Thematik und Ziele

Der Abschnitt ‘Semantik’ von Lektion 4 hat mit dem Begriff der Bedeutung und den Möglichkeiten seiner Analyse zu tun. Sein Ziel ist es, verschiedene Bedeutungsbegriffe korrekt anwenden und die Bedeutung einfacher Ausdrücke analysieren zu lehren.

Significatum und Denotatum

Mit dem Ausdruck Bedeutung kann sehr Verschiedenartiges gemeint sein. Wir betrachten dazu , ein Beispiel, das (seit Frege 1892) immer zu diesem Zweck herangezogen wird:

.a.der Morgenstern
b.der Abendstern

Angenommen, jemand könnte zwar Deutsch, wäre aber in Astronomie nicht weiter bewandert. Er würde dann

vermuten können, daß .a bedeutet “Stern, der morgens als letzter sichtbar ist” und .b “Stern, der abends als erster sichtbar ist”. Tatsächlich ist das auch mit den beiden Wörtern gemeint, abgesehen davon, daß es sich in Wahrheit nicht um einen Stern, sondern um einen Planeten handelt. Man kann annehmen, daß die meisten Deutschsprecher die beiden Ausdrücke auf ähnliche Weise erlernt haben und daß für viele genau das ihre Bedeutung ist.

Bei etwas mehr Bewanderung in Astronomie stellt man dann fest, daß die beiden Gestirne identisch sind: der Morgenstern und der Abendstern sind beide der Planet Venus.

Das Beispiel lehrt zwei Dinge zu unterscheiden:

  1. Das Significatum eines Sprachzeichens ist die Bedeutung, die mit ihm als Element eines Sprachsystems gegeben ist.
  2. Das Denotatum eines Sprachzeichens ist der Gegenstand in der Wirklichkeit, auf den man sich bei Gebrauch des Zeichens bezieht.

Wie man sieht, ist das Significatums vom Denotatum unabhängig: für dasselbe Denotatum gibt es hier zwei verschiedene Zeichen mit zwei verschiedenen Significata (eben den beiden oben für B1.a und b angegebenen).

Im Falle von ist das Zeichen ein eindeutiger Eigenname, so daß genau ein Gegenstand unter ihn fällt. Das ist bei Appellativa (“Gattungsnamen”) wie Planet oder Bundeskanzler anders: Da gibt es eine Menge von Denotata, mit Bezug auf welche man das Zeichen verwenden kann. Ob eines davon aktuell gemeint ist und positivenfalls, welches, hängt von der jeweiligen Sprechsituation ab. Angenommen, wird am 30.07.1973 in Wien geäußert.

.Die Partei des Bundeskanzlers verfügt über die absolute Mehrheit im Nationalrat.

Dann ist das Denotatum von Bundeskanzler höchstwahrscheinlich Bruno Kreisky.

Referenz, Referent, Redeuniversum

Der Begriff des Significatums ließ sich an einem sprachlichen Beispiel wie klären, das nicht einmal Teil einer Äußerung war. Die normale Daseinsform sprachlicher Zeichen ist jedoch als Bestandteil von Äußerungen in Sprechsituationen. Nehmen wir an, jemand erzählt .

.Luciano Pavarotti und Placido Domingo traten auf. Der Italiener trug einen dämonischen schwarzen Umhang.

Das Significatum des Substantivs Italiener ist “Mensch, welcher die italienische Staatsangehörigkeit besitzt”. Seine Denotata sind alle Menschen, auf die diese Bedingung zutrifft. Der Referent des Ausdrucks der Italiener in ist ‘Luciano Pavarotti’ (und nicht etwa Luciano Pavarotti; s.u.). Es ist, um genau zu sein, dieselbe Entität, auf die sich der Ausdruck Luciano Pavarotti bezieht. Diese beiden Ausdrücke sind in koreferentiell. Der Referent eines sprachlichen Ausdrucks ist eine bestimmte in der betreffenden Sprechsituation gedachte Entität. Referenz ist die Identifikation eines Referenten. Näheres dazu auf den Seiten über den Referenten und das Redeuniversum.

Angenommen, jemand erzählt :

.Wir kamen in ein verlassenes Dorf. Die Kirche war schon halb verfallen.

Durch seine Erzählung schafft der Sprecher – bzw. schaffen die Gesprächspartner – ein Redeuniversum. Das Redeuniversum ist eine in einer Sprechsituation von den Teilnehmern schrittweise durch Sprechakte geschaffene und veränderte gedachte Welt, die von Referenten, deren Eigenschaften und zwischen ihnen bestehenden Relationen bevölkert wird. Nach Äußerung des ersten Satzes von befinden sich in dem Redeuniversum u.a. die Gruppe des Sprechers sowie ein verlassenes Dorf. Nach Äußerung des zweiten Satzes befindet sich darin außerdem eine halb verfallene Kirche, welche zu dem Dorf gehört. Interessant ist im gegebenen Zusammenhang, daß der Sprecher in die Kirche den definiten Artikel verwendet, der eigentlich besagt, daß der Referent schon im Redeuniversum ist. Der Sprecher erwartet also vom Hörer eine Inferenz der Art, daß zu einem Dorf typischerweise eine Kirche gehört, so daß, wenn sich ein Dorf im Redeuniversum befindet, die Existenz einer zugehörigen Kirche im Redeuniversum ebenfalls angenommen werden kann.

Die bisher gegebenen Beispiele reichen noch nicht zu, um die Begriffe ‘Denotatum’ und ‘Referent’ auseinanderzuhalten. Im Falle von z.B. entsprechen den Referenten der Ausdrücke Placido Domingo und Luciano Pavarotti Denotata, nämlich eben diese beiden Menschen. Genau gesagt, diese Denotata existieren, wenn zu Lebzeiten der beiden geäußert wird; andernfalls muß man mit raumzeitlich begrenzten Denotata und mit Denotation über Raum und Zeit hinweg rechnen. Daß es aber für Referenten Denotata gibt oder wenigstens gab, ist durchaus nicht notwendig. Es ist z.B. nicht der Fall, wenn in einer Sprechsituation vorkommt.

.Wenn wir einen fähigen Kanzlerkandidaten wüßten, würden wir ihn wählen.

Die Ausdrücke einen fähigen Kanzlerkandidaten und ihn in sind koreferentiell. Gleichzeitig ist deutlich – das ist eben die Bedeutung eines irrealen Konditionalsatzes –, daß diesem Referenten nach Meinung des Sprechers kein Denotat entspricht. Die Begriffe des Referenten und des Denotatums sind also voneinander zu unterscheiden: Referenten sind in einer Sprechsituation gedachte Entitäten. Einer gedachten Entität kann, muß aber nicht eine reale Entität, ein Denotatum entsprechen.

Gelegentlich wird übrigens gesagt, der Referent von ihn in sei der Ausdruck einen fähigen Kanzlerkandidaten im selben Satz weiter vorne. Das ist Unsinn. Ein sprachlicher Ausdruck A1 referiert nur dann auf einen sprachlichen Ausdruck A2, wenn A1 der Ebene der Metasprache und A2 der Ebene der Objektsprache angehört (s. zu Objektsprache und Metasprache). (Z.B. referiert der Ausdruck ‘ihn’ im ersten Satz dieses Absatzes auf den Ausdruck ihn in .) Die Verwendungen der beiden in Rede stehenden Ausdrücke in gehören aber beide derselben Sprachebene an. Für beide ist der Referent die gedachte Entität ‘ein fähiger Kanzlerkandidat’.

Angenommen, klein Fritzchen hat beim nachmittäglichen Unterricht gefehlt und bringt als Entschuldigung vor:

.Ich mußte meiner Schwester helfen.

Klein Fritzchen und der Lehrer haben nun ein Redeuniversum gemeinsam, in dem u.a. klein Fritzchens Schwester existiert. Tatsächlich aber hat klein Fritzchen gar keine Schwester, d.h. für den Referenten ‘klein Fritzchens Schwester’ gibt es kein Denotatum. Für das Redeuniversum und folglich die Interpretation, die der Lehrer für konstruiert, macht das nicht den geringsten Unterschied. Wenn der Lehrer weiß, daß klein Fritzchen gar keine Schwester hat, versteht er nicht anders, sondern sein Abgleich des Verständnisses von mit dem, was er für die Realität hält, ergibt ein Resultat, mit dem er vermutlich unzufrieden ist. Der Sinn eines Satzes hängt nicht davon ab, ob es für seine Referenten Denotata gibt. Andernfalls wäre Lügen unmöglich.

Folgendes Schaubild stellt das Verhältnis zwischen Sprache, Denken und Wirklichkeit dar:

Sprache Denken Wirklichkeit
Äußerung repräsentiert Bewußtsein repräsentiert manchmal Welt
referierender Ausdruck Referent Denotat
sprachlicher Ausdruck Vorstellung physikalisches Objekt

Fazit

Sprachliche Bedeutung ist die Deutung eines Sprachzeichens, die sich auf mehreren Ebenen entwickelt, von der im Sprachsystem am Zeichen haftenden Bedeutung (dem Significatum) bis hin zu dem vom Sprecher aktuell gemeinten Sinn.