Statt Syntagma i.e.S. wird gelegentlich Phrase gesagt. Aber ‘Phrase’ ist eigentlich ein Unterbegriff von ‘Syntagma’, nämlich ‘kontinuierliches Syntagma (evtl. noch mit festen Positionen für die Bestandteile)’. So ist z.B. in dem Syntagma hört morgen auf der Teil hört ... auf ebenfalls ein Syntagma; aber es ist keine Phrase.
- In traditioneller deutscher Terminologie gibt es für Einheiten der obersten beiden Ebenen nur den Terminus Satz, wobei man ggf. dazusagen muß, ob man ‘einfacher Satz’ oder ‘zusammengesetzter Satz’ meint. Der begriffliche Unterschied wird aber so häufig gebraucht, daß es nützlich ist, dafür zwei Termini zu haben. Auf Englisch sind es clause vs. sentence. Ersteres ist ins Deutsche als Klause, gelegentlich auch als Klausel2 entlehnt worden.
Wie überhaupt alle sprachlichen Einheiten sind auch die Einheiten der grammatischen Ebenenhierarchie Gegenstand der beiden fundamentalen Operationen Selektion und Kombination: Auf jeder einzelnen Ebene selektiert der Sprecher diese Einheit statt anderer derselben Kategorie und kombiniert sie mit Einheiten anderer Kategorien zu einer Einheit der nächsthöheren Ebene. Diese Operationen haben, je weiter man die Ebenenhierarchie hinaufsteigt, desto größere Freiheitsgrade. Auf der obersten Ebene unterliegt die Sprachtätigkeit den geringsten Beschränkungen des Sprachsystems: der Sprecher kann seine Sätze frei wählen und sie einzig nach Sinngesichtspunkten miteinander kombinieren. Bei der Bildung von Syntagmen gelten bereits grammatische Regeln des jeweiligen Sprachsystems; z.B. muß man Adjektivattribute im Deutschen vor, im Arabischen jedoch hinter das Bezugsnomen stellen (ohne daß das für den Sinn irgendetwas ausmachte). Es gibt hier auch Kategorien wie z.B. Hilfsverben, wo die Auswahl klein und reglementiert ist. Bei der Bildung von Wortformen gar herrscht weniger das Ziel des Sprechers und eher die Regeln des Sprachsystems. Bzgl. der Form gräbt des obigen Beispielsatzes schreibt mir die Syntax die 3. Ps. Sg. vor, und die Morphologie schreibt mir vor, daß ich diese in Form des Suffixes -t zu kodieren habe. Auf der niedrigsten grammatischen Ebene bilden geschlossene Klassen von Formativen wohlorganisierte Paradigmen, und vieles von dem, was dort an Selektion und Kombination geschieht, ist obligatorisch.
1 Mit ‘Komplexität’ ist in der Syntax i.a. nichts Geheimnisvolles gemeint, sondern lediglich die Zusammensetzung einer Einheit einer höheren Ebene aus Einheiten der nächstniedrigeren Ebene. Manchmal meint man auch, i.e.S., die Kombination von zwei oder mehr Einheiten derselben Kategorie zu einer höheren, z.B. die Kombination von zwei einfachen Sätzen zu einem zusammengesetzten Satz.
2 Ähnlich wie Phrase hatte auch Klausel schon seit Jahrhunderten eine etymologisch wohlbegründete und im Deutschen wohletablierte Bedeutung, die (anders als bei Klause) von dem gewünschten linguistischen Begriff nicht weit genug entfernt ist, um Mißverständnisse zu vermeiden.